Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Und mag es auch noch so seltsam gewesen sein, ist das noch lange kein Grund, zum Ausklang schlechte Weine zu trinken. Aus diesem Grund habe ich von ganz tief unten im Keller diesen Chenin Blanc aus dem Anjou hervorgeholt: Les Noëls de Montbenault von Richard Leroy. Jahrgang 2009. Als ich den Wein gekauft hatte, war er schon so ein bisschen Kult. Mittlerweile ist es aber endgültig kaum möglich oder aber extrem kostspielig geworden, Les Noëls zu erwerben. Ich öffne die Flasche also in feierlicher Stimmung.
Les Noëls de Montbenault 2009 von Richard Leroy
Richard Leroy hat trotz der Namensgleichheit wirklich überhaupt nichts mit der Domaine Leroy im Burgund mit ihren ebenfalls sehr begehrten Weinen zu tun. Außer vielleicht, dass beide biodynamisch arbeiten und in ihrer jeweiligen Disziplin ganz oben stehen. Richard ist kein Winzer von Anfang an, sondern er war Bankangestellter. Als solcher kam er im Jahr 1996 ins Anjou, genauer gesagt nach Rablay-sur-Layon, und beschloss, sein Leben gänzlich neu auszurichten. Wer noch mehr über Richard, seine Philosophie und seine Persönlichkeit erfahren möchte (und immer noch ein Weihnachtsgeschenk sucht), dem sei das Buch Die Ignoranten von Etienne Davodeau empfohlen. Eine Bildergeschichte für Weinliebhaber.
Les Noëls de Montbenault (hier eingezeichnet) ist eine von zwei Gewannen, in denen Richard Leroy Reben besitzt. Das Weingut verfügt nämlich gerade einmal über 2,7 ha Rebland, weil das die Größe ist, die Richard noch selbst per Hand bewirtschaften kann. Da der Ertrag äußerst gering ist, kommen jährlich nur etwa 8.000 Flaschen der beiden Weine Noëls und Rouliers auf den Markt. Wir sind hier mitten im Gebiet der Coteaux du Layon, einer klassischen Süßweinregion. Der kleine Fluss Layon sorgt im Herbst für Morgennebel, dann kommt mittags die Sonne durch, und dadurch gibt es die besten Rahmenbedingungen für die gewünschte Version der Botrytis. Les Noëls befinden sich dabei auf einer Hügelkuppe nördlich des Layon, der flachgründige Boden besteht primär aus vulkanischem Rhyolith.
Das Weingut ist zwar biozertifiziert und arbeitet biodynamisch, aber davon werdet ihr auf dem Etikett nichts finden. Auch nichts davon, ob er in diesem Jahrgang ein bisschen Schwefel verwendet hat oder nicht. Und auch nichts von der Herkunftsappellation, denn zusammen mit seinem Freund Mark Angeli hatte Richard Leroy vor einiger Zeit beschlossen, nur noch Tafelwein, Vin de France, zu machen. Trockene Weine übrigens.
Wie schmeckt der Wein?
Obwohl ich den Noëls de Montbenault schon in jüngerem Stadium getrunken hatte, ist so ein gereifter Chenin noch einmal eine ganz andere Sache. Schon beim Einschenken ins Glas ist das eine farbkräftig-goldige Angelegenheit. Auch in der Nase glaube ich das Süßwein-Terroir zu spüren. Keine Botrytis, aber viel Expressivität, goldener Bratapfel, Aprikose, etwas Senfmehl, dazu feine oxidative Noten. Der Wein ist definitiv reif, aber nicht überreif, sondern irgendwie gezügelt.
Im Mund macht es dann ganz einfach wooom. Das ist unglaublich in seiner Intensität und – was viel schwieriger hinzubekommen ist als irgendein vorstechendes Merkmal – in seiner Ausgewogenheit. 2009 war auch an der Loire ein warmer Jahrgang, in dem sich die Reife bei längerem Warten relativ zuverlässig eingestellt hat. Dementsprechend weist der Noëls de Montbenault genau 14 vol% auf. Dieser weichen und reifen Materie hat Richard aber einen wirklich pointierten Säurestrang entgegengesetzt. Pronounced acidity für die WSETler. Dadurch kommt eine ungeheure Spannung zustande, Pikanz auf höchstem Niveau. Ich nippe am Anfang nur am Glas und denke bei mir, dieser Wein ist für die Ewigkeit gedacht.
Was mich hingegen überrascht: Gerade in letzter Zeit sind ja die straffen, kargen, aus früher Lese stammenden “Mineralienweine” unter uns Freaks ein bisschen in Mode gekommen. Ich war mir vorher deshalb nicht sicher, ob Richard Leroy bei der Weinbereitung eher, um mal zwei Extreme zu nennen, bei Nicolas Joly (= verschwenderisch-üppig) oder bei Thibaud Boudignon (= krass karg) anzusiedeln ist. In der Tendenz ist das eher bei Nicolas Joly. Der Wein funktioniert in diesem Stadium sogar ohne Dekantieren, allein wegen der reichen Frucht. Aber vor allem ist hier alles ganz präzise und sauber, was bei Joly nicht immer der Fall sein muss.
Wo habe ich ihn gekauft?
Tja, das mit dem Kaufen ist so eine Sache. Falls jemand einen Ort kennt, an dem man ein Fläschchen der Noëls ohne Vorbedingung zu einem zivilen Preis erwerben kann, nur her mit dem Tipp. Ich hatte den 2009er bei Viniculture in Berlin gekauft und dort gibt es die Weine von Richard Leroy im Prinzip immer noch. Weil die Nachfrage mittlerweile aber viel größer als das Angebot ist, muss man sich erst erkundigen. Gleiches gilt für den Laden, bei dem ich einen Nachfolgejahrgang erstanden habe, dem Cave des Papilles in Paris. Dort bekommt zwar jeder den Wein, wenn er ihn ganz oben im Regal entdeckt, aber immer nur eine Flasche pro Person. Und gelistet ist er natürlich nirgends.
Meine Besuche im Cave des Papilles erinnern mich daran, dass ich gerade jetzt um diese Zeit in anderen Jahren oft in Paris war. Wer nur ein bisschen zum Schwelgen in weihnachtlichen Schaufenstern noch mal mit dabei sein möchte, hier ist mein Rundgang vom Dezember 2017.
Zum Schluss aber noch einmal das Fazit zum 2009er Noëls de Montbenault: Die Säure ist hoch, die Reife ist hoch, die Spannung enorm, aber alles wirkt unglaublich gut eingebunden und edel. Das ist ganz klar ein anspruchsvoller Wein (deshalb das A auf dem Titelfoto), und zwar schlichtweg mein bislang bester Wein des Jahres 2020.
Pingback: Natürlicher Dienstag # 97 - Franziska Schömig - Chez MatzeChez Matze
Pingback: Natürlicher Dienstag # 100 - Andreas Durst Sylvaner - Chez MatzeChez Matze