Es geschah einmal vor langer Zeit, da bekam ich von einem Weingut eine Fassprobe mitgegeben. Ungeschwefelt, sichtlich unfiltriert und auch sonst in einem offenbar noch unfertigen Zustand. Durchgegoren war er schon weitgehend, aber nicht komplett. Die Flasche mit der Fassprobe legte ich mir aus Spaß in den Keller und öffnete sie erst nach zwei Jahren wieder. Vom Ergebnis könnt ihr hier lesen. Seitdem lässt mich der Gedanke nicht los, wie sich denn ein »echter« PetNat in der Flasche entwickeln kann. Heute werde ich der Sache hoffentlich näherkommen. Denn vor mir steht der Silvaner PetNat 2016 der 2Naturkinder. Sieben Jahre Hefelager auf der Flasche. Gespannt wie Bolle bin ich (so drückt man das glaube ich hier im Voralpenland aus).
Silvaner PetNat 2016 von den 2Naturkindern
Michael Völker und Melanie Drese sind die 2Naturkinder. Oder vielmehr die Naturkinder im Herzen. Denn bevor sie wieder (oder im Fall von Melanie: zum ersten Mal) in Franken gelandet sind, waren sie jahrelang in London, zum Leben und zum Arbeiten. Philosophie studiert, Judaistik, extrem urban, international, auch intellektuell – meine Güte, wie kann man so auf dem platten fränkischen Land zurechtkommen? Des Rätsels Lösung (ohne es genau zu wissen) könnte sein, dass einerseits in einem selbst unheimlich viele, teils auch widersprüchliche Facetten stecken. Andererseits gibt es nun einmal Dinge, die sich nicht unmittelbar miteinander verknüpfen lassen. Dann macht man halt das eine und lässt das andere sein. Fragt mich mal.
In jedem Fall können wir als Weinmenschen sehr froh sein, dass die beiden sich entschlossen haben, nach Kitzingen zu kommen und einen kleinen Teil des gigantisch großen, mehrstöckigen, verwinkelten Kellers von Michaels Vorfahren zu nutzen. Die 7 ha Weinberge befinden sich größtenteils in Fahrradnähe, im Eselsberg und im Eherieder Berg. Draußen ist alles biologisch zertifiziert, im Keller gilt die Low Intervention-Philosophie. Michael erzählt, dass er seit ihrem Start jede Menge Fehler gemacht habe. Wahrscheinlich könnte er ein Buch darüber schreiben, und auch noch eines, vermute ich, das vielen sehr weiterhelfen würde. Jetzt aber erst einmal zurück in die Vergangenheit, zum 2016er PetNat.
Wie schmeckt der Wein?
Die Flasche ist mit einem Kronkork verschlossen, am Boden befindet sich ein mächtiges Depot. Ich schüttele es nicht explizit auf, aber die feinen Bläschen sorgen natürlich dafür, dass genügend Trübness mit ins Glas kommt. Die Nase ist frisch geöffnet eine faszinierende Mischung aus Streuselkuchen und leicht esteriger Frucht, wie sie der gemeine Freak auch von zehn Jahre altem Weizenbock kennt. Die Perlen sind definitiv noch aktiv, allerdings nicht aggressiv, sondern in eher lässiger Brausstimmung. Im Mund kommt die Säure sehr schön zum Tragen, und das umso mehr, als hier wirklich kein einziges Grämmchen Restzucker mehr vorhanden ist.
Ansonsten ist dieser PetNat tatsächlich eine relativ komplexe Angelegenheit. Weit entfernt sind wir hier von Spaßbrausen aus dem (mittlerweile auch) konventionellen Bereich, die sich mit dem hippen PetNat-Rubrum schmücken, dann jedoch schlicht nichtssagend bleiben.
Für mein Empfinden sind es vor allem zwei Komponenten, die beim 2Naturkinder-PetNat zur Komplexität beitragen. Zum einen ist es in der Tat die lange Lagerzeit in der Flasche auf der Hefe. Jene lässt bei meinem Exemplar überraschenderweise keine starken Autolyse-Noten entstehen, sondern eher eine wunderbar nussige Nachhaltigkeit und Tiefe.
Zum anderen sind wir hier bei einem der ersten Jahrgänge der bundesdeutschen PetNat-Geschichte. In der damals winzigen deutschen Natural-Szene wurde noch sehr viel nach dem Trial-and-Error-Prinzip gearbeitet, denn schließlich konnte man nur so zu neuen eigenen Erkenntnissen gelangen. Die Ergebnisse waren oft deutlich funkier als heute, im Guten wie im Kontroversen. Dieses Exemplar zeigt ein bisschen mehr Flüchtigkeit als heutzutage, was den Natural-Fan aber überhaupt nicht schreckt.
Mein Fazit also: ein toller Wein, viel Charakter, ein bisschen edgy, nichts für die ganz heißen Tage, sondern tatsächlich eher zum reflektierten Genießen.
Wo kann man ihn kaufen?
Natürlich muss nach der guten Nachricht von der Weinqualität auch die schlechte folgen. Den 2016er Silvaner PetNat der 2Naturkinder kann man nämlich nirgends kaufen, weil es schlicht bislang noch niemanden gibt, der solche Weine lang genug lagert. PetNat als Kategorie hat es geschafft, dank seines Perlens als Spaß- und Feiergetränk zu reüssieren und dank seiner Trübheit als Ausdruck eines gewissen Nonkonformismus. Was er allerdings noch nicht geschafft hat, ist die Etablierung als komplexes Produkt, das ausgesprochen eigenständige wie hochwertige Interpretationen zulässt. Wenn man ihnen Zeit gibt.
Mein erster Rat also: Kauft euch ein paar sehr gute »echte«PetNats und legt sie in den Keller, so ihr einen habt. In ein paar Jahren kann das außerordentlich spannend sein.
Mein zweiter Rat: Schaut euch um, was die 2Naturkinder noch so zu bieten haben. Im letzten Jahr wurde 96% der Produktion exportiert, was mit mehreren Faktoren zusammenhängt, aber ganz sicher nicht damit, dass die beiden ihre Produkte nicht liebend gern regional verkaufen würden. Die Etiketten werden in Kürze neu gestaltet sein. Und wer solche Preziosen wie den Weinschwärmer (ein großartiger fake rosé), den Schwarzriesling Fledermaus oder auch die neuen Spätburgunder-Versuche probiert hat, wird selbst als Nicht-Natural-Freak sehr beeindruckt sein. Kleiner Beweis: Die Fotos hier stammen von der Best-of-Gold-Tour vor zwei Wochen, und es war ein für alle Seiten sehr bereichernder Besuch.
“Kauft euch ein paar sehr gute »echte«PetNats und legt sie in den Keller, so ihr einen habt. In ein paar Jahren kann das außerordentlich spannend sein.” Das ist sicher ein guter Rat, nur leider haben sich die 2Naturkinder ja schon ziemlich bald dazu entschieden, auch den weißen Pet Nat (warm) zu degorgieren, wie sie es mit der Rosé-Variante schon von Beginn an gemacht haben. Das Resultat schmeckt immer noch gut, nur das Liegen auf der Hefe während einer eventuellen Lagerung fällt halt dadurch weitgehend weg.
Hast du bei der Best of Gold-Tour zufällig gefragt, warum gerade sie sich entschieden haben zu degorgieren?
Nein, ich habe leider nicht gefragt, kann das aber gern nachholen. Auf jeden Fall ist es so, dass du mit dem Degorgieren eine Nachgärung 100%ig ausschließt. Gut, wenn man den Bremser mit 10 g Restzucker abfüllt, ist das Risiko nicht ganz so hoch. Normalerweise wird der ja mit 20-30 g abgefüllt…
Und ja, wie Andreas schon schrieb, einmal hat Michael uns in Michels Stern besucht (bei den Masters), einmal sind wir zu ihnen gefahren (beim Best of Gold). War beides sehr nett, zumal sich das nur bei Andreas und mir überschnitt 😉
So, nachgefragt, Spekulation beendet 😉 .
Michael sagt, dass sie mehrere Gründe dafür haben. Einmal ist es ja so, dass sie viele Flaschen in alle Welt verschicken. Und wenn man da dann die Hefe mit drinlässt, wäre jedes unabsichtliche Rütteln wie eine kleine Bâtonnage. Das gefällt ihnen also stilistisch nicht. Meine Flasche hatte ja jahrelang ohne Bewegung im Keller zugebracht, war davor also gefeit. Zum Zweiten hatten sie probiert und fanden den degorgierten PetNat geschmacklich ein bisschen überzeugender. Und drittens, da zitiere ich mal wörtlich, “hast du beim Einschenken weniger trübe Suppe am Ende der Flasche”.
Tausend Dank nochmal an die 2Naturkinder, und gerade das Schüttel-Argument finde ich in dem Fall doch sehr nachvollziehbar.
Wow, was ein Service, danke für das Nachfragen! Mir fiel einfach auf, dass die meisten anderen (auch: fränkischen) Pet Nats trüb sind und dann gerade die eines richtigen zero-zero-Betriebs nicht. Aber wenn sie stilistisch/geschmackliche Gründe haben, ist die Entscheidung natürlich folgerichtig und sinnvoll.. bis vllt auf die „trübe Suppe“, die wohl eher eine Frage ästhetischer Empfindlichkeit ist 😉
.. und meintest du nicht eigentlich die Masters of Wine -Tour? 🙂
nee – wir waren tatsächlich im Rahmen von BoG dort – bei der MoW-Tour hat uns Michael zusammen mit Christian Stahl in Michels Stern beglückt
Danke für die Erläuterung! Ich weiß im Nachhinein gar nicht, warum ich es der BoG-Tour nicht zugetraut habe, dass die 2Naturkinder als Station dabei sind, bei Stefan Vetter wurde da ja auch schon ein Stopp eingelegt. Gut zu wissen, dass der Fränkische Weinbauverband das gesamte Weinspektrum im Blick hat.