Die Tage vor Weihnachten sind ja eigentlich die ideale Zeit für eine Weinprobe, bei der man auch einmal die wertvolleren Schätzchen aus dem Keller holt. Zum einen ist es draußen dunkel und kalt, was den Wunsch nach einem erfrischenden Bad im Fluss kleiner werden lässt als jenen nach einem Rotwein am Kamin. Zum anderen sind wir alle noch nicht so gesättigt wie nach mehreren Tagen des weihnachtlichen Herumfläzens auf dem Sofa. Ich komme also immer wieder sehr gern kurz vor Weihnachten ins Rheinland, um im Kreis echter Weinfreund/innen ein paar besondere Weine zu genießen.
Die Spielregeln bei der Vorweihnachtsweinverkostung sind eigentlich immer dieselben: Nur der Gastgeber kennt alle Weine, die präsentiert werden. Immer paarweise werden jene eingeschenkt, und wir mühen uns dann ab, Rebsorte, Herkunftsregion und Jahrgang zu erraten, manchmal auch die Parzelle, das Fass oder den zweiten Vornamen des Winzers. Alternativ geben wir aber auch gern fachkundige Kommentare wie “schmeckt”, “lecker”, “hui” oder “mein Glas ist schon wieder leer” von uns. Ein bisschen akademisch-tüftelig darf es schon sein, aber Spaß machen muss es logischerweise auch. Ich zeige Euch hier das Foto vom Wein immer zuerst, während die Beschreibungen danach durchaus von meinem Tappen im Nebel geprägt sind. Nicht vergessen sollte man nämlich das Motto des Abends, das der Gastgeber ausgegeben hatte: “Surprises!” Und davon gab es dann nicht wenige, ein motivierendes Lernen und Spielen mit den eigenen Erwartungshaltungen.
Wein 0.1 (ja, so wird hier gezählt), ein Schaumwein. Es ist der 1992er Riesling Réserve Brut Nature von Peter und Florian Lauer, 12 vol%. Der Ausdruck “Reserve” ist in der Tat treffend, denn bei dem Degorgierdatum Juni 2016 kann man sich ausrechnen, wie lange dieses Getränk in Fass und Flasche zugebracht hat. Wir wissen ja nicht, worum es sich handelt, und so platze ich völlig undiplomatisch damit heraus, dass ich hier subjektiv eine Fehlerhaftigkeit sehe mit Tönen von Keller und sauerkrautigem Fass, welche die Substanz übertönen. Ganz so krass sollte man es vielleicht nicht sehen, und zu einem solchen Ewig-Lager-Experiment gehört natürlich auch viel Mut, der in jedem Fall zu loben ist. Dennoch denken wir, dass der Bogen vielleicht letztlich doch ein bisschen überspannt worden ist. 15,14 Punkte im Durchschnitt von der Runde, das ist nicht sehr viel.
Wein 0.2, parallel ins andere Glas geschenkt, gibt sich ziemlich gegensätzlich. Die Säure wirkt höher, wird aber durch eine noch deutlichere Süße abgepuffert. Easy drinking, könnte man ein wenig despektierlich sagen. Der Wein ist “lecker”, keine Frage, und bekommt auch 16,36 Punkte. Aber mir fehlt da ein wenig der Charakter. Wie Ihr auf dem Etikett sehen könnt, handelt es sich um den Comtes de Champagne von Taittinger, ein Brut aus dem Jahr 2000 mit ebenfalls 12 vol%. Was wir interessant finden: Vor einigen Jahren, so glauben wir, hätten wir diesen Typus noch besser gefunden. Mittlerweile sind aber einige unter uns neigungsmäßig (wie viele der innovativen Sommeliers) den Weg in Richtung Winzerchampagner Brut Nature gegangen, die sehnigeren, gelegentlich auch sperrigeren Versionen. Jetzt kann man viel über Moden diskutieren, aber auch über die Evolution des eigenen Geschmacks, über die Lust auf Veränderung. Und daran ist doch wahrhaftig nichts Schlechtes, oder? Man sollte sich nur dessen bewusst sein, dass man nicht wie eine einmal programmierte Maschine agiert.
Wein Nr. 1, also die erste “reguläre” Anstellung, entpuppt sich gleich als die Überraschung des Abends, und zwar in jeglicher Hinsicht. Dass wir den Wein nicht erraten konnten, lag sicher daran, dass niemand außer unseren Gastgebern ihn je getrunken hatte. Und auch Ihr dürftet ihn nicht kennen. Er stammt von einem sehr kleinen Weingut im hinteren Penedès namens Tayaimgut, 100% Sauvignon blanc, Jahrgang 2014, 13,5 vol% und 17 € ab Hof. Das alles und noch viel mehr steht auf dem Zettel, den der Winzer gleich mitgeschickt hat und der auf dem Foto die Flasche verdeckt. Ich rieche zwar sauvignon-typisch Cassis, aber zuerst Basilikum, Thymian, dazu leicht bittere Ananas. Frisch, grün und mineralisch, aber nicht unangenehm parfümiert. Am Gaumen ist der Wein wesentlich eleganter als gedacht, nachhaltig und pikant. Das erinnert ans neue Roussillon und gefällt uns allen sehr gut. 17,75 Punkte von der Runde.
Wein Nr. 2, und auch den konnten wir wegen seiner mottogemäß überraschenden Herkunft nur beschreiben und nicht erraten. Das Weingut heißt mittlerweile offiziell Estelle & Cyrille Bongiraud, und die beiden aus Frankreich haben sich in Serbien niedergelassen, im Dörfchen Rogljevo. Hier, ganz in der Nähe der Grenze zu Bulgarien, gibt es eine uralte Weinkultur, die aber nicht sehr exportorientiert ist. Auch den Chardonnay für den Tajna 2013 haben nicht sie gepflanzt, sondern die Reben stehen dort bereits seit langer Zeit. Im Direktvergleich mit dem Tayaimgut fällt sofort die cremigere Art in der Nase auf, nussig, sehr reif, weich, Holz. Genau das setzt sich dann am Gaumen fort mit den schon ziemlich holzlastigen Noten, einer gleichzeitig weich-birnigen, aber auch bernsteinig-säurearmen Art. Wir tippen auf Sémillon (primär des üppigen Holzes wegen) oder auch auf die Nordrhône (der nur sehr dezenten Fruchtnoten wegen), aber natürlich nicht auf Serbien. Auch nicht auf Chardonnay, aber das ist ja ohnehin eine extrem wandlungsfähige Rebsorte. 16,79 Punkte von uns, und ich bin mir sicher, auf dem Balkan gäbe es weinbezogen (aber auch ansonsten) jede Menge zu entdecken. Das regt doch zu einer kleinen Exkursion an…
Wein Nr. 3 ist preis- und renommeemäßig in einer ganz anderen Liga unterwegs, aber das wissen wir beim Probieren ja nicht. Ihr könnt sehen, dass es sich um den 2007er Meursault-Charmes Premier Cru von Dominique Lafon handelt. Nun ist 2007 ein vergleichsweise “dünnerer” Jahrgang im Burgund gewesen, aber da Meursault ja prinzipiell eher zur Breite denn zur Strenge neigt, muss das ja nichts Schlechtes bedeuten. In der Nase kommt zunächst einmal viel Butter, Diacetyl, und ja, das bedeutet dann doch nichts Gutes. Im Mund wirkt der Wein aber angenehmer, mit viel Säure, birniger Frucht, aber auch Noten wie Hefe und Zuckerwatte. Wir punkten zurückhaltend, 16,36 im Durchschnitt, auch wenn sich der Wein mit zunehmender Luft und Wärme immer mehr öffnet. Er wird sogar richtig angenehm, ich bedaure meine relativ geringen Punkte schon etwas. Aber andererseits ist dies ein berühmter und teurer Wein, und so einer darf durchaus auch einmal brilliant sein…
Wein Nr. 4 zeigt in der Nase auch Butter und übertünchendes Holz, wirkt vielleicht ein wenig frischer als die Nr. 3, aber so richtig dolle dann auch nicht. Im Mund erscheint der Wein dann etwas älter, aber auch strenger, konsequenter. Da gibt es keine Zuckerwatte, sondern frische Säure und einen straffen Zug, mehr Energie. Geschmacklich sind wir wieder bei Chardonnay, auch wieder bei Barrique-Chardonnay, aber das war es dann auch. Fürs Südburgund zu straff, für einen Chablis nicht kreidig genug, was könnte das sein? Surprise, es ist ein Spanier, und zwar der traditionelleste, den es gibt. Viña Tondonia von López de Heredia, die Reserva, und “nur” aus dem Jahr 2004. Bei mir im Keller lagert noch der 1987er, vielleicht sollte ich ihn doch mal bald rausholen… Aber der Wein gefiel uns durchaus, neutral in seinen Aromen, geprägt zwar vom Ausbau, aber gut geeignet als Speisenbegleiter höherwertigerer Art. 17,07 Punkte von uns.
Zwei Weine haben wir noch vor dem Essen, und dies ist Wein Nr. 5. In der Nase wieder Holz, laktische Art, dann aber deutlich Frucht, das erste Mal an diesem Abend. Sogar überdeutlich Frucht. Aprikose, Mango, Traube, es springt einen förmlich an aus dem Glas. Am Gaumen bleibt die Fruchtsäure stark da, der Wein ist frisch, holzig-gefällig, “lecker”. Mein Stil ist das nicht, aber objektiv schlecht finde ich den Wein dadurch trotzdem nicht. Den anderen gefällt er sogar ausnehmend gut, 17,29 Punkte von der Runde. Großes Aha beim Aufdecken, denn es ist der 2014er Marsannier *** von Knipser aus der Pfalz. Halb Marsanne, halb Viognier, also nicht wirklich pfalzübliche Rebsorten, dazu Mengen an Frucht und Holz, das bringt halt nur Knipser auf diese Weise. Auch da kann man wieder Beschwerden vorbringen wegen des vordergründigen Crowdpleasertums, sozusagen Markus Schneider auf höherer Ebene. Und ja, Nerds und Weinromantiker (zu denen ich mich selbst ein wenig zähle) haben sicher ihre Schwierigkeiten sowohl mit dem Ansatz als auch mit dem Outcome. Aber wer Weine macht, die vielen Menschen gut oder gar sehr gut gefallen, diejenigen eingeschlossen, die gern und oft Wein trinken – tja, was macht der eigentlich als Winzer falsch?
Wein Nr. 6, und schon wieder eine Überraschung, rein farblich bereits. Da steht ein sehr dunkles Gold im Glas, das ein wenig an Oxidation gemahnt, und tatsächlich, in der Nase auch oxidative und malzige Noten. Am Gaumen ist erst einmal gar keine Frucht, dafür Süße oder Glycerin, dazu etwas Bitteres, Sherryartiges, Blockmalz, gar ein wenig Pilze. Wir finden einhellig, dass dieser Wein schon ziemlich hinüber wirkt und geben 14,86 Punkte. Auch hier wieder großes Aha nebst etwas Greinen nach dem Aufdecken. Es ist der 2004er Pinot Gris Grand Cru Rangen de Thann Clos Saint-Urbain vom Weingut Zind-Humbrecht. Und was man auf dem Foto nicht sieht: 16 vol%. Das ist wahrhaftig der Hammer. Da hat Olivier Humbrecht (wenn er damals schon dafür verantwortlich war) versucht, die reifsten und süßesten Trauben zu einem trockenen Wein werden zu lassen. Sehr schwierig. Wenn er einen Wein nach unserem heutigen Verständnis hätte erschaffen wollen, hätte er vielleicht früher ernten können, doch mehr Fruchtsüße drinlassen oder auch einen Orange Wine mit langem Maischelager machen können. Möglicherweise – das wissen wir nicht – wollte er aber auch ein solch singuläres alkoholisches Getränk produzieren. Egal ob einem nun dieser Wein gefällt oder nicht, kann man über ihn in jedem Fall viel besser diskutieren als über ein harmloses Schöppchen.
Die Frage, ob so etwas wie Cassoulet auch vegetarisch funktioniert, darf man sich durchaus stellen. Man darf sie sich aber auch von der Gastgeberin beantworten lassen. Und zwar mit einem eindeutigen “Ja”. Die überbackene Kruste oben macht das Ganze noch einmal besonders attraktiv. Cassoulet in seiner Enten-Gans-Form mag sich eigentlich ausschließlich von kräftigeren Rotweinen begleiten lassen. Die vegetarische Version erscheint mir da nicht ganz so ausschließlich. Alle Weine, die a) richtig trocken, b) nicht zu fruchtig und c) schon eher füllig sind, dürften da funktionieren. Auch ein Bandol Rosé oder ein dichter Vermentino.
Gut gestärkt ans Werk bei den Roten. Wein Nr. 7 ist meine Erleuchtung des Abends. Ich war nämlich felsenfest davon überzeugt, es mit einem herrlich reif-herb-saftigen Syrah von der Nordrhône zu tun zu haben. Eher Cornas oder Côte-Rôtie als Hermitage, aber auf jeden Fall 20 Jahre alt. Letzteres ist auch das einzig richtige, was “Weinkenner” Matze dazu äußerte. Jemand anders deutete zurückhaltend an, es könnte auch ein reifer Pomerol sein, was ja schon näher war, aber auf einen reinsortigen Cabernet Sauvignon hätten wir dann nicht getippt. Erst recht nicht auf den 1997er Napa Cabernet Sauvignon von Cathy Corison, 13,2 vol% übrigens. Ich erinnere mich an das, was Martin Kössler kürzlich sagte (der übrigens damals bereits diesen Wein importierte, der Aufkleber verriet es): Kalifornische Cabernets können erstens hervorragend reifen und erreichen dann eine Fruchtdichte, wie sie allein aufgrund des Klimas in Europa niemals möglich wäre. Voraussetzung ist allerdings, dass es sich nicht um einen fetten Blockbuster handelt, sondern um eine von Vornherein eher auf Eleganz ausgerichtete Version wie diese hier. 16,93 Punkte gibt die Runde, was ich für arg bescheiden halte. Cabernet aus Kalifornien, weniger als 14 vol%, ein Jahrgang mit langer Reifezeit, nicht zu hoher pH-Wert. Diese Geheimtipp-Kombination muss ich mir merken…
Wein Nr. 8 deutet schon farblich an, dass wir hier noch etwas weiter in der Zeit zurückgehen. Zum Rot mischt sich ein gelblicher Ton am Rand, und auch in der Nase kommen gemüsige und likörige Noten zusammen, die mich weniger begeistern. Es kommt allerdings noch etwas dazu, “Kork” heißt das, und die Mehrheit von uns findet den Wein in der Tat korkig. Einen gewissen Fehlton möchte ich nicht leugnen, Flaschenvariationen sind bei so alten Genossen auch immer drin, aber der grundsätzliche Charakter des Weins bleibt dennoch erhalten. Und der ist würzig-hitzig. Das könnte für mich ein Cabernet Sauvignon oder auch ein Cabernet Franc sein, aber eben nicht von der Loire, sondern eher ein Mas Daumas Gassac, also aus dem Languedoc. Viel anderes fällt mir auch nicht ein, denn außer Daumas Gassac produzierte vor vielen Jahren niemand so etwas dort im Süden auf hohem Niveau. In Wirklichkeit handelt es sich um einen Malbec aus der Hitze, das passt schon mal nicht schlecht. Allerdings liege ich doch ein paar Kilometerchen daneben, denn der Malbec Estrella 1977 von Weinert stammt aus Argentinien. 16,58 Punkte gibt es dafür nur von uns, in Klammern allerdings wegen der Korkigkeit. Eine andere Flasche, die die Runde früher schon einmal öffnete, sei weitaus besser gewesen.
Wein Nr. 9 macht ebenfalls keinen Hehl daraus, aus dem vergangenen Jahrtausend zu stammen. Wieder gelbliche Töne in einem ohnehin eher hellen Rot, da neigt man schon vor der Nase zu der Aussage, das könne nur ein Burgunder oder ein farbschwacher Barolo sein. In der Nase und erst recht auf der Zunge wird dann klar, dass es ein Burgunder sein muss: säurereich, erdbeerig, viel Pikanz, aber dann doch mit einem schmeichelnden Ton. Da gibt es gar nicht so viel zu diskutieren: Dies ist ein sehr eleganter Wein, vielleicht minimal über seinen Höhepunkt hinweg, aber gefallen hat er uns allen, ohne Ausnahme. 18,08 Punkte im Schnitt, das ist die bislang höchste Punktzahl für den 1986er Volnay Clos des Chênes Premier Cru von Michel Lafarge. Ein feiner Burgunder geht halt immer.
Wein Nr. 10 hebt sich von seinem Pendant schon durch die deutlich dunklere Färbung ab. Aber auch das ist weit von “tintig” entfernt. In Nase und Mund deutet wieder alles auf einen Pinot Noir hin, auf eine zwar ebenso feine, aber dunklere, kräftigere, vor allem wärmere Version. So etwas gibt es durchaus im Burgund, gerade in heißen Jahrgängen. So etwas gibt es allerdings auch an der Ahr, aber nicht allzu oft auf diesem Niveau. Und das ist ziemlich euphemistisch ausgedrückt, denn es fällt mir ehrlich gesagt gar kein Ahr-Wein ein, der besser sein könnte als der Spätburgunder Alte Reben vom Weingut Jean Stodden, hier im Jahrgang 2006 von Gerhard Stodden, heute von Alexander. 13,5 vol% in diesem einst hochgejubelten und heute häufig heiß und matschig daherkommenden Ahr-Jahr, aber das lag wohl oft auch an Erntezeitpunkt und Vinifikation. Jedenfalls gefällt uns dieser Wein schon wieder, 17,75 Punkte.
Schon mal versucht, ein appetitlich-ästhetisches Foto einer Mousse zu machen, die Ihr Euch gerade auf den Teller gelöffelt habt? Nicht? Na, ich sehe schon, den richtig großen Herausforderungen des Lebens seid Ihr noch nicht begegnet… Ich habe es aber auch nicht geschafft, wie Ihr sehen könnt. Dafür hat die Wintermousse wirklich sehr gut geschmeckt – und mit einem der drei folgenden Süßweine auch tatsächlich perfekt harmoniert.
Und zwar mit diesem hier, Wein Nr. 11. Einer am Tisch wusste es schon, kaum dass er seine Nase ins Glas gesteckt hat: “Das ist Huet, Clos du Bourg Première Trie!” Dass wir alle Fans von Loire-Weinen sind, brauche ich kaum extra zu betonen. Im Glas war dann tatsächlich der 2005er Vouvray Moelleux Clos du Bourg Première Trie. In der Nase eher zarte Noten nach Kürbis, Dattel, Kurkuma und Aprikose, im Mund weiter Kurkuma, Birne und vor allem enorm viel Würze. Die Säure fehlt mir dagegen ein wenig, denn 2005 war an der Loire genau wie bei uns ein spätsommerlich warmes Jahr, was eher der Fülle denn der Pikanz förderlich war. 13 vol% deshalb bei diesem Wein trotz der Süße, das ist schon eine Wuchtbrumme. Kombiniert mit der Wintermousse zeigte sich aber, dass dies interessanterweise gar kein Meditationswein zum Solosüppeln ist, sondern einer, der bei Tisch gut funktioniert. 18,33 Punkte von der Runde.
Wein Nr. 12 goldete sich ebenso ins Glas, aber die Nase in ihrer pikant-aprikosigen Art ließ schon den reifen Riesling durchscheinen. Im Mund kommt ganz stark sehr reife Mango, eine wirklich massive Frucht, dazu aber gar nicht so viel Säure. Wir tippen auf Mosel, entweder Auslese aus einem sehr warmen Jahr oder gleich Beerenauslese. In der Tat ist es die Nebenmosel namens Ruwer, die 2005er Riesling Auslese Nr. 30 vom Karthäuserhof. Beim Blick aufs Etikett denke ich, “jou, 10 vol%”. Sagt mir, dass ich mich täusche, aber ich kann mich nicht daran erinnern, in den letzten Jahren bei einer süßen Mosel-Auslese einen solch zweistelligen Wert gesehen zu haben. Schmeckt natürlich trotzdem sehr gut, 18,33 Punkte von der Runde, aber schon ein barockes Möselchen, um mal zwei Begriffe zusammen zu bringen, die irgendwie nicht zusammen gehören.
Und zum Abschluss ein Cognac. Oder was soll diese braune Flüssigkeit hier im Glas sein? Brom käme noch in Frage, was auch zur Getränke-Unglückszahl 13 passen würde, aber das traue ich unseren Gastgebern dann doch nicht zu.
Wir ahnen es schon (weil nicht zum ersten Mal mit dieser Erscheinung konfrontiert): Ein Süßwein, der sich farblich derartig geriert und nicht aus dem 19. Jahrhundert stammt, kann nur ein Rieslaner sein. Rieslaner scheint ja eine Art Oxidation zuzulassen, die den Geschmack weitaus weniger berührt als die Farbe. Die Nase zeigt sich nämlich schon viel netter, Rosine mit Frische, würde ich sagen. Im Mund ist der Wein dann ein wahrhaft explosives Gemisch. Krasse Säure, brutale Säure, gefühlt 20 g pro Liter, dazu der hohe Zuckerwert und der hohe Alkohol. Karamellkaffee mit irrer Frucht und einer Intensität, dass man dieses Getränk eher im Fingerhut reichen sollte. Man muss so etwas nicht explizit mögen, zumal Raffinesse nicht der erste Begriff ist, der mir dazu einfällt, aber es ist zweifellos sehr sehr beeindruckend. Ihr seht es auf dem Etikett, es ist die 1990er Rieslaner TBA aus dem Casteller Kugelspiel von und zu Castell. Nochmals zum Alkohol, 13 vol% bei einer Trockenbeerenauslese, wer bietet mehr? Aber hier sind wir ja in Franken, und das assoziiert man doch mit Barock wie kaum eine andere Region. 18,4 Punkte von uns dafür, wobei ein Mitglied der Runde keine Punkte vergab.
Was bleibt als Fazit? Lasset uns in Bullet Points sprechen:
- Ein großartiger Abend natürlich mit einer geschmacklichen Tour de Force, dem selbst gewählten Motto “Surprises” voll und ganz entsprechend.
- Meine Fehleinschätzung, den kalifornischen Cabernet für einen Syrah von der Nordrhône zu halten, die mir einen neuen Blick auf die Neue Welt und ihre Möglichkeiten eröffnete. Ahnte ich zwar, aber jetzt bin ich mir sicher.
- Die Tatsache, dass wir dem frischesten Weißen (einem jungen Katalanen) und dem frischesten Roten (einem alten Burgunder) in ihrer jeweiligen Kategorie die meisten Punkte gaben. Es scheint dies definitiv eine Zeit zu sein, in der (sehr) erfahrene Weingenießer/innen eher auf eine pikant-trockene Eleganz abfahren denn auf eine üppige Reife. Nur tendenziell natürlich.
- Die – allerdings nicht wirklich neue – Erkenntnis, die unser Gastgeber leicht verwirrt formulierte, als wir ihn und seine Großzügigkeit hochleben ließen: “Aber… so in eurer Gesellschaft schmecken die Weine doch am besten. Was soll ich denn mit Weinen anfangen, die man nicht trinkt?” Mein Motto also für 2018: mehr Flaschen aus dem Keller holen als hineinstellen.
Und damit wünsche ich Euch allen einen schönen Jahresausklang und viel Schwung im neuen Jahr. Nicht allzu wörtlich nehmen sollte das allerdings unser alter Vater Rhein, der bereits bedenklich in seinem Bett hin- und herwabbelt und bitteschön bis auf weiteres dort verbleiben möge.
Hallo Matthias, vielen Dank für die Zusammenfassung. Wäre so gerne dabei gewesen. REijen Anmerkung, nur, weil Siggi und ich es auch schon besprochen hatten. Der Weinert ist der “normale” 1977er Malbec und nicht der legendäre Estrella. Wir hatten bei J. ja schon mal eine Flasche – die wohl damals sogar noch besser war – und auch da war ich von Estrella ausgegangen. Aber auch damals war es der einfachere. Denn ,wie ich feststellen musste. Wo Estrella drin ist, steht es auch drauf. Liebe Grüße und nen guten Rutsch und hoffentlich mal wieder auf bald, Christoph
Ja, ich hatte auch lange gerätselt und Etiketten im Internet angeschaut. Offenbar gibt es auch ein Estrella-Etikett, bei dem nicht extra Estrella draufsteht, sondern nur der Stern. Jedenfalls auf amerikanischen Blogs 😉. Deshalb war ich etwas vorsichtig zu behaupten, es sei der “normale” gewesen. Aber in der Tat sehr schade für uns, dass Du Dich in der Emilia rumtreiben musstest…😉. Einen guten Rutsch und ja, wir sollten uns bald mal treffen… Ich schreibe Dir im Neuen Jahr, was grad so los ist bei mir (schlimme Drohung 😉 )
Oh doch, Ihr beiden, es war immer schon der “Estrella” – eben die Flasche mit dem Stern drauf. Ich habe sicherheitshalber noch einmal die Rechnung eingesehen. Sonst ließe sich der Preis auch nicht rechtfertigen …
Herzliche Grüße
J.
Also wieder rückgängig 😉. Danke Dir für die Info!