Ich weiß nicht, wie es euch geht. Aber ich habe schon seit einiger Zeit festgestellt, dass für meinen Geschmack zu viele Rieslinge in meinem Keller schlummern. Die Königin der deutschen Rebsorten, natürlich. Aber wenn ich einen Wein zum Essen aufmache (und das ist ja in der Regel seine Bestimmung), habe ich spontan fast immer mehr Lust auf einen trockenen Silvaner. Gut, das ist landschaftlich bedingt. Aber übersetzt es einfach in Weißburgunder oder Chardonnay. Trocken, nicht fruchtlastig, flexibel als Begleitung. Also habe ich geschaut, welche vier Rieslinge ich mal verbrauchen müsste. Mit teils überraschenden Erkenntnissen…
Riesling Apostelhoeve 2018 Niederlande
Warum musste ich den verbrauchen?
Weil es sich um einen Wein aus den lage landen handelt. Obgleich Apostelhoeve vermutlich das traditionsreichste Weingut in den Niederlanden ist, war ich mir bei der Alterungsfähigkeit nicht so sicher. Die neuen Weine aus dem Norden, egal ob England, Dänemark, Polen, Belgien oder eben Niederlande sind ja bis auf wenige Ausnahmen eher für den sofortigen Verzehr gedacht.
Und wie hat er sich gemacht?
Total überraschend. Schon in der Nase reife Pfirsichnoten, die sich dann am Gaumen fortsetzen. Nie im Leben wäre ich auf die Niederlande gekommen. Viel mehr erinnert mich das vom aromatischen Ausdruck her an die Terrassenmosel. Rein geologisch ist das natürlich ganz anders, der Louwberg besteht aus Kalkmergel. Aber so saftig, dicht, fast tropenfruchtig, dazu »harmonisch trocken« abgestimmt – das ist schon sehr verblüffend. Natürlich ist die Reife auch dem Jahrgang geschuldet, und man merkt nach dem Direktvergleich mit den anderen Weinen hier, dass dem Apostelhoeve qualitativ vielleicht doch ein bisschen fehlt. Aber wenn ich an richtig reife trockene Mosel-Spätlesen denke, sind wir hier nicht weit weg. Trotzdem war es gut, den Wein zu verbrauchen. Viel besser wird er nämlich nicht mehr.
Riesling Gutswein Clemens Busch 2010
Warum musste ich den verbrauchen?
Gutsriesling, 13 Jahre alt. Ob man so einen Wein verbrauchen sollte, muss man sich vermutlich nicht zweimal fragen. Obwohl es ein Wein von Clemens Busch ist, also einem bekennenden Lagerwein-Produzenten.
Und wie hat er sich gemacht?
Brilliant. Der Hammer. Eindeutig der charmanteste, eleganteste, pikanteste und überhaupt rundum erfreulichste Wein der Runde. War ich zu Anfang noch ein bisschen böse auf die Rieslingmengen im Keller (weshalb ich sie ja auch verbrauchen wollte), versöhnte mich dieses Fläschchen wieder vollkommen. Auch ein ganz schwieriger Jahrgang natürlich, in diesem Fall im Ersteindruck leicht von Botrytis und oxidativen Elementen geprägt. Dann kommt aber eine wunderbare Fruchtpräsenz, dazu Würze und Säurepikanz. Hinten ist der Gutsriesling nicht der allerlängste, aber das wäre ja noch schöner. Tolles Erlebnis, keinesfalls überlagert, dicker Tipp schon auf diesem Level.
Riesling Stephan Krämer Silex 2015
Warum musste ich den verbrauchen?
Zwei Flaschen hatte ich von Stephan Krämers Ersternte aus dem Röttinger Feuerstein erstanden. Der Wein hatte nach leichter Maischestandzeit insgesamt 14 Monate spontan gegoren. Und möglicherweise in der Flasche weiter gearbeitet. Zumindest die erste Flasche sollte ich also besser verbrauchen, um zu sehen, ob er sich in eine gute oder eine seltsame Richtung weiterentwickelt hat.
Und wie hat er sich gemacht?
Uffuff, ein schwieriger Geselle. Ich schwanke zwischen großer Begeisterung und leichter Warnung. Tatsächlich muss der Wein in der Flasche noch minimal weitergegoren haben, denn der Fizz ist durchaus beachtlich. Der Schraubverschluss hält das allerdings locker aus. In der Nase viele Kräuter, Verbena, Rauchmalz. Im Mund dann Hopfen, Tabak, Kräuteraufguss, eine präzise Säure und eine ganz eigene Welt. Das ist wirklich ein wilder Geselle, auf den man sich einlassen muss. Stephan hat ja in den Zehner-Jahren stilistisch einige Schritte gemacht, bevor er beim heutigen Stil (den ich sehr schätze) angekommen ist. Der 2013er Silvaner aus dem Feuerstein war auf jeden Fall zahmer. Dieser hier eignet sich dafür herrlich zum Diskutieren.
Riesling Burg Ravensburg Husarenkappe GG 2018
Warum musste ich den verbrauchen?
2018 ist für mich einer der schwierigsten Jahrgänge in meiner persönlichen Geschichte des deutschen Weinbaus. Mit Hitze, unheimlicher Trockenheit und bereits Ende August rapide fallenden Säurewerten konfrontiert, hatten die Winzer gemacht, was immer sie für richtig hielten. Und das war extrem unterschiedlich. Manche Trauben wurden früh eingebracht, was zu Weinen führte, die zumindest in ihrer Jugend enorm eng wirkten. Ob sowas reifen kann? Keine Ahnung, also lieber verbrauchen.
Und wie hat er sich gemacht?
Die Husarenkappe ist ein Spätstarter, ganz definitiv. In der Nase kommt da immer noch unheimlich wenig. Fast duftet es stärker aus dem Nachbarglas herüber. Auch farblich haben wir hier den hellsten der vier Weine, praktisch unverändert gegenüber der frisch abgefüllten Version, die ich glaube ich bei der 2022er Weinbörse probiert hatte. Es gibt Zitronenzeste, leicht Kamillentee, und man spürt definitiv die Qualität der Materie. So eng und eingeschnürt ist er auch nicht mehr, aber dennoch sehr auf der hellen Seite. Ich habe das Gefühl, dass ich diesen Wein lieber noch ein paar Jährchen hätte liegen lassen sollen.
Wann muss man Rieslinge verbrauchen?
Ehrlich gesagt hatte ich bei diesen vier Flaschen ja auf eine verbindliche Antwort gehofft. Stattdessen ist es aber so, dass diese vermaledeiten Rieslinge gar keine Allgemeinplätze zulassen. Die Lagerbedingungen bei mir waren für alle gleich, daran liegt es also nicht. Richtig toplitop fand ich eigentlich nur den Clemens Busch Gutswein, und das war ja der Senior der Runde. Den Apostelhoeve hätte ich hingegen ruhig früher trinken können. Beim Stephan-Krämer-Wein gibt es keine Zeitfenster, sondern eher Launenfenster. Und das GG von Burg Ravensburg, ja, das ist in der Tat für eine längere Lagerzeit gedacht.
Verbrauchen muss man Rieslinge in jedem Fall dann, wenn der Keller überquillt. Insofern: richtig gemacht. Und den kleinen Busch sollte ich tatsächlich nachkaufen. Eine Erkenntnis, die der Quillbestrebung irgendwie zuwiderläuft, aber die feine Flasche lässt leider keinen anderen Schluss zu…
Schön , dass das „Verbrauchen „ soviel Spaß macht. Im laufe der Jahre habe ich immer wieder mal ein paar gute Rieslinge liegen gelassen. Die sind dann 20 Jahre alt und älter. Beispielsweise Heymann Löwenstein. Es ist immer ein Erlebnis eine solchen Wein zu öffnen und zu trinken. Letztlich eine kleine Zeitreise. Viele Grüße
Von Heymann-Löwenstein habe ich tatsächlich auch ein paar ältere Exemplare, also alle aus der “halbtrockenen” Zeit. Ähnlich wie bei Marcel Deiss traue ich mich da irgendwie nicht ran. Zum einen können die natürlich wirklich wunderbar reifen, Eile ist also nicht unbedingt erforderlich. Zum anderen ist mir so ganz intuitiv selten nach etwas “dicker” Süßlichem. Ich glaube, da bin ich auch ein Kind der derzeitigen Moden… Aber mal schauen, man wächst da ja auch wieder raus 😉
… ja, die sind wirklich dick , golden und fast ölig.
Aber alle paar Jahre und in Geselliger Runde geht das schon .
zum Thema dicke Weine trocken/restsüsse . Heute Abend hatten wir beispielsweise eine 2013 Silvaner Silvaner trocken Iphöver Kronsberg „Pfaffensteig“ Reserve vom Weingut Emmerich . Wir lieben das Weingut. Ich habe zahlreiche alte Flaschen im Keller, weil ich Herangehensweise von Familie Emmerich gut finde.
Hat ausgezeichnet zu unserem Abendessen Radicchio und gereiften Käse gepasst. Aber trocken ? Fast eine fruchtige Beerenauslese.