Wer von euch im Nachhaltigkeitsbereich arbeitet, kennt den Begriff »Upcycling« sicher zur Genüge. Oder vielmehr: Es ist ziemlich modisch geworden, bei allen möglichen Dingen, die man nicht wegwirft, sondern zu etwas Neuem umgestaltet, das Label »Upcycling« draufzuschreiben. Als ich den Bio-Winzer Othmar Sanin in Südtirol besucht habe, dachte ich allerdings überhaupt nicht an so etwas. Es war einfach der einzige unabhängige »Kleinwinzer«, den ich zu Fuß unproblematisch erreichen konnte. Aber da wusste ich auch noch nicht, was dieser erstaunliche Mann sonst so alles macht…
Das Bio-Weingut von Othmar Sanin
Wie ihr an den Fotos erkennen könnt, ist mein Besuch bei Othmar Sanin schon ein Weilchen her. Im April war ich dort, in erster Linie, um die Weinmesse Summa bei Alois Lageder zu besuchen, eine der schönsten Veranstaltungen ihrer Art. Ich war zunächst mit Christof Tiefenbrunner im höchstgelegenen Müller Thurgau-Weinberg der Welt, habe dann Stefan Sander getroffen und ein bisschen die Messe inspiziert, habe die Cor Römigberg-Vertikale von Lageder probiert und schließlich auch die neuen Jahrgänge großartiger italienischer Weine wie bei Montevertine kennengelernt. Ein ganz schön straffes Programm also.
Mit Othmar Sanin hatte ich mich deshalb vor Messebeginn verabredet. Früh am Morgen war ich schon zu Fuß unterwegs auf dem Weinwanderweg zwischen Kurtatsch und Margreid. Kühl und verhangen war es, nicht direkt einladend.
Bei Othmar Sanin in Margreid angekommen, schaute dann schon die Sonne hervor. Allerdings stand ich selbst vor einem gewissen Rätsel: Das Weingut-Schild war zwar da, aber das Haus selbst sah aus wie eine abbruchreife Ruine, gehüllt in riesige Plastikplanen, keine Spur von Othmar oder irgendjemand anderem.
Das Rätsel löste sich allerdings schnell: Othmar kam gefahren und erzählte, dass es einen großen Dachstuhlbrand gegeben habe. Die Substanz des Hauses wäre zwar in Ordnung, aber das obere Stockwerk und das Dach müssten neu gebaut werden. Wenn ihr diesen Beitrag hier lest, ist es vielleicht schon soweit, dass alles wieder neu erstrahlt. Auf Otmars Instagram-Kanal habe ich jedenfalls schon große Fortschritte gesehen.
Im Weinberg mit Othmar Sanin
Die theoretische Definition von Upcycling ist, dass »Abfallprodukte oder scheinbar nutzlose Stoffe in neuwertige Produkte umgewandelt werden«. Und zwar anders als beim Re-cycling, bei dem das Produkt nach dem Prozess einen geringeren Wert besitzt als das, aus dem es einstmals hergestellt wurde. Bei einem Winzer, der ja eigentlich alles verkauft, was er hat (nämlich Wein), käme man zunächst nicht auf die Idee, dass er Upcycling betreibt. Und tatsächlich geht es erst einmal in den Weinberg, wo Othmar mir seine Philosophie erläutert.
Zwei Parzellen besitzt er, eine direkt hinter dem Haus und eine im Steilhang in Richtung Kurtatsch. Das ist schon einmal ziemlich »small scale«, aber es wird noch extremer. Seit 22 Jahren haben diese Parzellen nämlich keine Maschinen und keinerlei Pflanzenschutz gesehen. Othmar geht nur mit biodynamischen Präparaten in der Buckelspritze in den Weinberg, also ohne Schwefel und Kupfer. Damit das auch bei Pilzdruck funktioniert, hat er seine Rebsortenzusammensetzung geändert. Der Sauvignon Blanc wurde umgepfopft, der Vernatsch gerodet, und jetzt wachsen mit Chambourcin und Prior zwei robuste, pilzwiderstandsfähige Rebsorten in den Parzellen. Und es scheint zu funktionieren.
Auf Anregung eines Freundes aus der Schweiz hatte Othmar im 1998 vom »gewöhnlichen« Bio-Anbau auf diese radikale »Weglass-Methode« umgestellt. Seitdem gibt es auch kein Plastik mehr im Weinberg bis auf die Bewässerungsschläuche, die da schon seit über 20 Jahren hängen. »Naja«, sagt Othmar, »hier auf dem Margreider Schuttkegel fließt das Wasser extrem schnell ab, der Grundwasserspiegel liegt in 16 Metern Tiefe.« Othmar lässt deshalb ab und zu ganz gezielt Wasser in den Stockbereich tröpfeln. 2020 war das dreimal der Fall, 2021 einmal. Die Reben im Steilhang stehen hingegen auf kompaktem Lehm und bräuchten, einmal ausgewachsen, kein zusätzliches Wasser.
Krejos und Miros, die beiden Wene
In den Rebzeilen nimmt Othmar seit einiger Zeit keine Einsaaten mehr vor, um die Humusschicht zu schützen. »Das Bodenleben ist für die Robustheit der Reben am wichtigsten – wie das Dach für das Haus«, sagt er mit einem Seitenblick auf seine dachlose Baustelle. Zwei Weine produziert er, einen Roten und einen Rosé. Mit 15 € bzw. 14 € sind die beiden so kalkuliert, dass es sich für ihn gerade so lohnt. Da Othmar alles selbst macht, ist brutto da gleich netto. Die Trauben werden spontanvergoren, nicht geschönt, es gibt keine Enzyme, nur vor der Füllung etwas SO2. Eigentlich würde er auch das gern weglassen, aber weil die Weine viel in Bioläden verkauft werden und dort möglicherweise im Warmen und im Licht stehen, traut er sich nicht, ganz auf den Schwefel zu verzichten.
Wie kann man als Winzer Upcycling machen?
Jetzt kommen wir aber zu dem, was ich als »Upcycling« bezeichnet habe. Für Othmar ist es hingegen ganz normal, denn warum sollte man aus einem Weinberg ausschließlich Wein holen? Als wir durch die Rebzeilen gehen, zupft er eine kleine Pflanze aus, »Glaskraut«, sagt er. »Ein Geschwister der Brennnessel, eine alte Heilpflanze«, mit einer ganzen Reihe von Anwendungsmöglichkeiten, wie ich feststelle. Othmar macht im Sommerhalbjahr zweimal pro Woche Wildkräuterführungen, die gut nachgefragt werden – nur im Juli nicht, weil er da selbst zu viel zu tun hat.
»Vom Löwenzahn kann man eigentlich alles nutzen«, erklärt er. Aus dem Blütennektar Honig, aus den Blättern Salat, und die Knospen schmecken eingelegt wie Kapern.
Natürlich ist auch die Rebe selbst Quelle gleich mehrerer Produkte. Einen »Traubenkaviar« macht Othmar aus Traubenblütenknospen, die in Olivenöl eingelegt werden. Traubenkerne enthalten jede Menge OPC, oligomere Proanthocyanidine, sprich Antioxidantien in hoher Konzentration. Also bereitet er aus den ausschließlich frisch gepressten Traubenkernen und Schalen ein entsprechendes Pulver. Bei den ganzen »Upcycling-Nebenprodukten«, die ansonsten weggeworfen werden würden, macht es sich natürlich sehr vorteilhaft bemerkbar, dass die Pflanzenteile unbehandelt sind.
Mein Mitbringsel: Traubenblätter-Pâté
Das Highlight ist jedoch, wie ich finde, das hier: Traubenblätter-Pâté. Anfang Mai, wenn die Triebe etwa 40 cm lang sind, geht er durch die Reben und entblättert ein bisschen, zupft also junge Blätter ab. Normalerweise würden diese Blätter schlicht auf dem Boden landen, aber Othmar nimmt sie mit. Aus den Blättern, Bio-Olivenöl, Kräutern und Gewürzen kreiert er eine »Pâté«. Wie er das macht? »Das ist selbstverständlich ein Geheimrezept«, grinst er. Und warum nennt er es nicht »Pesto«, schließlich sieht es genauso aus? »Weil es eigentlich nicht so gut zu Pasta passt. Ich würde die Pâté eher zu Pellkartoffeln verwenden, zu Brot, Wurst und Käse.« Also eigentlich eher wie eine Mojo Verde.
Weil die Weine ausverkauft sind und ich mit Zug und Rucksack ohnehin nur extrem wenig mitnehmen kann, entscheide ich mich als Mitbringsel für ein Glas dieser Traubenblätter-Pâté. Wie bei den meisten Blättern nehme ich an, dass sie eine gewisse Menge an Bitterstoffen enthalten dürften. Tatsächlich ist das aber gar nicht der Fall. Entweder sind die Blätter in diesem Stadium nicht so bitter, oder Othmar hat sie dank Geheimbehandlung sanfter werden lassen. Jedenfalls passt die Pâté in originaler Pesto-Konsistenz wirklich hervorragend zu frischen Pellkartoffeln mit ein wenig Südtiroler Speck.
Wie auch immer, ich finde es faszinierend, wie Othmar Sanin offenbar einen Weg gefunden hat, seinen winzigen Betrieb ganz allein und auf ziemlich radikale Art auf mehrere Beine zu stellen. Auf diese Weise hat mein eigentlicher Weingutsbesuch in Südtirol doch völlig andere Erkenntnisse mit sich gebracht, als ich es vorher gedacht hätte…
Klasse!🌝