Ist es eigentlich so schwierig, einen guten Lambrusco zu machen? Ich meine, einen, der nicht aus groteskem Überertrag stammt, aus total verpesteter Umgebung, der die Perlage nicht per Drucktank bekommen hat? Der zusätzlich richtig trocken ist, ungefiltert, vielleicht sogar völlig ohne Schwefelgabe auskommt, aus biologischem Anbau? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich weiß nur, dass es ihn gibt. Nämlich diesen hier. 5.261 Flaschen hat Vanni Nizzoli abgefüllt, eine davon habe ich mir gesichert.
Cinquecampi Rosso – endlich ein Lambrusco naturel!
Dass es Lambrusco in Deutschland nur aus industrieller Produktion zu kaufen gibt (mit wenigen Ausnahmen wie der Cantina della Volta), finde ich persönlich sehr bedauerlich. Das Zeug schmeckt mir nämlich. Hier haben wir also tatsächlich endlich einen Lambrusco naturel, allerdings einen, der nicht nur aus den Lambrusco-Sorten besteht, sondern auch noch etwas Malbo Gentile und Marzemino enthält. Das Weingut Cinque Campi befindet sich nur gut zehn Kilometer südlich von Reggio Emilia direkt am Rand der Hügelzone. Seit 200 Jahren ist es schon in Familienbesitz, aber selbst abgefüllt wird erst seit dem Jahr 1980. 2003 wurden die kompletten vier Hektar biologisch zertifiziert, und später ging es dann darum, seltene lokale Rebsorten wieder einzuführen. Dazu gehört der Malbo Gentile, aber auch Spergola, Trebbiano Modense oder Lambrusco Barghi, die in anderen Weinen von Cinque Campi verwendet werden.
Gefiltert wurde nie, Schwefel gab es auch keinen, und in den Flaschen vergor letztendlich der gesamte Zucker zu Alkohol und Kohlendioxid – deshalb die Bläschen. Allerdings ist die Flasche nicht mit einem Sektkorken, sondern mit einem für Lambrusco üblichen Presskork verschlossen. So stark ist er Druck nämlich auch wieder nicht. Aufgemacht mit einem normalen Korkenzieher – zffft, und ab ins Glas.
Wie schmeckt der Wein?
Zum Glück schreibe ich diesen Artikel nicht gleich nach dem Öffnen, sondern fast zwei Tage später. Das ist deshalb nicht ganz unwesentlich, weil der Wein eine erstaunliche Entwicklung in der geöffneten Flasche durchgemacht hat. Ich sollte nicht unerwähnt lassen, dass es sich bei diesem Wein um den Jahrgang 2014 handelt, was für gute Rotweine nun wahrhaftig kein Alter ist. Lambruschi werden hingegen meist extrem jung getrunken – ob zu ihrem Vorteil, wage ich zumindest bei den besseren zu bezweifeln.
Wie hat der Wein also geschmeckt? Frisch geöffnet schreibe ich das Folgende auf: “Ganz krasse Nase, Gärnoten, Maische, bittere Kräuter, ganz tief dahinter kleine Waldbeeren.” Am Gaumen ist der Wein erst einmal schön perlend, dann aber gleich mit einem herzhaften Grip ausgestattet. Heidelbeere, komplett trocken, leicht bittere Kräuter, extrem spröde. Das ist ur-italienisch, aber im bäuerlichen Sinne, komplett ohne Chichi, und so herb, dass es sofort nach fettreicher Kost verlangt. Dieser Wein hat das Wort “Hipster” noch nie gehört. Ich schließe meine Notizen mit einer Warnung an alle Frucht-Holz-Weichtrinker: Das ist nichts für euch!
Das Faszinierende an Weinen ist ja, dass sie die Fähigkeit der Weiterentwicklung besitzen. Am zweiten Tag hat der Wein nämlich (geöffnet in der Flasche) eine totale Metamorphose durchgemacht. Klar, die Perlage ist geringer, aber nicht völlig verschwunden. Verschwunden sind dagegen weitgehend die Gärnoten in der Nase, und im Mund tritt die Frucht jetzt deutlich hervor. Beerig-tief und richtig schmackhaft. In diesem Stadium muss ich die Warnung vom ersten Tag wieder streichen. Unglaublich.
Wer also den Lambrusco karg und ein bisschen freaky haben möchte, bitte frisch aufmachen und trinken. Wer hingegen mehr auf Harmonie Wert legt, einfach offen stehen lassen und einen Tag warten. Trotz des fehlenden Schwefels ist der Wein übrigens komplett stabil und reintönig.
Wo kann man ihn kaufen?
Ja, das ist so eine Sache. Vanni Nizzoli war auf der RAW, und wer auch dort war, hat seine Weine eventuell probiert und eingelistet. Dann weiß ich noch, dass Florian von der Weinstelle in Nürnberg zum Weingut in die Emilia gefahren ist, weil er auch endlich mal einen Lambrusco naturel haben wollte. Es gibt den Wein also bei der Weinstelle und eventuell beim Pinot Weinhandel, ebenfalls in Nürnberg. Ob sonst noch irgendwo in Deutschland, vermag ich nicht zu sagen, wäre aber für Hinweise sehr dankbar.
Zum Schluss möchte ich noch auf den Genossen auf dem oberen Foto hinweisen. Es handelt sich um den weißen Bruder des Lambrusco, Terbianc, genauso bereitet, nur eben aus drei verschiedenen Trebbiano-Varietäten. Trebbiano Toscano, Trebbiano Modenese und Trebbiano Spagna, um genau zu sein, eine große Familie. Auch dieser Wein perlt, wirkt herbstlich, Hutzelbirne, das Einbringen der Äpfel Ende Oktober, die Erde schon leicht feucht. Das ist ebenso ein vollkommen trockener und hervorragend zum Essen geeigneter Wein, der mir sehr geschmeckt hat. Wirklich schöne Entdeckungen. Und es gibt ja noch so viele andere autochthone Rebsorten in Italien, so viele kleine Weingüter, die man nicht auf dem Schirm hat. Keine echte Katastrophe allerdings, das Weinleben soll ja spannend bleiben…
Hallo Matthias, die Weine gibt es bald bei Vinaturel. Bin gerade dabei, Verkostungsnotizen zu verfassen. liebe Grüße, Christoph
Super, eine sehr gute Entscheidung!
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