Ja, das Getränk in der extrem ungewöhnlichen Flasche auf dem Foto ist ein Wein. Und ebenfalls ja, da hat kein Schwund stattgefunden, sondern der Füllstand ist genau wie vorgesehen. Exakt 400 ml. Sollte es das Ziel von Manuel di Vecchi Staraz gewesen sein, mit seinem Banyuls in erster Linie aufzufallen, es wäre auf jeden Fall schon einmal gelungen. Will man aber herausfinden, ob dies nur hochpreisiger crazy marketing stuff ist oder doch ein Produkt, das mit seinem Inhalt überzeugt, muss man den Wein zwangsläufig probieren. Und das habe ich getan.
Vinyer de la Ruca Banyuls – alles andere als gewöhnlich
Schon die Geschichte hinter dem Banyuls ist nicht die normale “Winzersohn füllt seine eigene Linie jetzt in Blumenvasen ab”-Version. Manuel di Vecchi Staraz stammt nämlich überhaupt nicht aus dem Roussillon und noch nicht einmal aus Frankreich. Manuel kommt aus Florenz, hatte allerdings an der Uni Montpellier in Agrarwissenschaften promoviert. Zurück in Florenz begann er eine akademische Karriere, war damit aber bald unzufrieden und beschloss, Winzer zu werden. In Kalabrien, seiner ersten Destination, war ihm das Glück allerdings nicht hold. In Frankreich, so hoffte er, würde er vielleicht eher Gleichgesinnte finden. Und ein Stück Rebland, das sich ausschließlich manuell bearbeiten lässt. Ganz im Süden des Landes fand er, was er suchte: eine steile, schiefersteinige, halb aufgegebene Terrasse in Banyuls. Viele Rebstöcke fehlten zwar, aber übrig geblieben waren uralte Grenache-Buschreben. Perfekt.
Aus diesen Weinstöcken holte Manuel von 2006 bis 2014 jeweils winzige Erträge. Vom 2014er gab es gerade einmal 560 Flaschen, also genau ein Barrique. Alles, wirklich alles muss hier von Hand gemacht werden. Bis auf Graspflege und Düngung, denn das erledigen im Winter ein paar Schafe. Bis zum Jahrgang 2014 vinifizierte Manuel seinen Wein in einer Garage und lebte zeitweise im Zelt in seinem Weinberg. Mittlerweile hat er sich mit Bruno Duchêne und anderen zusammengetan, um die Räumlichkeiten der ehemaligen Kooperative von Banyuls zur Nutzung für mehrere Winzer umzubauen. Les 9 Caves heißt ihr Keller, weil er Platz für neun Winzer bietet. 5,5 ha bewirtschaftet Manuel inzwischen und keltert auch trockene Weine.
Wie schmeckt der Wein?
Um den Wein geschmacklich einordnen zu können, sollte ich vielleicht erst einmal kurz beschreiben, wie er hergestellt wird. Ein Banyuls ist ein Dessertwein, der aus roten Trauben bereitet wird, die teilweise schon am Stock rosiniert sind. Die Gärung wird dann durch die Zugabe von hochprozentigem Alkohol gestoppt, so dass der Wein bei den für die Appellation vorgeschriebenen 15-22 vol% steht mit entsprechend leichter Süße wie ein Portwein. Port, genauer Vintage Port, ist auch die passende Referenz für den Vinyer de la Ruca, denn für die Einmaischung stampfen Manuel und seine Weggefährt/innen die Trauben mit den Füßen. Dazu wird Live-Musik gespielt, damit die Stampfung auch fröhlich vonstatten geht. Anders als beim Port oder auch bei stärkeren Banyuls-Versionen gibt Manuel für das Stoppen der Gärung nur sehr wenig Alkohol hinzu, in der Regel 3%. Dadurch sind seine Weine immer am unteren Ende der Skala, in diesem Fall bei 16 vol%.
Ansonsten kommt absolut nichts dazu, kein Schwefel, kein garnichts. Was dafür bleibt, das ist der Trub, auch hier wie beim Vintage Port. Mir wurde gesagt, dass der berühmte Port-Winzer Dirk van der Niepoort eine besondere Schwäche für diesen Trub hätte und ihn sogar ganz am Ende der Verkostung extra in ein Glas zum Trinken und Kauen gibt. Das könnte man hier auch machen. Was den Banyuls vom Vinyer de la Ruca allerdings so anders macht als Port oder auch industrielleren Banyuls, das ist seine wahnsinnige Feinheit und Eleganz bereits in jungen Jahren. Der Alkohol wirkt überhaupt nicht brandig, die alten Grenache-Reben sorgen für eine süßkirschige Frucht, die irgendwie fast schwebend trägt. Dazu kommen leicht bittergerbige Kräuter und Thymian. Sowohl die Süße als auch die Tannine sind wesentlich zurückhaltender als erwartet. Das ist ehrlich gesagt der beste junge Vin Doux Naturel, den ich je getrunken habe.
Wo habe ich ihn gekauft?
Ein besonderer Wein erfordert einen besonderen Ort, an dem man ihn kaufen kann. Ansonsten, ohne entsprechende Erklärung und ohne weinkennerisches Publikum, ist es in der heutigen Zeit sicher nicht leicht, einen anspruchsvollen Süßwein zu verkaufen. Dieser von außen so unscheinbare Ort auf dem Foto ist das Restaurant Le Marmite in Nîmes. Den Tipp hatten wir vor ein paar Jahren von einem örtlichen Weinhändler bekommen, und seitdem gehen wir immer dorthin, wenn wir in Nîmes sind. (Was sich jetzt irgendwie häufiger anhört, als es tatsächlich der Fall ist. Leider.) In einer klimatisierten Eckkammer werden im Marmite hochwertige Weine aus der Region Occitanie aufbewahrt, primär naturel und/oder biodyn.
53 € kostet das Fläschchen im Marmite, was in Anbetracht der Rahmenbedingungen tatsächlich sehr zivil ist. Wer es durchrechnet, wird schnell darauf kommen, dass Manuel seinen Lebensunterhalt mit weniger als 1.000 € netto im Monat bestritten haben dürfte. Die Flaschen sind selbstverständlich Unikate, handgefertigt von einem befreundeten Künstler.
Früher hätte ich wahrscheinlich behauptet, dass dieser ganz besondere Wein eher nichts für den alltäglichen Gebrauch ist. Mittlerweile würde ich das nicht mehr unterschreiben. Ganz besonders bleibt der Wein natürlich schon. Aber wir haben die Woche über jeden Abend ein kleines Gläschen davon getrunken. Und so etwas nennt man dann doch wohl Alltag. Jedenfalls bin ich sehr froh, dass Dessertweinliebhaberin J. (nachdem ich ausgiebig erläutert hatte, was das für ein Wein ist) gesagt hat, “na, dann kaufe ich den Wein doch, wenn wir ihn gleich morgen probieren.” Von selbst wäre ich wahrscheinlich nicht darauf gekommen. Mein Tipp also für Freund/innen des Besonderen: Verlasst doch einfach mal die Bahnen des trockenen Rieslings und probiert diesen roten Südsüßen spätestens während der Weihnachtszeit. Dann braucht man die Erinnerung an den Sommer am nötigsten.