Vor fünf Jahren gab es im Witwenball in Hamburg einen großen Chardonnay-Test, den Veranstalter Christoph Raffelt als Cool Climate & Consorten angekündigt hatte. In diesem Sommer trafen sich alle wieder am selben Ort um zu probieren, wie sich die ursprünglichen Konterflaschen in diesen fünf Jahren wohl entwickelt hatten.
Was steckt hinter dem Chardonnay-Test?
Anwesend waren neun gestandene Weinprofis, deren Namen ihr ebenso wie die umfassende Beschreibung der Weine selbst in Christophs Artikel lesen könnt. Weshalb ich dann auch noch einen Beitrag über die Chardonnay-Probe schreibe?
Nun, zum einen fand ich die Veranstaltung wirklich großartig, hatte aber im Sommer schlicht nicht die Zeit, aus meinen Notizen einen eigenen Artikel zu verfassen. Und das schien mir bei der Mühe, die sich Christoph gegeben hatte, doch mehr als angemessen zu sein.
Andererseits hat Christoph vor wenigen Tagen dieselbe Nummer noch einmal mit seinen Cool Climate-Pinots durchgezogen. Also wieder fünf Jahre danach und mit ebenso spannenden Ergebnissen, die ihr im Detail sicher demnächst bei Originalverkorkt lesen könnt. Also wurde es bei mir wirklich Zeit für den Chardonnay-Text.
Alle 28 Weine werde ich euch hier nicht haarklein beschreiben, denn genau das hat der gute Christoph bereits getan. Mir geht es eher darum, welche Weine ich a) besonders gut fand oder was mir b) allgemein aufgefallen ist. Dass das Ganze einen entsprechend subjektiven Touch trägt, ist bei dem Sujet natürlich kein Zufall. Schauen wir uns also die sechs Flights erst einmal an.
Erster Flight
Die meisten Punkte in diesem Flight gab ich dem zweiten Wein von rechts, dem Adrianna Vineyard White Bones von Catena Zapata aus Argentinien. Unter meine Top Ten schaffte aber auch er es nur mit Ach und Krach. Und warum? Weil es eine extrem eigene Interpretation ist, sehr schwer zu bewerten und einzuordnen. Ganz viel grüne Kräuter, Salbei, Pikanz, hat ein bisschen was von einem Sauvignon Blanc – aber definitiv Cool Climate.
Zweiter Flight
Im zweiten Flight haben mich zwei Weine (nach dem Aufdecken) enttäuscht, zwei andere hingegen konnten jedoch in all ihrer Gegensätzlichkeit sehr gut performen. Zu den Enttäuschungen zählte der Puligny-Premier Cru von Etienne Sauzet, laktisch, warm, würzig, fast ein bisschen lauwarm in seiner Art. Sehr uneasy apfelig, mit wenig Tiefe und gleichzeitig wenig Säure auch der Hirsch. Puh.
Neudorf auf Neuseeland und besonders Tolpuddle aus Tasmanien haben mir dagegen gut gefallen. Tolpuddle war beim ersten Test noch relativ weit hinten und kam jetzt sowohl bei mir als auch im Gesamtergebnis unter die Top Five. Damit der Aufsteiger dieser Probe. Zunächst leicht reduktiv, bleibt der Wein immer straight, elegant, engmaschig, gut eingebundenes Holz. Für Leute, die Cool Climate wirklich atmen wollen. Mit etwa 80 € allerdings auch kein Schnäppchen.
Der Neudorf wirkte wesentlich wärmer, mit vanilligem Holz, aber einem sehr schönen Fluss. Und für den Tyrrell’s gibt’s allein Lob und Preis wegen der vielen Medaillen, die sie sich auf die Flasche zu pappen trauen. Insgesamt aber ein schöner Wein, auch wenn er auf eine Weise gereift ist, wie sie manchen unserer 2018er ähnelt: Früh geerntet, weil das Klima eigentlich zu heiß ist, deshalb schlank, aber auch ein bisschen gezehrt.
Dritter Flight
Mein knapper Sieger in diesem Flight kam schon wieder aus Australien, nämlich der Vasse Felix. Auch hier leicht reduktiv, nördlicher Typus, aber er läuft einfach unheimlich elegant und fast leicht über die Zunge. Knapp 60 € im Fachhandel, eine Empfehlung.
Der Corton-Charlemagne von Chandon de Briailles hingegen hätte eigentlich wesentlich besser dastehen sollen. Aber irgendwie kommt er zunächst eher opulent und hinten dann phenolisch und recht kurz daher. Trotzdem war das für mich keine Katastrophe, nur nach dem Aufdecken ist man halt schon ein bisschen enttäuscht.
Vierter Flight – die Chardonnay-Sieger
Der vierte Flight hatte es dann wirklich in sich, und da waren wir uns auch alle einig. Meine drei Favoriten sind exakt die drei Gesamt-Favoriten, nur anders sortiert, was ehrlich gesagt bei mir ansonsten nicht allzu häufig der Fall ist. Weil es sich lohnt, möchte ich sie diesmal alle drei vorstellen.
Zunächst aber zu den beiden anderen. Ganz links steht der Arnot-Roberts aus Kalifornien, in der Mitte der Ataraxia aus Südafrika. Beim ersten Test vor fünf Jahren war der Arnot-Roberts offenbar noch klar besser, diesmal sah es genau umgekehrt aus.
Mein Platz 3 geht an den Wein ganz rechts, den Bell Hill aus Neuseeland. Auch das ist überdeutlich Cool Climate, 12,5 vol% nur, kräuterige Elegenaz, grünlich gleitend. 110 €, sehr guter Wein.
Meinen geteilten Platz 1 nehmen zwei Weine ein, die zeigen, wie unterschiedlich Chardonnay interpretiert werden kann. Die 2015er Réserve von Knewitz aus Rheinhessen ist und bleibt ein krasser Wein. In der Nase Rauch, Gärnoten, Reduktionsstinker. Ja, immer noch, und das wird auch bleiben. Im Mund gibt es dann einen ordentlichen Säurekick, unglaublich viel Lebendigkeit, Spannung, Schwung. Der nimmt einen so richtig mit. Ich gebe allerdings freimütig zu, dass das ein Stil ist, den Freaks und Top-Sommeliers momentan lieben. Die Antipode zum Doppio Passo sozusagen. Der Wein könnte auch aus dem Jura kommen, ist sehr präzise und trotz abweichenden Verhaltens komplett sauber. Keine 40 € im Handel.
Ganz anders mein Ex-aequo-Sieger, der Meursault von Rémi Jobard. Zimtig, hellholzbetont, viel mehr Würze und Feuer als der Knewitz, viel weiträumiger angelegt, aber eben auch richtig edel und mit einem wahrhaft langen Abgang. Vor fünf Jahren hatte die ähnlich zusammengesetzte Crew den Knewitz auch schon ganz oben gesehen, der Jobard hingegen kam in der Mitte an. Ein Klassiker, der Zeit braucht. Gut 100 € aktuell im Handel, ein wunderbarer Flight.
Fünfter Flight
Der fünfte Flight war für mich deutlich schwächer, auch wenn die Gemeinde den Sandhi immerhin insgesamt auf Platz 9 wählte. Gar nicht zurecht kam ich übrigens mit dem Ridge Monte Bello. Da ist in der Nase Apfelmost, im Mund wird es unheimlich bittersüß warmwürzig wie ein zugegeben individueller Sherry. 14,5 vol% Alkohol tun ihren Dienst. Ich bin pappsatt, aber wer so einen Stil schätzt, sollte sich die Laune nicht von Cool Climate-Freaks verderben lassen.
Sechster Flight
Der sechste Flight hielt nach den beiden Ausfällen (Crystallum hatte Kork, De Wetshof war über den Jordan) auch einen guten Südafrikaner bereit. Die Gesamtrunde wählte den Kershaw auf Platz 5, ich fand ihn auch ganz gut, wenngleich ein bisschen zu weitmaschig angelegt. Der Ramey hingegen war wahnsinnig fruchtig wie ein Obstsalat. Mango, Banane, keinerlei Spannung, 14,5 vol%, heidewitzka.
Den Sabathi sahen die anderen insgesamt auf Platz 6, ich war da etwas vorsichtiger. Ein guter Wein, gar keine Frage, rauchig, fruchtfrei, schlank, mit einem subtilen Holzpunch, falls es so etwas geben sollte.
Mein Chardonnay-Fazit
Was lässt sich nach dieser monumentalen Probe als systematisches Ergebnis festhalten? Zum einen natürlich, dass sich Chardonnay auch zehn Jahre nach Abfüllung und fünf Jahre nach der ersten Probe immer noch enorm heterogen a.k.a. vielseitig gebärdet. Das liegt aber vermutlich weniger an der Sorte an sich, sondern vielmehr an winzerlichen Entscheidungen. Das erste stilistisch entscheidende Kriterium ist der Lesezeitpunkt, sichtbar an Alkoholgradationen zwischen 12 und 14,5 in unserem Testfeld. Der Ausbau spielt natürlich eine enorm große Rolle und wird auch entsprechend zelebriert. Viele unserer Weine in der Probe wirkten deshalb gebaut, skulptiert, bewusst erschaffen.
Letzteres bringt gleichzeitig die Gefahr und die Chance mit sich, Entscheidungen zu treffen, die im Moment der Weinbereitung gerade en vogue sind, später jedoch vielleicht nicht mehr. Und der Wind der Weinmode dreht sich nicht so langsam, wie manche Leute meinen mögen. Letzteres hängt vor allem damit zusammen, mit welchem Zielpublikum man es zu tun hat.
Wer trinkt welchen Chardonnay?
»Normalo«-Weintrinker*innen bleiben ihrem Stil gern länger treu, weil sie mit dem initialen Erlebnis etwas Starkes verbinden. Das ist nicht anders als bei Leuten, die heute noch bevorzugt die Musik der 80er hören, weil es ihre Jugend war. Für ein solches Zielpublikum wäre es entsetzlich, würde sich der Stil des Stammweins alle paar Jahre ändern.
Dann gibt es wieder eine Zielgruppe, die konstant immer die neuesten, angesagtesten, geheimtippig wirkendsten Getränke braucht. Da ist der Wandel Programm, und zwar nicht nur modemäßig, sondern auch tatsächlich von den Leuten her. Das Weinpersonal im Sternerestaurant ist in aller Regel nicht 30 Jahre konstant, und auch die Restaurants selbst sind Teil von Modebewegungen. Das kann man schlimm finden, wenn man selbst der Kategorie »Klassik« oder »Stammvorliebe« angehört. Man kann es aber auch als erfrischende Abwechslung begreifen und – ganz abstrakt – als Teil einer Stimmung, die dafür verantwortlich ist, dass wir heute nicht mehr in Höhlen leben, sondern immer nach neuen Herausforderungen und Möglichkeiten gesucht haben.
Das bietet Chardonnay
Chardonnay mit den Eigenschaften, einerseits eine feste Basis zu besitzen (Stoff und Säure) und andererseits wegen der eher neutralen Aromatik alle anderen Elemente liebend gern zu adaptieren, ist für Modeentwicklungen geradezu prädestiniert. Genau diesen Eindruck hatte ich auch hier. Und da wir selbst alles erfahrene Profis waren, aber primär der Kategorie »was gibt es spannendes Neues?« angehören, sind unsere Punktbewertungen zumindest in der B-Note (also nach meinen Erfahrungen oberhalb von 16-17) auch davon beeinflusst. That having said, alle Weine, die es bei uns auf Spitzenbewertungen gebracht haben, waren sehr gut. Aber dass Cool Climate nicht nur als Herkunft, sondern auch als stilistische Ausprägung bei uns so angesehen ist, das hat etwas mit den derzeitigen Vorlieben unserer Szene zu tun.
Für die Produzenten dieser Weine ist es aber vermutlich genau richtig, auf solche Moden zu setzen. Denn ich vermute, die Kombination aus abgerufenen Preisen und den im konservativeren Weinbereich noch wenig etablierten Herkünften bevorzugt kundenmäßig einfach Freaks, die neuen Entwicklungen gegenüber aufgeschlossen sind. Einzige Ausnahme in der Spitzengruppe: der Meursault von Rémi Jobard, zufälligerweise mit 13,5 vol% auch der alkoholstärkste Wein der Top Five.
Statistische Erkenntnisse
Der nationale Punktsieger war bei mir (wie bei allen anderen) Australien, und das hat mich wirklich überrascht. Ganz oben waren die Unterschiede allerdings nicht groß. Als am schlechtesten bewertete Herkunftsregion entpuppte sich Kalifornien. Und das nicht nur bei mir. Vor fünf Jahren war Christoph noch begeistert, schrieb »die kalifornischen Weine haben auf der ganzen Linie überzeugt.« Jetzt wählten wir fünf US-Boys unter die schlechtesten zehn Weine, und zwar aus sehr unterschiedlichen Gründen, was eine Analyse umso schwieriger macht.
Alles in allem lässt sich festhalten, dass – anders als von mir vorher vermutet – die Mehrzahl der Weine in den vergangenen fünf Jahren nicht besser geworden ist. Offensichtlichen Langläufern wie dem im positiven Sinne konservativen Jobard-Meursault standen auch Weine gegenüber, die ihren Peak hinter sich hatten. Das erscheint auf einem Preisniveau von um die 100 € im Prinzip nicht so schön.
Andererseits ist es vermutlich sogar vernünftig, egal ob geplant oder nicht. Irgendwo hieß es einmal in einer Statistik (würde ich sie nur finden…), dass 98% der weißen GGs zwei Jahre nach Markteinführung bereits getrunken seien. Auch wenn das aktuell nicht mehr ganz so sein mag, sind wir doch immerhin eine »Naturkellernation«, die oft nicht auf den sehr begrenzten Platz in Weinklimaschränken angewiesen ist – wie anderswo auf der Welt. Wann dürften also 98% der Kumeu Rivers, Penfolds oder Hirschs getrunken worden sein? Sicher nicht erst nach zehn oder gar mehr Jahren. Insofern wäre bei ihnen ein Stil, der seinen harmonischen Höhepunkt erst nach dieser Zeit erreicht, vermutlich eher kontraproduktiv. Wie man das persönlich betrachtet, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Aber auch da sollte man vielleicht unterscheiden zwischen den eigenen Emotionen und dem eigenen Trinkverhalten. Schließlich sind Weingüter Wirtschaftsunternehmen.
Eine großartige Probe auf jeden Fall. Kleiner Tipp zum Nachtesten: Den kleinen Knewitz gibt es bereits für 17,50 € ab Hof…
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