Manchmal komme ich an so einen Punkt, an dem ich ahne, dass ein Wein für seinen Erschaffer vielleicht mehr ist als ein gewöhnliches Produkt. An dem ich merke, dass da mehr Herzblut und auch mehr Privatheit enthalten sind. An einen solchen Punkt bin ich hier gelangt, und das mit einem Wein, den (noch) niemand kennt. Einen Wein allerdings, der mich auch geschmacklich nachhaltig beeindruckt hat, so wie nur wenige im Verlauf des Jahres. Es handelt sich um den “Minimum” des bulgarischen Bio-Weinguts Zagreus, der so ist, wie die alten Griechen sich ihren Wein gewünscht hätten. Kennengelernt habe ich ihn erst auf dem Weingut selbst. Und davon möchte ich euch berichten.
Zagreus Minimum – Antike in besser
Auslöser für diese kleine Reise war eine Begegnung auf der ProWein im März dieses Jahres. Auf der Suche nach interessanten Weinen bin ich zufällig am Stand von Zagreus vorbeigekommen. Zagreus ist eines der ganz ganz wenigen Bio-Weingüter in Bulgarien, und es hatte mehrere Weine der autochthonen Rebsorte Mavrud am Start. Beim Probieren habe ich dann festgestellt, dass die Weine wirklich gut sind und dass die Besitzer Deutsch sprechen. Elisabeth Huber und Dimitar Kostadinov hatten sich nämlich beim Studium in Linz kennengelernt. Auch wenn Dimitars Eltern und sämtliche Vorfahren schon Reben angebaut hatten, war dann die Rückkehr nach Bulgarien und der Aufbau eines eigenen Weinguts doch ein ganz schönes Abenteuer. Ich fand die Geschichte spannend, und nach Bulgarien wollte ich ohnehin schon längst einmal. Also bin ich im Juli einfach hingeflogen. Wen’s interessiert: Hier schreibe ich über meinen Rundgang durch Sofia, und hier kaufe ich Wein dort und in Plovdiv.
Auf dem Weingut, vielleicht 20 Minuten östlich von Plovdiv und leicht zu finden, habe ich mich dann wirklich lange mit den beiden unterhalten. Es hat sich total gelohnt. Das sind nämlich wirklich kluge, reflektierte Menschen mit ganz eigenen Ideen. Für die größere Kundschaft im In- und Ausland stellen sie solide Bioweine her, meist in Rot, mit einem hervorragenden Preis-Leistungs-Verhältnis. Dann machen sie seit kurzem die Handmade-Serie mit rebsortenreinen Weinen, die “untechnischer” bereitet werden. Mein persönlicher Liebling war dort (im Sommer natürlich) der Rosé aus Mavrud. Und dann gibt es noch diesen Wein hier, den Minimum. Das heißt, aus dem Jahrgang 2018 gibt es zwei Minima, einen trockenen aus Mavrud und einen leicht halbtrockenen aus Cabernet-Sauvignon und Syrah. Und das ist der Wein auf dem Foto.
Wie schmeckt der Wein?
Bevor ich den Geschmack beschreibe, lasse ich am besten Dimitar selbst zu Wort kommen. Er sagt: “Ich wollte einen Wein machen, der ganz eng mit mir verbunden ist. Bei dem ich die Natur genau beobachte, alles von Hand mache, völlig ohne Maschinen, ohne Filtration, ohne Zusätze.” Minimum eben. 200 Flaschen sind es geworden, mehr war auf diese private Weise nicht möglich. Die Syrah-Trauben wurden etwas früher geerntet (“habe ich auch allein gemacht”, sagt Dimitar) und anschließend an der Sonne getrocknet. Beim Cabernet, der spät im Oktober geerntet wurde, kam dann die Familie zu Hilfe. Diesmal waren es überreife Trauben. Dimitar hat sie zunächst in ein offenes Holzfass gegeben, bis sie anfingen zu gären. 30 bis 40 Tage hat die Gärung gedauert. Nach zehn Tagen wurde allerdings schon mit einer Schneckenpresse händisch abgepresst, damit die Tannine nicht zu heftig werden. In der längsten Nacht des Jahres hat Dimitar den Minimum abgefüllt.
Und da steht er nun im Glas. Tiefes Purpurrot, in der Nase ist Süßholz spürbar, weiche und tiefe Schwarzkirsche, seidige Frucht, null aggressiv, etwas Bittermandeltöne, vielleicht sogar Marzipan, alles ziemlich üppig und nahtlos. Barry White in Weinform. Im Mund ist zunächst noch ein bisschen natürliche Gärkohlensäure spürbar. Die Säure ist präsent und gewissermaßen ein Kontrapunkt zur reifsüßen Frucht. Gut 8 g Restzucker sind enthalten, und 15,7 vol% hat der Wein. Trotzdem ist hier nichts brandig, sondern alles unglaublich samtig, dicht, ausgewogen. Ein echtes Göttergetränk wie in der Antike, nur besser, zu genießen in kleinen Schlucken.
“Das Verblüffende ist,” erzählt Dimitar, “als ich den Wein abziehen wollte, hatte sich da überhaupt nichts abgesetzt. Da war irgendwie alles gebunden. Der Wein hatte anscheinend zu sich gefunden und wollte nichts davon hergeben.” Tatsächlich, genau so ist es. Blickdicht im Glas und nichts am Boden.
Wo habe ich ihn gekauft?
Gekauft habe ich den Minimum nicht. Dimitar und Elisabeth haben mir eine Flasche davon geschenkt. Wer aufs Weingut kommt, kann für umgerechnet 18 € auch eine erstehen. Aber verschickt wird der Wein nicht, auch nicht als Sample auf Messen mitgebracht. Das ist ein Kind der Sonne und der Erde, an diesem Ort entstanden und mit viel Liebe großgezogen. Einen ganz kleinen Touch dieser Weinwelt von Zagreus bietet auch der Vinica, den man sich in Deutschland bei ein paar zuverlässigen Online-Shops besorgen kann. Das ist allerdings ein trockener Roter aus Mavrud, ein “normaler” Biowein, wenngleich ebenfalls mit einem Anteil sonnengetrockneter Trauben.
Wer den Minimum probiert und mit Dimitar gesprochen hat, weiß, dass dieser Wein ganz und gar kein Zufallsprodukt ist. Eigentlich geht die Geschichte nämlich noch weiter. Noch weiter als beim Minimum? Ja, tatsächlich. Dimitar hat sehr viel zu Hefen geforscht und in seinem Weinberg beobachtet. Schließlich seien die Hefen entscheidend dafür verantwortlich, dass aus den sonnengeborenen Trauben auf der dunklen Seite des Kreislaufs das “Zerfallsprodukt Wein” entsteht, wie Dimitar es ausdrückt. Letztlich möchte er einen Wein aus wurzelechten Reben machen, die völlig autark sind, also sich über Weinbergshefen die Pilzsporen vom Leib halten. “Ob das jemals funktionieren wird, weiß ich nicht”, sagt er, “aber ich habe jetzt schon so viel gelernt… Da möchte ich einfach sehen, wie weit es noch gehen kann.” Ja, liebe Leute, Bulgarien. Es ist doch manchmal ganz gut, das eigene Koordinatensystem weiterhin aufnahmebereit zu halten.