Weine kann man in ganz unterschiedliche Kategorien stecken. Man kann sie nach Preisen sortieren, nach Rebsorten, Herkunft oder nach der VDP-Pyramide. Aber was macht man mit einem Wein, dessen wichtiges Merkmal ist, in einem Muschelkalkfass ausgebaut zu sein? Oder aus einer historischen Terrassenlage zu stammen? Oder Monate im Stollen unter Tage zugebracht zu haben? Daraus kann man schwerlich eine eigene Kategorie zimmern, aber es ist auch alles andere als eine Resterampe. Ich habe mich deshalb entschlossen, diesen »besonderen« Silvanern einen Artikel in der Großen Silvaner-Schau 2024 zu widmen.
Keine Leistungsschau
Bei der Auswahl der Silvaner habe ich mich hier bewusst von Wettbewerbskriterien verabschiedet. Es geht also nicht darum, Kritiker im Blindtest überzeugt zu haben. Natürlich, es mag vorkommen, dass mir der eine oder andere Wein einfach so gefällt. Aber ich versuche das bei den Beschreibungen immer ein wenig in den Kontext zu setzen, denn hier gibt es eher Persönlichkeiten denn Glattgebügeltes.
Weingut Reiss – Silvaner aus dem Muschelkalkfass 2022
[In Kooperation mit dem Weingut Reiss] möchte ich euch gleich zu Anfang das in der Einleitung schon angedeutete Muschelkalkfass vorstellen. Respektive den Inhalt. Steinfässer stehen ja mittlerweile trotz ihres hohen Anschaffungspreises bei einigen Weingütern im Keller. Weine aus Granitfässern mit ihrem enorm kargen Ausdruck hatte ich schon probiert. Interessanterweise stammten die Weine darin aber nie vom Granitboden, und genau das sollte diesmal anders sein. Der Silvaner vom Weingut Reiss wächst nämlich auf Muschelkalk und reift auch in ihm. Ein spannendes Experiment.
Wer das Weingut Reiss noch nicht so gut kennen sollte: Es handelt sich um einen alteingesessenen Familienbetrieb in Würzburg, Weinbau seit 1800, 16 Hektar, auf 40% der Fläche steht Silvaner. Katharina, die Großmutter des heutigen Besitzers Christian Reiss, brachte Parzellen im Würzburger Pfaffenberg ins Weingut ein, den ihr unten auf dem Foto bewundern könnt. Das ist sozusagen der Hausberg der Reissens. Mittlerweile erzeugen sie zwar auch Weine aus Toplagen wie Würzburger Stein oder Randersackerer Pfülben, aber die Qualität gerade des historischen Pfaffenberg-Gewanns sollte man keineswegs unterschätzen.
Ein paar Infos noch zum Wein: Nach selektiver Handlese wurden die Trauben erst einmal 24 Stunden auf der Maische belassen. Bereits die Gärung mit den traubeneigenen Hefen erfolgte im Muschelkalkfass, in dem der Wein dann das nächste knappe Jahr zubrachte. Nur 12 vol%, dennoch komplett trocken, 17,50 € im Shop des Weinguts, das klingt doch vielversprechend.
Hellfarbig fließt der Silvaner ins Glas, wartet dann aber in der Nase zunächst mit beinahe erdigen Tönen auf, fast ein wenig in Richtung Roggenbrot. Ein bisschen Luft tut ihm auf jeden Fall gut. Im Mund bin ich dann wirklich überrascht, der Roggen und die Würze sind nämlich gar nicht mehr da. Stattdessen kommt ein strahlend zitroniger, straighter und kerniger Wein zum Vorschein. Wow. Das ist präzise, das ist schlank, dennoch nachhaltig und einfach steingeboren. Stellt euch die edle Ausgabe eines trockenen Kabinetts vor im wirklich idealtypischen Sinne. Ich habe das Gefühl, das Muschelkalkfass hat den Charakter des Weins schlicht nochmal verstärkt und fokussiert. Und eins kann ich versprechen: Die Flasche wird bei einem solch leichtgewichtigen und trotzdem individuellen Wein sehr schnell leer.
Weingut Carl-Friedrich L. Walther – Silvaner pur 2022
Kein Muschelkalkfass bei Wein Nr. 2, aber dennoch ein in mehrerlei Hinsicht besonderes Produkt. Carl-Friedrich L. Walther oder auch einfach Carl ist ein junger Winzer aus dem Weinbaugebiet Saale-Unstrut. Wer aus dieser interessanten Region mal ein paar schöne Weinberge sehen möchte, ich war zu heiß-trockener Zeit dort und habe schwitzenderweise alles dokumentiert. Carl hat 2017 mit einer einzigen Silvaner-Parzelle angefangen, mittlerweile ist es ein Hektar geworden. Immer noch sehr wenig natürlich, aber von Anfang an gehegt, gepflegt und mittlerweile biologisch zertifiziert.
Sein Silvaner »Pur« des Jahrgangs 2022 aus dem Kaatschener Dachsberg hat nach 24 Stunden Maischestandzeit und einer enorm langsam-schonenden Korbpressung von weiteren 20 Stunden spontan im Stahltank das Gären angefangen. Dort konnte er auf der Hefe weiterblubbern, wie es ihm gefiel. Abfülldatum war erst nach der 2023er Lese, 10 mg/l SO2 kamen dazu, das war’s.
Sowohl in der Nase als auch im Mund ist das für mich ein astreiner, sauberer natural wine. Tatsächlich verbirgt sich kein Widerspruch in dieser Formulierung. »Sauber« in dem gemeinten Sinne ist für mich die typische Aromatik nach Apfelschale, Mostbirne, etwas Rauch, etwas Malz und feinen Kräutern. Untypisch wären für mich Mäuseln und starke Flüchtigkeit, denn das möchte ich auch in einem »freien« Wein nicht haben. Knalltrocken ist der Silvaner, wirkt aber keinesfalls mager und kommt mit einer sehr schönen Frische daher. Das macht Spaß, das ist pures Handwerk, und für 19 € könnt ihr eine der 544 Flaschen erwerben.
Moritz Bachner – Silvaner 2021
Nicht nur kein Muschelkalkfass, sondern noch nicht mal ein Weingut – so sieht’s aus bei meinem Wein Nr. 3. Moritz Bachner ist Kellermeister beim Weingut Hemberger, wo dieser Wein auch abgefüllt wurde. Früher war Moritz beim Weingut Horst Sauer Ausbilder von Thomas Patek, mit dem er dann als Teil von Patek & Bachner fungierte. Das Sauer’sche VDP-Weingut in Escherndorf ist zwar nicht gerade bekannt für freidrehende Weine, aber Horst und Sandra Sauer scheinen definitiv ein Händchen dafür zu besitzen, ihre Angestellten beim Verwirklichen eigener Visionen zu unterstützen. Tobias Winkler, der jetzt bei Richard Östreicher arbeitet, hatte glaube ich auch bei Horst Sauer gelernt. Keine Angst, das war es auch mit dem großen Namedropping. Was ich damit nur sagen will: Es ist zum Glück längst nicht mehr der Fall, dass Weingüter verknörzt darauf achten, dass niemand neben ihnen emporwächst. Wenn man sich gegenseitig stärkt und beeinflusst, profitieren alle davon.
Was den Silvaner von Moritz Bachner auszeichnet: Er lagerte definitiv lange auf der Hefe und wurde dann auch richtig trüb abgefüllt. Logischerweise ist er deshalb als »Landwein Main« deklariert. Anders als bei Carl Walther spielt die Hefe auch in der Nase eine starke Rolle. Nein, nicht nur in der Nase, im ganzen Wein. Dabei ist es nicht der »süße« Hefetyp, sondern hier geht es vielmehr in eine hopfig-helle Richtung. Sehr spannend. Nach der Primärfrucht braucht man selbstverständlich nicht zu suchen, aber ihr seid hier ja auch im experimentellen Teil der Silvanerwelt. Mein eigenes Experiment mit Moritz’ Wein geht dabei noch weiter: Ich lasse ihn einfach eine Woche lang geöffnet und bei Raumtemperatur stehen. Danach ist er runder und würziger, harmonischer geworden – ein topstabiles Produkt!
LWG Veitshöchheim – Silvaner Bergwerk 2017
Wein Nr. 4 treibt die Abwesenheit der Standard-Weinelemente in die Höhe. Nicht nur kein Muschelkalkfass (okay, ein etwas lahmer running gag) und nicht nur ein fehlendes Weingut, sondern diesmal sogar eine fehlende Erwerbsmöglichkeit. Soll heißen: Diesen Wein kann man nicht kaufen. Weshalb ich ihn trotzdem hier vorstelle? Weil es sich lohnt.
An der LWG in Veitshöchheim kann man sich als Winzer:in und Weintechnolog:in ausbilden lassen, sich technisch und meisterlich fortbilden – und es wird natürlich auch geforscht. Oft habe ich schon von hier berichtet, vor allem von den Weinbautagen – hier der Link zum letzten Jahr, von diesem Jahr hatte ich noch nichts geschrieben, aber da liegt noch Spannendes auf Halde. In jedem Jahr gibt es bei der LWG das Weinexperiment der jeweiligen Abschlussklasse, dazu manchmal noch weitere. All diese Weine sind (soweit ich weiß, bitte korrigieren, sollte ich mich täuschen) nicht für den Verkauf bestimmt, aber nichtsdestoweniger oft ziemlich beeindruckende Exemplare. Es kam durchaus schon vor, dass so ein Abschlusswein den Sieg beim »Best of Gold« davongetragen hat.
Hier jetzt also ein Silvaner namens »Bergwerk«, von dem ich genau zwei Sachen weiß. Erstens, die Trauben stammen vom Thüngersheimer Scharlachberg, da die LWG dort ihre Rebflächen auf Muschelkalk stehen hat. Zweitens, das Fass wurde zum Reifen in den Bergwerksstollen geschoben. Ich glaube, das passierte parallel zum Fass der Keuper-Connection, deren wirklich sehr starken »Stollenwein« ich schon einmal probiert hatte.
Der 2017er Bergwerk zeigt sich gleich mit einem tiefen Gelb im Glas, sehr intensiv. Fast noch intensiver wird es in der Nase: laktische Noten, reife Mango, Senf und ein pikant grüner Basilikum-Ton. Im Mund folgt die letzte Bestätigung, dass der Wein in einen Artikel wie diesen gehört. Wieder mal knalltrocken, dazu mit üppigen Quitten- und Mangoaromen, konsequente Säure, gleichzeitig spürbare Viskosität (13,5 vol%; die anderen drei Weine hier lagen zwischen 11 und 12 vol%), aber kaum Würze. Das ist ein Wein, der zu sehr interessanten Kombinationen in der Küche anregt. Tropische Kokosgerichte, Kurkuma, Curryblätter oder auch (genial, MÜSST ihr haben) Vadouvan.
Fazit Muschelkalkfass & Co.
Was bleibt mir als Fazit zu sagen bei diesem Parforceritt? Nichts anderes wahrscheinlich, als dass Silvaner je nach Winzermut eine unglaubliche Bandbreite aufweisen kann. Und dass diese Möglichkeiten auch genutzt werden. Nicht immer klappt dabei alles, das musste ich bei meinen Tests leidvoll erfahren, denn es sind auch Experimentalweine bei meinem Geschmackstest durchgefallen.
Am wenigsten »Abweichtoleranz« braucht man vermutlich für den Silvaner aus dem Muschelkalkfass vom Weingut Reiss. Für Fans von Straightness, Schlankheit, Präzision, Mineralität ist das ein echtes Erlebnis.
Am anderen Ende des Spektrums befindet sich das tiefgelbe Bergwerk mit seiner dichten Tropik. Und dazwischen liegen die beiden Naturals: herbstlich frisch von der Saale oder hefig-hopfig aus dem Herzen Weinfrankens. Für mich fast noch wichtiger bei diesem experimentellen Teil der Silvaner-Schau 2024 war allerdings, dass es sich um echte Geheimtipps handelt, die nur wenige kennen. Mission accomplished? Ich hoffe schon.
Danke – sehr interessante, hochspannende Einschätzung.
Es tut sich anscheinend sehr viel in Franken (und Saale-Unstrut). Zu oft bleibt man eben bei den Platzhirschen hängen.
Wie findet man solche Winzer?
Dankeschön!
Ja, wie findet man solche Winzer? Erst einmal natürlich, indem man solche Publikationen wie meinen Blog liest 😉 . Und es gibt natürlich auch noch weitere, Originalverkorkt, Schnutentunker, … Dann indem man bei spezialisierten Händlern in der Region fragt, was sich gerade so tut (im Fall Frankens z.B. RotWeißRosé in Würzburg oder direkt bei mir Edelfrei in Bamberg). Dann indem man kleine Veranstaltungen besucht, gern ein bisschen off, wo die Teilnahme für Winzer nicht so viel kostet und dadurch auch Neueinsteiger mitmachen. Und dann natürlich weiterhangeln bei Winzern selbst. Irgendwer kennt immer irgendwen, der oder die gerade wieder etwas Spannendes machen 😉 . Mittlerweile haben sogar arrivierte Weinguides (Achtung, ja, Bücher!) innovative oder schrägere Weingüter gelistet. Also tatsächlich eine Mischung aus allem.
Nur eins eher weniger: Online-Suchmaschinen sind für solche Zwecke wirklich mies geworden. Google taugt auf den ersten Seiten kaum noch etwas, und Instagram, wo selbst die meisten kleinen Weingüter ja sind, ist alles andere als eine Suchmaschine – deren Algorithmus ist auf Ähnlichkeiten ausgerichtet, was in unserem Fall des Explorieren wollens genau in die Sackgasse führt…
Als Liebhaber der Weine Frankens und des fränkischen Silvaners folge ich Ihrem großartigen Blog mit großem Interesse und Freude. Besonders bereichernd ist, dass Sie auch junge oder (noch) nicht so bekannte Winzer und deren Weine vorstellen. Ich habe schon so manche spannende Winzer und Weine durch Ihre Artikel und Instagram kennengelernt. Auch die Weine und Weinberge des Alten Fränkischen Satzes habe ich durch Sie entdeckt. Sollte es sich ergeben, würde ich Sie gerne mal bei einer Entdeckungsreise begleiten.
Danke, das freut mich sehr! Es geht mir übrigens selbst so, dass ich eigentlich in jedem Jahr wieder völlig neue Weine und Weingüter für mich entdecke. Und andere “wiederfinde”… 😉