Im Altwein-Paradies: St-Emilion Grand Cru 1966

Altwein St Emilion Grand Cru 1966

Es ist, ich muss es zugeben, für mich immer ein erhebendes Gefühl, wenn ich einen Wein trinke, der älter ist als ich selbst. Als angehender Methusalem wird es natürlich nicht leichter, einen solchen zu finden. Aber vor zwei Wochen habe ich einen Laden entdeckt (ehrlich gesagt ziemlich per Zufall), in dem solche Schätze wie der abgebildete St-Emilion ohne viel Schnickschnack angeboten werden. Wenn ich so eine Flasche öffne, dann begebe ich mich mental immer auf eine Zeitreise. Auf eine Zeitreise in eine Welt, in der die Hausfassaden der Stadt noch steinernbraun oder eisengrau verputzt waren. In eine Welt, in der die Traktoren per Kurbel in Gang gesetzt werden mussten. In der man Hochdeutsch allerhöchstens aus dem Schwarzweiß-Röhren-TV hören konnte. Es kann allerdings passieren, dass ich aus diesen Träumereien jäh herausgerissen werde – dank der verblüffenden Essighaftigkeit des Getränks. Diesmal zum Glück nicht.

Das Altwein-Paradies, versteckt im Eck

Altwein Frankreich Vins fins de la Crau

Wir ihr ja möglicherweise wisst, solltet ihr diesen Blog auch in den letzten Wochen gelesen haben, war ich in der Nähe von Marseille unterwegs. Also sowohl bei strömendem Regen in Marseille selbst als auch auf dem Fischmarkt von Carro. Bei einem Ausflug in die Camargue sind wir auf dem Rückweg durch den Ort St-Martin-de-Crau gekommen. Hier, am südlichen Rand der Camargue, beginnt die Crau, in der seit Urzeiten die Schafherden im Winter grasen. Und mitten im Ort, versteckt in einem Eck neben Blumenladen und Friseur, befindet sich die Weinhandlung Vins Fins de la Crau.

Von außen sieht das Ganze ein ganz klein bisschen rumpelig aus, innen dann vollgestopft wie ein Flohmarkt. Am Tresen sitzt eine ziemlich patent aussehende Dame, an deren Akzent man erkennen kann, dass ihre eigentliche Muttersprache Englisch ist. Alles strahlt ein so wunderbares Understatement aus, das besonders wohltuend wirkt, wenn ich daran denke, wie viel Schnöseltum im Weinbusiness immer noch vorkommen kann.

Die Dame ist nämlich Liz Berry, Master of Wine. Zusammen mit ihrem Ehemann Mike führte sie eine gutgehende Weinhandlung in London. Dann importierten sie Weine aus dem Languedoc und begannen sich zumindest zeitweise in Frankreich niederzulassen. Schließlich eröffneten die Berrys vor genau zehn Jahren die Vins Fins de la Crau. Seitdem gibt es hier immer noch sehr schöne aktuelle Weine aus ganz Frankreich. Ihre Spezialität ist aber Altwein. Oft direkt aus dem Keller der Produzenten und manchmal auch von Sammlern aus der Region holen sie sich die Schätze in ihren Laden. Weil sich die Berrys wahrhaftig auskennen, sind die Füllstände durchgängig hoch, die Altwein-Sammlung in prächtigem Zustand.

Château La Grâce Dieu St-Emilion GC

Altwein Kork

Für 65 € erstehe ich einen Grand Cru Classé aus St-Emilion, der sage und schreibe bereits 53 Jahre auf dem Buckel hat. Der Name des Weinguts, La Grâce Dieu, sagt mir überhaupt nichts, aber Tante Google zeigt an, dass es die aktuellen Jahrgänge für 33 € bei Nicolas zu kaufen gibt. Aus dem Médoc waren zwar bekanntere und auch preisgünstigere Exemplare da, aber ich wollte hier einmal schauen, wie sich ein Merlot-dominierter Wein entwickelt. Die 16 ha des seit 1875 in Familienbesitz befindlichen Weinguts sind auf 27 Parzellen verteilt. Der Grand Cru Les Menuts besteht dabei zu drei Vierteln aus Merlot.

Vor dem Vergnügen steht bei einem originalverkorkten Altwein allerdings immer die Herausforderung, den Kork halbwegs intakt aus der Flasche zu holen. Glücklicherweise ist mir das tatsächlich gelungen. Aber ich musste mehrmals nach glatten Korkbrüchen erneut ansetzen…

So schmeckt ein 53 Jahre alter Bordeaux…

Altwein St-Emilion 1966

Von der Farbe her sehe ich ein mittleres Ziegelrot, aber ohne bereits fludernde Trubstoffe. Die Nase ist so frisch geöffnet nur mäßig verführerisch. Es gibt etwas Möbelpolitur, Kellerton, sehr tertiär und mit wenig Frucht. Mit zunehmender Luft spüre ich dann Hagebutte und gedörrte rote Pflaume.

Im Mund überrascht mich nicht nur die deutlich präsente Säure, die ja auch bei älteren Weinen kaum zurückgeht. Vor allem bin ich ehrlich gesagt positiv eingenommen von dem immer noch mindestens mittleren Tannin. Das ist ein Wein im ganz alten Stil, definitiv auf Haltbarkeit hin vinifiziert. Und deshalb hat er sich tatsächlich gehalten. 1966 war im Bordelais übrigens ein recht gutes Jahr mit zunächst eher durchwachsenem Sommer, das der sonnige September aber schön abgerundet hat. In meinem Altwein lebt die Frucht noch ganz deutlich. Ich schmecke Walderdbeere, vor allem Kornelkirsche, dazu weiter rote Pflaume. Alles ist ziemlich elegant, fast zart gehalten, so dass der höchstens mittlere Körper gerade so zu den Säure- und Tanninwerten passt.

Ich finde es faszinierend, dass St-Emilion als Herkunftsregion und Merlot als Rebsorte damals offenbar noch nicht so stark in Richtung Schwarzbeerigkeit gingen. Von Unreifenoten kann man hier wahrhaftig nicht sprechen, aber alles schwebt auf einer wesentlich hellroteren Ebene. Insofern wäre ich wirklich gespannt, wie sich ein St-Emilion oder Pomerol beispielsweise des Jahrgangs 2015 in 50 Jahren machen. Natürlich ist Château La Grâce Dieu kein Wunder an Würze, Tiefe und Komplexität, aber ein immer noch komplett fehltonfreies und beeindruckendes Dokument aus einer anderen (Wein-)Zeit.

Meine Altwein-Käufe in St-Martin-de-Crau

Altweine Vins find de la Crau

Mindestens eine halbe Stunde lang stöbere ich durch die Regale. In der Regel hat Liz Berry hier Einzelflaschen stehen. Zwar gibt es eine pdf-Liste des Bestandes, die alle paar Wochen aktualisiert wird, aber im Laden selbst finde ich immer wieder nicht gelistete Überraschungen. Die Liste dient auch in erster Linie für Bestellungen, denn die Berrys liefern in etliche europäische Länder.

Oben auf dem Foto seht ihr meine Altwein-Trophäen: Neben dem beschriebenen St-Emilion habe ich mir einen besonderen Schatz geleistet, nämlich einen Vin Doux Naturel, einen alten Rivesaltes aus dem Jahr 1959. Solche gespriteten Weine überdauern die Zeiten ja meist besonders gut, so dass ich da keinerlei Bedenken habe.

Rechts seht ihr den Arbois Sélection 2002 von Stéphane Tissot, beziehungsweise seinen Eltern. Das ist in Wirklichkeit ein kleiner Vin Jaune, weil Savagnin und Chardonnay unter Florhefe gereift sind. Für 20 € absolut fabelhaft. Und links kam ich natürlich nicht an einem der jüngsten Weine des Ladens vorbei, dem 2015er Domaine des Tours aus dem Hause Reynaud. Château Rayas in Klein, was als Referenz wegen des durchgängigen Gutsstils irgendwie tatsächlich stimmt. Finde ich.

Soweit also der Bericht aus meinem kleinen Paradies. Zugegeben, es ist jetzt schon wieder schlappe 1.100 Kilometer entfernt. Aber sollte ich auch im nächsten Jahr in der Gegend sein, ich würde ohne jeden Zweifel wieder vorbeischauen.

Dieser Beitrag wurde unter Unterwegs, Wein abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.