Es tut sich was in der deutschen Natural-Welt. Das ist einerseits kein großes Wunder, denn lange Zeit hatte sich da wenig getan. Vor zehn Jahren hatte kaum niemand seine Weine ungeschwefelt und hefetrüb auf den Markt gebracht. Das ist mittlerweile natürlich ganz anders. Aber ich meine eher ein »andererseits«. Es gibt nämlich peu à peu derartig hergestellte Weine, die nicht nur der Machart frönen und ansonsten aus der unbedeutendsten Parzelle des Weinguts stammen. Schon mit Stephan Krämers »Flor« hatte ich euch einen Natural vorgestellt, der die Spitze der Produktion darstellt. Und genauso verhält es sich auch mit dem Riesling Reh von Johannes Gröhl. Der kommt nämlich aus einer Spitzenlage und ist qualitativ wie preislich ganz oben in diesem Traditionsbetrieb angesiedelt.
Roter Hang natural – Riesling Reh 2020 von Johannes Gröhl
Deutsches Weingesetz von 1971 revisited. Nein, keine Angst, jetzt folgt keine Gesetzestext-Interpretation. Aber ein klein bisschen Background. Wenn ihr am Roten Hang bei Nierstein unterwegs seid, der gleichzeitig schön und spektakulär ist (mit richtig rotem Boden nämlich), werdet ihr auf das Schild oben stoßen. »Rehbach« steht darauf. Direkt oberhalb des Schildes wächst aber das GG Pettenthal von Kühling-Gillot. Eine Einzellage mit dem Namen Rehbach gibt es nämlich gar nicht. Allerdings gab es sie vor 1971, bevor sie dann ins Pettenthal eingemeindet wurde. Aber nicht nur das. Man hat den Namen dieses einstmals kleinen Gewanns für die Bezeichnung einer neuen Großlage verwendet, die Pettenthal, Brudersberg und Hipping umfasst. Das ist selbstverständlich nicht so schlimm wie beim »Guten Domtal«, weil die drei alle Spitzenlagen sind. Aber komisch aus heutiger Sicht kann man das schon finden.
Johannes Gröhl nutzt den ersten Teil der alten Gewannbezeichnung jetzt, um seinem Wein eine Herkunft zu verleihen, die er hat, die er aber nicht zeigen darf. Warum? Weil so ein hefetrüber Natural bei der Qualitätsweinprüfung wenig Chancen auf ein Durchwinken besitzt, führt ihn Johannes Gröhl als Landwein. Und da darf er die Lage nicht draufschreiben, egal wie gut sie ist. »Reh« steht also für Rehbach, roter Tonschiefer inklusive.
Das Weingut (Eckehart) Gröhl im rheinhessischen Weinolsheim befindet sich übrigens seit 13 Generationen in Familienbesitz, ist also ein beinharter Traditionsbetrieb alteuropäischer Prägung. Johannes als Geisenheimer hat dort mit dem Jahrgang 2020 die Vinifikation der Lagenweine übernommen. Jene sind schon als »Normalweine« richtig interessant. An der Seite des Etiketts kann man übrigens sehen, wer von den Gröhls hier die Verantwortung trägt. Beim Riesling Reh ist es schon stilistisch überdeutlich. Nach fünf Tagen Maischestandzeit wurde er spontan im Tonneau vergoren und lange auf der Hefe gelagert.
Wie schmeckt der Wein?
»Unfiltriert« kann ja ebenso wie »Spontangärung« durchaus unterschiedliche Dinge bedeuten. Manche Weine sind nicht filtriert, sehen aber trotzdem klar aus, weil der ganze sichtbare Trub sedimentiert ist und nicht mit in die Flasche kommt. Es gibt sogar »unfiltrierte« Weine, die vorher ordentlich geschönt worden sind – ein relativ weites Feld also. Das ist beim Riesling Reh anders. Farblich haben wir hier ein trübes Gelborange vor uns, das viel eher an Cidre als an deutschen Riesling erinnert. In der Nase gibt es einen rauchigen Ton, eine spürbare Reduktion (feiner Stinker also), dazu Zimttöne vom Holzeinsatz und Birnenfrucht von der Traubenfrucht. Von zitrischer Frische also keine Spur.
Ein zitrischer Touch folgt aber später im Mund, nämlich in Form von Limette und kandierter Zedratzitrone. Dazu kommt der natural-übliche Apfel. Der Wein ist komplett trocken (gerade einmal 1 g Restzucker), was bei Riesling ja eher die Ausnahme darstellt. Die Säure spürt man dadurch mehr, aber sie ist nicht spitz oder bissig, sondern einfach stark und ruhig. Momentan ist der Riesling Reh deutlich vom Ausbau geprägt mit seinen holzigen und hefigen Elementen, alles steht noch ein bisschen nebeneinander. Selbstverständlich kann man einen solchen Weißen auch jetzt schon trinken. Sollte man aber nicht. Sein wahres Potenzial (und das hat er ohne jeden Zweifel) wird erst in einigen Jahren wirklich zum Tragen kommen. Kurz: ein großer Wein in neuem Gewand. In meinen Natural-Kategorien bekommt er das A für Anspruch. Nicht weil er so kompliziert zu trinken wäre, sondern weil er selbst diesen Anspruch in sich trägt.
Wo kann man ihn kaufen?
Zum Schluss sind wir beim großen Problem der Sache angekommen. Ich hatte ja schon geschrieben, dass Johannes Gröhl seinen prächtigen Natural-Riesling im Tonneau ausbaut. Und zwar in einem einzigen. 596 Flaschen gab es also zur Markteinführung vom Riesling Reh 2020, und die sind mittlerweile ab Weingut alle ausverkauft. Da müsstet ihr also auf den neuen Jahrgang warten. Auch bei Rot Weiß Rosé, ansonsten zuverlässiger Fundort für Johannes Gröhls Lagenweine, habe ich ihn nicht gefunden, dafür auf dänischen Menükarten. 28 € kostet(e) der Wein ab Hof, das ist derselbe Preis wie der andere Top-Riesling des Weinguts aus dem Pettenthal. Vielleicht taucht aber auch eine der restlichen 595 Flaschen irgendwo auf (meine ist ja nicht mehr existent). Es lohnt sich jedenfalls, die Augen offen zu halten.