
[In Kooperation mit den Winzern Sommerach] Die Ur-Idee der Genossenschaft ist fast so alt wie die Menschheit selbst. Mehrere Personen mit ähnlichen Interessen schließen sich zusammen, um gemeinsam etwas zu schaffen, was sie allein nicht könnten. So einfach wie überzeugend. Eigentlich sind Schlagworte wie »Einigkeit macht stark«, »Hilfe durch Selbsthilfe« und »Jeder Mensch ist gleich viel wert« enorm modern und zeitgemäß. Ebenso eigentlich müssten gerade junge Leute diese Ideen aufsaugen, mitmachen wollen oder zumindest so sympathisch finden, dass sie ihre Produkte bei solchen Genossenschaften kaufen. Was ist aber dran an der Praxis? Wie kann so eine Genossenschaft heute funktionieren, und was motiviert Menschen, dabeisein zu wollen? Um mich dieser Frage zu nähern, habe ich mich ein wenig mit den Winzern Sommerach beschäftigt, der ältesten fränkischen Winzergenossenschaft.
Wie bin ich auf die Winzer Sommerach gekommen?
Ich hatte hier auf dem Blog ja schon öfter über die Weine der Winzer Sommerach berichtet. Zunächst einmal hatte ihr Lagenwein aus der wunderbaren Lage Wiebelsberger Dachs mitten in der Corona-Zeit die Goldene Rebschere beim Internationalen Silvanerpreis abgeräumt. Ich bin dann hingefahren, habe mich mit Kellermeister Stefan Gerhard unterhalten und war im Herbstnebel selbst im Dachs unterwegs. Zwei Jahre später habe ich bei der Großen Silvaner-Schau die Weininsel vorgestellt und bin in der Lage »Tiefes Thal« dem Ehepaar Pickel begegnet, ihres Zeichens Mitglieder der Sommeracher Genossenschaft. Eigentlicher Auslöser dieses Artikels war allerdings das Tasting letztes Jahr für den Falstaff Weinguide in Hamburg. Da haben die Spitzenweine der Sommeracher nämlich richtig performt. Fast sahen wir uns gezwungen, für das Weingut einen vierten Stern zu vergeben. Keine andere Genossenschaft in Deutschland hat das bislang erreicht.

Die Pickels gehören zu den 90 Familien, welche die Winzer Sommerach bilden
Nachdem auch noch der Traminer bei der Traminer-Trophy am nächsten Tag im Blindtest aufs Podium gekommen war, haben wir uns schon gefragt, was machen die Sommeracher eigentlich anders? Schließlich bezeichnen sie sich selbst als die »anders denkende Genossenschaft«. Oder ist möglicherweise der Genossenschaftsstatus an sich gar kein Hindernis dafür, gute (und in diesem Fall äußerst elegante) Weine zu bereiten? Denn da gibt es ja in der deutschen Weinwelt schlimme Vorurteile. Genossenschaften, so heißt es oft mit einem süffisanten Lächeln, sind das nicht diejenigen, die viel Menge und wenig Qualität produzieren? Die altbacken sind, schwerfällig in den Entscheidungen, vorwiegend halbtrocken und kegelklubaffin?

Kleine Auswahl gewonnener Preise in der Vinothek
Zeit also, nicht nur nebenbei die Sommeracher Weine zu probieren, sondern zu schauen, was dort alles passiert.
Die Grundidee der Genossenschaft
Martin Münch ist Winzer und gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzender bei den Winzern Sommerach. Mitglied in der Genossenschaft ist Münch bereits in vierter Familiengeneration. Insofern regen ihn solche Vorurteile wahrscheinlich gar nicht mehr sonderlich auf. Und tatsächlich können genossenschaftlich orientierte Unternehmen auf eine lange Erfolgsstory zurückblicken. Bürgerliche Bewegungen wie die Hanse oder die Handwerkerzünfte des Mittelalters trugen nämlich bereits diesen Gemeinschaftsgedanken in sich und haben erwiesenermaßen viel für die Entwicklung der Demokratie und die Ermöglichung von Aufstiegschancen getan.
Die moderne Genossenschaftsidee begann dann mit den Pionieren Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen im 19. Jahrhundert. Schultze-Delitzsch kam als Abgeordneter in der Preußischen Nationalversammlung zu der Erkenntnis, dass sich Handwerker unbedingt zusammenschließen müssten, wollten sie in der aufkommenden Industrialisierung wettbewerbsfähig bleiben. Raiffeisen, der in seiner Jugend selbst Armut erlebt hatte, rief später als Ortsbürgermeister von Flammersfeld den »Flammersfelder Hilfsverein zur Unterstützung unbemittelter Landwirte« ins Leben. Die Mitglieder, die unter den Praktiken skrupelloser Viehhändler litten, konnten in dem Verein Geld ansparen und zum Ankauf von Vieh und Geräten günstig leihen.

Keine hohle Floskel – Genossenschaft bedeutet Zusammenhalt
Auch die Sommeracher Winzer gründeten sich nicht aus reinem Spaß an der Freud. Im Ort zerstörte ein großes Unwetter im Juli 1879 die gesamte Ernte, ein Jahr später wurde zunächst der Raiffeisenverein in Sommerach gegründet. Reblaus und Absatzkrise gingen allerdings weiter, und so entschlossen sich 35 Weinbauern im Jahr 1901, von nun an gemeinschaftlich und einig zu wirtschaften, ohne allerdings ihre eigenen Betriebe aufgeben zu müssen. Die Winzer Sommerach waren geboren.
Genossenschaft heute
Die Furcht vor Verelendung ist es heute sicher nicht mehr, welche die mittlerweile 90 Familien an ihr gemeinsames Unternehmen bindet. Dennoch bleiben die Prinzipien weiterhin lebendig. »Wir sind mit unseren 200 Hektar eine kleine Genossenschaft«, sagt Martin Münch, »und von den 90 Familien arbeitet nur etwa ein Drittel im Vollerwerb. Die überwiegende Zahl besteht also aus Nebenerwerblern und Kleinststrukturen«. Auf diese Weise wird der Weinbau im Ort lebendig gehalten.
Ob er denn selbst mit seinen drei Hektar Weinbergen jemals überlegt habe, sich unabhängig zu machen. »Nein«, antwortet Münch kategorisch, »das stand nie zur Debatte.« Und warum nicht? »Weil wir die Genossenschaftsidee einfach auch leben. Höhen und Tiefen gab es schon immer. Aber ich glaube, es ist unsere Stärke, als größere Gruppe auf Marktgeschehnisse besser reagieren zu können.« Außerdem sei es auch eine emotionale Sache. »Wir haben in den letzten Jahren ziemlich viel auf die Beine gestellt, uns entwickelt, investiert. Das sind Dinge, auf die man als Mitglied auch stolz sein kann.«

Weinlandschaft Sommerach – Unten die einfacheren Katzenkopf-Parzellen, der Steilhang führt links zur Einzellage Tiefes Thal, die Baumreihe oben gehört schon zum Rosenberg
Was mich nun natürlich interessiert, ist die Praxis. Wie läuft der Anbau- und Ernteprozess bei einem derartigen Konglomerat an unterschiedlichen Familien ab? In ihrem Mission Statement schreiben die Sommeracher unter anderem, »Im Keller lässt sich nichts mehr richten«. Davor aber offenbar schon.
Wie läuft die Praxis ab?
Martin Münch erklärt, dass es von Vornherein einen Plan gibt. »Bei uns hat jeder Wein seinen Weinberg. Da wird also nicht alles erstmal eingebracht und dann geschaut, was können wir damit anfangen. Sondern jede Familie weiß von Anfang an, für welchen Wein die Trauben sind und unter welchen Bedingungen der Anbau erfolgen muss.« Guts- und Ortsweine (die Sommeracher setzen auf die VDP-Pyramide) lassen sich noch von fast allen Winzern realisieren. Weiter oben werden die Anforderungen immer höher: mehr Handarbeit, reine Handlese, weniger Ertrag. Ohnehin ist die gesamte Genossenschaftsfläche seit einigen Jahren Fair’n Green-zertifiziert, was neben dem Verzicht auf Herbizide, mineralischen Stickstoffdünger und Insektizide auch weitere Nachhaltigkeitsregeln nach sich zieht.

Zertifiziert nachhaltig schon am Ortsrand
Ähnlich sieht es auch bei der Bezahlung aus. Mancherorts wird noch rein nach Traubenmenge bezahlt, so wie in früheren Zeiten. Eine gute Sache für den ungezügelten Weindurst, aber natürlich nicht für die Qualität. Bei den Sommerachern gibt es auch hier ein Basisprogramm und darüber weinbauliche und mengenbezogene Zusatzanforderungen für die Lagenweine. Was die Premium-Gewächse anbelangt, Wilm und Tiefes Thal zum Beispiel, die uns bei der Verkostung so begeistert hatten, gelten hier noch einmal andere Voraussetzungen: Es gibt einen mengenunabhängigen Fixpreis für die traubenanbauenden Mitglieder, damit sie sich keine Sorgen machen müssen (oder ungünstige Kompromisse eingehen), sollten die äußeren Bedingungen mal schwierig sein. Volle Kraft für die besten Trauben sozusagen. Finde ich persönlich überzeugend.
Genossenschaft und Innovation
Und was ist mit dem Vorurteil der Schwerfälligkeit? »Sehe ich genau andersrum«, sagt Martin Münch und erläutert. »Durch die 90 Familien und ihre vielen Parzellen haben wir derartig viele Stellschrauben, an denen wir schnell etwas verändern können.« Da würde dann überlegt, wer könnte sich den Anbau von Piwi-Sorten vorstellen, wo probiert man eine andere Anbaumethode aus, Begrünung, Laubwandmanagement… »Oder bei der Lese. Da fragen wir herum, wer möchte mal anders lesen, früher oder auch nachts, wir sind ja im ständigen Austausch miteinander – auch über gemeinsame Workshops zum Beispiel.« Auf diese Weise gibt es jetzt eine neue Linie mit drei Piwi-Weinen aus Cabernet Blanc, Blütenmuskateller und auch dem reaktivierten Regent. Der Cabernet Blanc war übrigens sofort ausverkauft und den seinem Namen alle Ehre machenden Blütenmuskateller hatte ich beim sehr gelungenen Menü im Steinburg-Restaurant probiert. Auch da ist der erste Jahrgang weggegangen wie warme Semmeln.

Kellermeister Stefan Gerhard erläutert den Preisgewinner aus der Lage Wiebelsberger Dachs
Muss doch einmal etwas Grundsätzliches besprochen werden, gibt es die Generalversammlung. Da hat jedes aktive Mitglied genau eine Stimme, unabhängig von der Größe der bewirtschafteten Fläche. Basisdemokratie halt. Was man dabei allerdings nicht verschweigen sollte: Funktionieren würde das Ganze nicht, wenn man sich an der Spitze aufreibt oder aber außer Jammern so gar keine Zukunftsvision besitzt. Jetzt habe ich natürlich noch nicht alle Sommeracher kennengelernt, aber zwei, die eine ziemlich klare Vorstellung von dem haben, wie es laufen sollte, sind Geschäftsführer Frank Dietrich und Kellermeister (oder auch Wein-Mastermind) Stefan Gerhard. Wahrscheinlich ist aber das gesamte Team so aufgestellt.
Herausforderung Zukunft
Damit es hier aber trotz toller Weine nicht nur in Jubel, Trubel, Heiterkeit ausartet, möchte ich zum Abschluss von Martin Münch noch wissen, wo er denn die größte momentane Herausforderung sieht. Aus Sicht der Genossenschaft wohlgemerkt, nicht auf den Zustand des deutschen Weinbaus allgemein bezogen.

Die neue Vinothek der Sommeracher Genossen
»Ja«, sagt er da und muss gar nicht lange überlegen, »für uns ist die größte Herausforderung, auf Mitgliedsebene den Generationenwechsel zu gestalten. Dass die jüngere Generation sieht, es lohnt sich auch in schwierigeren Zeiten durchzuhalten. Das ist nicht nur eine Frage des Geldes, sondern es geht auch um die Wertschätzung für die Arbeit, die man leistet. Wer das im Nebenerwerb macht, geht dann halt abends bei der Hitze noch in den Weinberg, während andere in den Pool hüpfen. Und dafür die Wertschätzung zu bekommen, auch über ein positives Image der Genossenschaftsarbeit, das halte ich für elementar.«

Thema Wertschätzung – Auf jedem Etikett werden die Namen der Familien genannt, deren Trauben in den Wein gegangen sind
Eine klare Aussage, zu der ich nicht viel hinzufügen kann. Ich finde es persönlich einfach enorm wichtig, dass diese Genossenschaftsidee weiterlebt: das Prinzip, dass viele Kleine gemeinsam etwas Großes erschaffen können. Und wenn das mit Umsicht passiert, auf Nachhaltigkeit und Qualität ausgerichtet wie hier bei den Winzern Sommerach, dann sollte doch genau das ein Teil der Weinzukunft sein.

…ich habe so gut wie keine guten Erfahrungen mit deutschen Genossenschaftsweinen, deshalb laufe ich ihnen auch nicht hinterher. Mit den Südtiroler Genossen ist das -teilweise- anders, die haben offensichtlich ein eigenes Konzept gefunden, wie man trotz vieler Hände die Qualität hochhalten kann; das von Dir aufgegriffene Thema “Wertschätzung” scheint auch da der oder zumindest ein Schlüssel zum Erfolg zu sein.
Kleine Beobachtung dazu am Rande bei einer Verkostung bei den Kurtatscher Genossen früh um ca. 9:00 h: der Verkostungsraum war mehrheitlich mit Genossen gefüllt, die sich zum Frühschoppen getroffen haben, ein weiterer trat ein und wurde mit den Worten empfangen: Servus [Vorname], mogschd Doin “Amos”?
Also auch eine deutliche Verknüpfung von Winzergenossen und Wein, haben die Sommeracher vielleicht mal Urlaub in Südtirol gemacht?
Klingt jedenfalls sympathisch, vielleicht sollte ich die höheren Weihen der Genossen doch mal probieren…
Ja, in der Tat, ein paar Anregungen aus Südtirol sind da sicher mit eingeflossen 😉 . Das ganze Sortiment kenne ich natürlich nicht, aber soweit ich weiß werden die Lagenweine alle spontanvergoren und kommen ins (in der Regel neutrale) Holzfass. Das macht wahrscheinlich auch einiges aus hinsichtlich der Qualität.
Hallo Matthias,
herzlichen Dank für diesen Einblick hinter die Kulissen der Winzer Sommerach.
Das ist – schon vor Deinem Artikel – übrigens die einzige deutsche Genossenschaft, von der ich Wein kaufe, weil die gute Sachen machen und experimentieren.
So bauen die Genossen einen Gemischten Satz mit seltenen historischen Sorten an.
Und es gibt einen der ganz wenigen, reinsortigen Weine aus Adelfränkisch, der sich nicht hinter denen von Nicole Roth oder Fred Ruppert verstecken muss.
Und auch die vielfältigen Silvaner sind ihr Geld wert.
Beste Grüße!
Du hast recht, wobei ich gar nicht weiß, ob es den reinsortigen Adelfränkisch derzeit gibt. Aber die Parzelle werde ich mir auf jeden Fall anschauen! An den Altfränkischen Satz kann ich mich auch nur so dunkel erinnern, wird Zeit für eine Neuverkostung 😉
Der Grüne Adelfränkisch wird von der Genossin Gaby Zobel angebaut und steht nicht auf der Weinverkaufsliste, sondern als “Bückware” unter’m Tresen. 1.150 Stock stehen auf 2.600 qm im Sommeracher Katzenkopf.
Im “Alten Satz” steckt der Most von Grünem Silvaner, Blauem Silvaner und Riesling, Weißer und Roter Elbling, Muskateller, Traminer, Gutedel und weitere seltene historische Rebsorten wie Geisdutte, Vogelfränkische, Grüner Adelfränkisch, und Weißer Heunisch.
Ich bin morgen oder übermorgen je nach Wetter dort im Katzenkopf. Das lasse ich mir vorher mal auf der Karte zeigen, dann mache ich auch ein paar Fotos.
Spannender Einblick in die aktuelle Welt der Genossenschaften, danke dafür!
Sehr gern geschehen! Die Piwi-Fläche nimmt weiter zu, Sauvitage und Souvignier Gris sind jetzt auch dabei.
Interessant! Leider eine Region, wo ich es noch immer nicht hin geschafft habe…
Moin,
ich kenne diese Genossenschaft seit Anfang der 8xziger Jahre, nach dem Umbau sind Vinothek und Kellerei absolut sehenswert, vor allen Dingen mag ich den Blauen Silvaner, Rieslaner und Weißen Silvaner.