Wie in jedem Jahr, stand für mich im März wieder eine Reihe von Messen und anderen Veranstaltungen an. Ich war beim Weinsalon Natürel in Köln, bei der ProWein in Düsseldorf und anschließend noch in Istanbul. Natürlich werdet ihr davon hier noch lesen können. Beginnen möchte ich mit einem Thema, das ich ausgesprochen spannend finde, das aber gleichzeitig medial noch ziemlich unterbelichtet ist: Wein aus China. Oder genauer gesagt, aus der Provinz Ningxia. Laut offiziellen Zahlen der OIV besitzt China mit 756.000 Hektar Rebland mittlerweile die drittgrößte Anbaufläche der Welt. Das ist natürlich ein bisschen misleading, weil der Anbau von frischen Trauben und Rosinen hier mitgezählt wird, aber es zeigt schon mal die Richtung vor. Und Ningxia ist das weinbauliche Schatzkästchen…
Warum Ningxia?
Als der Herrgott am dritten Tage Wasser, Erde und Pflanzen erschuf, dachte er noch nicht an den Weinbau in China. Wohl aber an Reis und Tee. Warum? Weil Reis und Tee in ihrer Wachstumsperiode viel Wärme und viel Wasser benötigen, also einen feuchtheißen Sommer mit relativ wenig Sonne. Das ist praktisch der Gegenentwurf zum mediterranen Sommer, der wiederum Wein und Oliven so gefällt. Bis auf die relativ gut geeignete Halbinsel Shandong, auf der im 19. Jahrhundert der westliche Weinbau in China begann, ist der größte Teil des dicht besiedelten Ostteils für Wein eine ziemliche Herausforderung. Um dem Sommerdampf zu entrinnen, gibt es daher zwei Möglichkeiten. Entweder in die Höhe zu gehen (wie in Yunnan mit Ao Yun) oder in die Trockenzone. Oder gar beides. Genau dort befindet sich Ningxia.
Das Weinbaugebiet Ningxia besteht aus einer Ebene auf etwa 1.000-1.500 Metern Höhe, nach Westen hin abgeschlossen von den bis zu 3.500 Meter hohen Helan Mountains. Der Jahresniederschlag ist mit 200 mm extrem niedrig, hoch ist hingegen die Sonneneinstrahlung, berühmt gar die in China seltene »klare Luft«. In chinesischen Darstellungen findet man gelegentlich den Vergleich mit dem Napa Valley, tatsächlich gibt es aber viel mehr Ähnlichkeiten mit Mendoza in Argentinien. Beide Gebiete werden im Sommer mediterran heiß und besitzen eine große Temperaturamplitude zwischen Tag und Nacht, was die Säure in den Beeren erhält. In Ningxia bedeutet die extrem kontinentale Lage zusätzlich, dass es im Winter teils heftig friert. In der Regel müssen die Reben deshalb im Winter eingegraben werden und im Sommer bewässert – beides kostspielige Verfahren.
Wein aus Ningxia – die Probe
Als ich im Januar im Internet schaute, welche Weingüter einen Stand auf der ProWein 2025 gebucht hatten, fiel mir Ningxia noch gar nicht auf. Genannt waren da nämlich nicht die Weingüter, sondern nur ein genereller Aussteller aus Beijing. Erst ein kurzer Hinweis im ProWein Newsflash enthielt die Auflösung, dass es hier tatsächlich raren und hochwertigen chinesischen Wein zu verkosten gibt. Entsprechend gespannt war ich, was mich erwarten würde und probierte jeweils zwei Weine der zehn beteiligten Aussteller.
Hintergründe zu Weingütern oder önologische Details zu Weinen lasse ich an dieser Stelle noch weg. Sollte ich tatsächlich einmal nach Ningxia kommen, würde sich das natürlich ändern. Mir ging es bei diesem, tja, irgendwie pionierhaften Tasting in erster Linie darum, ein bisschen zu verstehen, welche Weine in Ningxia warum gemacht werden.
Château Dulaan
Mein erstes Aha-Erlebnis hatte ich gleich beim ersten Wein. Marselan ist eine französische Züchung aus Cabernet-Sauvignon und Grenache Noir. Mittlerweile gilt sie allerdings fast als chinesische Rebsorte, weil sie dort am meisten angebaut wird und auch das größte Renommee besitzt. Auf dem Marselan der Dulaan Winery (14,5 vol%) steht als Untertitel »What flickers red and warm like a flame but is not fire?« Rotwein aus Marselan natürlich. Und das ist auch ein bisschen der gewissermaßen traditionelle Ansatz von Ningxia und vielleicht von Rotwein in China insgesamt. Ein winter warmer, relativ stark, dicht, aber cozy, nahtlos, ohne ruppiges Tannin, ohne zu viel Säure.
Ich schmecke viel Frucht im Marselan, und die Beschreibung des Weinguts mit »dried longan, dried plum« trifft es auch ziemlich gut. Das ist weit entfernt von unseren Sommellerie-Kultweinen des Moments, die ja eher in Richtung 10 vol% gehen. Und egal, ob man jetzt eher Sympathien für den einen oder den anderen Ansatz hat, berechtigt sind sie beide. Schließlich ist Wein ja kein festgeschriebenes Kulturgut, sondern besitzt einen gewissen künstlerischen Freiheitsgrad.
Jade Vineyard
Zweites Weingut. Jade Vineyard genießt einen guten Ruf unter Expert:innen wie Zekun Shuai oder Sylvia Wu. Links seht ihr den »normalen« Marselan (2021, 15 vol%): sehr dunkel, sehr pflaumig, überhaupt nicht holzbetont. Damit erinnert er mich sehr an den schwarzen Wein aus dem Roussillon, der solo eindimensional wirkte, dann aber zur Ochsenbacke unglaublich aufblühte.
Rechts im gleichzeitig wunderbar chinesischen und bildhaften Etikett der Spitzenwein, der He Shan Single Reserve Merlot, Jahrgang 2019, 14,5 vol%. Der Winzer sagte, ich sollte noch nicht darüber berichten, weil der Wein erst im April auf den Markt kommt, aber der Decanter hat ihn auch schon prämiert – mit 92 Punkten. Das finde ich fast ein wenig zu konservativ. Dieser Wein besitzt eine unglaublich weiche Frucht, pflaumig in der Tat, gewisses Tannin, erzeugt bei mir das Gefühl einer dichten Kugel an Wein und erinnert durchaus an einen Pomerol um das Jahr 2000 herum. Entsprechend langlebig.
Xiban Winery
Von der Xiban Winery habe ich einen Weißen und einen Roten probiert. Der im Stahl ausgebaute Chardonnay (14,2 vol%) besitzt im Gegensatz zu den Roten keine dichte Mitte, um die alkoholische Kraft einzufangen. Apfel, Zitrone, Erdnuss. Beim Marselan »Happy Forever« gefielen mir hingegen nicht nur Etikett und Name. 18 Monate Holzausbau, enorm softes Mundgefühl, samtig, pflaumig, wenig Tannin. Daran kann man sich durchaus gewöhnen – die meisten Menschen wahrscheinlich sogar leichter als an Säurespannung oder Naturweintouch.
He Lan Hong Winery
Auf dem linken Bild seht ihr den 2019er Weißwein der He Lan Hong Winery aus… 100% Welschriesling. 13,5 vol%, wieder sehr smooth im Mund, Frucht von Pfirsich und frischer Longan im Mund. Auch wegen dieser sanft gleitenden Art passen solche Weine meiner Meinung nach gut zu leicht scharfen Gerichten wie den Hot Dry Wuhan Noodles auf dem rechten Bild. Lest hier, wie ich auf derartige Gerichte gekommen bin, die man praktisch nie in Restaurants bei uns bekommt, die man aber sehr leicht nachkochen kann.
Huangkou Winery
Wieder ein Weißer und ein Roter bei der Huangkou Winery. Der Weiße besteht zwar zu 80% aus Chardonnay und nur zu 20% aus Petit Manseng, aber aromatisch setzt sich Letzterer sehr gut in Szene. Die Önologin sagte mir, dass sie auch einen Süßwein machen würden und Petit Manseng sich ohnehin ziemlich gut für den Anbau eignet. Vor allem, weil er auch bei hoher Reife immer seine Säure beibehält, was nicht ganz unerheblich in heißen Klimaten und insgesamt zunehmender Erwärmung ist. Dasselbe hatte ich schon bei einer extrem interessanten Reise zur Coco Farm & Winery in Japan festgestellt. Der Weiße ist Jahrgang 2023, 13,5 vol%, sehr gelbfruchtig, Thai-Mango, sehr »lecker«, wenn ich es so sagen darf.
Der Rote aus 100% Marselan (Jahrgang 2022, 15 vol%) ziert auch das Titelfoto oben im Artikel. Trotz seiner nominellen Stärke besitzt er nicht nur eine jugendliche Farbe im Glas (»nur« zwölf Monate Holzausbau), sondern auch eine lebendige Frucht, eine gewisse Frische und natürlich die mittlerweile typische Ningxia-Softness. Vielleicht sogar mein Lieblings-Roter bislang.
Devo
Devo, das sagte mir der Önologe eines benachbarten Standes, mache mittlerweile vielleicht den besten chinesischen Schaumwein. Weil das auch andere wissen und ich erst ganz am Ende der Messe die Halle 12 besuchen konnte, waren alle »fertigen« Weine schon wegprobiert. Ich hatte aber die Gelegenheit, ein komplett hefetrübes und noch recht federweißerartiges Zwischenprodukt zu probieren. Das Etikett oben soll dann auf dem fertigen Wein kleben. 100% Chardonnay, flächig angelegte Säure, eher in Richtung Franciacorta als in Richtung Champagne. Aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann ich Qualifizierteres dazu nicht wirklich sagen.
Silver Heights
Links seht ihr Hochhäuser in Hong Kong, den Ausblick aus meinem Hotelzimmer, das ich während meiner WSET 3-Ausbildung bewohnt habe. Zwar gab es da spannende australische und kalifornische Weine zu probieren, aber keinen aus China. Ich bin deshalb zur bekannten Kette Watson’s Wine gegangen, um mich beraten zu lassen. Der Sommelier dort riet mir zu Silver Heights, weil sie seiner Meinung nach die feinsten chinesischen Weine herstellen ohne zu viel Holz und zu viel Wumms. Also probierte ich die Family Reserve und konnte ihm beipflichten. Silver Heights ist ohnehin ein besonderer Betrieb, jetzt geleitet von der Tochter Emma Gao, tatsächlich Demeter-zertifiziert und auch ansonsten ziemlich vorn dran.
Der erste Wein, den ich am Stand verkostete, hat mich gleich umgehauen. Ein Pinot Noir aus dem Jahrgang 2022 mit 12 vol%. In der Nase noch gewisse Ausbauspuren vom Holz, im Mund dann enorm leicht, höchst elegant, sortentypisch. Nein, hier brennt kein wärmendes Feuer, sondern hier fließt die Frische von den Bergen herab. Subjektiv gefällt mir in meiner jetzigen Phase sowohl der feine Pinot Noir als auch der nicht-extrahierte Ansatz im Marselan von Silver Heights ausgezeichnet. Dass sie auch anders können, zeigt mir »Emma’s Reserve«, 100% Cabernet Sauvignon, 21 Monate in neuem Holz ausgebaut. Vergleichsweise weniger mein Fall, aber halt auch eine Benchmark.
Château Hua Hao
In China gilt Château Hua Hao als ganz große Nummer, die Roten werden zu Preisen von 200 € und mehr gehandelt. Ich war deshalb sehr gespannt, wie sich der medaillenbekränzte Single Vineyard Marselan machen würde. Jahrgang 2020, 15,5 vol%, mit drip irrigation immer an der Trockengrenze gehalten. Sehr feurig wirkt der Wein, wenig Frucht und viel Substanz. Dieser Wein hat meiner Meinung nach noch Jahre bis zu einem Höhepunkt vor sich, wie ich mir ihn in meiner klassisch europäisch geprägten Philosophie vorstelle. Der Hua Hao-Repräsentant am Stand studiert übrigens in Geisenheim und empfiehlt mir den Film von Sebastian Basco, »Waking the sleeping grape«. Beides verspricht (obwohl ich den Film noch nicht gesehen habe) nicht nur interessante Einblicke, sondern auch große zukünftige Entwicklungen.
Dass in Ningxia nicht immer alles nach Plan läuft, zeigte übrigens der Jahrgang 2024. Einen Monat lang hätte es ohne Unterbrechung geregnet, bislang völlig ungewöhnlich, und die Ernte hätte deshalb unter sehr kühlen Bedingungen stattgefunden. Ob sich das bereits in den 2024er Weinen zeigen wird, werden wir sehen.
Mulando
Zum Abschluss kommen noch zwei Weingüter, die unter einer gemeinsamen Führung agieren, nämlich Mulando und die Kanaan Winery. Chefin ist die Winzerin Wang Fang, eine der interessantesten Persönlichkeiten der an leading women übrigens nicht armen chinesischen Weinszene. Zehn Jahre lang hatte sie in Deutschland gelebt und gearbeitet, wobei sie, wie sie mir sagte, mittlerweile im Englischen mehr zu Hause sei als im Deutschen. Was sie in Deutschland allerdings kennen und lieben gelernt hat, das ist der Riesling. »Die Leute haben mich für verrückt erklärt, als ich beschlossen hatte, in der Wüste Gobi Riesling zu pflanzen.« Dass ihr das gelungen ist, und zwar erfolgreich, davon zeugen die leeren Flaschen mit dem Riesling-Etikett hinter ihr. »Leider alle schon ausgetrunken an den ersten beiden Tagen…«, bemerkt sie mit Bedauern.
Was mir Ms. Wang allerdings anbieten kann, das sind zwei Weine ihres Zweitprojekts Mulando. Der weiße Mulandodo (12,5 vol%) ist eine Cuvée aus Chardonnay, Welschriesling und Riesling, die in China offenbar recht günstig verkauft wird. Still, dezent, feinfruchtig, ein schöner Speisenwein. Rechts dann noch der M 520, drei Viertel Cabernet Sauvignon, maximal ein Viertel Syrah, viel leichter in Tannin und Stoff als die anderen Ningxia-Weine der Messe.
Kanaan Winery
Jetzt noch die gutseigenen Weine von Wang Fang. Zunächst das »Wild Pony« 2022 aus 85% Cabernet Sauvignon, 10% Merlot und 5% Cabernet Gernischt (= »gemischt« = Carmenère). Anders als die meisten anderen Weine kann man ihn in Deutschland bei Lobenberg kaufen, für 22 €. Zwölf Monate Holzfassausbau und in der Nase mit der Cabernet-typischen Paprikanase. Tatsächlich ist die Vegetationsperiode in Ningxia für CabSauv ziemlich kurz, weshalb es manchmal Noten gibt, die wir von früheren Bordeaux kennen. Die einen finden das zu grün, die anderen extra charmant.
Der Jahrgang 2016 (oder eine besonders strenge Selektion) ließ offenbar eine andere Cabernet-Reife zu. Das beweist die »Black Beauty« rechts auf dem Foto. Hier sind es 70% Cabernet Sauvignon und 30% Merlot, ausschließlich französisches Holz, 20 Monate Ausbau und beachtliche 15 vol%. Und hier sind wir wirklich in Bolgheri gelandet. Pfeffrige Anklänge neben der Frucht im Mund und eine gekonnte, aber präsente Tanninstruktur, die für viele Jahre Flaschenreife geeignet ist. Frisch auf dem Markt übrigens in China, wo 100 € dafür fällig werden.
Mein Fazit: Wie verstehe ich Wein aus Ningxia?
Der Disclaimer zu Anfang ist notwendig. Ich habe hier nur einen winzigen Ausschnitt des mittlerweile deutlich über 100 Weingüter starken Angebots aus Ningxia verkostet. Und ich bin weder ein Experte für chinesische Weine noch für die chinesische Philosophie, diese Weine zu betrachten und einzuordnen. Insofern muss mein Fazit schlicht subjektiv sein.
Dass China sich mehr und mehr anschickt, Wein herzustellen, primär noch für den heimischen Markt, ist erst einmal erfreulich. Jetzt gibt es sicher Leute, die meinen, warum müssen das die Chinesen auch noch versuchen, gibt es nicht genug Wein auf der Welt? Mag sein. Aber diese Einstellung verkennt vollkommen, dass es nicht in unserem Ermessen liegt zu beurteilen, wer etwas tun darf und wer nicht. Das klingt nämlich so ähnlich, als wenn wir sagen würden, weshalb müssen die Chinesen denn Autos bauen, das tun wir doch schon!
Wein, zumal Rotwein, ist in vielen Fällen in China immer noch Prestige, ist Hochkultur, ist begehrenswert, steckt in schweren Flaschen, kostet viel Geld, wird verschenkt oder zu feierlichen Anlässen genossen. Jedenfalls wenn es um hochwertigen Roten geht, und den kann man ganz offenbar in Ningxia produzieren.
Da man in China aber nicht nur Traditionen pflegt, sondern willens und in der Lage ist, sehr schnell neue Trends aufzugreifen, fände ich es ausgesprochen spannend zu sehen, wie sich die chinesische Weinlandschaft weiter verändert. Werden die starken Weine, »red and warm like a flame«, weiter die Richtung des Edlen vorgeben? Oder hat Emma Gao mit ihrem 12 vol% Demeter-Pinot Noir ein ganz neues, aufregendes Kapitel aufgeschlagen? Wir werden es sehen, und ich bin sehr gespannt darauf.
Was ich ganz zum Schluss noch loswerden muss: Top-Weine aus China sind in Deutschland kaum zu bekommen. Außer Kanaan bei Lobenberg habe ich auf die Schnelle nur noch Changyu Moser bei genuss7, The Summit von Silver Heights bei callmewine und Ao Yun gefunden. Dass ich die Ningxia-Weine in dieser Tiefe überhaupt probieren konnte, liegt einzig an der ProWein und ihrem weltweiten Status. Das darf einen ruhig einmal freuen.