Normalerweise schreibe ich als professioneller Weinmensch über teurere, “wertigere” Weine. Aber die Realität in Deutschland sieht anders aus. 80% der Weine werden im Supermarkt gekauft, und angeblich liegt der Durchschnittspreis bei 2,19 € pro 0,75 l-Flasche (ob das stimmen kann, darüber werde ich noch einmal gesondert schreiben). Günstige Bio-Weine aus dem Supermarkt sind also etwas für Leute, die entweder tatsächlich wenig Geld für Wein haben oder wenig ausgeben wollen, aber trotzdem die schlimmsten Spritzmittel im Weinberg nicht mögen. Das einzige Problem dabei: Im Supermarkt hilft dir keiner bei der Auswahl. Deshalb habe ich im Blindtest sechs der beliebtesten Bio-Rotweine unter 5 € getestet. Und hier ist das Ergebnis.
Bevor ich allerdings die Weine beschreibe, wollte ich die günstige Gelegenheit nutzen und zwei Fragen beantworten, die mir Freund/innen vorher gestellt hatten:
Ist “bio” wirklich besser als “konventionell” ?
Ja, und zwar ohne Wenn und Aber. Natürlich, auch nach der EU-Bio-Verordnung sind immer noch ganz schön viele Dinge erlaubt, bei denen sich normale Leute wundern, wieso es die überhaupt gibt. Aber die schlimmsten Klopper, nämlich systemische Spritzmittel (also solche, die in die Pflanze selbst eindringen), sind bei Bio verboten. Tut man hingegen gar nichts im Weinberg, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man nachher auch gar nichts erntet oder aber aus den angefressenen Trauben dann feinen Essigwein bereitet. Alles eine Frage der Balance also.
Kann man überhaupt einen Bio-Wein unter 3 € herstellen?
Ja, kann man. Aber dafür müssen natürlich bestimmte Rahmenbedingungen gegeben sein. Das Klima muss gut sein (warm und trocken genug = Ausreifen und wenig Krankheiten), das Land flach, die Rebzeilen maschinell zu bewirtschaften, die Arbeitskräfte günstig und die Mengen groß genug. Logischerweise sind wir da nicht beim Demeter-Winzer an der Mosel, der jeden Tag in die steilen Hänge kraxelt und jede Rebe einzeln streichelt. Oben auf dem Foto seht ihr typische Tanks einer typischen Genossenschaftskellerei in Südeuropa. So sieht das nun mal aus. Aber nur so bekommt man solche Endverbraucher-Preise hin.
Die Test-Bedingungen
Erst einmal habe ich mich für Rotwein entschieden, weil Rotweine einfacher in der Handhabung sind. Sprich: Ich kaufe sie im Supermarkt und mache sie zu Hause sofort auf oder nehme sie mit auf die Party, ohne sie vorher kühlen zu müssen. Alle Weine stammten übrigens aus dem Jahrgang 2017.
Dann habe ich blind getestet mit anonymen Nummern an den Weingläsern. Für solche Blindtests gibt es Pro- und Kontra-Argumente. Bei Pro steht, dass ich wirklich nur auf den reinen Weingeschmack achte. Kontra heißt, dass ich nicht bewerten kann, ob der Wein typisch für Herkunft und Rebsorte ist, weil ich ja nicht weiß, worum es sich handelt.
Mir war es bei diesem Test aber primär wichtig, ob der Wein gut schmeckt. Ich habe deshalb die WSET-Kriterien herangezogen, also sowohl bei der Weinbeschreibung als auch bei der Bewertung. Ein “guter” Wein ist demnach einer, der bei den folgenden Kriterien mindestens zweimal die Mindestanforderungen überschreitet: Ausgewogenheit (ggf. Säure, Tannin, Alkohol), Intensität, Länge, Komplexität. Meine subjektiven Vorlieben spielen dabei keine Rolle.
Schließlich habe ich für die Bewertung der Ausstattung noch J als geschmackssichere Beraterin hinzugezogen. Denn das Etikett spielt bei der Kaufentscheidung im Supermarkt nun mal eine entscheidende Rolle.
Wein 1: Sontino Sangiovese (Italien/Edeka)
Was ist das?
Ein Wein aus Italien, aus Apulien, Süditalien also. Die Rebsorte ist Sangiovese, die normalerweise deutlich nach Kirschen schmeckt. Ein typischer Wein aus Sangiovese ist z.B. der Chianti. Abgefüllt von F. Langguth Erben, 12,5 vol% Alkohol, 3,99 € im Edeka.
Ausstattung
Schraubverschluss, relativ kleines Etikett mit historisch römischem Gesicht – und ganz dick “BioVegan” drauf. J: “Das Vegan fällt am meisten auf. Ich denke, das ist für die anvisierte Zielgruppe wichtig. Ansonsten okay von der Ausstattung her.”
Geschmack
Ich sage nicht “huch”, aber es gibt Restzucker in diesem Wein. Nicht direkt halbtrocken, aber doch spürbar süßer als alle anderen. Auf dem Etikett steht nichts davon, “füllig, weich” heißt es dort. Ansonsten erst leicht kräuterig unreif, dann viel Kirsche, wenig Würze und Gerbstoffe. Ein ganz leckeres, aber harmloses Tröpfchen. Beim Essen stört die Süße etwas, solo aber nicht unangenehm.
Taugt er was?
Bedingt. Der Wein ist nicht fehlerhaft, dafür aber leicht und harmlos, noch unterstützt durch die feine Süßenote. “Harmonisch trocken” heißt das vermutlich. Könnte einer jungen Klientel aber gefallen, auch wegen des dicken Vegan-Siegels. (Das ist übrigens nicht schwierig zu bekommen, man muss nur auf Eiweiß bei der Schönung verzichten.)
Wein 2: Le Corbeau (Frankreich/ebl)
Was ist das?
Ein französischer Wein aus dem Rhônedelta bei Arles, “Bouches du Rhône” ist die Herkunftsbezeichnung. Das ist eine Cuvée aus verschiedenen Rebsorten, Carignan ist die wichtigste dabei, 13,5 vol%. Hergestellt von einem örtlichen Groß-Weingut für Peter Riegel, und das seit 25 Jahren. 4,98 € für die Literflasche im ebl, das ist der Bio-Supermarkt-Platzhirsch hier in der Region Nürnberg.
Ausstattung
Presskork, Literflasche mit Pfand. J: “Die meisten werden nicht wissen, dass corbeau Rabe heißt. Mir gefallen ja Tiere auf dem Etikett. Überraschend, dass vorn das Mehrweg-Siegel steht und Bio nur klein auf der Rückseite. Scheint für die Kunden wichtiger zu sein.”
Geschmack
Ehrlich gesagt fühle ich mich in meine Studentenzeit zurückversetzt. Der Wein ist gleichzeitig unreif mit deutlichen Noten nach grüner Paprika, dann aber wieder alkoholisch breit, ziemlich unausgewogen. Stammkunden merken das vielleicht gar nicht und können sich an der schwarzfruchtigen Brombeere und den mächtigen Gerbstoffen erfreuen. Sehr rustikal.
Taugt er was?
Also für mich nicht. Ich weiß, dass es eine cash cow ist, dass Kontinuität ein hohes Gut ist und es heißt “never change a winning team”. Aber so deutliche Probleme bei der phenolischen Reife, so gerbig… Für die jüngere Generation gehört das Rezept hier überarbeitet.
Wein 3: Mezzogiorno Primitivo (Italien/ebl)
Was ist das?
Noch ein Wein aus Süditalien, ebenfalls Apulien, aber diesmal eine andere Rebsorte. Primitivo heißt nicht so, weil er primitiv ist, sondern weil er früh reif wird. Der kalifornische Zinfandel ist dieselbe Rebsorte. Die Rebsorte ist normalerweise dunkel und würzig. 12,5 vol% und 4,98 € für die Flasche, wiederum beim ebl.
Ausstattung
Presskork und Bio-Siegel wieder nur ganz dezent auf der Rückseite. J: “Setzt voll auf Italien als Reinzieher, alles nur Italienisch auf dem Etikett. Allein für sich sieht es mir ein bisschen zu billig gemacht aus, aber es gibt ja noch andere Weine in dieser Reihe mit anderen Farben. Dann passt es.”
Geschmack
Erst einmal mit einer unangenehm muffigen Note in der Nase, gar Kunsttoffton, dann aber im Mund Beerenfrüchte, Süßholz, dunkle Pflaumen, also schon das, was man von einem Apulier erwartet. Insgesamt recht flächig angelegt, ausgewogen, wenn nur der Geruch nicht wäre. Die Nase trinkt doch mit.
Taugt er was?
Bedingt. Der Geruch ist definitiv nicht gut, und vermutlich braucht man auch keinen solchen Presskork, der schwer aus der Flasche geht. Aber geschmacklich ist das in Ordnung, die dunklere Seite des Weins. Profitiert von etwas Luft und ist eigentlich der einzige Wein, der am zweiten Tag wirklich besser schmeckt als am ersten.
Wein 4: L’Occhio Sangiovese (Italien/denn’s)
Was ist das?
Dies ist ein Sangiovese aus Italien. Hatten wir schon, aber diesmal aus der Region Abruzzen, also weiter nördlich. Hersteller ist die Kellerei Orsogna, gefüllt wird für Peter Riegel. Der Wein hat als einziger ein Demeter-Siegel, also strengere Bestimmungen als bei EU-Bio. 13 vol% und 4,49 € im Bio-Supermarkt denn’s.
Ausstattung
Schraubverschluss, großes Etikett, Demeter-Siegel als Farbtupfer. J: “Spricht mich ehrlich gesagt am meisten an. Demeter suggeriert für mich, dass sie’s wirklich ernst meinen, die stilisierten Trauben mit dem Loch auf dem Etikett finde ich auch gut. Spontan hätte ich den genommen.”
Geschmack
Zunächst mit einer leicht unfertigen Gärnote in der Nase, Anklang nach macération carbonique wie ein Beaujolais. Im Mund dann Eukalyptus, Schwarzkirsche, Schlehe gar, dunkelbeerig und relativ mild. Schmeckt zwar nicht wirklich nach Sangiovese, aber beim Test weiß ich ja nicht, was das ist. Leichte Restsüße auch, sollte man am ersten Tag trinken.
Taugt er was?
Ja, das tut er. Jetzt bin ich persönlich kein Fan der Kohlensäuremaischung, weil da immer Noten nach Banane und Kaugummi mitschwingen. Aber der Wein ist als einziger richtig dicht und ausgewogen, auch hier mit dunkleren Noten. Möglicherweise würde man bei WSET sogar “good wine” dazu sagen können.
Wein 5: Cuvée Rot (Deutschland/Aldi)
Was ist das?
Was genau drin ist, steht nicht auf der Flasche. In jedem Fall handelt es sich um einen Wein aus Deutschland, genauer aus der Pfalz, wobei es auch ein ähnliches Exemplar aus Rheinhessen gibt. Vielleicht Dornfelder, Regent und Portugieser als Rebsorten, das ist aber nur eine Schätzung. Abgefüllt von Peter Mertes an der Mosel, 12 vol% und 2,99 € beim Aldi.
Ausstattung
Plastikstopfen, breiter Strichcode auf der Rückseite. J: “Gefällt mir ehrlich gesagt nicht, obwohl es schon nicht unmodern ist. Aber viel zu technisch, zu ‘männlich’ aussehend, nur dicke Buchstaben.”
Geschmack
Sehr viele Aromen springen aus dem Glas, frisches Obst, rote Johannisbeeren. Im Mund ist der Wein dann extrem leicht und harmlos, ganz wenig Körper, aber gut schluckbar. Irgendwie kommen Zitrusnoten mit hinein, die ein bisschen künstlich anmuten. Auch zum Essen wirkt er zu kraftlos, aber solo geht das schon.
Taugt er was?
Bedingt. Für einen Rotwein ist das schon ein arg leichtes und harmloses Tröpfchen. Null Würze, null Tiefe, null Gerbstoffe, null Komplexität. Dafür aber Frucht und keine Fehler. Man kann’s trinken, ganz ohne Frage.
Wein 6: Caladelverde Nero d’Avola (Italien/Lidl)
Was ist das?
Noch ein italienischer Wein, aber die haben im Moment in diesem Segment vielleicht das beste Preis-Geschmacks-Verhältnis. Der Wein kommt aus Sizilien und ist aus der dort üblichen Rebsorte Nero d’Avola gekeltert. Abgefüllt wurde er allerdings von einer Großkellerei am Gardasee, das ist bei solchen Weinen nicht selten. 13 vol% und 2,19 € beim Lidl.
Ausstattung
Schraubverschluss in derselben Farbe wie das Bio-Siegel auf dem Rücketikett. J: “Sollte mich eigentlich ansprechen, tut es aber doch nicht. Warum? Weil nur Blumen, Bienen, Getreide auf dem Etikett sind, das hat keinen Weinbezug für mich. Könnte ich mir eher als Müsli-Verpackung vorstellen.”
Geschmack
Schon wieder eine seltsame Plastiknote in der Nase, dahinter dunkle Beeren. Im Mund ist der Wein überraschend lebendig, gar ein bisschen spitz in der Säure, aber die Frucht steht gut. Kirsche, Brombeere, Pikanz, passt zum Essen. Hätte ich geschmacklich zwar eher für Sangiovese gehalten, aber okay. Nur die Nase, ich weiß auch nicht, das sollte man doch abstellen können…
Taugt er was?
Ja. Also zumindest, wenn man sehr großzügig ist, was seinen Geruch anbelangt. Im Mund ist das sicher der frischeste und komplexeste Wein hier. Wer richtig säureempfindlich ist, könnte dazu vielleicht eine andere Meinung haben, aber mir hat er schon gefallen.
Das Fazit
Es hilft nichts: Probieren geht über Studieren. Zumindest bei Bio-Weinen aus dem Supermarkt. Zwei von sechs Weinen kann ich empfehlen. Das ist nicht wesentlich besser als bei meinem Gallo & Co-Test vor über sieben Jahren. Und ehrlich gesagt schlechter als bei meinem Test von Bio-Genossenschaftsweinen von der Südrhône aus 2017. Letztere hatte ich allerdings auch größtenteils in Frankreich im Supermarkt erstanden – und für einen Euro mehr. Dieser eine Euro kann tatsächlich einiges ausmachen, und wer fehlerfreie Weine sucht, sollte vielleicht die 5 €-Obergrenze nicht so streng sehen.
Was mich übrigens beim Einkauf ein wenig entsetzt hat: Aldi & Lidl werben ja so stark damit, wie Bio sie jetzt sind. Beim Aldi gab es aber genau einen einzigen Bio-Wein in meiner Kategorie und beim Lidl zwei. Von 70 insgesamt. Das hätte ich anders erwartet.
Wie auch immer, der Demeter-Wein aus den Abruzzen und der Lidl-Sizilianer sind fraglos ihr Geld wert. Günstiger als 4,49 € geht biodynamisch nun wirklich nicht. Und günstiger als 2,19 € darf eigentlich kein Wein sein. Finde ich.