Wie Ihr vielleicht wisst, wenn Ihr diesen Blog schon eine Weile verfolgt, habe ich einen Monat meines Lebens in Istanbul verbracht. Das ist einerseits nicht viel, und vielleicht kann der eine oder die andere von Euch auf eine jahrelange Istanbul-Erfahrung zurückblicken. Es ist aber auch nicht wenig, denn meistens kommen Touristen nur für eine sehr kurze Zeit in diese Stadt. Eine viel zu kurze Zeit, in der dann Blaue Moschee, Hagia Sophia und Großer Basar auf dem Programm stehen, und plopp, sind sie schon wieder draußen aus der Kulisse. Mein Istanbul-Monat (übrigens einer der besten, die ich je erlebt habe) hatte da natürlich eine ganz andere Tiefe anzubieten.
Logischerweise – das kennt Ihr vielleicht selbst – wird es dadurch aber auch immer ein bisschen schwierig, wenn man für einen kürzeren Aufenthalt an einen solchen Ort zurückkommt, mit dem man so viele Erlebnisse verbindet. Eigentlich möchte ich ja etwas Neues entdecken. Aber dann gibt es natürlich auch all die tollen Dinge, die ich schon kenne, die ich aber auf keinen Fall übergehen kann. Hier folgen also meine zwölf (kulinarischen) Pflichten für jeden Istanbul-Besuch, gerade noch einmal nachgetestet. Je kürzer übrigens der Besuch ausfällt, desto besser muss ich mich vorbereiten. Körperlich. Beispielsweise nicht bereits mit vollem Magen anreisen.
(Wer sich für meinen Istanbul-Monat interessiert, dem sei empfohlen, in der Stichwortwolke unten einfach auf “Istanbul” oder “Türkei” oder auch “türkischen Wein” zu klicken. Ich hatte es zum Beispiel fertiggebracht, einen ganzen Steinbutt in der Pfanne zu braten. Oder aber ein Istanbuler Streetfood-Alphabet aufzustellen.)
Diesmal empfing mich Istanbul mit einem steingrauen Himmel und eisigem Wind aus östlichen Steppenlandschaften. Istanbul im Winter, das kann nun einmal Schneegestöber bedeuten oder auch Sonnenschein bei 16 Grad. Die gute alte osmanische Tradition besagt dabei, dass Fenster ruhig große Ritzen aufweisen dürfen, denn ein geschickter Zimmermann kann Fenster und Wintergärten prima mit einer ausgeklügelt zugeschnittenen Holzverkleidung abdichten. Zimmermann heißt übrigens “Dülger” auf Türkisch, was auch der Name eines Fisches ist. Aber davon beim nächsten Mal mehr.
Erste Pflicht: Menemen
Sollte es dann überraschenderweise nachts doch ein wenig kühl im Zimmer gewesen sein, empfiehlt es sich, den Morgen gleich mit einer anständigen Energiezufuhr zu starten. Für mich gibt es da nichts besseres als Menemen, Rührei mit Tomaten, Paprika und am besten noch angebratenen Wurstscheiben, das Ganze gut gewürzt und heiß. Kein echter Geheimtipp, aber mein persönlicher Favorit für ein solches Frühstück: das Lades in Beyoğlu. Ohnehin ist meine Empfehlung, in Beyoğlu oder gar in Kadıköy zu übernachten und den touristischen Bezirk in Sultanahmet nur per Straßenbahn zu besuchen. Ihr werdet Euch garantiert viel istanbuliger fühlen.
Zweite Pflicht: Muhallebi
Lasst Euch keinesfalls von schlecht informierten Vorurteilsratgebern beeinflussen, die nicht müde werden zu wiederholen, dass türkische Süßspeisen “wahnsinnig süß” und “nichts für den europäischen Gaumen” seien. Das Sakızlı Muhallebi beispielsweise, eine Milchspeise mit Mastixharz, Pistazien und einem “angebrannten” Teil des Pfannenpuddings, hat ohne Übertreibung Sternequalität. In der Form wie oben zu haben im Saray auf der Istiklal Caddesi.
Dritte Pflicht: Pistazienschokolade
Schokolade ausgerechnet in der Türkei kaufen zu wollen, das hört sich zunächst so ähnlich an, als würde ich Euch ein Weingeschäft auf Island empfehlen wollen. Aber lasst Euch nicht täuschen, es gibt mittlerweile ein paar Hersteller von Rang. Der beste davon heißt Zambo und verkauft seine Tafeln in einem leicht zu übersehenden Kiosk direkt in der Istiklal Caddesi. Auch wenn es hier zumindest im Winter eine größere Auswahl an Produkten gibt, eines davon lege ich Euch wirklich ans Herz: die Milchschokolade mit Pistazien. Zum einen besitzt sie den höchsten Anteil ganzer Pistazien aller Anbieter (nämlich 30%), zum anderen schmeckt die Schokolade auch am besten – und ich habe wirklich zehn verschiedene Pistazienschokoladen probiert. Interessant finde ich, dass in deutschen Supermärkten weiterhin die sogenannten “kalifornischen” Pistazien verkauft werden, die mich eher an bröseligen Pappkarton erinnern. Die türkischen Antep Fıstığı sind derartig viel geschmackvoller (diese hier zum Beispiel), dass man denken könnte, es handele sich um eine völlig andere Nussart.
Vierte Pflicht: Kestane
Da wir gerade schon bei den Nussartigen sind, einen winterlichen Besuch Istanbuls kann ich mir ohne ein Papiertütchen mit Kestane (also Maroni) gar nicht mehr vorstellen. Alle Kestane-Männer besitzen ein historisches Wägelchen aus den Beständen der Stadt und bewegen sich am späten Vormittag nach und nach an ihren Arbeitsort. Auch das Bezahlen erfolgt nach alter Art mit Hilfe einer zweischaligen Waage. Einen bestimmten Ort für den allerbesten Kauf kann ich Euch dabei nicht nennen: Überall dort, wo viele Menschen sind, ist ein Kestane-Bräter nicht weit.
Fünfte Pflicht: Türkischer Wein
Winzer und Weinhändler haben derzeit in der Türkei keinen leichten Stand. Die Steuern sind grotesk hoch, zudem wurde die Werbung in allen Medien verboten. Das führt zu der grotesken Situation, dass der unbedeutende Blog “Chez Matze” bei einer Google-Suche oben steht, während der Produzent erst auf Seite 3 erscheint. Auch das Sensus, an der Seite des Hotels Anemon gelegen und im Internet noch unter der Bezeichnung “Şarap Butiği” (= Weinhandlung) geführt, darf mittlerweile keine Weinflasche mehr zum Mitnehmen verkaufen. Aber an Ort und Stelle verkosten, das geht nach wie vor. Ansonsten möchte ich hier nochmals auf meinen “Standard-Artikel” zum türkischen Wein von vor drei Jahren verweisen. Die Situation hat sich nur wenig geändert.
Weine habe ich in Istanbul trotzdem gekauft, und zwar sortenreine Produkte aus den Rebsorten Kuntra, Karalahna, Misket und Boğazkere. Schade, dass es so schwierig ist, hierzulande an die (meiner Meinung nach) interessantesten türkischen Weine aus Thrakien und von der Ägäis-Insel Bozcaada heranzukommen.
Sechste Pflicht: Frischer Fisch
Istanbul liegt nicht einfach nur am Meer. Istanbul ist eine Stadt, durch die das Meer fließt. Die je nach Jahreszeit unterschiedlichen Temperaturen, Nährstoffe und Salzgehalte zwischen Mittelmeer und Schwarzem Meer bringen es mit sich, dass sich fast ständig Schwärme verschiedener Fischarten durch den Bosporus zwängen. Auch wenn der Fischreichtum durch das wenig ressorcenschonende Abfischverhalten deutlich abgenommen hat, kann man die Angler auf der Galatabrücke immer noch dabei beobachten, wie sie Sardellen und Barsche aus den Fluten ziehen. Hier unten beim Fischmarkt von Karaköy könnt Ihr in wenig luxuriösem Ambiente unter Zeltplanen ultrafrisch gebratene Fische bekommen. Dabei hilft es natürlich ein wenig zu wissen, welcher Fisch eigentlich wie heißt und wie schmeckt, und zu welcher Jahreszeit er am besten ist. Infos darüber folgen demnächst auf diesem Blog – ich bin dabei, einen kleinen Kalender zu basteln. Bis dahin nur so viel: Die Makrelensaison (Uskumru) ist vorbei, Lüfer (Blaufisch) läuft langsam aus, Levrek (Seebarsch, am besten olta = geangelt) kommt jetzt in Fahrt.
Siebte Pflicht: Wintergetränke
Natürlich trinke auch ich in Istanbul am häufigsten Tee, gefolgt von Wasser, aber gerade im Winter ist es ganz angenehm, auch ein wenig energiereichere Getränke zu sich zu nehmen. Eines davon ist Sahlep (links auf dem Foto), ein heißes Milchgetränk, dessen namensgebender Bestandteil ein Pulver aus den Wurzelknollen verschiedener Erdorchideenarten ist. Schmeckt ein bisschen wie Vanillepudding. Rechts auf dem Bild befindet sich Boza, eine kalte, tja, eher Löffelspeise als Getränk, die aus vergorenem Getreide hergestellt wird. Mich erinnert es auch geschmacklich an leicht bizzelndes Apfelmus, gekrönt von gerösteten Kichererbsen. Ihr solltet beides versuchen, am besten in einem der traditionellen Cafés, das ist für mich nämlich das ganz alte Istanbul. Wie das Café hieß, in dem ich das Foto oben gemacht habe, weiß ich nicht mehr genau, aber es war in der Nähe des Mısır Çarşısı, des Gewürzbasars in der Nähe der Galatabrücke.
Achte Pflicht: Türkischer Mokka
Ganz in der Nähe, nämlich in der Hasırcılar Caddesi, befindet sich das Stammhaus von Mehmet Efendi, der vielleicht bekanntesten Kaffeerösterei Istanbuls. Zuerst war ich ein wenig abgeschreckt von der langen Schlange vor dem Laden, aber die Jungs hinter der Theke arbeiten mit einer so unglaublichen Geschwindigkeit, dass allein das Abfüllen der Kaffeepackungen eine Sehenswürdigkeit für sich ist. Das Kaffeepulver besteht übrigens aus extrem fein gemahlenen Arabica-Bohnen aus Zentralamerika und ist – anders als beim “arabischen Kaffee” – nicht mit Kardamom aromatisiert.
Neunte Pflicht: Kokoreç
Vielen Menschen müsste ich wahrscheinlich erklären, was Kokoreç eigentlich ist und warum ich es sofort nach meiner Ankunft in Istanbul essen musste. Vielen anderen jedoch nicht, denn zu meiner eigenen Überraschung wurden meine beiden bisherigen Kokoreç-Artikel (eins und zwei) bislang fast 10.000mal gelesen. Es scheint da draußen durchaus den einen oder anderen Kokoreç-Liebhaber zu geben. Wenn Ihr auch wissen wollt, worum es sich handelt, klickt einfach auf die Links und reiht Euch als Leser Nr. 10.001 ein. Gute Orte für den Kokoreç-Genuss sind beispielsweise der Balık Pazarı in Beyoğlu, das obere Ende der Gatip Dede Caddesi oder (am konzentriertesten) die Muvakkıthane Caddesi in Kadıköy.
Zehnte Pflicht: Sucuk-Dürüm
Ganz ähnlich wie beim Kokoreç, werden die Imbissstände auf der Südseite des Taksim gern etwas später am Tag aufgesucht. Kebapspieße gibt es hier en masse, aber nur einer besitzt einem Spieß mit Sucuk – würziger Knoblauchwurst. “Çılgın Dürüm“, also in etwa “die verrückte Brotrolle”, so nennt sich der Stand. Natürlich trieft der Spieß vor der Bude ganz erheblich, aber wer einmal ein Sucuk-Dürüm gegessen hat, wird sich ganz unwillkürlich fragen, warum es denn in Deutschland keinen solchen Sucuk-Spieß gibt. Schmeckt mir ehrlich gesagt besser (weil würzig-pikanter) als ein gewöhnlicher Döner.
Elfte Pflicht: Bosporus-Überfahrt
Die elfte Pflicht hat nichts mit Essen zu tun. Sie muss zumindest nichts damit zu tun haben, denn natürlich gibt es auf den Bosporus-Fähren auch kleine Snacks, Tee und (zumindest jetzt im Winter) Sahlep. Ich rate Euch jedenfalls dringendst dazu, egal wie lange Ihr in Istanbul sein mögt, in jedem Fall eine Fahrt mit einer der Bosporus-Fähren zu machen. Von Karaköy oder Eminönü geht es entweder nach Üsküdar oder nach Kadıköy. Dort angekommen, könnt Ihr eine kleine Runde über den jeweiligen Markt drehen (Kadıköy ist touristisch “erschlossener” und voller, Üsküdar dafür “ursprünglicher”), einen Tee trinken, einen Fisch essen und wieder zurückfahren. Das Ganze kostet mit Istanbulkart oder Akbil umgerechnet keine 2 € und ist an Deck oder am Fenster schlichtweg umwerfend – mitfliegende Möwen, querende Frachtschiffe, Blick auf Brücken, Hügel und Moscheen inklusive.
Zwölfte Pflicht: Müßiggang am Wasser
Istanbul die Fiese hat mir Eiseskälte, Wind und Nieselregen offeriert. Ausgerechnet am Abfahrtstag scheint die Sonne jedoch aus allen Knopflöchern. Unten am Fähranleger von Karaköy zu stehen, in die Sonne zu blinzeln und den Möwen zuzuschauen – das alles schafft eine Atmosphäre, die nur eine Aussage zulässt: “Ich will hier jetzt nicht weg!” Muss ich aber doch. Zum Glück gibt es von vielen deutschsprachigen Flughäfen aus Direktverbindungen nach Istanbul. Eine tröstliche Tatsache, denn noch einmal drei Jahre Pause bis zu meinem nächsten Istanbul-Trip möchte ich ganz sicher nicht haben.
Wunderschön… habe gemerkt dass ich Istanbul auch vermisst habe.
Was ich in Istanbul in jedem Besuch mache ist auch Kokorec, Midye Tava (frittierte Miesmuschel) und Midye dolma- Gefüllte Miesmuschel.
Hat mich ein bisschen gewundert dass Du die Muschel nicht erwähnt hast weil die beiden für mich irgendwie zusammen gehören;)
Die paar Metal/Rock clubs sind für mich persönlich dann ein weiteres Muss.
Ich hatte ungefähr dreimal so viele Fotos zur Auswahl, nachher wären das noch 36 Pflichten geworden 😉 . Aber Du hast natürlich Recht, ich habe Midye Tava bei Mercan Kokorec gegessen, aber in Kadiköy bei Dicle waren sie noch besser (die haben auch ein Fischgeschäft auf dem Markt). Midye Dolma habe ich wenigstens fotografiert…
A propos Rock, da fällt mir auch wieder was ein. Ich wollte mal für jemanden ein bisschen was “Rockigeres” kaufen, also Rock mit ganz kleinem “r”, eher sowas wie Teoman. Mein CD-Händler (ja, das gab es damals noch) hat mir daraufhin Insanlar von Kurban in die Hand gedrückt. “Das passt schon”, meinte er, und er hat dabei nur ganz leicht gegrinst. Naja, die Überraschung beim Abspielen war dann schon recht groß. Ich habe erst nachher gelesen, dass Kurban gerade als Vorband von Megadeth aufgetreten waren… 😉
Da könnte ich Dir einiges vorschlagen. Kurban finde ich mehr poppig und als ein Marketingprojekt;) die hatten aber vor zwei, drei Jahren bei MTV etwas gewonnen, sind schon populär.
Wenn es um türkischer Rockmusik mit kleinem “r”geht, ist mein favorit Duman. Ein bisschen grungemäßig, zumindest in den früheren Jahren. Jetzt sind sie wirklich gereift. Das letzte Album ist wieder super. würde ich empfehlen.
Pentagram dann mit grossem R 😉 habe ich übrigens in Jolly Joker live sehen können auf dem Rückweg von der Weinlese in Elazig var. Sie waren als vorband in Sonisphere 2010 in Istanbul- Alice in chains, Accept, rammstein, Manowar, Megadeth, Anthrax, Slayer und Metallica waren dabei- Rock am Ring a la Turquie sozusagen..
Mein erstes Midye tava hatte ich übrigens auch bei Mercan in Kadiköy;)
Welche Metal rockclubs?
Ich will auch !
Hi Matze, liest sich mal alles wieder lecker. Weisst Du, ob Sahlep einen Eigengeschmack hat oder ob da Vanille-Geschmack mit in die Zubereitung gegeben wird?
Hm, das ist eine schwierige Frage. Zimt und Zucker sind auf jeden Fall mit drin, aber das schmeckt ja noch nicht nach Vanille. Ich nehme folgendes an: Das Sahlep-Pulver stammt im Original aus Pflanzen, die nicht billig und dazu artenschutzrechtlich problematisch sind. Solche Dinge aus Wildsammlung sind mit ziemlicher Sicherheit in keinem kommerziellen Sahlep-Getränk drin. Nun kann man natürlich auch Pflanzen anbauen, so wie man Lachse züchten kann statt sie zu angeln. In den originaleren Versionen dürfte deshalb Knollenpulver von zumindest ähnlichen Arten mit drin sein, während es in billigeren durch Maisstärke und Vanillin ersetzt wird. Ob das Original-Pulver bereits leicht vanillig schmeckt, oder ob “mein” Sahlep mit Vanillin aromatisiert wurde, kann ich deshalb gar nicht genau sagen. Vielleicht weiß es jemand hier, der das Originalpulver schon einmal so probiert hat…
Hi Matze,
Wir sind gerade in Istanbul und klappern deine zwölf Pflichten ab.
Vielen Dank für den tollen Block Beitrag. Leider gibt es das Lades in Beyoglu nicht mehr. Probiere mal das Lokal Neo in der Uni Salt Galata. Ausgezeichnete Küche mit vielen frischen Kräutern schnell zubereitet auch über Tags in der Studentenkantine. Viele Grüße aus der Sensus-Bar, Rainer
Echt, das Lades mit dem Menemen gibt es nicht mehr? Das schockt mich jetzt aber, hoffentlich nur eine vorübergehende Küchenrenovierung… Aber schön, dass Ihr in Istanbul seid. Gerade heute habe ich bei einem Gespräch noch zum Ausdruck gebracht, wie schön es wäre, bald wieder nach Istanbul zu kommen. Nicht, dass meine Istanbulcard abläuft, ohne sie noch mal genutzt zu haben 😉
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