Zugegeben, ich habe mich rar gemacht in den letzten Wochen. Zumindest hier auf dem Blog, denn in Wirklichkeit (das ist immer die Kehrseite der Medaille) hatte ich sehr viel zu tun. Deshalb bin ich nicht dazu gekommen, hier etwas zu schreiben. Erst gab es verschiedene, tatsächlich interessante »Fremdaufträge« von alten Rebsorten über Riesling-Kabi und Restaurantguide bis Silvanerpreis. Und dann war ich gerade eine Woche in der Umgebung von Valencia aktiv – wer bei Instagram ist, konnte wenigstens davon lesen. Jetzt aber bin ich wieder zurück und habe euch sechs Weine mitgebracht, die mir in der letzten Zeit aufgefallen sind. Aus SEHR unterschiedlichen Gründen.
Was ist drin in meinem Sechserkarton?
Sechs Weine sind drin in meinem Sechserkarton, wer hätte das gedacht. Probiert habe ich diese Weine teilweise zu Hause, teilweise unterwegs. Aber immer hatte ich davor ein Fragezeichen auf meinem virtuellen Notizblock stehen. Mal schauen, vielleicht kennt ihr den einen oder anderen Wein ja, und es ist euch ähnlich ergangen. Ich habe dabei jedenfalls wieder einiges dazugelernt, vor allem über die Offenheit, die wir uns alle erhalten sollten…
Gut Hermannsberg – schlankstes GG der Welt?
Mein erster Fall ist schon gleich ein schwieriger Patient. Gut Hermannsberg von der Nahe, das 2022er Große Gewächs aus dem Felsenberg, 50 € ab Hof – und Vinum und Falstaff geben nur 92 Punkte. Das ist vergleichsweise wenig, und im Falstaff kann man auch lesen, warum. Ich zitiere einfach mal: »Röstig-reduktiv, gebrannte Mandel, im Duft fast wie ein bâtonnierter Chardonnay. Im Mund zeigt sich dann ein kantiger, deutlich grünlicher Säurekern, der Wein hat viel Stoffigkeit, wirkt aber bei mittlerer Länge wenig komplex und etwas holzschnittartig.« Ich mache den Wein auf und denke, wow, krasse Säure, sehr schlank (11 vol%), völlig trocken, gar keine Frucht, leicht röstig, geht für mich vom Ansatz her in Richtung Kai Schätzel. Im Moment ist der Wein tatsächlich ein bisschen eindimensional, ja, röstsauer bei wenig Tiefe. Aber vielleicht ist er auch einfach nur zu früh auf den Markt gebracht.
Also mache ich Folgendes: Ich lasse die Hälfte des Weins in der Flasche, verkorke sie wieder und stelle sie 14 Tage lang (!) bei Zimmertemperatur (!) ins Dunkle. Dann wieder einkühlen, öffnen, einschenken. Und? Ja, die Säure ist immer noch krass, sehr früh gelesen auf jeden Fall. Aber die Röstigkeit ist fast weg, dafür kommen mehr Tiefe und Gehalt, als man es vorher dachte, dazu Grip und Feuer. Tatsächlich denke ich an Kai Schätzel, ich denke auch an Stefan Vetter – und ich denke an Nordic Cuisine und an junge Somms, die das garantiert lieben werden. Eigentlich gehört so ein Zeug nicht in Deutschland verkauft, und vielleicht war das ja von vornherein der Plan dahinter. Weiteres Indiz: Die Flasche ist mit einem Diam 30 verschlossen. Das macht niemand aus Versehen. Ich find’s stark. Für Fruchtschmeicheltrinker ist das allerdings nichts und wird es auch nie sein…
Château Mukhrani – das bessere Georgien?
Im September war ich in Georgien. Darüber habe ich hier schon in Schnipseln berichtet, aber die große Tastingshow, also welche Weingüter ich besucht und welche Weine mir gefallen haben, wird noch folgen. Dies ist insofern ein Vorgriff. Eines der wahrscheinlich professionellsten Weingüter in Georgien heißt Château Mukhrani, und der Leiter und Önologe vor Ort ist Patrick Honnef aus Deutschland. Ich saß beim Abendessen neben ihm, und er meinte schon, Georgien hätte immer noch Überraschungen zu bieten. Ich kannte vorher zwei Arten georgischer Weine, die beide ausgesprochen tanninrobust daherkommen. Entweder in Form maischevergorener Naturweine oder in Form von rotem Saperavi, der wahrscheinlich erst nach 30 Jahren nicht mehr pelzig am Gaumen wirkt.
Da meinte Patrick zu mir, »na, dann probier mal das hier…«. Shavkapito heißt die Rebsorte, und der Wein war fruchtbetont, aber eher hell gehalten, fein, elegante Gerbstoffe, ja, tatsächlich in Richtung Pinot Noir. »Shavkapito und Dzelshavi sind Rebsorten, deren Potenzial wir wahrscheinlich noch nicht annähernd kennen«, schloss Patrick. Vielleicht kommt in der Tat das Beste aus Georgien noch auf uns zu.
Château des Jacques – Wird der Beaujo zum Burgunder?
Es heißt ja immer wieder in mannigfachigen Publikationen, die ich hier nur aufgrund des übertriebenen Aufwands nicht aufführe, dass sich Beaujolais, guter Beaujolais wohlgemerkt, im Alter zunehmend wie ein Pinot Noir von der Côte d’Or verhalten soll. Die geschätzte Bonner Weinrunde, die ausschließlich aus Menschen besteht, die sich um solche Marketinggags keine Gedanken machen müssen, hatte neulich blind einen Haufen hochwertiger Beaujolais getestet. Das ernüchternde Ergebnis: Ein einziger unter ihnen (Foillard, sofern ich mich recht erinnere) schmeckte gereift tatsächlich nach Pinot Noir.
Also holte ich meinen 2006er Moulin à Vent vom Château des Jacques aus dem Keller und schaute, ob ich das in diesem Fall ähnlich sehe. Tatsächlich ist aus dem Gamay auch nach 18 Jahren kein Pinot geworden. Dafür aber ein sehr guter Wein. Die jung durchaus ruppigen Gerbstoffe sind wunderbar abgeschmolzen, das Ganze aber noch ausreichend kirschig fruchtorientiert geblieben. Natürlich haben die Jahre zu aromatischen Veränderungen geführt. Wir sind hier jetzt eher auf der balsamischen, der herbstlichen Seite. Insgesamt lohnt es sich aber absolut, einen guten Beaujo wegzulegen. Besser als jetzt war er in jungen Jahren nämlich auf keinen Fall (und ja, fünf Jahre ist immer noch jung).
Danjou-Banessy Rancio Sec – oll oder doll?
Einen Wein, den schon der Winzer ausreichend lange im Keller, tja, gepflegt oder vergessen hat, habe ich im Roussillon probieren können. Einen Blogpost habe ich zur Roussillon-Tour schon geschrieben, die Weine oben habe ich aber für einen Artikel in der Wein+Markt getestet. Wobei »getestet« ein anmaßender Begriff ist, denn eigentlich haben die Weine mich getestet. Ich habe die Brüder Danjou in ihrem Weingut besucht, das im Moment ein wenig einen Baustellencharakter hat. Mit Benoît bin ich rausgefahren in die Weinberge mit der pechschwarzen Erde. Später haben wir die ganze Wein-Range probiert, und wer das Weingut kennt, weiß: Das sind großartige Sachen.
Weil mein Artikel aber über den Weintypus Rancio Sec sein sollte, ist Benoît in seine Schatzkammer gegangen und hat drei unglaubliche Weine herausgeholt. Vi Ranci 2002, 1965 und 1952. Teilweise seit Jahrzehnten im Fass, voll durchgegoren, voll oxidiert, aber anders als beispielsweise Madeira nie gespritet. Die 19 vol% sind also ausschließlich das Ergebnis der Evaporation. Was das für die Konzentration der Aromen bedeutet, könnt ihr euch sicher vorstellen. Ich habe auch versucht, das in Worte zu fassen, aber letztlich bleibt das unvollkommen. Ein Wein ist das, fordernd bis zum Äußersten, unglaublich großartig, aber anstrengend.
Deshalb, sagt Benoît, sei das für ihn auch kein Getränk, sondern ein condiment, ein Würzmittel. Joan Roca von Can Roca habe mal ein paar Tropfen davon auf eine Garnele gegeben, die dann auf einem heißen Stein gebraten wurde. So muss man sich das vorstellen. Seitdem habe ich auch einen Rancio Sec hier in der Küche. Allerdings nicht den 1952er, der liegt glaube ich bei 1.000 € Vorschlagspreis. Sondern von der Domaine des Schistes für 24 €. Probiert es mal aus. Auch ohne Garnele und heißen Stein.
Vignerons de Caramany – Was tun mit dem Genossenwein?
Zweiter Wein aus dem Roussillon, völlig andere Liga. Wir sitzen abends am Tisch zusammen mit dem Exportchef der Genossen von Caramany. Es gibt drei Gänge zu essen, wir probieren einfach quer durch. Also nehme ich diesen Roten. Carignan und Syrah, niedriger Ertrag, Ausbau im Stahl, 14,50 € glaube ich. Ich schmecke die 15 vol% Alkohol, die Konzentration, die komplett schwarze Frucht, sehr pur, extrem dunkel, kraftvoll und ehrlich gesagt ohne jede Raffinesse. Dann aber kommt das Essen, geschmorte Ochsenbacke, und heidewitzka, ändern sich da plötzlich die Perspektiven!
Das Essen hat nur auf einen solchen Wein gewartet. Jetzt passt die schwarze Frucht zur Sauce, und die Abwesenheit des Holzausbaus macht sich angenehm bemerkbar. Der im Holz ausgebaute Topwein der Genossenschaft hatte keine Chance dagegen. Ein idealer Kandidat für meinen Sechserkarton, weil er wirklich nur als Kontextwein funktioniert, und zwar fantastisch. Solo hätte mich so ein Typ überhaupt nicht interessiert. Ich finde das wichtig zu verstehen für mich, weil man ja gern mal Weine nach Bewertungen kauft, und jene ausschließlich in akademischen Soloverkostungen entstehen.
Gabriel Restel Müller-Thurgau – Hakuna Matata als Wein?
Das was ich zum Schluss über den Roussillon-Roten geschrieben habe, passt gewissermaßen auch hierhin. Aber der Reihe nach. Niki und Ralf Restel betreiben im churfränkischen Großheubach das Gasthaus Zur Krone. Bib Gourmand im Guide Michelin, das sagt eigentlich alles über die Philosophie. Ochsenbacke gibt es übrigens auch auf der Karte. Als ich Niki bei einer Veranstaltung treffe, hat sie zwei Weine von ihrem Sohn Gabriel mit im Kofferraum. Weil ich das interessant finde, und Niki wiederum interessiert, was ich von den Weinen halte, nehme ich sie mit.
Es handelt sich um einen Pinot Noir und einen Müller-Thurgau. Gabriel arbeitet im Weingut Kremer, hat aber aus dem Bischofsberg (glaube ich) von zwei Parzellen eigene Weine gemacht. Beide sind durchaus schick ausgestattet, mit je 12 vol% schlank im Alkohol, unfiltriert. 9,50 € soll der Müller kosten, 16 € der Pinot. Gut, die Weine heißen »Hakuna Matata«, was alle sofort und ausschließlich an den König der Löwen denken lässt. Es heißt aber übersetzt so viel wie »alles easy«, und so präsentieren sich auch die Weine. Der Müller ist säurefrisch, sehr reintönig und wirklich null künstlich, schön trocken, Noten nach Zitronenschale, etwas hefig, kühl, kräuterig, leicht und präzise. Für mich persönlich ist das der ideale Apéro-Wein, vor dem Essen, vielleicht ein bisschen Gebäck, Stehtische, ungezwungen. Finde ich für diese Zwecke sogar besser als einen Schäumer, ein wunderbar unspektakulärer Kontextwein. Hakuna Matata halt.
Und das soll es gewesen sein mit dem Sechserkarton. Ich hoffe, es war auch ein Wein dabei, der euch gefällt. Demnächst gibt es dann wieder Reisen, Georgien nochmal, Valencia, alles schöne Sachen.