Manchmal geschieht es ja noch in der Welt des Weins, dass man ein kleines Schätzchen ausgräbt, ohne es zu ahnen. So ist es mir mit diesem Wein ergangen. Gut, dass Stefan Vetter früher oder später in meiner Serie Natürlicher Dienstag auftauchen würde, ist keine große Überraschung. Und dass dies ausgerechnet jetzt der Fall ist, da ich die GROSSE SILVANER-SCHAU ausgerufen habe, erst recht nicht. Die große Überraschung steckt also in dem Wein selbst. Er stammt nämlich nicht aus dem Gambacher Kalbenstein, jener fantastischen Terrassenlage, aus der Stefan seine großen Weine holt…
Wiesen, Felder, Herbst im Thal 2015 von Stefan Vetter
Ein ausgefuchsterer Zeitgenosse als ich selbst hätte vielleicht bei dem Namen des Weins schon hellhörig werden müssen. “Wiesen, Felder, Herbst im Thal” – schöne Wörter aneinandergereiht, dazu noch Thal mit “h”, um potenzielle Käufer/innen endgültig in Eichendorff’sche Stimmung verfallen zu lassen. Nun ja, vielleicht auch das. Aber ganz profan stammt dieser Silvaner aus einer Lage namens Wiesenfelder Herbstthal. Nein, das müsst ihr nicht kennen. Ich hatte selbst auch noch nie davon gehört und Stefan deshalb gefragt.
Das Wiesenfelder Herbstthal ist ein nach Süden ausgerichteter Hang westlich des Mains, nicht weit entfernt von Karlstadt. Bis zum Zweiten Weltkrieg war hier noch alles mit Reben bepflanzt. Aber das Tal ist unerschlossen, die Weinbaudörfer sind fern. Auf Google sieht man noch vier Parzellen, die weiter zu existieren scheinen, darunter diese hier. Mittlerweile sind aber auch diese Parzellen gerodet. Dafür war aber nicht nur die schlechte Anbindung verantwortlich. Der Hang selbst ist nämlich extrem trocken, man kann es im Luftbild erahnen. Unter einer extrem dünnen Bodenauflage beginnt gleich der Fels, reiner Muschelkalk. Gerade in den letzten heißen und trockenen Jahren verdorrte es regelmäßig. Der Herbst in Form fallender brauner Blätter zog früher als gewünscht ins Thal ein.
“Keine unspannende Ecke”, meint Stefan, und Rebarchäologen würden ihm mit Sicherheit Recht geben. Aber der Bewirtschaftungsaufwand wurde einfach zu groß, und so musste Stefan schließlich den Weinberg aufgeben.
Wie schmeckt der Wein?
9,5 vol% hat der Silvaner aus dem Jahrgang 2015 nur. Und das voll durchgegoren. Nun gehören die frühe Ernte und der niedrige Alkohol des Endprodukts natürlich zur Vetter’schen Philosophie. Ich wollte euch nur vor dem Verkosten noch einmal darauf aufmerksam machen.
In mittlerem Zitronengelb fließt der Wein leicht trüb, aber immer noch schön leuchtend ins Glas. Das könnt ihr oben auf dem Foto sehen. Der Naturkork, mit dem die Flasche verschlossen war, wirkte übrigens sehr vertrauenserweckend und unbehandelt. In der Nase nehme ich die Ergebnisse eines Naturwein-Gärprozesses wahr (der Wein ist ungeschwefelt). Als da sind: Rauchigkeit, ein bisschen Malz, Bratapfel. Über allem schwebt aber eine samtige Haube, die sich schwer beschreiben lässt. Sie lässt alles Grobe verschwinden. Im Mund spielt sich etwas Ähnliches ab. Der Silvaner bleibt erst rauchig, balsamisch, aber sehr leicht und transparent im Trunk. Feiner Birnenmost kommt mir in den Sinn, dazu Zimt und grüne Oliven, minimal gerbig, gleitend und auf eine spröde Art elegant. Eine abenteuerliche Reise mit heimatlichem Touch.
Sofort fallen mir Speisenbegleitungen ein. Ich denke selbstverständlich an die Nordic Cuisine, an das Spiel zwischen roh, gekocht und fermentiert. Ich denke aber auch an Räucherfisch und an eine ganze Reihe von Antipasti. Oliven, Artischocken, hundertjährige Eier. Die Säure im Wein ist zwar präsent, aber sie beißt nicht. In der Praxis ist der Silvaner zum Essen vielseitiger und unkomplizierter, als man das zu Anfang denken könnte.
Wo habe ich ihn gekauft?
Gekauft habe ich dieses Schätzchen von Stefan Vetter an einem Ort weit von Wiesenfeld entfernt. Allerdings an einem, der für solche Weine ausgesprochen bekannt ist, nämlich die Weinhandlung Viniculture in Berlin. Wenn ich mich nicht täusche, ist der Wein da inzwischen allerdings auch ausverkauft, 13,50 € hätte er gekostet. Dafür gibt es bei Holger Schwarz andere Silvaner und Sylvaner aus dem Vetter’schen Universum.
Und dieses Universum ist ein eigenes. Mit der GROSSEN SILVANER-SCHAU möchte ich ja zeigen, was Silvaner als Rebsorte alles hervorzubringen vermag. Jedenfalls dann, wenn Winzerinnen und Winzer das wollen und die Rahmenbedingungen mitspielen. Hier habt ihr also einen Silvaner, der extrem schlank ist, eigenwillig nordisch, naturbelassen, Sommelier-liebend, angesagt in internationalen Metropolen, zu bestellen bei einschlägigen Weinhändlern wie eben Viniculture, Vins Vivants, Cool Climate oder der K&U-Weinhalle. Das ist ehrlich gesagt eine ziemlich einmalige Kombination. Als einigermaßen ähnlich fallen mir nur die schlanken Kreszenzen von Kai Schätzel und der Silvaner [Nakt] von Odinstal ein.
Für mich ist das deshalb aber weder (je nach Sichtweise) die “Befreiung aus fränkischer Behäbigkeit” noch ein “gehypter Hipster-Schmarrn”. Sondern ein wunderbar gelungener Beweis dafür, wie vielfältig die Interpretationsmöglichkeiten sind. Seien wir froh, dass wir mit dem Silvaner eine Rebsorte haben, die sich so divers und flexibel zeigt. Und eine Winzerschaft, die sich dieser Möglichkeiten auch bewusst ist. Nicht in allen Fällen, das weiß ich auch. Aber wer suchet, der findet…
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