Ich stehe vor einem Tisch mit 50 Torten. Während der Boden noch halbwegs normal aussieht, wurlt es richtiggehend auf dem Deckel. Da sind Meeresszenen mit Tintenfischen, essbare Anime-Figuren, Liebesschwüre, Schlümpfe, Bauern bei der Orangenernte, eine Schildkröte mit Weihnachtsbaum, Geishas im Swimmingpool, Pandas, Professoren und Pantoffeln. Alles wie im normalen Leben also, nur ein ganz kleines bisschen ornamentierter und auf eine verspielte Weise kreativ. Und ich dachte, das wäre hier ein internationaler Backwettbewerb wie alle anderen. Wo ich mich herumtreibe? Ich bin auf der COEX Food Week in der koreanischen Hauptstadt Seoul. Kommt also mit auf einen kleinen Rundgang durch vier Hallen und vierhundertvierundvierzig Welten.
Bei der COEX Food Week in Seoul
Dreimal war ich bislang in Seoul. Beim ersten Mal hatte ich vom Streetfood Market in Myeongdong berichtet, beim zweiten Mal von Ungewöhnlichem und Typischem und beim dritten Mal von den Weinorten der Stadt. Diesmal wollte ich etwas tun, was für viele (eher unfreiwillige) Seoul-Besucher Alltag ist, für Touristen jedoch völlig abwegig: Ich wollte eine große Messe besuchen. Eine Foodmesse natürlich.
Die COEX Food Week in Seoul findet jedes Jahr Im November statt und ist eine der größeren Messen ihrer Art. Es gibt Seminare und Wettbewerbe, regionale und internationale Aussteller, Produkte, Maschinen, Küchenutensilien. Im letzten Jahr hatten 53.000 Besucherinnen und Besucher die Messe mit ihren mehr als 800 Ausstellern besucht. Wie häufig in Asien, steht die COEX Food Week nicht nur Fachbesuchern, sondern auch dem interessierten Publikum offen. Letztere gehen dann allerdings eher zur Craft Beer Corner oder zum Kochwettbewerb als zu den Profi-Backöfen.
Das COEX-Gelände befindet sich im südlichen Teil von Seoul, unter dem Namen Gangnam auch weniger korea-affinen Menschen bekannt. Hier finden die wichtigsten Messen der elftgrößten Volkswirtschaft der Welt statt.
Was ich in Ostasien immer wieder faszinierend finde, ist die Fähigkeit, Business und Zerstreuung unter einen Hut zu bringen. Auf dem COEX-Gelände gibt es deshalb nicht nur schnöde Messehallen und Büros, sondern auch die größte unterirdische Shopping Mall des Kontinents und das hier: die Starfield Library.
Die Korea-Hallen A und B
Als ich den Eingang zur ersten Halle hinter mir gelassen habe, komme ich mir vor wie auf einem koreanischen Markt. Oder vielmehr wie in einem Antenna Shop auf koreanische Art. Kleinere Hersteller aus unterschiedlichen Provinzen haben ihre Spezialitäten mitgebracht. Das kann Ginseng sein, Kimchi in Gläsern, Algen oder auch getrocknete Kalmare.
Getränke gibt es auch. Fruchtessige stehen hoch im Kurs, ebenso wie alles aus Yuzu (heißt hier Yuza) und Aronia. Zu meiner freudigen Überraschung gibt es allerdings auch Stände von koreanischen Weingütern. Ich probiere zwei Rote von Zelkova, die stark vom Ausbau im Barrique geprägt sind, ansonsten aber durchaus munden. Ohne hier allzu intensiv darauf eingehen zu wollen (dem Thema Wein und Klima werde ich mich noch einmal genauer widmen), sei darauf hingewiesen, dass es in Korea mit dem Weinbau nicht so einfach ist. Im Winter gibt es regelmäßig deftige Minustemperaturen, und während des Sommermonsuns Staunässe in der Ebene (deshalb Reisanbau…) und Erosion auf weniger bewachsenen Hängen. Wer da keine wilden, robusten Bergreben verwenden will, muss sich ganz schön viel einfallen lassen. “Ist doch warm genug” ist halt nicht immer das passende Argument.
Seminare und Konferenzen gehören natürlich auch zum Programm. Die Keynotes sind dabei meist auf Englisch, ansonsten geht es dann aber auf Koreanisch weiter.
Craft Beer und Maschinen
In der Halle D wartet das alternative Messerestaurant auf Besucher. Es gibt eine gute Handvoll Essensstände (Tteokbokki, Takoyaki und Wiener Würste) und dazu die Craft Beer Corner. Brauen ist ja anders als Weinmachen nicht ganz so stark auf den klimatisch bevorzugten Standort angewiesen. Hopfen und Malz werden ja in der Regel gekauft, das Wasser kommt aus dem Hahn, und alles weitere ist von der Handwerkskunst der Brauer abhängig. Ich erstehe ein Kölsch am Stand von Caligari Brewing mit einem wirklich sehr schmucken Etikett.
Ein paar Schritte weiter gibt es kleinere Geräte für die StartUp’ler. Hier beispielsweise eine Maschine zur Herstellung von Reisflips, sehr beliebt als Beilage zum …Bier.
Neben Anlagen für eher industrielle Zwecke werden bei der COEX Food Week auch Mittelständler bedient. Im Bereich für Herde und Öfen finde ich den Brotbackofen der fränkischen Firma Michael Wenz aus Arnstein.
Bäcker- und Konditorwesen Korean Style
Der Backbereich ist das Herzstück der COEX Food Week. Es gibt den Wettbewerb “Top of Pâtissier in Asia”, die Seoul International Bakery Fair und noch ein paar andere Sonderschauen.
Leider leider sind sämtliche schriftlichen Informationen ausschließlich auf Koreanisch. Das bedeutet, dass bei jedem Kunstwerk zwar die Künstlernamen dabeistehen, ich aber leider gar nichts lesen kann. Dasselbe gilt für die Unterlagen, die ich am Messeeingang mitgenommen habe. Schaut euch also einfach die folgenden Fotos an, um einen Eindruck von den Wettbewerbsbeiträgen zu bekommen.
In der Kategorie “Hochzeitstorten” befinden sich teilweise sechsstöckige Riesen mit Rüschen, Strass und Spitze. Aber auch dieses Exemplar im Stil eines Maharadscha-Palasts.
Die irrsten Kreationen gab es ohne Zweifel in der Kategorie “Zuckerguss”. Teufel, Kraniche, Schuhplattler oder Rock-Schlagzeuger, alles minimal jenseits des Geschmackvollen, aber voller Spaß am Gestalten.
Die beliebsteste Kategorie in quantitativer Hinsicht waren die dekorativen Tortenverzierungen. Hier gibt es nichts, was es nicht gibt. Alle Formen, Farben, Figuren, die ich jedenfalls noch nie auf einem Stück Torte vom Konditor aus der Nachbarschaft gesehen habe.
Ein paar Schritte weiter zeigen ein paar der Skulpteur-Künstler/innen, wie sie bei ihrer Arbeit vorgehen.
Auch in der Kategorie “Pralinen” gibt man sich in Asien selten mit einem einfachen braunen Ganache-Stück wie Christian Constant oder Pierre Marcolini zufrieden. Alle Kunstwerke stehen übrigens völlig ungeschützt und unbewacht da. Und niemand von den Besucher/innen, die übrigens im Durchschnitt ziemlich jung sind, kommt auf die Idee, irgendetwas anzufassen, anzuruckeln oder gar mitzunehmen. Manche sind auch in ihrer Berufskleidung als Köche oder Bäcker gekommen.
Master Class und Kochwettbewerb
Auf der Aktionsfläche finden die verschiedenen Ad hoc-Wettbewerbe statt. Die Medaillen, die es dabei zu gewinnen gibt, sind natürlich höchst begehrt. Insbesondere für den Lebenslauf sind das Pfunde, mit denen man bei der nächsten Bewerbung wuchern kann. Und wer 54. von 55 wird, muss das ja nicht erwähnen.
Als ich vorbeikomme, läuft gerade der “2nd Brunch Contest”. Im Mittelpunkt steht dabei das Ei, das in seinen verschiedenen Erscheinungsformen in das Frühstück für Spätaufsteher eingebaut werden muss. Die Juroren schauen, schreiben und probieren. Auch hier mit Stäbchen.
Die Seoul International Bakery Fair
Wer als Bäcker nur eine schmucklose Getreidepappe im Angebot hat und sich dann darüber wundert, dass die Kunden nicht jubeln, sollte sich vielleicht bei der Siba inspirieren lassen. Brot und Backwaren gibt es hier in allen erdenklichen Formen und Farben. Das Verspielte der Konditoren zeigt sich dabei auch bei den Bäckern. Ehrlich gesagt sehen die meisten Kreationen nicht nur gut aus, ihr Anblick deutet auch durchaus auf gewisse geschmackliche Qualitäten hin. Ich bekomme jedenfalls ziemlichen Brotappetit.
Am Ausgang der Brot- und Teilchenshow gibt es dann passenderweise noch einen Bücherstand. Natürlich kann man selbst solche Standardwerke als Coffeetable-Bücher an Leute verschenken, deren geschmackvolle Luxusküche noch nie richtig benutzt worden ist. Man kann sich aber auch inspiriert fühlen, wenigstens die Grundzüge des Backwesens zu verstehen.
Damit trete ich nach meiner Tour durch die vier COEX-Hallen wieder ins Freie. Ehrlich gesagt wusste ich vorher nicht, was mich erwarten würde. Wer kein Koreanisch spricht, kommt auch tatsächlich bei der Konversation an vielen Ständen nicht weit. Dadurch aber, dass geschätzte 99% der Besucher/innen ohnehin aus Korea kommen, dürfte dieser Aspekt für die meisten eher irrelevant sein.
Für mich war die COEX Food Week wie ein buntes Kaleidoskop, das niemanden gelangweilt zurücklassen dürfte. Und ein bisschen playfulness auch bei Alltagsdingen macht das Leben vielleicht wirklich angenehmer…
Hi Matthias, ich hoffe es geht Dir gut! Habe Deinen Eintrag mit großem Interesse gelesen :-). Wäre gern dabei gewesen, die Bilder sind toll!
Liebe Grüße aus der Elternzeit,
Eun-Ha
Liebe Grüße zurück! Ja, es war wirklich beeindruckend. Ich glaube, wenn ich nur ein bisschen Koreanisch könnte, wäre es noch viel interessanter gewesen. Dafür bin ich für die offizielle Messedokumentation abgelichtet worden als interessierter Fachbesucher aus dem Westen. Ich habe dabei gestellt das Etikett eines Beerenweins studiert. Ich hoffe, dir geht’s auch gut, und du schläfst nachts immer prima durch 😉
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