Sherry. Der berühmste Wein aus Andalusien. Weiß man aus der Literatur. In Wirklichkeit und in der Allgemeinbevölkerung gilt Sherry allerdings als schrecklich veraltet. Dunkelbraun und süß und stark, also höchstens als Nachmittagsschluck für die vor langer Zeit verstorbene Urgroßtante geeignet. Als mich Christian Schumann vom Pinot Weinhandel in Nürnberg fragte, ob ich zu ihrer Sherry-Probe kommen wollte, habe ich deshalb sofort zugesagt. Denn zum einen ist es ja nicht nur bei Sherry so, dass der Geschmack von Urgroßtanten schnell wieder zur Avantgarde werden kann. Zum anderen haben sie die Sherries der Bodegas Tradición am Start. Das ist zweifellos eines der angesehensten Häuser und deshalb genau die richtige Adresse, um die verschiedenen Sherrytypen einmal auf Top-Niveau anzutesten.
Bodegas Tradición – eines der ältesten Sherry-Häuser (?)
Ein Sherry-Haus, das Tradition heißt, muss natürlich auch uralt sein. Das denken sich die Inhaber selbst auch, weshalb auf ihrer schönen Website Sachen stehen wie »a family owned winery dedicated to the production and ageing of exclusive wines from Jerez (1650 – present day)«. Tatsächlich gründete im Jahr 1650 Pedro Alonso Cabeza de Aranda y Zarco die »Bodegas CZ«, benannt nach seinen beiden Nachnamen. Ebenso tatsächlich aber verschwand das Nachfolgeunternehmen der erlauchten Firma glanzlos im 20. Jahrhundert, und das endgültige Aus schien gekommen, als 1990 der Handel eingestellt und die Überreste nach Familienquerelen an die Konkurrenz verkauft wurden.
Gar nicht einverstanden damit war allerdings Joaquín Rivero, direkter Nachkomme der CZ-Dynastie. Gemeinsam mit den ebenfalls aus angesehenen Häusern stammenden Ignacio López de Carrezosa und Javier Domecq gründete er deshalb im Jahr 1998 die …Bodegas Tradición. Glücklicherweise hatte Joaquín nämlich alte (volle) Fässer aus den 1970er Jahren geerbt, der Startpunkt für das neue Unternehmen. Nach und nach kauften sie Weine und Fässer von Bodegas auf, denen es ähnlich ergangen war. Die Strategie war von Anfang an klar: Bei Tradición gibt es nichts Junges, Leichtes, Frisches, nur Altes, Unfiltriertes, Handgefülltes.
Mittlerweile gehören die Bodegas Tradición zusammen mit Equipo Navazos und Willy Pérez (Bodegas Luis Pérez und De la Riva) zur Generation der jungen edlen Wilden, der Crème de la Crème, die alles machen so wie ganz früher, nur mit der Akribie von heute. Mit ihnen hat sich aber auch die gesamte Sherry-Landschaft gewandelt, wie ich bei meinem Oktoberbesuch in Spanien feststellen konnte (Artikel kommt noch…). Da stehen nämlich nicht nur einfache Finos und Creams in den Regalen der Weinläden, sondern zunehmend spezielle Abfüllungen, en rama, vino de pasto, selbst die großen Firmen zaubern immer mehr neue alte Sachen aus dem Hut.
Aber zurück zur Tradición. In den Räumlichkeiten der Galerie Lukasch führte uns Christian Schumann durch die Weine der Bodega. Und ich habe fleißig mitprobiert.
Ganz kurz: die Sherry-Stile
Eigentlich wollte ich euch für diesen Abschnitt einfach irgendwo hinverlinken, zum Beispiel hierhin. Jetzt mache ich’s aber doch schnell selbst. Also: Sherry ist die Verballhornung der andalusischen Stadt Jerez de la Frontera, und aus dem Gebiet von Jerez stammen die Trauben für die Sherries. Es ist heiß dort, aber im Winter nicht trocken. Der Boden besteht aus Albariza, extrem hell, sehr kalkhaltig und feinkörnig. Das Wunder von Jerez ist deshalb möglich, weil der Boden nach Niederschlägen aufquillt und bei starker Sonneneinstrahlung oberflächlich zu einer harten Kruste abtrocknet. So bleibt die unterirdische Feuchtigkeit erhalten, und die Reben können gedeihen.
Zwei Rebsorten werden für Sherry verwendet. Am wichtigsten ist Palomino Fino. Aus ihr werden die Stile Fino/Manzanilla, Amontillado, Palo Cortado und Oloroso bereitet. Pedro Ximénez als zweite Rebsorte wird in der Regel nur für süße Sherries verwendet (also Pedro Ximénez oder PX), weil sie Zucker in den Trauben speichern kann wie keine zweite.
Im ersten Schritt wird aus den Trauben ganz normaler stiller Weißwein bereitet. Gibt’s mittlerweile auch immer öfter zu kaufen, kann ganz spannend sein. Dieser Wein wird dann klassifiziert, das heißt, die Sherry-Leute legen anhand ihrer Erfahrung fest, für welchen Sherrystil sich das probierte Fass am besten eignet. Dafür wird der Wein mit hochprozentigem Alkohol entweder auf etwa 15 vol% oder auf etwa 17 vol% verstärkt, das sogenannte Aufspriten.
Sherry mit Hefeeinfluss
Der auf 15 vol% verstärkte Wein reift nun im Fass unter der Florhefe, die sich unter ziemlich komplexen Bedingungen (Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Alkoholgehalt) langsam von selbst bildet. Nach einer gewissen Zeit ist der Wein fertig und wird als Fino bezeichnet. Stammt er aus der Küstenstadt Sanlúcar de Barrameda, heißt er Manzanilla. Die mindestens drei Jahre andauernde Reifung findet reduktiv statt, also abgeschlossen vom Sauerstoff. Schließlich sitzt die Florhefe oben drauf. Man nennt das auch »biologische Reifung«.
Verstärkt man den Fino jetzt wieder mit hochprozentigem Alkohol und lässt ihn weiter reifen, stirbt die Florschicht ab. Dieser Wein, der sozusagen in seiner ersten Lebenshälfte biologisch, in seiner zweiten Lebenshälfte jedoch oxidativ gereift ist, heißt Amontillado.
Sherry mit Sauerstoffdominanz
Bei dem Wein, der von vornherein auf 17 vol% verstärkt wurde, kann sich aufgrund der anderen Bedingungen keine Florhefe bilden. Der Sauerstoff greift im Fass schön zu, es handelt sich also um eine »oxidative Reifung«. Ein derart komplett oxidativ gereifter Wein heißt Oloroso.
Fällt bei der eigentlich angedachten biologischen Reifung des Fino die Florhefe aus irgendeinem Grund sozusagen unterwegs aus (Florhefe ist unglaublich launisch, fragt mal bei Leuten nach, die das hierzulande versuchen nachzuahmen), ist das keine Katastrophe, ganz im Gegenteil. Dieser Fino in spe wird dann zum Palo Cortado, einem »unabsichtlich« oxidativ gereiften Wein.
Alle bislang genannten Stile sind in der Regel trocken.
Süße Sherries
Gänzlich anders verläuft die Sache nur bei den Süßen. Hier nimmt man Pedro Ximénez-Trauben, lässt sie aber nur angären und verstärkt dann auf etwa 17 vol%. Dieses immer noch sehr süße Produkt reift dann oxidativ und heißt, nun ja, Pedro Ximénez oder PX.
Ein Mischprodukt ist der Cream. Hier wird zum oxidativen Wein, der eigentlich Oloroso werden sollte, einfach süßer Pedro Ximénez-Most gegeben.
All diese Stile und Prinzipien sind allerdings nur sehr grobe Richtlinien. Die Sherry-Winzer oder vielmehr Kellermeister können selbst bestimmen, wie lange die Fassreifung dauert (es gibt ja nur Untergrenzen), wie hoch innerhalb eines bestimmten Spektrums verstärkt/aufgespritet wird, ob und wie viele Jahrgänge man verwendet und im Solera– oder Criadera-System zum fertigen Produkt verschneidet, tausend Sachen. Ein Sherry kann also ein sehr komplexes, sehr handwerkliches Produkt sein.
Die Finos de la Guarda
So, nachdem das nun geklärt ist, können wir endlich an die Weine selbst gehen. Das »Problem« oder vielmehr der Ansatz bei Tradición besteht darin, dass es keinen echten Einstieg gibt, also keinen »typischen« Fino, wie ihr ihn im Supermarkt finden würdet. Der einfache Fino (37 €) ist nämlich bereits mindestens zehn Jahre unter Flor gereift. Im Ergebnis wird das ein nicht etwa blasses, sondern hochfarbiges Produkt, nussig, komplex, pikant. Ganz toll für Fortgeschrittene, aber ich merke schon, dass sich Einsteiger in die Sherrywelt damit ein bisschen schwer tun.
Die oben abgebildeten Finos de la Guarda setzten den Fino-Weg fort. Die biologische Reifung bleibt dieselbe, nur die zusätzliche Flaschenreife ist unterschiedlich lang. Um diese Reise gut überstehen zu können, wählte Joaquín dafür die besten Abfüllungen aus. Der Wein links wurde 2021 gefüllt, der in der Mitte 2017, und der rechts 2013, ist also insgesamt mindestens 21 Jahre alt.
Die geschmacklichen Unterschiede sind durchaus beachtlich, aber anders als erwartet. Ich würde nicht sagen, dass man direkt das Alter herausschmeckt, denn solche Weine entwickeln ja keine Firnnoten oder Ähnliches. Die 2021er Abfüllung (59 €) wirkt gegenüber dem normalen Fino etwas dunkler in der Tönung, viskoser, noch mehr in Richtung geröstete Haselnuss. Das ist schon ziemlich gut. Die 2017er Abfüllung (64 €) erscheint mir jedoch trotz geringeren Säureausdrucks irgendwie schärfer, medizinaler, etwas schwieriger. Die größte Harmonie der drei besitzt die 2013er Abfüllung (74 €), die ihre Oxidation noch mehr ins Nussige verlagert hat, aber gleichzeitig feiner und feuriger daherkommt.
Amontillado, Palo Cortado, Oloroso
Zweite Runde. Die drei Gesellen auf dem Foto oben haben die Bodegas Tradición berühmt gemacht. Auch wenn ich alles andere als ein Punktefreak bin, kann man darauf hinweisen, dass der normale Fino beim großen Meininger-Test auf 92 Punkte kam (Platz 7 in seiner Kategorie), während Amontillado und Palo Cortado mit 94 respektive 95 Punkten ihre jeweiligen Kategorien gewannen.
Diese Meisterschaft realisieren irgendwie alle Probeteilnehmer:innen sofort, als der Amontillado (106 €) ins Glas kommt. Technisch ist er mit 21 vol% für mich erst einmal ein bisschen abschreckend stark, aber er hat ja auch minimal zehn Jahre biologische und 20 Jahre oxidative Reifung hinter sich. Farblich ist der Amontillado heller, mit einem rötlich-kastanienbraunen Einschlag. In der Nase gibt es richtig viel rote esterige Frucht, burnt candy, Grappa-Noten, frische Pflaumentarte, Marzipan, komplex. Im Mund salzig, die Säure prägt (alle haben ungefähr 6 g Säure und keinen Restzucker), erst dann kommt das Nussige, sogar florale Noten sind da. Das ist schon sehr fordernd und intensiv, aber auch ziemlich genial.
Der Palo Cortado (122 €) besitzt Dörrfrucht-Anklänge in der Nase, die man auch im Mund deutlich spürt. Der nussig-oxidative Charakter wird auf diese Weise durch eine gewisse Frische ergänzt. Auch hier gibt es Salz und eine sehr schöne Säure, die mich an exzellenten Madeira erinnert. Ebenfalls ein großer Wein.
Schließlich noch der Oloroso (90 €). Interessanterweise haben sich die Weine stärker einander angenähert, als man das von den Idealtypen her vermuten würde. Aber als VORS (vinum optimum rare signatum oder auch very old rare sherry, ja, das ist wirklich ein Fachbegriff) haben sie ja auch gemeinsam 20 Jahre oxidativ unter ähnlichen Bedingungen verbracht. Der Oloroso jedenfalls besitzt diese komplexe Oxidationsnote, extrem Salz und Feuer, aber auch Fruchtsäure. Für mich vielleicht ein Touch weniger multidimensional als der Amontillado, aber für sich schon beeindruckend.
Süße Sherries – Cream und Perdo Ximénez
Zum Abschluss (und das kann man auch in keiner anderen Reihenfolge machen) kamen die Süßen. Zuerst war das der Cream. Cream hat den schlechtesten Ruf aller Sherrytypen, würde ich sagen, denn süß stark billig war jahrzehntelang das Motto. Einen richtig hochwertigen Cream zu finden und dazu Leute, die das entsprechend goutieren, ist nicht ganz einfach. Der Tradición-Cream (80 €) steht da ziemlich allein in seiner Kategorie. Oloroso mit Pedro Ximénez verschnitten und dann noch 20 Jahre oxidative Reifung. Das Ergebnis ist ein richtig dunkles Produkt, gebrannte Mandeln, Maracuja seltsamerweise auch, Dörrfrüchte insgesamt, likörig, hallt lange nach, ist aber weniger komplex als die Weine davor.
Der letzte Wein des Abends war der Pedro Ximénez (90 €). Interessanterweise nur 15 vol% stark, aber von einer Süße und viskosen Dichte, dass jeder Löffel darin steckenbleibt. Auch die Farbe erinnerte mich an Kaffee oder aber Brom aus dem Chemieunterricht (nur unter dem Abzug natürlich). Man braucht auch nicht viel davon zu trinken, denn die Konzentration ist wirklich unglaublich. Kaffeesahne, gefülltes Bollo meiner Großmutter, extrem süß, extrem dicht, ein Elixir. Ich bin mir nicht sicher, ob ich so etwas kaufen würde, aber Probieren lohnt sich ungemein.
Mein Sherry-Fazit
Und »schon« bin ich beim Fazit angekommen. Eine Sache ist klar: Wenn man die Sherries der Bodegas Tradición probiert hat, ist man danach für andere Marken ziemlich verdorben. Gerade Amontillado, Palo Cortado und Oloroso kann man wahrscheinlich kaum besser machen. Großartige Weine, extrem haltbar zudem, denn nach 20 oder 30 Jahren Oxidation gibt es nichts mehr, was kaputtgehen kann.
Das einzige, was Tradición nicht anbietet aus dem Sherry-Spektrum, und das halte ich tatsächlich für ein Manko, ist ein idealtypischer Fino frisch vom Fass. Natürlich, das passt nicht in die Philosophie des Hauses, würde aber bei Proben die Schwelle des krass Ungewohnten ein wenig herabsetzen. Wenn man das denn möchte.
Ansonsten passten die in der Galerie Lukasch angebotenen Salzchips natürlich hervorragend zu allen trockenen Exemplaren. Die leichteren mögen auch grüne Oliven gern, die etwas kräftigeren Schinken und Hartkäse. Aber wenn es um Sherry geht, sollte man eigentlich die Engländer fragen, was man dazu isst. Schließlich haben sie den ganzen Craze angefangen.
Hugh Johnson, als er noch aktiv war, empfahl schlicht Pekannüsse. Zu allen Sorten. Alberto Borge vom Steak-Restaurant Hawksmoor votiert bei Amontillado und Palo Cortado für umami food wie kurz gebratene Pilze, Zwiebel, Ei, gegrillten Spargel. Und schließlich noch Pedro Ximénez. Ich würde wahrscheinlich gar nichts damit pairen wollen, aber Sommelier Oleg Antipin schwärmt für Eis mit Blauschimmelkäse, während Pâtissière Yakira Batres nur Espresso kredenzt.
Wie auch immer, ein großartiges Tasting ganz besonderer Weine, vielen Dank an die Gastgeber! Und überlegt euch doch mal, ob nicht im nächsten Jahr täglich ein Fingerhut Amontillado VORS als evening drop drin sein könnte…