Millésime Bio digital – die erste Weinmesse am PC

Weinmesse Millésime digital 2021

Da sitzen wir uns nun gegenüber, anscheinend. In Wirklichkeit trennen uns manchmal Tausende von Kilometern. Bei der einen sieht man die Schminkkommode im Hintergrund, der andere hat einen roten Vorhang hinter sich angebracht, bei der dritten läuft der Hund durchs Bild. Alle sitzen wir vor unseren digitalen Endgeräten in heimischen Gefilden. Und so soll sie jetzt funktionieren, die digitale Weinmesse. Die Millésime Bio, von deren realer Version ich letztes Jahr schon berichtet habe, ist anders als die ProWein nicht ausgefallen. Stattdessen findet sie in virtueller Form statt, auf einer eilig zusammengebastelten Plattform. Ohne Probeschluck, aber auch ohne lange Anreise und teure Hotels.

Millésime Bio 2021 – Weinmesse ganz anders

Weil ich an anderer Stelle noch über meinen Selbstversuch als Weinmesse-Besucher schreiben werde (und über die Erfahrungen der Winzer/innen), werde ich dazu jetzt nichts sagen. Stattdessen möchte ich euch ein paar Neuigkeiten mitteilen, die ich an den virtuellen Ständen mitbekommen habe. Denn was fragt man da als Besucher immer? Genau: Wie war der Jahrgang, und was gibt es Neues? Und das ist digital nicht anders als real.

Weingut Kranz, Pfalz

Kranz Weinmesse Millésime digital 2021

So wie auf dem Screenshot sahen die Einstiegsseiten bei jedem Weingut auf der Millésime-Weinmesse aus. Man konnte als Winzer Videos und Imagefilme einbinden, Produktinfos einstellen und allgemein etwas zum Weingut schreiben. Dann gab es einen Live Chat à la WhatsApp und eine Videoplattform à la Zoom für Direktmeetings. Oben seht ihr die Seite vom Weingut Kranz aus der Pfalz mit der Kleinen Kalmit, dem Hausberg sozusagen. Quoi de neuf also bei Kranz?

Im Jahr 2020 haben sie zum ersten Mal zu Hause versektet, Ergebnisse gibt es natürlich erst später. Nächste Woche kommen dann die 2020er Gutsweine auf den Markt. Die (spontanen) Gärungen sind diesmal gut verlaufen, so dass die Rieslinge durchgängig zwischen drei und vier Gramm Restzucker haben, also der angestrebt trockene Stil. Auch die weißen Burgunder sind entsprechend knackig. Ohnehin war 2020 natürlich ein frischerer Jahrgang als die beiden davor. Ende August stellte sich schon langsam die Reife ein, die Trauben für den Sektgrundwein wurden eingeholt. Dann haben sie nochmal eine Woche Pause gemacht und entblättert. Im Hochsommer hatten sie das diesmal nicht gemacht, nachdem die beiden Sommer davor so stark in der Sonneneinstrahlung waren.

Wichtig zu wissen für Lagenfreaks ist die Tatsache, dass die erst 2008 geschaffene Lage Ilbesheimer Kalmit eigentlich auch noch zu grob ist. Deshalb gibt es bei Kranz nicht nur das GG Kalmit, sondern auch noch die aus dem westlichen Bereich der Lage stammenden GG Kirchberg und Westerberg (Erste Lage). Ist bei Weinlagen-Info schön eingezeichnet. Ein paar Weine habe ich schon hier und werde dann entsprechend berichten. Viele Infos zu Lagen und Weinen gibt es natürlich auch auf der Website des Weinguts.

Weingut Gabel, Pfalz

Gabel Weinmesse Millésime digital 2021

Das Weingut Gabel befindet sich ebenfalls in der Pfalz, aber letztlich in einer anderen Welt – klimatisch gesehen jedenfalls. Hier im Norden der Mittelhaardt sind die Böden anders als in der Südpfalz, Niederschläge, Reifeverlauf, Erntezeitpunkt… Trotzdem gehört natürlich alles – und vermutlich auch vernünftigerweise – administrativ zu einer einzigen Region. Das Weingut Gabel ist überregional sicher bekannter für seine Rotweine als für seine Weißweine. Massenselektion aus dem Burgund, karges Terroir auf Steinacker und Felsenberg, der Argumente gibt es viele. Aber die Weißen holen mächtig auf und sind von der Rebfläche her mittlerweile sogar vorn. In den letzten Jahren ist die Weißburgunder-Fläche beispielsweise verdreifacht worden.

Weißburgunder scheint auch der große Gewinner des Jahrgangs 2020 gewesen zu sein. Im Sommer dachten sie noch, dass es ein Jahr höherer Erträge werden könnte, aber zum Glück hat sich das dann zugunsten der Qualität relativiert. Interessant für meine Zwecke oder vielmehr für den Natürlichen Dienstag ist auch der Blaufränkisch Pur. Das sei, sagt mir Oliver Gabel, tatsächlich ein Versuch gewesen. Nachdem sie nämlich eine kleine Partie geschwefelt hatten, stellten sie fest, dass der Schwefel dem Wein eigentlich nichts Wesentliches mitgegeben hätte. Also warum nicht den Rest einfach ohne alles lassen? Ich bin jedenfalls sehr gespannt.

Weingut Riffel, Rheinhessen

Riffel Weinmesse Millésime digital 2021

Wenn man ein latent missmutiger Winzer ist, der zwar alles so macht, wie er es immer gemacht hat, aber gar nicht weiß, warum er es so macht…, dann sollte man mal ein Gespräch mit den Riffels buchen. Wird vermutlich steuerlich als Inspirations-Talk anerkannt. Hier im Norden Rheinhessens, am Binger Scharlachberg, bleibt die Zeit nämlich nie stehen. Natürlich sind bei ihnen die Zahlen im ersten Lockdown auch total eingebrochen, und natürlich waren sie ebenfalls auf keiner Weinmesse. Aber das hat sie offenbar nicht daran gehindert, mit vollem Schwung neue Produkte auszuprobieren.

In den kommenden Monaten kommt nämlich zunächst einmal eine Riesling-TBA aus dem Scharlachberg heraus. Eine wahnsinnige Arbeit für gerade einmal 25 Liter Wein, aber the challenge, ihr wisst schon. Dann wird es einen hochwertigen Rosé geben aus Pinot Noir, lange auf der Maische und dennoch nur ganz feinfarbig. Ein großer Knaller dürfte dann der alkoholfreie Riesling werden, bio & vegan gelabelt, erstmal für Skandinavien, weil die so etwas (in hoher Qualität) haben wollen. Ich glaube persönlich, dass das noch ein großes Thema wird. Und zwar eins, das ich lieber bei den handwerklichen Winzern verortet sehen möchte als in den Maschinenräumen der Mixgetränk-Konzerne. Schließlich wird es auch noch ein Quasi-GG aus dem Rosengarten geben, das aber leicht in den feinherben Bereich hineinlugt.

Weingut Diwald, Wagram

Diwald Weinmesse Millésime digital 2021

Mit einem lockeren Klick wechsele ich weiter nach Österreich, und zwar virtuell und in echt. Virtuell, weil wir beide an unseren Rechnern bleiben, in echt aber auch, denn Martin Diwald sitzt in Großriedenthal am Wagram. Die beste Lage (oder Riede) hier heißt Eisenhut, und auch das könnt ihr euch wieder auf der Karte anschauen. Just in dieser Lage, nach Süden ausgerichtet, mit ausgebranntem Löss und einer sehr späten Reife, hat Martin Diwald seine ersten Furmint-Reben gepflanzt. Eine über hundert Jahre alte Selektion aus Tokaj, wenn schon, denn schon.

Gute Nerven bräuchte man für Furmint, und trotzdem lernt man natürlich immer dazu. Dass Furmint großartige trockene Weißweine hervorbringen kann, steht sicher außer Zweifel. Dass sich Klima und Boden im Wagram dafür eignen, ebenfalls. Martin erzählt allerdings, dass ein Teil der Trauben früh anfängt zu faulen, wegen ihrer dünnen Beerenhaut. Erstaunlicherweise würden die anderen Trauben das aber nicht tun und wunderbar bis zum Oktober durchreifen. Wer also in Panik sehr früh liest, hat dann einen arg kernigen Wein. Wer hingegen bis zum Ende wartet, kann mit Glück sogar zwei Weine bereiten: einen energischen trockenen und eine süße Auslese. Hört sich doch super an, oder?

Château de la Roulerie, Loire

Roulerie Weinmesse Millésime digital 2021

Wieder nur einen Klick entfernt, tut sich für mich das Universum der Loire-Weine auf. Die Millésime Bio ist, was französische Winzerweine anbelangt, meiner Meinung nach sogar besser aufgestellt als die ProWein oder eine vergleichbare Weinmesse. Es gibt nämlich nicht weniger als 27 Loire-Weingüter, die im Guide der RVF gelistet sind. Und darüber hinaus noch ein paar andere interessante Tipps. Zu letzteren gehört das Château de la Roulerie, das sich weit im Westen befindet, im Anjou Noir mit seinen dunklen Schieferböden. Besitzer Philippe ist übrigens der Bruder von Thierry Germain von Roches Neuves, auch wenn es durchaus nerven kann, immer als “Bruder von…” bezeichnet zu werden.

Natürlich gibt es hier die trockenen und halbtrockenen Schiefer-Chenins, die wir Freaks so lieben. Und es gibt seit dem Erwerb einer speziellen Parzelle vor gut zehn Jahren auch einen trockenen Chenin von einem Kalkplateau. Ein bisschen unterbelichtet gegenüber den Weißen sind im Ausland die Roten von der Loire. Das sind die klassischen Weine der Pariser Bistrots, gern ein bisschen herb bis hin zum stark Vegetabilen. Das Leichte und Erfrischende wollten die Germains beibehalten, erzählt mir Marie Fabre Germain, aber möglichst nicht das Grüne. Ihr P’tit Cab ist deshalb à point geerntet wurden (“der Erntezeitpunkt beim Cabernet Franc ist enorm wichtig”), hat dann aber nur eine kurze Maischezeit bekommen. Würde ich gern probieren, aber nun ja…

Domaine de l’Enchantoir, Loire

Enchantoir Weinmesse Millésime digital 2021

Zum Schluss noch ein Weingut, von dem ich noch nie etwas gehört hatte, die Domaine de l’Enchantoir. Die Brunets haben vor fünf Jahren das Weingut im Land der Troglodyten gekauft – mitsamt des prachtvollen Tuffkellers. Das Portfolio ist ebenso stringent wie selbsterklärend: drei Rote, drei (trockene) Weiße, jeweils entweder im Stahl, im Beton oder im Holzfass ausgebaut, dazu zwei PetNats, einen davon Rosé, den anderen Weiß. Dann gibt es noch einen leichten Chardonnay, der sich vor allem lokal großer Beliebtheit erfreut. Ich wundere mich ein wenig, aber Amandine Brunet erklärt es: “Naja, die Leute wollen hier auch mal etwas anderes trinken als immer nur Chenin.”

Ja, logisch. Oder vielmehr, nein, warum das denn, der herrliche Chenin! Ich erinnere mich gern an den wunderbaren Podcast mit Christoph originalverkorkt Raffelt aus dem Sommer, als wir vier Chenins verkostet hatten (ich kann das leider gerade nicht verlinken, weil die Seite defekt zu sein scheint). In jedem Fall: Offenbar sind wir mit unserer Liebe für die Weine der Loire nicht allein im Land. Hoffentlich bekomme ich bald einmal die Gelegenheit, die Weine der Domaine de l’Enchantoir auch zu probieren – und vielleicht hier vorzustellen.

Und sonst noch…

Nürnberg Hummelsteiner Park

Die einzige Abwechslung unseres Home-Everything besteht im Moment darin, eine kleine Spazierrunde durch die Nachbarschaft zu drehen. Beim Anblick von Schloss Hummelstein lasse ich noch einmal die Erkenntnisse Revue passieren, die ich aus den (wenigen) Online-Konferenzen der Millésime Bio mitgenommen hatte.

  • Beispielsweise, dass die Verkäufe von Bio-Weinen in französischen Supermärkten im Jahr 2020 um über 30% gestiegen sind. Und dass die allergrößte Steigerung, nämlich 92%, bei Läden in der Nachbarschaft und bei Drive-Ins erfolgte. Drive-Ins. Der E.Leclerc hatte schon vor Jahren so etwas aufgebaut, mit erheblichen Risiken, nehme ich an. Hier in Deutschland gibt es hingegen in diesem Bereich – fast nichts. Eine erstaunliche Lücke.
  • Ich lerne auch, dass es bei Online-Weinverkäufen während des Lockdowns zwar in allen Altersgruppen Zuwächse gegeben hat. Die größte Steigerung fand allerdings bei den 30-39jährigen statt. Da schließt sich für mich die Frage an: Wenn sich die (weinmäßig) jüngeren Leute erst einmal daran gewöhnt haben, gibt es dann noch einen Weg zurück? Nicht wirklich, oder?

Die Millésime Bio war in ihrer digitalen Version logischerweise keine Weinmesse mit vollständigem Programm. Dafür hat das Probieren gefehlt, das zwanglose Unterhalten, das zufällige Vorbeischauen an einem Stand, an dem gerade nicht viel los ist. Aber dafür gab es Infos zu Winzern und Weinen per Klick, die wesentlich informativer waren als die Sachen, die sonst bei einer Weinmesse immer mitgeliefert werden. Und ich habe trotzdem ein paar Entdeckungen machen können. Jetzt werde ich versuchen, im Nachhinein einige der interessant tönenden Weine zu probieren. Nicht alles Gold also, aber doch weitaus mehr als nichts.

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