Als ich den Namen dieses Rieslings das erste Mal las, musste ich unwillkürlich an die alten Kasperle-Platten denken, die ich als Kind oft gehört hatte. Ein bisschen hatte mich seinerzeit irritiert, dass die Tiere, der Igel beispielsweise, bayerisch sprachen, aber das war eher dem Synchronsprecher als dem Igel selbst geschuldet. Viel stärker irritierten mich hingegen seltsame Bezeichnungen, die ich nicht verstand und bei denen ich meinen Großvater um Rat fragen musste: Da bestellte der Bauer “ein Tagwerk” Land, und die Hexe hackte “einen Klafter” Holz. Wenn ein Bauer mit seinem Ochsengespann von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang schuftete, dann war die Fläche, die er in dieser Zeit bearbeiten konnte, ein Tagwerk. Wie definiert sich dann ein Mannwerk?
Ganz einfach: Ein Mannwerk ist eine Einheit im Weinbau. Sie bezeichnet die Fläche im ungeheuer steinigen Steilhang, die fünf Männer, die von weither anreisen müssen und auch noch andere Berufe besitzen, im Laufe eines Jahres dergestalt bewirtschaften können, dass 500 Flaschen Wein dabei herauskommen. So geschehen anno 2010 im Sankt Aldegunder Himmelreich an der Mittelmosel. Dabei handelt es sich jedoch nicht um irgendwelche schnöden Reben, wie es sie im Flachland auch gibt. Nein, die Riesling-Reben sind alt, sie sind wurzelecht, sie stehen mitten im Schiefer, sie werden an einzelnen Pfählen groß gezogen, kurz: sie sind der Traum eines jeden Qualitätswinzers. Ein paar fotografische Impressionen, aufgenommen von einem der Mitbesitzer, findet Ihr hier. Übrigens heißt der Nachbarort von Sankt Aldegund Bremm, und der Bremmer Calmont gilt als der steilste Weinberg Europas. Soviel also zur Arbeit der Männer.
Am Freitag, sprich dem 8. Juli 2011, war es nun endlich soweit: Im für Veranstaltungen dieser Art kongenial geeigneten Marien-Eck in Köln-Ehrenfeld präsentierten unsere fünf Männer ihr Werk aus allererstem Jahrgang. Dieses Ereignis wollten sich auch namhafte Mitglieder der Weinszene nicht entgehen lassen; jedenfalls soweit ich das, der ich ja nicht wirklich Teil jener bin, auf den ersten Blick richtig erkannt habe. Zu den Einzelheiten des An- und Ausbaus kann ich leider wenig beitragen. Und da gegebenenfalls die fünf Männer voller Entsetzen meine Spekulationen mitlesen könnten, unterlasse ich jene lieber. In jedem Fall handelt es sich bei dem Mannwerk um eine Spätlese, die offenbar leicht aus dem gesetzlich trockenen Bereich herauslugt, ohne jedoch Zuckerwerte wie die “echten” Fruchtsüßen zu erreichen.
Natürlich bin ich nicht der erste, der über diesen Wein berichtet. Bei Chezuli könnt Ihr die frischeste Meldung lesen, und ich hoffe, dass wir nicht die einzigen bleiben. Okay, bei 500 Flaschen, also 100 Flaschen pro Mann, geht es sicher nicht darum, einen Verkaufsschlager daraus zu machen. Aber eine solche Unternehmung ist meiner bescheidenen Meinung nach jede Publicity wert, und zwar aus weitergehenden Gründen: Es tun sich Menschen zusammen, die Wein lieben, nehmen Geld in die Hand und beackern im wahrsten Sinne des Wortes gemeinsam und in reiner Handarbeit ein Stück dem Verschwinden anheim gegebener Kulturlandschaft. Vielleicht geht es bei so etwas tatsächlich mehr um den Weg als um das Ziel, mehr um das Symbolische, Anregende, Nachahmenswerte als um das reine Produkt im Konsumentensinne. Aber das wollen wir hier natürlich nicht gänzlich vernachlässigen.
Der “Riesling Mannwerk Alte Reben” besitzt schon einmal ein professionelles und sehr ansprechendes Etikett-Design mit seinen tief wurzelnden Reben. Ins Glas kommt ein relativ heller Wein, der weißblütig duftet und irgendwie halbtrocken wirkt. Interessanterweise ist das sensorisch nur noch bedingt zu spüren. Aber das ist ja das Geheimnis der Mosel- und Saar-Rieslinge: Zucker und Säure mit jeweils hohen, aber eben fast gleich hohen Werten, so dass sich beide gegenseitig auf der Suche nach vollkommener Eleganz ergänzen. Säure jedenfalls hat unser Freund aus dem Himmelreich ganz ordentlich. Ein anderer Mitverkoster meinte, er spüre sie schon an seinem Zahnschmelz nagen. Das ist sicherlich übertrieben. Aber es handelt sich nun einmal um ein authentisches Kind seines Jahrgangs. In aromatischer Hinsicht ist alles ziemlich hell angelegt, viel Zitrusnoten, fast ein bisschen in die grünlich-grasige Richtung gehend, leicht mineralische Töne. Vielleicht – aber das ist jetzt wirklich spekulativ – sind die Trauben eine Nuance zu früh geerntet worden. Ich habe das Gefühl, dass dieser Wein seine echte Qualität erst in einiger Zeit preisgeben wird. Hoffentlich ist von den wenigen Flaschen bis dahin noch etwas übrig geblieben; im eigenen Keller selbstverständlich, nicht bei den Mannwerkern.
Ein kleines Fazit zum Schluss: Es ist eine alte Leier, aber wie in allen anderen Branchen lernt der Winzer in schwierigen Jahren am meisten. Insofern gab es 2009 nicht viel zu lernen, 2010 aber schon. Wenn man älteren Winzern glauben darf, liegt der letzte derart schwierige Jahrgang wie 2010 schon mindestens 25 Jahre zurück. Ein Glück also für unsere fünf Männer, dass sie das Privileg besaßen, gleich im ersten Lehrjahr etwas erleben zu dürfen, worauf andere fast eine Generation lang warten mussten. Ganz ohne Ironie. Denn wer seinen Jungfernjahrgang unter derartigen Bedingungen einfährt und auch noch einen anständigen Wein daraus keltert, der ist gegen alles gewappnet. Auch wenn es sich seltsam anhört, aber ich freue mich schon auf den 2011er Mannwerk. Wenn jener vorgestellt wird, ist es dann auch Zeit, den 2010er zu öffnen und in Erinnerungen an das erste gemeinsame Werk zu schwelgen. Noch leichter tut man sich – zu guter Letzt bemerkt – beim Schwelgen, wenn der Flammkuchen auch nächstes Jahr wieder so köstlich ausfällt wie diesmal…
“Denn wer seinen Jungfernjahrgang unter derartigen Bedingungen einfährt und auch noch einen anständigen Wein daraus keltert, der ist gegen alles gewappnet.”
Wohl wahr……….
Martin, wir können den Wein demnächst mal hier in Berlin verkosten.
Kannst ja einen Deiner Keller-Lieblinge dagegen stellen :-))
Ich sags ja, es muss nur ein Crack darüber schreben…..
Ein Crack jedenfalls, was die Beitragslänge anbelangt 😉 Ich muss mich langsam mal disziplinieren, jetzt schaff ich’s ja noch nicht mal unter 800 Wörtern für einen einzigen Wein…
Ein paar Daten zum Ausbau gefällig? Gern! Erntemenge rund 450 Liter. Der Wunsch nach etwas späterer Lese (war natürlich geplant) wurde von drei apokalyptischen Reitern namens Vögel, Wildschweine und Boytrits zunichte gemacht. Wenn wir die Trauben eine Woche später hätten reinholen wollen, hätten wir vermutlich keine hundert Liter mehr ernten können.
Mostgewicht war übrigens stramme 91 Öchsle. Ausbau in weingrünen Holzfässern á 300 und 150 Liter. Moderat entsäuert (Doppelsalz, davor lagen die Säurewerte bei rund 17gr, wenn ich mich recht erinnere) und zwar von jemandem, der das auch beherrscht (was wohl nicht ganz ohne Fallstricke ist, wie ich hörte). Ein Fass gärte herunter bis in den gesetzlichen Trockenbereich, eines wurde knapp oberhalb gestoppt. Beim zurückverschneiden hatten wir aber dann den Eindruck, dass die Säure immer noch ein wenig “resch” ist. Wir haben dann mit fruchtsüßer Spätlese (ebenfalls aus dem Himmelreich) den Zucker noch ein wenig angehoben – auf 15, 16 Gramm, wenn ich mich recht erinnere.
Super, vielen Dank für die Infos! Da leidet man ja förmlich mit, Ihr habt Euren Rebensaft der Natur wahrhaft hart abgerungen.
Ich kann Dir sagen. Seid ich an dem Projekt beteiligt bin, hat sich mein Verhältnis zu Wetter und Natur ungemein intensiviert…
Pingback: Mannwerk No.1, Riesling Spätlese "Alte Reben" St. Aldegund, Mosel » originalverkorkt
Leider sind die Sankt Aldegunder Lagen immer noch nicht bei weinlagen.info. Will mal einer helfen?
du/Ihr habt Mail!
@Charlie: Danke für den Login-Daten. Ich muss nochmal den genauen Grenzverlauf zwischen Himmelreich und Palmberg Terrassen erfragen, dann trage ich die beiden Lagen ein.