Besuch aus Osteuropa

“Fast so warm wie bei uns!”, das sind Jewgenis erste Worte, als er aus seinem sichtlich nicht klimatisierten Auto steigt. Wir haben gerade Besuch aus Osteuropa, und irgendwie war ich vorher noch gar nicht darauf gekommen, das auch auf dem Blog thematisieren zu können. Aber als wir uns über Jugenderlebnisse aus Moskau und die aserbaidschanische Küche unterhalten hatten (Jewgenis Frau kommt von dort), klang das alles unheimlich spannend. Zunächst jedoch hatte ich für Jewgeni einen Willkommensgruß vorbereitet.

Russisches Bier! “Großartig”, werdet Ihr jetzt denken, das ist vermutlich das allerletzte, über das sich ein russischer Tourist in Deutschland freut. Endlich mal ein Bier zu trinken, das man daheim an jeder Ecke kaufen kann. Aber wenn Ihr weiterlest, werdet Ihr sehen, dass die Sache ein ganz überraschendes Ende hat.

Der russische Biermarkt ist wie kaum ein anderer in den letzten beiden Jahrzehnten durcheinander gewirbelt worden. Riesige Brauereien wurden verkauft, geschlossen, renoviert, geteilt, wieder neu zusammengefügt – und jetzt weiß eigentlich kaum jemand, wie die Verhältnisse aussehen. Fest steht, dass Russland der viertgrößte Biermarkt der Welt ist (nach China, den USA und Brasilien), und dass fast jedes große internationale Konsortium dort irgendetwas brauen lässt. Klar, die Rohstoffe sind mehr oder weniger vor Ort vorhanden und niedrig im Preis – Selbiges gilt auch für die Personalkosten. Neben “normalen” russischen Bieren wie der allgegenwärtigen Baltika-Reihe werden hier auch Biere wie das Brahma für den brasilianischen Markt gebraut – den weltweit drittgrößten, wie wir nun wissen.

Das erste Bier, das wir heute gemeinsam trinken, ist das Zhigulevskoye. So wird es jedenfalls international geschrieben, denn im Deutschen gibt es nun mal kein “weiches Sch”. Das sei, meint Jewgeni, und er als Deutschlehrer muss es wissen, auch der Grund, weshalb man bei uns fälschlicherweise von Doktor “Schiwago” spricht, während es doch eigentlich “Zhivago” heißen müsste, “Zhi” wie “Gironde”. Aber das nur nebenbei. Ansonsten kann er nämlich auch zum Bier selbst etwas beitragen:

Zhigulevskoye sei das eigentliche, legendäre russische Bier. Bereits zur Zarenzeit in St. Petersburg gebraut, wurde es dann “sowjetisiert” und hätte sich auch während des Kommunismus einer gewisse Beliebtheit erfreut. Manchmal allerdings einfach dadurch, dass es an vielen Orten das einzige Bier im Angebot war. Was Jewgeni nicht weiß (und ich selbstverständlich auch erst nachblättern musste): Man hatte irgendwie vergessen, den Namen Zhigulevskoye gesetzlich zu schützen. Und so haben wir heute das russische Zhigulevskoye von der (zum Carlsberg-Konzern gehörenden) Brauerei Baltika auf dem russischen Markt, das meist in PET-Flaschen verkauft wird. Dann gibt es das Zhigulevskoye, das SABMiller in der Ukraine u.a. für den georgischen Markt herstellen lässt – und sicher noch etliche andere.

Alle Exemplare haben nur eins gemeinsam: den Namen. Die Etikette sehen jeweils anders aus, die Biere haben – außer dass es sich um pilsähnliche Produkte handelt – nichts miteinander zu tun. Als Jewgeni das erfährt, meint er spontan, dass er nicht glaubt, irgendein russischer Biertrinker hätte sich darüber schon einmal tiefere Gedanken gemacht. “Das ist doch wie mit den Fußballclubs. Du hältst trotzdem zum selben Club, auch wenn keiner von der Mannschaft letztes Jahr schon mitgemacht hat.” Irgendwie ein treffender Vergleich, finde ich.

“Unser” Zhigulevskoye hat gleich zu Anfang eine enorm malzige Nase. Fast aufdringlich wirkt das und geht in die Richtung Neumarkter Lammsbräu (ernsthaft). Im Mund bleibt das Malz bestehen, wodurch das Bier weniger frisch wirkt, dafür aber mit einem gewissen Körper und einem nicht unattraktiven Gesamtausdruck aufwartet. Im Hopfen ist das Zhigulevskoye sehr mild, aber das passt natürlich zum malzig angelegten Charakter. “Schmeckt ja gar nicht nach Reis!”, meint Jewgeni erfreut. Nur halt auch nicht nach Pils, und genau das soll es eigentlich sein. Wir sind uns aber einig darüber, dass der westliche Konsument (“der russische auch!”) wahrscheinlich mehr Punkte für dieses durchaus anständige Bier im Blindtest vergeben würde, als wenn er zuerst die Flasche gesehen hätte. Die übliche Sache mit den Vorurteilen.

Das zweite Bier hat eine nicht minder komplizierte Geschichte. Das Shakhterskoye (= “Schachterskoje”) stammt aus Kasachstan, und das Etikett ziert zweifellos ein Bergmann. Übersetzt auf Deutsch steht auf dem Etikett noch, dass dies “das Bier für echte Männer” sei, und dass es “nach dem Originalrezept aus Karaganda” gebraut sei. Vielleicht erschien jenes den Etikettierern nicht ganz unwesentlich zu erwähnen, denn die Kolos-Brauerei in Karaganda gehört mittlerweile zum türkischen Efes-Konzern. Gebraut wird dort nicht nur das Shakhterskoye, sondern auch das Heineken für den einheimischen Markt und – surprise, surprise – eine andere Version des Zhigulevskoye. Die bunte Welt der Globalisierung. Jetzt weiß ich übrigens auch (um mal einen kurzen Schwenk zum Fußball zu machen), wieso die Mannschaft “Schachtjor Donezk” genau so heißt – der ehemalige Bergmannsclub offenbar.

“Unser” Shakhterskoye besitzt eine sehr helle Pilsfarbe und kommt recht sprudelig daher. Die Nase überzeugt zunächst: angenehm getreidig, eine feine Würze. Gemäß der stärkeren Schaumbildung wirkt das Bier cremiger im Mund und besitzt einen flüssig-durstlöschenden Charakter. Mich erinnert es an tropische Biere, die auch in aller Regel mit sehr wenig Malz und Hopfen auskommen und deshalb – trotz ihrer Stärke – gern mal einfach runtergestürzt werden. Da wir mittlerweile mit dem Essen angefangen haben, sind wir einigermaßen überrascht, als das Shakhterskoye (anders als das Zhigulevskoye) auf einmal mit seltsamen Fehltönen herumzumuckeln beginnt. Die Stimmung ist gut, und so reicht das Spektrum unserer unmaßgeblichen Empfindungen von der Geschmackrichtung “Schneckenkorn” bis zur “alten Zinkgießkanne, die im Datschagarten nach dem Winter das erste Mal wieder benutzt wird – mit Köcherfliegenlarveneinlage”. Das ist natürlich Humbug, aber das Zhigulevskoye gefällt uns trotz des sehr stark malzigen Einschlags eindeutig besser.

So. Jetzt zum Abschluss folgt die Überraschung. Das sind gar keine Biere aus Russland oder Kasachstan, sondern solche aus Deutschland. Nach dem Reinheitsgebot gebraut von der mittelgroßen fränkischen Brauerei Wolfshöhe in Neunkirchen am Sand. Dort kann man sie selbstverständlich nicht im offiziellen Sortiment finden, weil sie im Auftrag der Monolith GmbH gebraut werden. In einem der Monolith-Supermärkte, nämlich dem Mini-Mix in Nürnberg-Langwasser hatte ich diese beiden Biere erstanden. Jewgeni fällt fast die saure Gurke vom Titelbild aus der Hand. “Was denn, Ihr Deutsche braut für uns Russen?” Genau, aber nicht nur für “Euch”, sondern auch für “uns”, denn die geschätzten drei Millionen (im weitesten Sinne) Russischstämmigen in Deutschland haben längst ihre deutschen Verwandten, Freunde und Bekannten in neue kulinarische Gefilde mit hineingezogen. Borschtsch, Kwass, Pelmeni, alles mögliche wird mittlerweile auch in Deutschland hergestellt. Das gefällt Jewgeni, denn “die beste Völkerverständigung geht doch immer noch durch den Magen!”

Und nun zu Euch: Habt Ihr schon einmal eins der russisch-deutschen Biere getrunken? Und welche Dinge würdet Ihr in einem “russischen” Laden am liebsten kaufen?

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15 Antworten zu Besuch aus Osteuropa

  1. Alex sagt:

    Wieder mal ein sehr informativer und unterhaltsamer Bericht! Ich habe aber noch keine russischen Bieren getrunken bis hierhin.

    • chezmatze sagt:

      Hm, ich auch nicht, wie ich feststellen musste 😉 Wenn ich mich nicht täusche, hatte ich im Mix-Markt aber auch noch andere Biere gesehen (okay, die meisten waren polnische). Vielleicht ist ja auch ein “wirklich” russisches darunter, wobei es mittlerweile in Russland neben den Gigant-Brauereien auch ein paar interessante Kleinbrauer geben soll. Deren Produkte wird man aber wahrscheinlich nicht außerhalb des Landes finden (außer von Freunden mitgebracht…)

  2. Heri sagt:

    In den Jahren, in denen ich in Osteuropa unterwegs war, habe ich in der Regel Biere der Baltika Brauerei bevorzugt – am liebsten das Baltika 3. Die Efes-Biere schmeckten dünn und säuerlich. Bei andern Erzeugern war die Qulität sehr schwankend – kann aber auch sein, dass Plagiate darunter waren.
    In den hiesigen Mix-Märkten o.ä. gibts leider immer seltener Biere der Baltika Brauerei.
    Das einzigste, was wir in diesen Märkten kaufen, ist getrockneter Fisch/Tintenfisch für die Sauna sowie ab und an Rjaschenka. Ansonsten ist auch meine russischstämmige Frau mit der Qualität der Waren dort nicht wirklich zufrieden.

    • chezmatze sagt:

      Ich muss sagen, dass ich mit dem Angebot eigentlich recht zufrieden war. Aber in Langwasser gibt es auch eine große russischsprachige Community; da dürfte das Angebot entsprechend sein. Von den Baltika-Bieren kann ich mich an drei verschiedene Versionen erinnern (die ich aber erst mal alle nicht gekauft habe). Mein bisheriges Lieblingsprodukt ist die scharfe Plaumensoße Tkemali, die wirklich super zu Fleisch vom Grill passt. Aber das ist ein georgisches Erzeugnis, und ich weiß gar nicht, ob man als “normaler Russe” diese Soße überhaupt kennt. Müsste ich mal nachfragen (Du kannst das ja direkt machen ;))

      • Heri sagt:

        An der russischen Küche schmeckt mir das am Besten, was gar nicht typisch russisch ist – wie z.B. Pelmeni oder Mante. Die georgische Küche ist sehr sehr lecker und im Vergleich zur rusischen Küche viel abwechslungsreicher und raffinierter. Einzelheiten dazu habe ich leider nicht mehr, da die Erfahrungen zur georgischen Küche schon einige Jahre zurück liegen. Allein die Erinnerung an die diversen georgischen Schaschlikvarianten lassen träumen.
        Kaukasische Produkte führt “unser” Markt fast keine. Scheint so, als ob bei euch grössere Auswahl herrscht.
        Hat schon mal jemand Holodyets gegessen? Wird bei den Russen zu Neujahr
        angefertigt und besteht in erster Linie aus vielen Fettstücken, viel Knoblauch, wenigen
        Fleischstücken und Aspik. Seither weigere ich mich standhaft, das nochmal zu probieren…- und meine Frau kocht ziemlich gut 😉

        • chezmatze sagt:

          Eigentlich war ja die Sowjetunion das letzte klassische Kolonialreich. Ich erinnere mich noch an die Fußball-EM 1988 mit Renat Dassajew im Tor, das war irgendwie für mich die finale Sowjet-Herrlichkeit. Die Küche ist glaube ich nicht ganz so imperialistisch dahergekommen. Jedenfalls muss ich auch zugeben, dass ich das Essen der “südlichen Randbezirke” irgendwie interessanter finde. Weiter im Norden gibt’s halt sehr viel Kohl ;). Aber Holodyets habe ich noch nie gegessen. Vermutlich die perfekte Kater-Wappnung. Ist doch fast so ähnlich wie Schwartenmagen, oder ;)?

  3. jens sagt:

    Ich finde die ganzen eingemachten Gemüse gut. Die Salzgurken aus unserem “Russenladen” um die Ecke sind wirklich absolute Spitzenklasse. So langsam trauen sich auch “die Deutschen” häufiger in diesen Laden rein und kaufen. Den eingelegten Bärlauch aus Russland finde ich auch super. Ob unser Laden auch Bier hat, hab ich noch gar nicht gesehen. Mach’ ich aber beim nächsten mal. An Wodka herrscht zumindest kein Mangel…..

    Jens

    • chezmatze sagt:

      So ein richtig großer Wodka-Fan bin ich ja nicht. Aber ich muss zugeben, dass er zu dem Roggenbrot mit Karpfenrogenaufstrich wahrscheinlich am besten gepasst hätte. Ich mag ja ansonsten die sauren Gurken liebend gern. Passt eigentlich zu allem: Bratkartoffeln, Wurst, Hartkäse… Jetzt habe ich mal die Gurken nach kaukasischer Art gekauft, da ist dann noch eine Chilischote mit eingelegt ;).

  4. jens sagt:

    Empirische Wodkastudien werde ich dann wahrscheinlich (sehr wahrscheinlich sogar, geradezu unausweichlich) aber Mitte nächster Woche wieder durchführen (müssen)……. 😉

    Außerdem muss ich mich dann wieder belehren lassen, dass Bier ja gar kein Alkohol ist!!!

    Jens

    • chezmatze sagt:

      Ist es wohl, seit letztem Jahr! Medwedew wollte doch endlich gegen das “Nahrungsmittel Bier” vorgehen. Aber im Ernst: Wenn man sich die Lebenserwartung russischer Männer anschaut (liegt unter derjenigen der Inder), kommt man trotz der komplexen Gemengelage nicht umhin, die Bemühungen der Regierung irgendwie nachvollziehen zu können. Ob man mit Verboten die “Richtigen” trifft, lässt sich natürlich immer diskutieren.

  5. Oh Dae-su sagt:

    Toller Bericht Matze! Hab zwar vor Kurzem einige Weine aus einem russischem Supermarkt getrunken (bzw. für den Blog leicht angetestet ;-)), aber leider noch nie russische bzw. russische in Deutschland gebraute Biere getrunken. Sehr erstaunlich, dass die aus Franken kommen 🙂

    • chezmatze sagt:

      Ja, die Franken können offenbar ziemlich viel ;). Einen Wein habe ich auch gekauft mit schönem Kolibri-Etikett. Leider habe ich erst hier zu Hause den (sehr dünn gedruckten) Hinweis gelesen, dass es ein “vino krasnoje polysladkoje” ist, was zweifellos ein halbtrockener Rotwein sein dürfte. Dabei stand auf dem Schild am Regal extra “trocken”…

      • Oh Dae-su sagt:

        Ich hatte in meinem russischen Supermarkt Probleme gehabt überhaupt einen trockenen Wein zu finden. Es gab nur sehr wenige und dazu sehr dürftige ;-). Von den fünf Flaschen, drei trocken und zwei lieblich (AUA!), die ich gekauft habe, war eigentlich nur ein Wein aus Montenegro trinkbar. Mal nicht aus der GUS … Ups … ;-).
        Naja, war eben Supermarktware. Aus Georgien und der Ukraine hab ich auch schon ganz anständige Sachen getrunken.
        Hast du größere Erfahrung mit Weinen aus Ländern der ehemaligen UDSSR? Tipps ;-)?

        • chezmatze sagt:

          Nein, ehrlich gesagt nicht so sehr. Ein paar Weine aus der Republik Moldau, mal ein Schaumwein und ein Aligoté aus der Ukraine…

          Zwei wirklich interessante Weine aus Georgien habe ich allerdings schon getrunken. Einer war der “Vinoterra” von Georg Dakaschwili aus 100% Kisi, ein ungemein sauberer weißer Amphorenwein mit einer tollen Aprikosennase. Importiert hatte den Wein ein Herr Schuchmann aus Dortmund, aber ich müsste selbst im Internet mal recherchieren, ob es den noch gibt. Lohnt sich aber sehr.

          Und dann noch einen Roten, von dem ich aber keine Aufzeichnungen mehr habe. Probiert hatte ich ihn bei “Wein & Glas” in Berlin. Ich glaube, es war ein 100% Saperavi, stammte von einem Mann namens Niko, war relativ teuer und sehr ausdrucksstark. Also ich hätte den Wein von der Machart her eher in die südfranzösische Biodynamiker-Szene gesteckt, aber die wilde Ecke.

          Also interessante Weine gibt es ganz sicher, bloß fürchte ich, dass die kaum jemand importiert. Ist wohl alles ziemlich schwierig. In Berlin gibt es noch einen Weinhändler aus Georgien, Grusignac (http://www.grusignac.de/). Von dem hatte ich mal den einfachen Wein zum Grillfleisch getrunken, aber in seinem Laden hat er natürlich noch deutlich mehr.

  6. Oh Dae-su sagt:

    Vielen Dank für die Tipps!!! 🙂

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