[In Kooperation mit dem Weingut Sander], das kennt ihr ja schon hier vom Blog. Diesmal geht es um die Weinlese 2022. Ich bin also ins rheinhessische Mettenheim gefahren, um zuzuschauen, wie das alles so gemacht wird. Und natürlich auch, um mit Stefan darüber zu sprechen, wie er den Jahrgang 2022 erlebt hat. Was ist gut gelaufen, was war schwierig, wie werden die Weine? Dazu werdet ihr gleich mal einen Neuzugang im Weingut Sander kennenlernen, der es faustdick hinter den Ohren hat.
Der neue Hausherr
Gerade angekommen merke ich, was sich doch alles tun kann, wenn man mal gut zwei Monate nicht da ist. Stefan hat sich einen Bart wachsen lassen, und es gibt einen neuen Hausherrn, derzeit genauso abenteuerlustig wie schmusebedürftig. Eigentlich bin ich aber nicht wegen des cat contents hier, sondern wegen der Weinlese. Stefan ist heute Morgen schon kurz nach fünf aufgestanden, um die Presse anzuschalten. Die Sauvignon Blanc-Trauben waren nach 24 Stunden Maischestandzeit soweit, und bis die neuen Trauben kommen, musste die Pressung durch sein.
Wie war der Weinjahrgang 2022?
Dass es sich um den heißesten und trockensten Sommer seit Beginn der staatlichen Wetteraufzeichnungen gehandelt hat, wissen wir inzwischen. Aber wie war der Jahrgang aus der Sicht des Winzers? »Gut«, lacht Stefan. »Die Trauben sind top gesund, das ist schon mal sehr wichtig. Von der Menge, darüber hatten wir ja letztes Mal schon gesprochen, sind wir ein bisschen unter dem Schnitt, gerade bei Spätburgunder und Sauvignon Blanc, weil die Blüte verrieselt war. Die Reife selbst ist aber hoch.«
Und was hat die Trockenheit mit den Reben gemacht? »Das kommt drauf an«, sagt Stefan. »Die Parzellen mit einer guten Wasserversorgung im Untergrund hatten keine Probleme, da ist alles super. In der Ebene auf den leichten Sandböden siehst du den Reben aber schon an, dass sie nicht richtig vital sind, die Blätter schlaff hängen. Zum Glück hat es ja jetzt geregnet. Das Wasser könnte die Blockade in den Pflanzen lösen, damit wieder mehr Zucker in den Beeren gebildet wird. Aber mir geht es eh weniger um Oechsle als um physiologische Reife. Das hat mehr mit dem Geschmack der Trauben, dem Geschmack der Kerne und der Farbe der Kerne zu tun. Wenn die physiologische Reife da ist, legen wir los.«
Weinlese 2022 – Wer macht die?
Während ich mit Stefan im Weingut sitze und er alles koordiniert, wird draußen in den Weinbergen gelesen. Aber wer erntet da eigentlich? »Das sind zwei Brüder aus Polen, Slawek und Mirek, der eine seit 25 Jahren, der andere seit 22 Jahren dabei. Die beiden sind das ganze Jahr über immer wieder etappenweise hier und begleiten die komplette Weinwerdung. Zu Hause in Masuren organisieren sie dann die Helfer für die Ernte.«
Sind das immer dieselben? »Nein, das wechselt immer mal, Mireks Sohn hat zum Beispiel gerade geheiratet und ist jetzt nicht dabei. Aber funktionieren tut das immer. Mirek und Slawek sind auch keine Aushilfen, sondern Facharbeiter, sie sitzen mit am Tisch, wenn wir die Saison planen, und sie werden auch bezahlt, wie man hierzulande Leute bezahlt. Die Frauen waren schon hier zu Besuch, gerade eben auch Mireks Tochter, weil die natürlich wissen wollen, wo Papa arbeitet. Ich hatte ihnen angeboten, dass sie mit ihren Familien ganz zu uns kommen können. Aber keine Chance, die sind natürlich auch heimatverbunden, haben da ihre Häuser.« Alle Welt spricht vom Fachkräftemangel, spürst du das auch schon? »Zum Glück habe ich richtig gute und treue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Leute sehen oft nur den Winzer bei einem Wein, aber ohne mein Team wäre ich komplett aufgeschmissen. Da bin ich schon sehr froh.«
Weinlese 2022 – Chardonnay aus dem Schlossberg
Ich fahre hoch zum Schlossberg und schaue, was Slawek und Mirek da machen. Sie ernten Chardonnay-Trauben, eine kleine, fünfköpfige Truppe. Es ist sonnig und angenehm warm, aber nicht heiß. »Bei dem Wetter macht das am meisten Spaß«, sagt Slawek. Die Trauben sehen wirklich sehr gut aus, Stefan hatte nicht übertrieben. Durch die Verrieselung bei der Blüte sind sie ziemlich lockerbeerig geworden, da gibt es praktisch gar keinen Ausschuss.
Wieder unten im Weingut probiere ich mit Stefan die frisch gepressten Traubensäfte. Rechts im Glas ist Sauvignon Blanc, links Chardonnay. Beide schmecken sehr unterschiedlich, der Sauvignon hat mehr Säure und Pikanz, der Chardonnay erinnert ein bisschen an Banane. Aber sie haben aromatisch überhaupt nichts mit den Weinen zu tun, zu denen sie nachher werden. »Ich finde das faszinierend«, sagt Stefan. »den Wein formen bei der Gärung die Hefen, die traubeneigenen Terpene und was da noch so alles drinsteckt. Gerade beim Sauvignon ist das unheimlich spannend, wenn du das mitverfolgst, wie sich das Schritt für Schritt geschmacklich wandelt.«
Weinlese 2022 – Nach der Anlieferung
Nachdem wir den Traubensaft probiert haben, schauen Stefan und ich im Keller, wie die einzelnen Schritte der Weinwerdung nach der Anlieferung aussehen. »Der Chardonnay ist dieses Jahr richtig reif, und ich möchte, dass Säure und Stoffigkeit balanciert sind«, erklärt Stefan. »Deshalb teile ich die Partien. Eine wird nur leicht angequetscht und bleibt dann auf der Maische stehen, eine andere wird direkt gepresst. Nachher kommt alles wieder zusammen.«
Warum lässt er den Chardonnay-Teil auf der Maische? »Damit wir möglichst viele Inhaltsstoffe aus den Schalen holen, zarte Phenole. Das funktioniert nur über den Faktor Zeit bei wenig mechanischer Bewegung. Würden wir da viel drücken, kann das gern mal bitter werden. So bleibt es fein. Außerdem verbessert die Standzeit die Pressbarkeit beim Most. Die Franken mit dem Silvaner wissen das, der lässt sich frisch nämlich fast gar nicht pressen.«
Wozu dient dann der Anteil direkt gepresster Trauben? »Bei der Standzeit wird auch das Kalium als Mineralstoff aus den Schalen ausgelaugt. Kalium bindet aber die Säure und erhöht den pH-Wert. Soll heißen, Gehalt und Aromatik sind besser bei dem Most, der gestanden hat, Säure und Frische besser bei der Direktpressung. Da messe ich dann, wie sich das entwickelt, wie lange ich stehen lasse, wie hoch die Anteile sind. Es soll ja harmonisch werden.« Ein bewusster Prozess also, noch weit vor dem eigentlichen Ausbau.
Gären
In den Tonneaux gärt Spätburgunder vor sich hin, aus dem der Grundwein für den Rosé-Sekt werden soll.
Momentan sieht der künftige Sekt noch so aus, schmeckt aber bei weitem nicht mehr so süß wie der Traubensaft, sondern eher wie richtig leckerer Federweißer. Oder Federrosé.
Der Computer hilft…
Weil man bei 15 oder mehr gärenden Bottichen gern den Überblick behält, gibt es mittlerweile ein bisschen digitale Hilfe. Auf dem Computerbildschirm sind die Gärkurven festgehalten, hier für »Tank 10, Spätburgunder«. Das finde ich persönlich sehr interessant. Ihr könnt also drei farbige Kurven erkennen. Die blaue beschreibt die Temperatur, die grüne das Mostgewicht, sprich den Zuckergehalt, und die rote den Alkoholgehalt.
Nach drei Tagen auf der Maische hat der Spätburgunder sichtlich angefangen zu gären. Bei der alkoholischen Gärung wird ja der Zucker im Traubensaft von den Hefen (hier einfach die Hefen der Umgebung = Spontangärung) in Alkohol, Wärme und CO2 umgewandelt. Das CO2 verschwindet in der Luft. Die Wärme kann man hingegen bei der Temperatur des Mosts feststellen. Sie ist innerhalb von vier Tagen von 20°C auf 28°C gestiegen. Gleichzeitig stieg der Alkoholgehalt von 0 g/l auf 7,6 g/l an, und das Mostgewicht ging von 103° Oechsle auf 37° Oechsle zurück.
Ab dem siebten Tag in diesem Bottich verlangsamen sich die Gärvorgänge. Das kann man daran sehen, dass die Temperatur wieder langsam sinkt. Trotzdem gärt es natürlich weiter, mit steigendem Alkohol und sinkendem Zucker. Jetzt am elften Tag sind wir bei 0° Oechsle angekommen, was immer noch 18 g Restzucker pro Liter bedeutet.
»Wieso sind 0° Oechsle nicht 0 g Restzucker?« Fangfrage von Stefan, aber zum Glück beantwortet er sie gleich selbst. »Weil Oechslegrade die Dichte messen.« Reines Wasser würde 0° Oechsle haben. Wasser mit Zucker ist dichter, ergibt also positive Oechslegrade. Wasser mit Alkohol hingegen hat negative Oechslegrade, denn Alkohol ist weniger dicht als Wasser. Ein Liter reiner Alkohol für sich wiegt nur 800 g. Deshalb hat vollständig durchgegorener Wein mit vielleicht 13 vol% Alkohol auch leicht negative Oechslegrade.
…manchmal hilft auch die Intuition
Und jetzt kommt Stefan wieder ins Spiel. Das heißt, er war seit der Weinlese natürlich nie weg. Der Spätburgunder vergärt ja in den offenen Bottichen. Stefan stampft den Tresterhut, also die verbliebenen Schalen unter. »In der Hauptgärphase, wenn hier 15 Bottiche stehen, bekommt man davon ganz schön Muskelkater!«, lacht er. Wieso stehen die Bottiche jetzt hier draußen und nicht in der Kelterhalle? »Weil die Gärung langsamer geworden ist, du hast es ja am Computer gesehen. Da bringe ich sie lieber hier nach draußen, wo es etwas wärmer ist. Dann gärt der Rest auch noch schön durch.«
Und wie lange bleibt der Spätburgunder hier stehen? »Spätburgunder hat eine dünne Schale, die relativ schnell durchgelaugt ist. Ich lasse den hier stehen, bis er durchgegoren ist, nicht länger. Merlot lasse ich nach der Gärung gern noch ein bisschen ziehen für ein paar Tage. Wenn du diese Nachmazeration sehr lange zulässt, verändert das den Weinstil. Du bekommst dann im Extremfall einen sehr rustikalen Typus, den du mit viel Holz und viel Oxidation wieder absoften musst. Ich mag beim Spätburgunder eher das Feine, Filigrane, wie bei den Weißen, das ist eigentlich unser klassischer Stil hier.»
Weinlese 2022 – So geht’s weiter
Als wir wieder auf die Terrasse gehen, ist dort gerade eine Kraul- und Schlummerstunde angesagt. Für Stefan ist die Weinlese allerdings noch längst nicht zu Ende. Als nächstes steht nämlich noch der Riesling an, und das ist die Hauptrebsorte im Weingut Sander. »Da gehe ich als erstes zu der Junganlage«, sagt Stefan. »Die hat nämlich wegen der wenigen Trauben immer einen Reifevorsprung. Erst dann kommt die Weinlese in den anderen Parzellen.«
Für mich geht es heute auch noch weiter. Ich werde nämlich, wenn ich schon mal zu dieser Zeit in der Gegend bin, noch Traubenfotos der verschiedenen Sorten im Rebgarten des DLR Oppenheim machen. So trennen sich also unsere Wege für’s Erste, aber definitiv nicht endgültig…
Wer sich dafür interessiert, was ich bislang in diesem Jahr schon mit dem Weingut Sander gemacht habe, hier sind die Links zu den Artikeln: