Es gibt Jahre, an denen man das Gefühl hat, gar nicht so recht von der Stelle zu kommen. In denen das Ziel zwar einigermaßen bekannt ist, aber irgendwie immer noch viel zu weit weg erscheint, schier unerreichbar. Dabei merkt man gar nicht, dass man sich schon mitten im Anlauf befindet, die Ablaufmarke gut ausgemessen, Geschwindigkeit und Schrittlänge stimmen. Als ich gestern mit diesem Jahresrückblick begonnen hatte, dachte ich doch allen Ernstes, dass ich im Jahr 2014 irgendwie gar keinen Schritt vorwärts gemacht hätte. Gut, an dieser miesepetrigen Einschätzung mögen auch die letzten fünf Wochen mit ihren insgesamt elf Sonnenstunden Schuld gewesen sein, die Nürnberg mithin nur halb so viel Sonne beschert haben wie Reykjavik, der isländischen Hauptstadt nahe des Polarkreises. Es ist nämlich schon einiges passiert in 2014, was mir selbst hiermit bewiesen wird.
Ganz so, wie Ihr das von den Jahresrückblicken für 2010, 2011, 2012 und 2013 gewohnt seid, werde ich Euch also mit meinen im Verlauf des Jahres 2014 genossenen Favoriten in den Rubriken Wein, Bier, Essen und Momente beglücken, gefolgt von den ebenso zwangsläufig erlittenen Zitronen des Jahres. Damit aber nicht genug. Ich habe für dieses Jahr noch eine weitere Rubrik angehängt, die allerdings nur den verträumten Nerds unter Euch gefallen dürfte. Aber vielleicht gibt es ja mehr von Euch da draußen als ich denke. Lasst es uns also angehen.
Wein
Dass Weißweine von der Loire zu den allergrößten der Welt gehören können, das zeigen sie nicht immer. Manche von ihnen kommen seelenlos-technoid daher, andere sind so unsauber verarbeitet, dass man ihre wahre Größe nur mit extrem viel Wohlwollen bemerken kann. Zu letzteren – ich gebe es offen zu – hatten für mich in der Vergangenheit oft die Weine von Nicolas Joly gehört. Ich weiß, was dieser Mann für den Bekanntheitsgrad des biodynamischen Weinbaus alles geleistet hat, konnte mir aber innerlich die Bemerkung nicht verkneifen, dass er dieselbe Sorgfalt lieber auch mal in das Bereiten der eigenen Weine gesteckt hätte. Genau deshalb hat mich auch dieser Wein, sein Clos de la Bergerie 2007, komplett umgehauen: eine wahnsinnig reife, dichte, aber trotzdem von einer optimal ausgewogenen Säureader durchzogene Materie – und dazu nichts Raues, Braunes, Sumpfiges, einfach nur die pure Größe. Nicht ganz unwesentlich mag dabei gewesen sein, dass ich den Wein direkt beim Weingut gekauft und dann in meinem kleinen Automobil bis nach Franken transportiert habe, ohne Zwischenhändler und Sonnenlager.
Auch dieser Wein hatte keine Chance auf Lagerschäden. Ich habe ihn nämlich, gerade auf den Markt gekommen, nicht nur vor Ort gekauft, sondern auch direkt ins Glas fließen lassen. Das allerdings verteilt über eine ganze Reihe von Tagen, denn es handelt sich hier um einen Süßwein, und zwar um einen, den man hierzulande viel zu wenig kennt: den 2012er Jurançon Au Capcéu von Jean-Marc Grussaute, sprich Camin Larredya. Ein Königswein, ganz ohne Zweifel, und das nicht nur wegen seiner legendenhaften Verbindung zu Henri IV. Goldgelb, reif und dicht und wieder mit dieser wahnsinnig ausgewogenen Kombination aus Säure und Materie, die in diesem Fall noch bereichert wird von einer nie aufdringlichen Süße. Dieser Wein wird noch in 50 Jahren quicklebendig sein, was aber eher ins Reich der Konjunktive gehört, denn zumindest mein zweites, mit in den Keller genommenes Fläschchen wird dann bereits ausgetrunken sein.
Mein größtes und kompaktestes Weinerlebnis in diesem Jahr war ohne Zweifel die ProWein, die ich zum ersten, aber hoffentlich nicht zum letzten Mal besuchen durfte. Neben den seinerzeit komplett unfertigen Hefetrünken des Jahrgangs 2013 gab es dort auch eine Reihe von schlichtweg großartigen Weinen zu betrachten und zu probieren. Von manchen hatte ich tatsächlich noch nie etwas gehört, andere hingegen befanden sich schon seit geraumer Zeit auf meiner Wunschliste. Zu letzteren gehört der Schoenenbourg von Jean-Michel Deiss, ein wahrhaft komplexes Getränk. Es handelt sich dabei im Prinzip um den Saft aus 60-jährigen Rieslingreben aus der bekannten elsässischen Grand Cru-Lage. In Wirklichkeit aber sind bei diesem gemischten Satz auch andere Rebsorten mit enthalten, und der Wein spiegelt den Jahrgang so stark wider wie kaum ein zweiter. Der 2010er wurde extrem spät geerntet und ist geschmacklich noch auf der trockenen Seite (analytisch natürlich nicht). Frische und Erhabenheit strahlt er aus, und wer ihn jetzt schon öffnet, hat hoffentlich noch eine ganze Kiste davon für später.
Meine Rotweine des Jahres 2014 waren irgendwie nicht ganz auf demselben Niveau wie die Weißen. Das mag daran liegen, dass ich die ganz großen Dinger im Keller gelassen habe. Es ist aber auch so, dass ich eine zunehmende Schwäche für die kleinen, fruchtig-herb-säuerlichen Suffweine entwickle. Im nächsten Jahr werde ich versuchen, die (subjektiv) besten dieser Durstlöscher und Spaßmacher ausfindig zu machen, die noch dazu schonend bereitet werden. Dass alle drei Siegerweine oben aus biodynamischem Anbau stammen, ist jedenfalls kein echter Zufall. Zum Abschluss des Weinkapitels möchte ich noch mit dem Herrn auf dem Foto bekannt machen – respektive seinen Weinen: Die Domaine Danjou-Banessy aus dem Roussillon war für mich die rote Entdeckung des Jahres, ganz ganz feine Weine mit dem Herz des Südens. Nicht mehr so richtig günstig, aber großartig.
Bier
Eines meiner Biere des Jahres hatte schon geraume Zeit bei mir im Keller verbracht. Ehrlich gesagt wusste ich gar nicht mehr, ob es überhaupt noch “gut” war, denn die Cuvée des Jonquilles, das Osterglocken-Bier also, hörte sich für mich doch eher nach einem schnell im Frühjahr zu verbrauchenden Obergärigen an. Aber weit gefehlt, die Zeit seit dem Ablaufdatum hatte sogar noch für das Bier gespielt: komplex, nussig und mit der ausgewogenen Stärke eines Getränks, das neben flandrischen Gerichten wie Carbonade oder Potjevleesch nicht untergeht. Das wahrscheinlich beste belgische “Saison” kommt von De Ranke, heißt Saison de Dottignies und ist etwas für Fortgeschrittene: eine obergärige Mischung aus dem kleinen Westvleteren, einem amerikanischen IPA, dazu leichte (und gewollte) Brett-Noten: würzig, hopfig, ebenfalls für kräftigere Gerichte geeignet. Auch das dritte Bier in dieser Kategorie ist kein gewöhnliches Gebräu, zudem noch kurz vor Schluss auf den Zug aufgesprungen: Es handelt sich um die Winterweiße der Brauerei Blauer Löwe in Höchstadt/Aisch. Frühere Sude kamen mir gar nicht so genial vor, in diesem Jahr ist ihnen aber die Quintessenz des dunklen und starken Weizens gelungen.
Essen
Das “Foodcamp Franken” habe ich leider verpasst, weil ich woanders einen Termin hatte. Ob es nur daran liegt, dass ich meine besten Esserlebnisse ausschließlich bei der heimatfernen Küche hatte?
Taklamakan, München. Das erste Esserlebnis in dieser Reihe ist eigentlich nur auf indirekte Weise weit entfernt. Das uigurische Restaurant Taklamakan befindet sich nämlich unmittelbar am Hauptbahnhof von München auf der südlichen Straßenseite. Frequentiert sowohl von Einpendlern nach München als auch von einer weit gefassten zentralasiatischen Community, ist dies einer der Orte, die mich in ihrer Gesamtheit aus Ambiente und Essen wahrhaftig in Erstaunen versetzt haben.
Les Papilles Insolites, Pau. In Pau, der Départementshauptstadt im Südwesten Frankreichs, gibt es einen einzigen Ort, den man als “cool” im urbanen Sinne bezeichnen könnte, und das ist dieses Vins-Naturels-Restaurant. Schon die Weinkarte besitzt eine große Anzahl an interessanten Posten. Auf der Mittagskarte kann dann man aus je vier Vor-, Haupt- und Nachspeisen wählen, bei denen es keine Regel gibt außer dem Spaß am Kochen mit guten Zutaten. Besonders geschmeckt hat mir der Gang auf dem Bild oben, eine französisch-japanische Mischkreation: Tataki de Thon blanc, Tempura de Trébons, Sarasson. Soll heißen: marinierter und kurz angebratener weißer Thunfisch, Trébons-Zwiebel im Frittierteig, Weißkäse mit Kräutern.
Keishindo, Nagoya. Bevor ich zum ersten Mal in Tokio war, hatte ich japanische Cracker unter der Rubrik “trockenes Sesam-Salz-Zeug” abgespeichert. Wie schön, wenn man mal wieder so richtig umfassend widerlegt wird. Die Firma Keishindo besitzt einen eigenen Kutter, mit dem sie die Shrimps für ihre Cracker aus dem Meer holen. Rechts seht Ihr die “Sweet Shrimps” (Ama-ebi) von der Westküste der Insel Hokkaido, links die “Red Shrimps” aus den Buchten von Ise und Mikawa. Anschließend wird alles in reiner Handarbeit auf Blechen gebacken. Die Intensität des Geschmacks ist unvergleichlich. Ich Unglücksrabe hatte mir nur eine einzige Packung aus Japan mitgenommen und muss nun wieder crackerfrei ausharren bis zur nächsten Reise.
Sushi, Daimaru. Sushi ist – eine Binsenweisheit – nicht gleich Sushi. Da gibt es zum einen Maki-Röllchen mit Gurke und Mayonnaise, wenn ich an den Lieferservice in der Nachbarschaft denke. Und es gibt das hier. Rechts seht Ihr den “Hotaru-ika” genannten Leuchtkalmar, in der Mitte “Sakura-ebi”, Kirschblüten-Shrimps, und links bin ich mit meinem Latein am Ende. Es dürfte sich um ein größeres Exemplar aus der weitläufigen Familie der Venusmuscheln handeln. Diese kleinen Köstlichkeiten hatte ich mir von einem Stand im Daimaru in der Tokyo Station mitgebracht, nachdem ich fand, dass normaler Fisch mir an diesem Tag zu langweilig sein würde.
Kam Fai, Lei Yue Mun. Wer in Hong Kong einmal das Gefühl haben möchte, gleichzeitig in einem südostasiatischen Stelzendorf, in der größten Zoohandlung der Welt für Meeresgetier und in einem dicht gedrängten Restaurant-Suq zu sein, der sollte den Stadtteil Lei Yue Mun besuchen. Unzählige Restaurants und genauso viele Fischhändler mit Aquarien haben sich in zwei verschachtelten und überdachten Gässchen angesiedelt. Man sucht sich zunächst einen Platz im Restaurant und wählt dann aus den Meerestieren und den angebotenen Zubereitungsarten aus. Fragt aber immer nach dem Preis des Getiers, denn trotz des einfach wirkenden Ambientes gibt es hier vom Tintenfisch bis zur Luxus-Königskrabbe einfach alles. Dinge, die Ihr noch niemals gesehen habt, eingeschlossen.
Momente
Weil ich meine besten Momente des Jahres chronologisch halten möchte, fange ich mit dem Ereignis des Spätwinters an: meinem ersten Besuch der ProWein in Düsseldorf. Was für die “Professionellen” unter Euch ein anstrengender Pflicht-Geschäftstermin ist mit hoffentlich nutzbringenden Kontakten, war für mich zwar auch anstrengend, aber ansonsten nur eins: Kür, Kür und nochmals Kür. Ich konnte mich ausschließlich auf das fokussieren, was mich interessierte und mit den Menschen sprechen, von denen ich (zu Recht) annahm, dass sie etwas zu sagen hätten. Ich konnte spüren, dass diese Menschen (so wie ich) hier waren, weil sie für eine Sache brennen, ganz gleich, woher sie kommen und wie prestigeträchtig und teuer ihre Produkte sind. Insofern ist mein persönlicher Favoriten-Rundgang auf der ProWein für mich so spannend gewesen wie als Kind das Stöbern auf dem Dachboden meiner Großeltern.
Wie Ihr sicherlich nicht wisst, habe ich einige Kilometer von Nürnberg entfernt ein Ausflugsziel entdeckt, das meinen Bedürfnissen entgegen kommt. Es handelt sich um ein waldumkränztes Plateau mit Feldern und Wiesen, an sich flach, unspektakulär und ohne große Aussicht. Was es für mich so besonders macht, ist deshalb auch weniger das Spektakuläre, als vielmehr die Tatsache, dass dieser Ort bis auf die gelegentlich auf den Feldern arbeitenden Landwirte komplett menschenleer ist. Ihr müsst wissen, dass ich die Anwesenheit fremder Menschen als nachhaltige Störung meines Naturerlebnisses auffasse. In der Stadt liebe ich es, an den wimmeligsten Orten zu sein, aber in Feld und Wald möchte ich einfach nur Pflanzen, Tiere, Wind und Wolken sehen, riechen und hören. Zwei Stunden dauert so eine Spazierrunde um das Plateau herum, der Zustand seelischen Gleichgewichts danach noch weitaus länger. An einem Frühlingstag, die Bäume waren noch ohne Blätter und das Gras platt und bräunlich, habe ich mich dabei in einer geschützten Ecke auf meine Jacke gelegt und im T-Shirt in die Sonne geblinzelt. „Da bist du ja endlich wieder“, habe ich zu ihr gesagt und mich auf das kommende halbe Jahr mit ihr gefreut.
Die Kirschblüte in Japan ist ein legendäres Ereignis, das über Jahrhunderte viele Bücher, viele Erzählungen und seit einiger Zeit ebenso viele Selfies in den sozialen Medien gefüllt hat. Es ist also weder wirklich exklusiv noch auf irgendeine Art kontemplativ, denn träumerische Ruhe kommt bei den begeistert fotografierenden Massen natürlich nicht auf. Dennoch: Die blühenden Kirschbäume im Shinjuku-gyoen sind vielleicht das Schönste, was ich je in meinem Leben gesehen habe. Das empfinden auch alle anderen so, weshalb man das Glücklichsein wirklich mit den Händen greifen kann. Und wenn Ihr auch schon tausend Fotos davon gesehen haben solltet (so wie dieses hier), so richtig verstehen kann man alles erst, wenn es um einen selbst herum stattfindet. Natürlich will ich wieder hin.
Als es klar war, dass ich einen Artikel im Falstaff über wurzelechte Mischsätze in Franken schreiben würde, wollte ich das selbstverständlich nicht nur vom Bürostuhl aus tun, sondern alles vor Ort sehen, mit den Menschen sprechen, die Rebstöcke selbst sehen. Bei dieser Gelegenheit war ich auch mit Hartmut Scheuring in seiner hundert Jahre alten Rebanlage im Steinbacher Nonnenberg im Maintal zwischen Bamberg und Schweinfurt. Natürlich spielen bei einem solchen Erlebnis auch immer andere Faktoren eine Rolle wie ein prächtiges Wetter oder ein schwungvoller Gastgeber. Aber irgendwie dachte ich gleich beim Einstieg in den Weinberg (als ich das Foto oben machte), dass dies so ungefähr meine Traumvorstellung vom romantischen Weinbau ist. Vielleicht könnt Ihr das ja nachvollziehen. Spontan kam mir der Gedanke, dass diese unbekannten, heimlichen Orte exakt mein Ding sind, genau das, worüber ich im Weinkontext berichten möchte. Und ich bin mir sicher, dass daraus auch noch etwas wird, nur nicht – Ihr könnt es Euch denken – im Jahr des Anlaufs, 2014.
Beruflich bedingt musste ich dieses Jahr oft nach Malta, was sich für Außenstehende seltsam anhört, denn allgemein wird ja davon ausgegangen, dass man auf Malta nicht arbeitet, sondern nur Urlaub macht. Genau dieser offenbar unvereinbare Begriffsgegensatz geht mir ziemlich auf die Nerven, wohnt ihm doch eine Grundeinstellung inne, die besagt, dass „Arbeit“ immer Qual bedeuten muss und „Urlaub“ immer gedankenloses Ausspannen. Als ich mein mobiles Büro auf dem oberen Foto zum ersten Mal betreten durfte (in dem ich dann tatsächlich einen total seriösen Bericht geschrieben habe), rief mein vereinigtes Reise-Arbeits-Ich mir sofort zu: „Das ist es, was ich gemeint habe!“ So oder so ähnlich will ich es zukünftig in der Tat haben. Ich bin nämlich nicht deshalb weniger fleißig oder kreativ, weil meine Umgebung interessanter und schöner ist.
Am Ende des Tages stehe ich dann da und sinniere, diesmal weder genau beobachtend noch stringent planend. Unter mir die Planken der Avenue of Stars in Tsim Sha Tsui, vor mir die kontrastreich heller werdenden Lichter der Wolkenkratzer von Hong Kong und um mich herum die große Welt.
Schmetterlinge
Bei meinem ersten Tokio-Besuch im letzten Jahr hatte ich gesehen, wie detailverliebt die Japaner ihre Umgebung betrachten. Ausgestattet mit großen Objektiven, Sonnenhüten und Knieschonern kauern da selbst achtzigjährige Männer und Frauen am Boden, um kleine Insekten, Blüten, Zugvögel oder auch den Fuji auf eine Art und Weise abzubilden, wie sie der Gestalt des Abgebildeten am besten entspricht. Das gab es übrigens möglicherweise schon immer, wenn man an Hokusais „1.000 Ansichten vom Meer“ oder an seine vom Umfang her geringere, aber ungleich berühmteren „36 Ansichten des Berges Fuji“ denkt. So etwas Ähnliches wollte ich auch machen. Also habe ich mir ein ziemlich teures Objektiv gekauft, und da ich das Meer so selten sehe und den Fuji überhaupt nicht, habe ich mir ein Fotoobjekt ausgesucht, das gleichzeitig vielfältig ist, naturräumlich und jahreszeitlich wechselnd und dazu noch ein wenig versteckt, so dass der Weg der Suche schon ein Teil des Ziels ist. Es sind …Schmetterlinge, die auf einem kulinarischen Blog natürlich nichts zu suchen haben (weshalb ich Euch damit bislang auch nicht behelligt habe), die für mich selbst allerdings, egal ob auf Reisen oder vor der Haustür, im Jahr 2014 nicht unwesentlich gewesen sind.
Der erste Schmetterling, den ich fotografiert habe, war ein Tagpfauenauge, weit weg an einer Pfütze sitzend. Als ich bei meinen Eltern zu Besuch war, hatte ich schon eine ganze Reihe der „gewöhnlichen“ Arten beobachtet, in der Regel aber nur im mittelfränkischen Hügelland. Jetzt wollte ich schauen, was ein Mittelgebirge wie der Harz zu bieten hatte. Der Tag war dafür aber nur mäßig geeignet, alles tropfte noch von dem ewigen Regen des Vortags. Als die Sonne endlich wieder hervorkam, hatte sie sich auf einmal auf den Blüten und Gräsern um mich herum mit kleinen, orangefarbenen Punkten gespiegelt. Der Dukatenfalter, den ich nie zuvor bewusst gesehen hatte, ist so unglaublich leuchtend gefärbt, dass man fast glaubt, der liebe Gott hätte hier am Tag der Schöpfung mit dem Bildbearbeitungsprogramm ein wenig übertrieben.
Vielleicht zehnmal war ich in diesem Jahr auf dem Plateau unterwegs, von dem ich Euch weiter oben beim Sonnenblinzelfoto schon geschrieben hatte. An diesem Tag am Ende des Sommers hatte ich allerdings kaum Hoffnungen, irgendwo Schmetterlinge zu entdecken. Die Periode davor war schrecklich kalt und nass, und zusätzlich pfiff ein heftiger Wind über die Felder. Ganz am Rand der Ebene fand ich ein winziges Stückchen Waldwiese, das nicht nur durch ein Gebüsch windgeschützt war, sondern auf dem auch wie durch ein Wunder die einzigen Sonnenstrahlen seit Tagen durch ein Wolkenloch fielen. In dieser Mikrowelt flogen tatsächlich immer noch ein paar Bläulinge, und sogar so schöne und große wie der Silbergrüne Bläuling auf dem Foto.
Natürlich war ich schmetterlingstechnisch ein wenig aufgeregt, als es im Oktober nach Hong Kong ging, hatte ich doch noch nie zuvor in einem subtropischen, geschweige denn einem tropischen Land nach Schmetterlingen Ausschau gehalten. Bei meinem ersten Besuch des Hong Kong Parks war es schon soweit: Am Schattenwurf auf dem Boden nahm ich einen Vogel wahr, der offenbar ohne eine Bewegung seiner Schwingen durch die Wipfel segelte. Es war aber gar kein Vogel, sondern ein Schmetterling, der so groß und so schnell war wie ein Vogel, der sich aber immer nur im Bereich der Baumspitzen aufzuhalten schien. Bestimmt 20mal huschte der Schatten durch die Bäume, nie konnte ich den Schmetterling beobachten, geschweige denn fotografieren. Als ich den Park schon wieder verlassen wollte, kam ich an einer roten Blüte vorbei, die offenbar – welch Wunder – gleichzeitig auch der riesige Schmetterling entdeckt hatte. Ganz kurz nur flatterte der Great Mormon herbei, aber das genügte, um einmal über den Auslöser zu wischen und mich glücklich und schwingenden Schrittes wieder ins Getümmel der Hochhausschluchten zu entlassen.
Zitronen
Bei den Zitronen des Jahres möchte ich mit einem Wein beginnen, der sich zwar nicht auf Tetrapack-Niveau befand, aber wie es der Burgund-Winzer geschafft hat, aus so einem großartigen Jahrgang wie 2005 eine derart dünne, säuerliche und abschreckende Plörre zu bereiten, wird mir ewig rätselhaft bleiben. Ein Glück, dass mich die Antwort auf dieses rhetorische Rätsel auch gar nicht interessiert. Leider muss ich zugeben, dass unter den ganzen schönen und süffigen fränkischen Landbieren, die ich getrunken habe, auch zwei Exemplare waren, die mich weniger begeistern konnten. Das eine explodierte noch im Kasten und richtete in der Küche eine riesige Sauerei an aus Bierblubber und Glassplittern, in die ich barfuß natürlich auch noch gestiegen bin. Das andere war schlichtweg über den Jordan. Das schlechteste Essen des Jahres habe ich groteskerweise in einem Kloster auf einer Insel nahe Hong Kong vorgesetzt bekommen. Mit der Alukelle direkt in den Napf, was schon mal Skepsis aufkommen ließ. Das Essen selbst war von einer verblüffenden Fadheit, die ich auf diese selbstkasteiende Art noch selten erlebt habe. Der schlechteste Moment war dagegen zwar auch unerfreulich, aber nicht wirklich fürchterlich. 2014 war auch das Jahr der Abwesenheit von Unglück, und so hat mich die Ankündigung, dass ich sowohl im Juni als auch im September aus übergeordneten Gründen Urlaubssperre hatte (und somit nicht, wie sehnlichst gehofft, zelten fahren konnte), schon genervt, aber das wurde letztlich durch die überraschend nette Woche in der Hütte im Béarn irgendwie halbwegs ausgeglichen. Alles andere wäre auch Jammern auf Snob-Niveau.
Fazit
Bleiben Fazit und Ausblick, respektive das, was ich derartig im Jahr 2014 gelernt habe, dass ich es künftig zu meiner Maxime machen möchte (gut, ich sollte mir meine Rückblicke selbst auch mal öfter durchlesen, um mich daran zu erinnern). Fazit I war die Erkenntnis, die mir beim Plaudern mit dem netten englischen Paar auf dem Foto oben gekommen ist. Die beiden sind einfach nach Frankreich ausgewandert, ausgestiegen, oder wie man das auch sagen will. Jedenfalls arbeitet sie mittlerweile als Englischlehrerin und er als Bierbrauer. Als ich ihn gefragt habe, wie denn die Integration vonstatten gegangen sei, meinte er nur, “surprisingly well”. Gemeinsam haben wir auch einen der wichtigen Gründe herausgefnden, weshalb das so gut geklappt hat: Er braut und verkauft nämlich Bier, und das ist etwas (wie eigentlich bei jedem Kulinarik-Handwerker), was des Menschen Herz erfreut. Alle potenziellen Kunden also, die zu ihm gekommen sind, waren in gespannter und freudiger Erwartung. Erkenntnis: Tue etwas, das die Menschen glücklich und zufrieden macht, dann werden sie dich schon allein deshalb mögen.
Fazit II ist ein Zitat, das mir spontan durch den Kopf geschossen ist, als ich den Herrn auf dem oberen Foto in Ueno fotografiert habe: “Alles ist nichts ohne Liebe.” Agape in ihrer weiten Auslegung. Das kann ich jetzt versuchen, lang und breit zu erläutern, ich kann es aber auch einfach so stehen lassen. Dies möge jedenfalls mein Motto für 2015 sein.
Wundervoll, ich wünsche viel Erfolg hierbei in 2015. Mein Top ist übrigens derzeit ein Rosé, den ich gestern in meiner Gartenhütte vor dem Frost rettete. Ich gewann ihn im letzten Jahr als einen von drei mir geschickten Flaschen vom einem Demeter-Weingut, es nennt sich “Im Zwölberich” und kann ihn empfehlen. Als “Sommerfrisch” bezeichnet tut er auch im Winter gutes. Zum Wohl. 🙂
(Werbefrei gemeint, ich wohne in Frankfurt am Main und stehe in keiner Beziehung zu genanntem Weingut)
*ein “ich” fehlte noch, Entschuldigung. Guten Rutsch. 😀
Ebenso einen guten Rutsch (funktioniert ja derzeit ziemlich gut 😉 )!
Lieber Matze, vielen Dank für die abwechslungsreichen Momente, für die du mit deiner Arbeit 2014 gesorgt hast. Der “romantische Weinbau” geht 2015 in die nächste Phase. Ich konnte nämlich nicht zulassen, dass ein weiteres altes Terrassenstück im Steinbacher Nonnenberg gerodet wird. Ich hoffe, dass die über 40jährigen Silvaner- und Schwarzrieslingreben mir wohlgesonnen sind – und natürlich wünsche ich mir, dass du sie dann bei mir probieren kommst.
Alles Gute für 2015!
Dir auch alles Gute! Das hört sich ja wirklich sehr vielversprechend an, da komme ich gern vorbei! Schwarzriesling gefällt mir als Rebsorte eh – wenn er schön herb ist 😉
Pingback: Ausblick auf 2016 | Chez Matze
Pingback: Doch gar nicht so schlecht: mein Jahr 2016 | Chez Matze
Pingback: Die gute Primzahl – meine Tops des Jahres 2017 | Chez Matze