Wie ich alter Spätzünder jetzt auch endlich bemerkt habe (hatte mich doch tatsächlich um einen Tag vertan), ist heute die Weinrallye Nr. 45 dran, ausgerichtet von den Jungs, die ihrem Namen gemäß morgen wieder auf den Putz hauen werden. Das Thema wurde dabei nach internen Diskussionen gaaanz breit gehalten: ein Altwein sollte es sein, einer, der vor der Jahrtausendwende gekeltert wurde. Wie Ihr sehen könnt, wenn Ihr auf den Blog geht (der übrigens gerade in der letzten Zeit ein paar superinteressante Artikel gepostet hat), ist das Spektrum der Jahrgänge und Herkünfte relativ breit, nicht jedoch die Auswahl der Rebsorten.
Warum ist das so? Nun, ich finde, dass es zwei einleuchtende Argumente gibt: 1. Nur bestimmten Rebsorten wohnt quasi natürlicherweise das Potenzial inne, sich durch eine Lagerung entweder zu verbessern oder wenigstens ein anderes Harmonie-Level zu erreichen. Da die Fruchtnoten ja relativ schnell verblassen, ist es dann ein Gerüst aus Säure und Tannin beim Rotwein, und aus Säure und Süße beim Weißwein, das – mal ganz grob gesprochen – vorhanden sein muss. Da dem so ist, werden meist auch nur die Weine aus prinzipiell geeigneten Rebsorten auf Haltbarkeit hin vinifiziert. Und, jetzt kommt Argument Nummer 2, nur solche Weine lagert man in der Regel auch ein. Deshalb bleiben sie “übrig”, deshalb können wir sie heute testen. Mag sein, dass auf ebay auch ein 30 Jahre alter Müller-Thurgau (Füllstand: Bauchbinde) aus Omas Keller angeboten wird. Aber das ist, glaube ich, nicht die Flasche, mit der sich ein Weinblogger in die Öffentlichkeit traut.
Auch mein Fläschchen barg gewisse Risiken. Es handelt sich nämlich um einen Rotwein aus Portugal, und zwar aus dem Jahr 1966. Über diesen Jahrgang im Dourotal schreibt ein Weinhändler: “1966 war ein Jahr der klimatischen Extreme: Kälte und Nässe bis weit ins Frühjahr hinein, sengende Hitze im Sommer, Regen zur Lese.” Das Schlimmste ist: Ich habe noch nicht einmal einen Portwein, sondern einen trockenen Roten, der damals sicher nicht viel gekostet hat und heute in der Garrafeira Nacional in Lissabon für 24 € über den Ladentisch geht. In meinem Keller war der Wein also keine einzige Minute.
Das Etikett ist original, der Korken ist original, und überhaupt. Als die Trauben geerntet wurden, war Portugal eine Militärdiktatur und sollte auch noch fast zehn Jahre lang Kolonien in Afrika behalten. Ein anderes Zeitalter also, besonders hier im Südwesten Europas. Auch der Wein passt in dieses andere Zeitalter. Was ich nämlich noch nicht verraten habe, sind Name und Rebsorte: Es ist der Colares Casal da Azenha Reserva von António Bernardino Paulo da Silva, ein Wein von wurzelechten Reben der Rebsorte “Ramisco”. Jetzt habe ich vor einiger Zeit hier auf dem Blog ja schon einmal einen anderen roten Colares vorgestellt und mich verbal stark gemacht für den Erhalt dieser einmaligen Weinanbauregion. Aber ein Dinosaurier wie dieser ist doch noch einmal etwas ganz anderes.
Wurzelecht sind die Reben übrigens einerseits, weil sich die Reblaus aufgrund des sandigen Bodens direkt am Meer nicht wirklich wohlfühlte und die Region deshalb – hoffentlich für immer – gemieden hat. Ein ähnliches Phänomen gibt es ja auch beim “Vin de Sable” von Listel an der französischen Mittelmeerküste, dort allerdings von, nun ja, eher (reb)lausiger Qualität. Das zweite Hindernis für die Reblaus war die Tatsache, dass die Weinstöcke auf den Klippen über dem gischtenden Atlantik aus Schutz vor dem Wind einzeln in weit voneinander entfernte “Krater” gesetzt wurden. Das sieht wiederum ähnlich aus wie auf Lanzarote oder Santorin, nur nicht ganz so wüstenhaft. Weshalb es einen solch alten Wein überhaupt noch gibt, hängt auch mit der kleinbeerigen, hellfarbigen, aber enorm tanninhaltigen Rebsorte Ramisco zusammen. Ein Wein aus einer anderen Welt, wie gesagt.
Der Kork hat erstaunlich dicht gehalten, kaum Schwund in der Flasche, aber beim Versuch des Öffnens bricht der Kork dann doch. Farblich changiert der Wein zwischen Hagebutte und Granat, also leicht bräunlich schon, aber dunkel ist er eh nie gewesen. Dafür sichtlich unfiltriert, trüb wie Tomatensaft. In der Nase ist eine leichte Kellernote zu vernehmen, etwas Humus, zarte Erdbeeren und ein bisschen Räucherfleisch. Am Gaumen dann die Erleichterung: kein Essig, kein Kork, kein Keller. Uff. An der Zungenspitze ist eine erstaunlich süße Reife zu spüren, dann ein schönes Süße-Säure-Spiel durch die dezente Walderdbeeren-Frucht. Im vorderen Teil des Gaumens und auf der Zunge wirken die Tannine noch erstaunlich rustikal für das Alter, vor 45 Jahren hätte ich den Wein nicht trinken wollen. Die Räucherwurst-Anklänge bleiben präsent und verlangen nach genau jenem Essen, portugiesischem Cozido zum Beispiel.
Ich bin ziemlich begeistert, muss ich sagen. Natürlich ist die Ehrfurcht groß vor den Jahrzehnten, die dieser Wein alle durchlebt hat. Aber auch ganz objektiv: Dies ist ein beeriger, leicht rustikaler und erstaunlich frischer Wein. Und ein Erlebnis, das man für dieses relativ kleine Geld wahrscheinlich kaum irgendwo sonst auf der Welt genießen kann. Wer hier einen großen Bordeaux oder Burgunder erwartet, wird vielleicht nicht so recht glücklich. Aber allen anderen, die einen Blick in eine längst vergangene Zeit werfen wollen, sei dieser Wein wärmstens empfohlen. Außerdem hat garantiert niemand im Freundeskreis bislang einen solchen Wein zu sich genommen, da geh ich jede Wette ein. Wenn Ihr also demnächst nach Lissabon kommt, geht in die “Garrafeira Nacional” und holt Euch dieses Schätzchen. Eine längere Flugreise unter schwierigen Bedingungen würde ich dem Wein allerdings nicht mehr zumuten wollen.
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