Nie wieder Langeweile: die Top 3 meines Jahres 2010

Überall Jahresrückblicke, und ich habe meinen noch nicht mal im alten Jahr fertig bekommen. Wie peinlich. Dafür musste ich aber auch eine ganze Festplatte voller Fotos durchschauen, um mich daran zu erinnern, was denn eigentlich alles im letzten Jahr passiert war. Klar, dies hier wäre kein Food-Blog, wenn es bei meinen Tops nicht um Essen und Trinken gehen würde. Aber eben nicht nur. Meine besten Momente haben nämlich so gar nichts mit Sattessen zu tun.

Wein:

Ferme de la Sansonnière “Vignes Françaises en Foule”. Der ungewöhnlichste Weißwein eines ungewöhnlichen Menschen: Mark Angeli, rebellischer Weinbauer im Tal der Loire. Der Wein ist trüb, bräunlich, schmeckt wahnsinnig intensiv, eine ungeschwefelte, trockene Beerenauslese. Seinen Wert bezieht er für mich dadurch, dass es ihn nie wieder geben wird; die Weinstöcke mussten wegen Reblausbefalls ausgerissen werden.

Domaine Gauby “Vieilles Vignes” blanc 2002. Das war das erste Jahr, in dem sich Gaubys Umstellung auf biodynamische Arbeitsmethoden so richtig ausgezahlt hatte. Der Wein beginnt geschmacklich wie ein kühler Wind, die trockenen Kräuter rascheln. Später kommen Noten von Fenchel und Haselnuss, ganz zum Schluss die Wärme der Macchia. Ein Wein wie eine Reise in den Süden.

Champagne Jacques Selosse “Brut Initial”. Ganz am Ende des Jahres noch auf die Liste gekommen. Ein Champagner, der das Gegenteil aller Industriegetränke desselben Namens ist. Auf dem Blog von Alice Feiring habe ich gelesen, dass sie einem jungen Mann, der bei Björks Silvesterparty eingeladen war, diese Flasche mitgeben konnte. Ihre Begründung: Der Wein ist wie Björk: exzentrisch, etwas schwierig, aber ungeheuer vital.

Bier:

Verhaeghe “Kerstmis Noël Christmas Weihnacht“. Zum Glück gibt es in manchen Landstrichen die schöne Tradition, zum Jahresende ein besonders festliches Bier zu brauen, in das nur die besten Zutaten kommen. Dieses Weihnachtsbier war schon seit zwei Jahren abgelaufen. Statt schlechter zu werden, hatte es aber an Komplexität gewonnen. Haselnussig, leicht holzig, samtig und trocken: ein Bier für den Feierabend des Jahres.

Fuller’s “London Pride”, die Fass-Version. Die traditionelle Bierkultur in England besitzt noch eigene Regeln. Der Publican trägt Sorge dafür, dass ein Bier nicht unruhig, sondern würdevoll ins Glas kommt. Frisch, spritzig und schaumig ist ein Kinderbier, aber kein “Cask Ale”. Wie so etwas geht, zeigt man im “Lamb Inn” zu Axbridge: Der Klassiker aus London, fast ohne Spund, aber mit einer milden, meisterhaften Würze.

Schroll Nankendorfer Bockbier. Ja, ganz recht, auf dem Foto ist kein Bier abgebildet, sondern ein Lamm. Aber die Brauerei Schroll in der Fränkischen Schweiz braut nun einmal im Wirtshaus “Zum weißen Lamm”. Und ein Lamm hält auf dem Etikett der Schroll-Biere auch die Fahne hoch. Das Bockbier des Hauses ist stark, aber mild, dunkelwürzig und ohne fiese Alkohol- oder Süßenoten, ein Meisterwerk. Mäh.

Essen:

Die Szechuan-Küche im Trésors d’Asie, Paris. Die Szechuan- (oder Sichuan-) Küche als eine der großen Regionalküchen zeichnet sich durch ihre meisterhafte Verwendung verschiedener Pfeffersorten aus. In diesem Pariser Restaurant mit seinem wenig luxuriösen Ambiente habe ich die unglaublichste Aromenvielfalt des Jahres genossen, meilenweit entfernt von labbrigen Pilzen in süßsaurer Soße mit viel Glutamat.

Gewürzkruste von der Bäckerei Fehr, Nürnberg. Wie schwierig manchmal die einfachen Dinge sind, zeigt sich beim Brotnotstand in Deutschland. Ketten mit aufgeschäumten Industriehefe-Produkten haben unsere Innenstädte erobert. Die Bäckerei Fehr (vormals Kerschbaum) bäckt hingegen die Gewürzkruste nach altem Rezept und weitab von modernem Gehabe. Das ist es, was ich am meisten aus Nürnberg vermisse.

Macarons von Pierre Hermé, Paris. Mit gewaltigem ChiChi und quasi diametral entfernt von der Bäckerei Fehr kreiert Pierre Hermé seine erlesenen Backwaren. Was beide jedoch eint, ist die Intensität des natürlichen Geschmacks. Ob Porcelana-Schokolade, Olivenöl und Mandarine oder Feige mit Rosenblättern – diese konsequent bepreisten Meisterwerke sind eine absolute Gaumen-Erweckung.

Momente:

Die Wanderung durch die Vielfalt der Erde, Teneriffa. Eine Tour, so ungeheuerlich anstrengend und mit Eindrücken vollgepackt, wie sie eigentlich gar nicht an einem einzigen Tag stattfinden kann. Vom Schnee des Vulkankraters kam ich hinunter in wüstenhafte Landschaften, kletterte steil abwärts durch dichte Nadelwälder, kam in die Welt der ewig tropfenden Wolke und zum Schluss zu den Palmen am tosenden Atlantik.

Der Öz Emperial Aile Çay Bahçesi in Trabzon. An der Schwarzmeer-Promenade der osttürkischen Stadt gibt es einen Teegarten. Man kann dort lässig im Schatten sitzen und sich unterhalten. Wenn aber nachmittags örtliche Musiker auftreten, hält es das Publikum nicht mehr auf den Sitzen. Zu Arabesque-Klängen wird getanzt und geweint, beim Horon gesprungen und gefeiert. Alles ohne Eintritt und jeder kann mitmachen.

Auf dem Sand Point bei Weston-super-Mare, England. Hier hatte ich das innere Gefühl, auf einem hohen Berg zu sein. Ein hoher, grüner Berg, auf drei Seiten umgeben vom Meer und mitten unter Schafen. Die Sonne scheint, ich fühle mich wie im Sommer. Es regnet, ich bin im Nu durchnässt. Der Wind weht, ich muss mich fest dagegen stemmen, um nicht weggeblasen zu werden. So unmittelbar ist die Natur nur am Meer.

Das waren meine Highlights des Jahres 2010. Die Auswahl fiel mir wirklich schwer. Was mir dagegen überhaupt nicht schwer fällt, ist das, was sich oft an einen solchen Jahresrückblick anschließt: der Ausblick, meist in Form guter Vorsätze. Die habe ich nämlich überhaupt nicht. Nur einen Wunsch hätte ich an das Jahr 2011: Es soll nie langweilig sein. Aber wenn ich mein momentanes Leben so betrachte, brauche ich mich davor wahrscheinlich nicht zu fürchten.

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