Das Jura ist ein Käseland, egal ob auf französischer oder schweizerischer Seite. In fast allen französischen Käsegeschäften kann man mindestens einen Käse aus dem Jura finden, und ich möchte wetten, dass Ihr ein paar der Sorten auch kennt, die wir hier gekauft haben.
Wenn ich es mir recht überlege, habe ich eigentlich bislang jeden Abend ein bisschen Käse gegessen, seit wir hier in Dole sind. Gekauft habe ich den Käse entweder auf dem Markt (vom Stand auf dem Foto oben) oder im Käsegeschäft in eine Minigasse, der passend benamten Rue d’Enfer (= Höllengasse).
Bevor ich Euch die einzelnen Sorten per Foto zeige, möchte ich noch kurz erwähnen, worauf ich beim Käsekauf in Frankreich achte. Das ist nämlich ziemlich einfach, weil die Käsewelt hierzulande relativ gut organisiert zu sein scheint. Zunächst einmal gibt es verschiedene Milchkategorien, die in aller Regel auf dem Käseschild stehen. Es gibt “lait cru”, “lait thermisé” und “lait pasteurisé”. “Lait cru” darf dabei nicht erhitzt worden sein, “lait thermisé” kann entweder 30 Minuten lang auf 45°C oder eine Sekunde auf 72°C erhitzt worden sein, und “lait pasteurisé” 30 Minuten lang auf 63°C oder 15 Sekunden lang auf 72°C. Das Erhitzen dient dem Abtöten unterschiedlicher Mikroben. Je länger und je heißer es ist, desto weniger Mikroben sind vorhanden, desto weniger “lebendig” ist allerdings auch die Milch, was einen großen Einfluss auf den Geschmack hat. Ich persönlich kaufe, wenn ich die Gelegenheit dazu habe, ausschließlich Rohmilchkäse, weil mir der volle Geschmack beim Käse wichtig ist. Allerdings esse ich davon nicht ein Kilo auf einmal, aber ehrlich gesagt ist das bei allen anderen Dingen auch nicht anders.
Die zweite Kategorisierung ist diejenige, die sich auf den Hersteller selbst bezieht, und auch das steht meist auf dem Beschreibungsschild für den Käse. “Fermier” (= “bäuerlich”) ist ein Käse, wenn der Käser die Milch seiner eigenen Kühe verwendet hat, “artisanal” (= “handwerklich”) ist der Käse, wenn der Käser die Milch dafür bei den Bauern eingekauft hat, und “industriel” ist die Kategorie, bei der keine Beziehung zwischen beiden existieren muss. In der Realität ist es ganz häufig so, dass Fermier-Käse gleichzeitig lait cru verwenden und Industriel-Käse in aller Regel lait pasteurisé. Ausnahmen sind aber möglich. Dass ich am liebsten Fermier-Käse aus lait cru kaufe, ist damit zwar klar, aber ich kaufe auch gern die regionalen Spezialitäten, weil ich irgendwie einen gustativen Bezug zu der Region entwickeln möchte, in der ich gerade bin.
Jetzt aber zu dem, was das Jura käsetechnisch zu bieten hat.
Comté. Das ist wahrscheinlich der bekannteste Käse der Region. Dieser Kuhmilchkäse ist von einer AOC (oder mittlerweile AOP) geschützt, die Folgendes besagt:
- Als Herkunft sind Teile der Départements Jura, Doubs, Ain und ein kleiner Teil von Saône-et-Loire zugelassen.
- Die Milch darf nur von Rindern der Montbéliard-Rasse und Simmental française stammen.
- Das Futter darf nur aus den Pflanzen der Jurawiesen bestehen, Silofutter ist verboten.
- Die Reifezeit muss mindestens vier Monate betragen.
Das fertige Produkt besteht aus ziemlich großen und verflixt schweren Käserädern. Auf dem Foto oben seht Ihr einen 18 Monate lang gereiften Comté, denn ich mag ihn gern ein bisschen würziger.
Tome du Jura. Der Tome (oder Tomme) ist ebenfalls ein schnittfester Käse, deutlich weicher allerdings als der Comté. Die meisten der bekannten Tommes Frankreichs stammen aus Savoyen, also den französischen Alpen, aber der harte Schafskäse der Pyrenäen wird ebenfalls als “Tomme” bezeichnet (dann halt als Tomme de Brebis). All diesen Käsen ist gemein, dass sie aus Gebirgsregionen stammen. Mein Tome aus dem Jura war, wie Ihr vermutlich unschwer an der etwas exaltierten Rinde feststellen könnt, ein besonders charaktervolles Exemplar.
Morbier. Das ist der Käse mit der Ascheschicht in der Mitte. Oder vielmehr: Das war der Käse mit der Ascheschicht in der Mitte. Zu dieser Schicht gibt es auch eine Ge-schicht, die mittlerweile eher in die Kategorie der Legenden gehört, seinerzeit aber wirklich stimmte: Im Winter gaben die Kühe weniger Milch, und so reichte die Morgenmilch der Kühe nicht für einen ganzen Käse à la Comté aus. Also wurde sozusagen die untere Hälfte des Käses mit der Morgenmilch bereitet und in der Zwischenzeit Holzasche darauf gestreut, damit sich keine Kruste bildete und keine Keime eindringen konnten. Abends wurde dann mit der Abendmilch die obere Hälfte vollendet. Mittlerweile braucht Ihr nicht mehr zu befürchten, in knirschende Aschepartikel zu beißen, denn der Morbier wird praktisch ausschließlich aus Showeffekten mit einer pflanzlichen Schicht in der Mitte versehen. Morbier ist oft Industriel-Käse, und man muss schon wirklich hier vor Ort sein, um ein richtig tolles Exemplar zu bekommen.
Bleu de Gex. Blauschimmelkäse, aber nicht wie der Roquefort aus Schafsmilch, sondern wie der Fourme d’Ambert aus Kuhmilch. Gex ist ein kleiner Ort eigentlich schon jenseits des Jura unmittelbar an der Grenze zur Schweiz vor den Toren von Genf. Ich bin nach einer Veranstaltung in Genf mal mit dem Stadtbus bis dahin gefahren, aber außer dass die Berge direkt hinter dem Ort ansteigen, spürt man von der Blauschimmelei wenig. Der Käse wird auch meist in Wirklichkeit oben im Hochjura hergestellt. Ich mag an ihm gern die feinen Blauschimmeladern, die nicht grob und nicht scharf sind, sondern eher pikant-nussig.
Cancoillotte. Was ich vor unserem Aufenthalt in Dole noch nie so richtig wahrgenommen hatte – wahrscheinlich weil sie ein wenig abseits der großartigen Käseräder in Plastiktöpfen angeboten wird – ist die Cancoillotte. Es handelt sich auch gar nicht um “wahren” Käse, aber vermutlich hat die Cancoillotte in der Vergangenheit eine viel größere Rolle für die Ernährung der ländlichen Bevölkerung gespielt als “luxuriösere” Käse wie Comté. Für Cancoillotte wird nämlich Magermilchkäse (“Metton”, eine Art krümeliger Harzkäse) zusammen mit Butter geschmolzen. Er war leichter herzustellen, zumal aus Überbleibseln der Käseproduktion, und konnte auch mit allerlei Aromatisierungen versetzt werden, um das Abendessen ein wenig abwechslungsreicher zu gestalten. Mittlerweile gibt es Cancoillotte in einer Vielzahl von Varianten, und nicht jede davon findet auch mein Gefallen. Die oben abgebildete Version mit Sauerkirschen habe ich allerdings gewinnbringend für eine leicht gewagte Sauce zu dunklem Geflügel verwendet.
La Vache qui rit. Wer “Cancoillotte” sagt, muss auch “La Vache qui rit” sagen. Selbstverständlich sind wir hier weit weit entfernt von den Fermier-Käsen aus lait cru vom Anfang dieses Posts. Aber wenn man sich mit den Käseprodukten des französischen Jura beschäftigt, gehört die lachende Kuh einfach dazu – und sei es “nur” als Arbeitgeber für nicht wenige Menschen in dieser ökonomisch ansonsten eher dünnen Region. Die Schmelzkäsefirma aus Lons-le-Saunier ist nämlich vielleicht der einzige Industriebetrieb aus dem Jura, der wirklich erfolgreich in die Welt hinausgezogen ist. Ich selbst verbinde übrigens durchaus angenehme Erinnerungen mit “La Vache qui rit”, denn vor vielen Jahren auf Interrail (erinnert sich noch jemand an diese Einrichtung?) haben wir zu Baguette gern mal eine Sardinenbüchse geöffnet oder einen Schmelzkäse verspeist. Einfach wegen seiner Unverwüstlichkeit unter schwierigen Rahmenbedingungen.
Die richtig schönen Käse für diesen Artikel habe ich allerdings nicht im Supermarktregal erstanden, sondern in der Fromagerie Comtoise in Dole, wie erwähnt in der sehr schmalen Rue d’Enfer gelegen. Ein solches Käse- und Spezialitätengeschäft würde in einem weiter östlich gelegenen Land zu mannigfachen Huldigungen führen. Hier hingegen ist es nur ein weiterer Beweis für die Existenz der kleinen Freuden der französischen Provinz.
Habt Ihr schon gesehen, wo Beautyjagd heute unterwegs war? Es handelt sich um einen Ort, an dem meine Rolle in der Regel darin besteht, den Korb zu tragen. Was nicht besonders anstrengend ist, wenn es sich nicht gerade um fünf Flaschen mit Mizellenwasser handelt…
Pingback: Bonjour Provinz (18): Resumé im Café | Beautyjagd
Vielen Dank für diese wunderschöne Serie! Es hat Spaß gemacht, alle Beiträge zu lesen. Jetzt habe ich Lust, mal wieder nach Frankreich zu fahren …