Was macht man als Winzer, wenn man schon 40 Jahrgänge eingebracht hat und feststellt, dass das eigene Weingut irgendwie kein echtes Profil besitzt? Solide Arbeit, sicher, aber keinerlei bekannte Lagen, keine charakterlich aufregenden Weine, dasselbe wie in allen Nachbardörfern. Da kann man sagen, gut, dann mache ich noch ein paar Jahre weiter, verkaufe meine 13 ha und setze mich zur Ruhe. Es sei denn, man heißt Volker Benzinger und beschließt, gerade jetzt wäre doch ein guter Zeitpunkt, noch einmal etwas völlig Neues auf die Beine zu stellen. In diesem Fall trifft man sich vielleicht mit aufgeschlossenen Weinmenschen und überlegt gemeinsam, was denn fehlt, was man sich eigentlich schon lange gewünscht hat, ohne sich an die Umsetzung zu wagen. Das Ergebnis: Weg mit der Chemie aus dem Weinberg, Handarbeit ist angesagt, ebenso im Keller. Eine experimentelle Weinlinie mit naturtrüben Weinen ohne Schwefelzusatz muss her.
Benzinger Orange de …was?
Als ich vor einigen Jahren die Benzigers zum ersten Mal bei einer Messe treffe, sehe ich mit Erstaunen einen Wein namens “Orange de Pic“. Was das denn sein soll, frage ich Herrn Benzinger. “Silvaner“, sagt er, “ganz einfach”. Der seltsame Name rührt daher, dass man irgendwo im Lothringischen den Silvaner offenbar als “Picardan” bezeichnet. Den Namen kennt zwar niemand, aber Silvaner, so komisch sich das für Menschen aus Franken anhören mag, lässt sich im Südwesten unseres Landes kaum verkaufen. Auch Pierre Frick aus dem Elsass erzählte mir davon, weshalb er seinen wunderbaren Weißen einfach nur “Bergweingarten” nach der Lage nennt, obwohl er zu 100% aus Silvaner besteht. Seltsame Welt der Etiketten-(Nicht-)Trinker…
Über Orange Wine im Allgemeinen und über die Benzinger-Weine im Speziellen hatte ich schon mehrfach berichtet und bei der Trendwein-Verkostung auf der BIOFACH auch zwei Benzinger-Weine präsentiert. Dennoch finde ich persönlich, dass tatsächlich immer noch nicht genug über diese Weine geschrieben wird. Warum? Weil es sich einerseits um echte “Naturels” handelt. Aus Bioanbau (Benzinger ist Mitglied bei Ecovin), unfiltriert, ungeschönt, ohne Schwefel- oder sonstigen Zusatz. Andererseits sind das schlichtweg stabile Weine. Kein Mäuseln, keine flüchtige Säure, kein Umkippen auch nach Tagen in der geöffneten Flasche. Wer seinen frisch aufgeschraubten Wein immer schnell austrinkt, für den ist das zwar nicht so wichtig. Aber wer als Händler Naturweine im Regal stehen hat, freut sich darüber sicher.
Was er mit dieser Erfahrung denn jungen Winzer/innen raten würde, die auch gern Naturwein machen wollen, frage ich Volker Benzinger. “Naja”, sagt er, “wenn das Lesegut komplett gesund ist, der Wein vollständig durchgärt, der BSA stattfindet und der Wein unfiltriert auf der Hefe bleibt – die Hefe ist wichtig, die stabilisiert statt des Schwefels – dann kann eigentlich kaum etwas passieren”. Tja, hört sich doch gar nicht so schwierig an. Oder vielmehr, es ist kein Hexenwerk. Denn leider scheitern viele Winzer ja schon am gesunden Lesegut…
Wie schmeckt der Wein?
Der “Second” aus dem Jahrgang 2016 ist der mittlere Wein der Reihe und stammt aus erster vorsichtiger Pressung. Ansonsten Handlese, Spontangärung, anschließend noch sieben Monate Maischestandzeit bis zur Pressung, den biologischen Säureabbau zugelassen. Ausbau im gebrauchten Barrique auf der Vollhefe, trüb wie er ist abgefüllt – und fertig.
Ein Schrauber verschließt die Flasche. Im Glas würde ich die Farbe bereits blassgold nennen, trüb natürlich. In der Nase gibt es kaum Frucht, aber viel Würze. Rauch, Bratapfel, Senfkörner, dazu leichte Reduktionsnoten, aber auf der guten, animierenden Seite. Im Mund spüre ich eine kräftige Säure, die natürlich dadurch noch prononcierter wirkt, dass der Wein wirklich völlig trocken ist. Von den Aromen her dominieren zunächst apfelige Noten. Klarapfel mit leicht gerbiger Schale, frisch vom Baum.
Wer Apfel als Obst überhaupt nichts abzugewinnen weiß, wird mit den allermeisten weißen Naturels gewisse Schwierigkeiten haben. Dasselbe gilt für den rauchig-reduktiven Touch, den der Wein frisch geöffnet ausströmt, der sich später jedoch verliert. Was bleibt, ist eine gewisse Feurigkeit, etwas Zimt, vielleicht vom Holz, Strohblumen, Fenchel – ein idealer Begleiter zur Gemüseküche bis hinein in den Nordic-Bereich. Am vierten Tag (ich teste diese Naturels ja gern immer ein bisschen länger, um auch etwas zur Haltbarkeit sagen zu können) bleibt alles beim Alten. Superstabil, wie versprochen. Nur Eleganz und Tiefe gehen dem Benzinger Orange ein bisschen ab. Es muss ja auch noch Luft nach oben bleiben.
Wo habe ich ihn gekauft?
Gekauft habe ich den “Orange de Pic… Second” bei Origine in München. Wer den Laden jetzt sofort besuchen will, möge sich noch ein wenig gedulden: Im Dezember eröffnet er größer und schöner denn je in der Belgradstraße 2, also direkt neben der alten Location. Darüber hinaus habe ich Volker und Inge Benzinger auf der BIOFACH getroffen, auf der ProWein, bei Surk-kis Weinsalon Natürel in Köln – und jetzt kommen sie im Dezember auch noch nach Berlin zur RAW. Alle Weine liegen preislich zwischen 10 € (für Riesling und Silvaner aus der “Sans”-Reihe) und 15,90 € (für den Barrique-ausgebauten Sauvignon Blanc), also im absolut vernünftigen Bereich.
11.000 Flaschen Naturel haben die Benzingers aus dem letzten Jahrgang insgesamt geholt, das ist kein Pappenstiel für Nischenprodukte. Dass es sich um Nischenprodukte handelt (jedenfalls in Deutschland), sollte spätestens dann klar werden, wenn man sich vergegenwärtigt, dass selbst bei den Benzingers die “normalen” Bioweine noch fast 90% der Produktion ausmachen.
Ich mag es ehrlich gesagt, wenn junge wilde Quereinsteiger ohne Rücksicht auf Verluste Dinge ausprobieren. Ich schätze aber auch das Element des Bürgerlichen, Vernünftigen, Souveränen, das die Benzingers besitzen. Richtig gut wird es ja erst, wenn beide Seiten ihre Stärken gemeinsam einbringen. In diesem Sinne hoffe ich, dass die Benzingers noch recht lange die Naturel-Szene bereichern werden.
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