Legenden haben es ja an sich, dass sie mit zunehmender zeitlicher Entfernung immer größer und größer werden. Ein quasi-legendäres Erlebnis war mein Besuch in Fridolfing vor fast genau 16 Jahren. Wir waren damals mit unserem Aldi-Kuppelzelt auf dem Campingplatz am Waginger See untergekommen und hatten uns unausgesprochen vorgenommen, die Gastwirtschaften sämtlicher umliegender Orte bezüglich ihrer Schweinsbratenqualitäten zu testen. Dies war Wirtschaft No. 6 mit Schweinsbraten No. 6.
In meinem Reisetagebuch vom 27.08.2000 ist zu lesen: “Wetter zieht auf, hilft aber nix, wir haben Hunger. Soll das Zelt doch nass werden.” Als wir in Fridolfing ankommen, donnert es bereits ziemlich heftig, und wir flüchten uns in die dunkle Gaststube. “Gasthof-Metzgerei Stadler, sehr traditioneller Ort, dunkles Holz, Wirtin macht alles selbst, Schweinsbraten mit Speckknödel 12,20 DM, super, mit Abstand der beste bisher.” Und obwohl es anschließend noch die ganze Nacht weiterschüttet, weshalb wir und das Zelt pudelnass werden und in aller Herrgottsfrühe mit Sack und Pack in Richtung Niederösterreich aufbrechen, ist Fridolfing dadurch über all die Jahre zu einem mythischen Ort gereift. Jetzt waren wir nach 16 Jahren zum ersten Mal wieder dort.
Auch diesmal hatte uns das Wetter ein bisschen an unserer geplanten Tagesgestaltung gehindert. Grau war es und schauerneigend. Als wir in Fridolfing einfuhren, kam mir alles irgendwie ganz anders vor als damals. Neuere Häuser, weniger Bäume, und an den Namen des Gasthofs konnten wir uns auch nicht erinnern. Schließlich führt man ja nicht ständig 16 Jahre alte Tagebücher mit sich. Am ehesten erinnerte uns noch das Gasthaus Unterwirt an unsere damalige Einkehrstätte.
Und tatsächlich, wir hatten uns nicht getäuscht. Glück hatten wir allerdings, dass wir nicht wesentlich früher gekommen waren, und damit ist weniger die Uhrzeit als vielmehr das Jahr gemeint. Fünf Jahre lang hätte das Gebäude leergestanden, so erzählt uns die Bedienung, nachdem die alten Leut in Rente gegangen seien und sich niemand gefunden hatte, einen solch riesigen Drei-Generationen-Hof weiterzuführen. Erst seit einem Jahr hätten sie wieder geöffnet, nach umfangreichen Arbeiten, jetzt aber mit einem Konzept, welches das Neue mit dem Alten zu verbinden versuche. Feine Küche für städtische Ausflügler genauso wie den Stammtisch für die Einheimischen.
Die Biere sind jedenfalls schon einmal ansprechend (und was kann man nicht alles falsch machen bei der Bierauswahl…). Untergäriges kommt von der Brauerei Schönram, die seit einiger Zeit einen mittleren Kultstatus besitzt. Die Weißbiere dagegen werden von der Schlossbrauerei Stein an der Traun geliefert, ebenfalls eine gute Adresse.
Ich bestelle eine Art Menü, allerdings in einzelnen Schritten. Als Vorspeise gibt es eine Rinderkraftsuppe mit Frittaten, bei der mir interessanterweise besonders die alles andere als mager gebratenen Pfannkuchenschnitze gefallen.
Als Hauptgericht wähle ich von der Tageskarte Rindsbackerl mit Polentaknödel und Selleriepüree. Das Salbei- und Thymiansträußchen entpuppt sich dabei in Verbindung mit der leicht italienisch angehauchten Speise als mehr als nur ein Gimmick. Und es gibt viel Fleisch. Auch im Sternerestaurant La Chaumière in Dole, das wir ja mit großer Begeisterung wieder verlassen hatten, hatten wir beim zweiten Besuch joue de boeuf bestellt (oder vielmehr: serviert bekommen, denn das Menü war dort ja fix). Im Vergleich dazu gibt es beim Unterwirt ein weniger lang gegartes Stück Fleisch, aber eben auch in doppelter Menge. “Die gehen hier nicht so in Richtung Sterne, sondern eher in Richtung Slow Food“, meint J., und das trifft es meiner Meinung nach genau. Soll heißen: sehr bewusst, regional, ein bisschen “gute Stube”, nicht die große Kunst mit dem innovativen Twist, sondern einfach gutes Essen, wie man es sich für einen Sonntag auf dem Land nicht passender wünschen kann.
In genau dieser Tradition steht auch das Heumilcheis, das ich in den Varianten Erdbeer und Haselnuss nehme, gespickt wiederum mit Minze und, tja, Lavendel, wie es mir scheint. Das Eis kommt von einer Eiserei im Ort, und auf der letzten Seite der Speisekarte sind alle regionalen Zulieferer namentlich aufgeführt.
Gut 50 € kostet so ein Essen dann für zwei Personen mit allem Drum und Dran, was natürlich marginal oberhalb der 12,20 Mark für den seinerzeitigen Braten liegt. Aber nachdem wir in den vergangenen beiden Tagen arg lieblos hingepflatschte Schuhsohlen mit essigtriefenden 70er Jahre-Salaten essen mussten, war unsere Einkehr in Fridolfing doch mal wirklich ein echtes Vergnügen. Deshalb schreibe ich auch gern davon – und ein bisschen natürlich auch wegen des Wiedersehens nach so langer Zeit…