Ab und zu versuche ich mich an Blindtests, weil das einfach so manches Aha-Erlebnis mit sich bringt. Vor zwei Jahren habe ich deutsche und französische Pinot Noirs gegeneinander antreten lassen, diesmal handelt es sich um die große weiße Rebsorte des Burgund – Chardonnay. Mir ist bewusst, dass man aus genau jenem Chardonnay, wenn man es nur stark genug will, gräusliche, nichtssagende Neutralweine bereiten kann. Aber darum soll es hier nicht gehen. Ich habe mich nämlich um ein Line-up bemüht, bei dem jeder einzelne Wein einen Kaufanreiz bei mir ausgelöst hat. Drei der namhaftesten deutschen Winzer, einmal Kalifornien, einmal Chablis, einmal Jura. Wer würde sich im Blindtest durchsetzen?
Chardonnay – Warum internationale Chance?
Chardonnay ist mittlerweile die am meisten angebaute weiße Rebsorte der Welt. Airén wurde vor kurzem überholt, und aus Kyoho und Sultanina, die ganz oben stehen, wird kein Wein bereitet. Die Beliebtheit von Chardonnay rührt einerseits daher, dass aus ihr nachweislich große Weine entstehen können. Andererseits ist sie wie wenige andere Rebsorten in der Lage, sich praktisch jeder Ausbauform und jedem Klima anzupassen. Champagner vom Nordhang oder Chardonnay aus Belgien stellen ebenso wenig ein Problem dar wie Chardonnay aus Kalifornien oder Sizilien. Nur schmecken die Weine dann natürlich jeweils vollkommen anders, wie uns unser australischer instructor im WSET-Kurs eindrücklich bewies (noch gar nicht so lange her, trotzdem kommt es mir wie eine ganz andere Welt vor…).
Eine derartige Flexibilität birgt allerdings auch die Gefahr des Abgleitens in die Beliebigkeit. Und so hatte sich nach dem weltweiten Anbauboom der 1980er und 1990er Jahre eine gewisse Katerstimmung eingestellt. Exemplarisch für das Ablehnen des nächsten und übernächsten Chardonnays steht seitdem die Abkürzung ABC, was nichts anderes bedeutet als »Anything But Chardonnay«. Das ist allerdings schon 20 Jahre her, und seitdem hat sich einiges getan. Gerade in kühleren Klimaten ist der Chardonnay zunehmend beliebter geworden, auch unter Winzern. Noch nie gab es deshalb in Deutschland so viele gute Chardonnays wie im Moment. Zeit für mich zu schauen, ob »unsere« Weine mit namhaften internationalen Konkurrenten mithalten können. Auf also zum kleinen aber feinen Blindtest!
Wein 1 – Au Bon Climat/Kalifornien – Sanford & Benedict
Dass sich Au Bon Climat ebenso ABC abkürzt wie »Anything But Chardonnay«, ist selbstverständlich reiner Zufall. Jim Clendenen war bis zu seinem Tod 2021 jahrzehntelang das Mastermind nicht nur hinter Au Bon Climat, sondern auch ein Vorreiter für den kühleren, burgundischen Stil in Kalifornien. Der Wein stammt aus dem 1971 angelegten wurzelechten Sanford & Benedict Vineyard im Santa Ynez Valley, nur ungefähr zehn Kilometer vom Pazifik entfernt. Ausgebaut wird er in zur Häfte neuen Fässern von François Frères, nach zwölf Monaten wird abgefüllt. Spontanvergoren, ungeschönt, unfiltriert, so ist der Standard in diesem Blindtest. Der Wein kostet 39 € bei der K&U-Weinhalle, von der ich auch die anderen außerdeutschen Weine habe.
Recht hell in der Farbe, in der Nase aber von allen sechs Kandidaten am meisten vom Holz geprägt. Und zwar von der etwas weicheren, vanilligeren Version. Am Gaumen ist das allein vom Mundgefühl her der wärmste Wein der Runde, spürbar edel und aufwändig bereitet, aber auch ein bisschen anstrengend, deutlich holzwürzig. Mir erscheint das im Blindtest nicht mehr ganz zeitgemäß, und obwohl das Niveau hier richtig hoch ist, gibt es für diesen Wein nur Platz 6. Am nächsten Tag trinken wir den Au Bon Climat aufgedeckt zu »Encornets à la Sétoise«, und zu diesem kräftig tomaten-tintenfischigen Gericht funktioniert er fantastisch. Also eher nicht solo probieren, da tut man ihm ein bisschen unrecht.
Wein 2 – Fürst/Franken – Chardonnay Astheim
Über familiäre Beziehungen verfügt das churfränkische Weingut Fürst auch über Reben an der Mainschleife zwischen Volkach und Escherndorf. Sebastian Fürst sagte mir, der Astheimer Karthäuser sei eine für Silvaner eher ungeeignete Lage, nicht tief genug und mit viel Aktivkalk im Boden. Trotzdem wäre es vermutlich ein bisschen übertrieben davon zu sprechen, dass er mit dem Chardonnay aus der Not eine Tugend gemacht habe. In jedem Fall ist der Karthäuser eine der besten fränkischen Lagen für diese Rebsorte. Die Trauben für den nominellen Ortswein werden leicht mit den Füßen angequetscht, vergären im kleinen Eichenfass und kommen nach minimal 16 Monaten Lagerung auf der Vollhefe in die Flasche. 30 € glaube ich ab Hof, bin mir aber nicht ganz sicher.
Ebenso hell im Glas gibt es frisch geöffnet erst einmal Nuancen, die man durchaus unterschiedlich bewerten kann. Ja, das ist leicht gärig-reduktiv und überraschend wild. Am zweiten Tag bleibt immerhin noch etwas Rauch, am dritten ist der Wein dann definitiv gebändigt. Und wie. Im Mund gibt es hier nämlich eine Feinheit, eine Eleganz, eine zarte muschelkalkige Note, die über allem anderen steht und die mich total begeistert. Mein Platz 1 im Blindtest. Auch wenn man weiß, was es ist, dürfte dieses Feingliedrige, Ausgewogene selbst Leute überzeugen, die bislang keinen fränkischen Chardonnay getrunken haben. Intensiver kann Chardonnay sicher werden, nobler, nachhaltiger. Aber subjektiv ist das genau mein Stil, wunderbar.
Wein 3 – Huber/Baden – Malterdingen Alte Reben
Noch ein Ortswein, der eigentlich keiner ist. Julian Huber erzählte mir bei der Weinbörse, dass es sich bei den Alten Reben um Parzellen höher am Berg handelt, kühleren Lagen mithin. Die meisten Rebstöcke stammen noch aus den 1950er Jahren, andere aus den 1990ern, die Julians Vater Bernhard dort gesetzt hatte. Die Vinifizierung ist im Hause Huber bei allen Weinen gleich, nur die Lage macht den Unterschied. Insofern sind auch die Alten Reben langsam gepresst, spontanvergoren und anschließend in Barriques ausgebaut, 20% davon neu. Nach einem Jahr im Fass kommt der Wein zum Absetzen in den Stahltank und wird von dort quasi direkt von der Vollhefe unfiltriert abgefüllt. Ich habe hier noch den 2019er genommen, weil der Jahrgang 2020 erst im November auf den Markt kommt. 35 € ab Hof.
Kräftiger in der Farbe als die beiden Weine davor, besitzt die Nase einen etwas dunkleren Holzton. Jener ist allerdings auf einem deutlich geringeren Intensitätsniveau als beim Kalifornier, also sehr gemäßigt. Am Gaumen schreibe ich spontan, »am meisten Chardonnay, der kompletteste Wein«. Tatsächlich sind wir hier in der Säure auf einem höchst pikanten Niveau, aber gleichzeitig gibt es auch etwas mehr Körper und Druck als beim Fürst. Der Wein ist würzig und geschmeidig, wieder ganz hervorragend, ein Vergnügen. Weniger fein und schwebend als der Astheimer, Jahrgang und Lage machen da den Unterschied, qualitativ aber auf einer Linie. Und zwar ganz oben. Platz 2.
Wein 4 – Piuze/Chablis – Terroir de Chichée
Wer Chardonnay sagt, muss auch Chablis sagen. Finde ich. Für diesen kleinen Blindtest wollte ich allerdings einen Chablis dabeihaben, den ich noch nicht kenne. Deshalb habe ich mich für einen der drei Ortsweine von Patrick Piuze entschieden. Patrick kommt ursprünglich aus Kanada, hat dann aber bei den besten Adressen im Burgund gelernt. Olivier Leflaive, Maison Verget (Jean-Marie Guffens), Jean-Marc Brocard, es gibt schlechtere Lehrmeister. Ähnlich wie Guffens mit Verget ist Patrick Piuze auch kein Weinbergsbesitzer, sondern ein »vinificateur et éleveur«, wie er selbst sagt. Er kauft also Trauben von ausgewählten Weingütern und baut die Weine nach seinen Vorstellungen aus. Chichée ist dabei ein Dorf südlich von Chablis, auf dessen Gemeindegebiet sich die Premiers Crus Vaucoupin und Vosgros befinden. Der Wein hat trotz BSA nur einen pH-Wert von 3,18. Auch von K&U, 24 € dort und damit der günstigste Wein im Test.
In der Nase zeigt sich der (mir natürlich unbekannte) Chablis sehr dezent. Man spürt praktisch kein Holz, keine Frucht, nur eine leichte Laktik. Auch am Gaumen ist expressiv etwas anderes. Der Wein gleitet ohne Ecken und Kanten dahin, man spürt eine Art kargere Mineralität ganz hinten, aber wenig Pikanz und Ausdruck. Für mich ist das ein Wein, der entweder noch eine längere Lagerzeit braucht oder einfach primär dafür gedacht ist, höflich zu begleiten anstatt sich selbst in den Vordergrund zu stellen. Nach dem Aufdecken denke ich mir, dass ich von einem Chablis vielleicht etwas weniger BSA-Touch und etwas mehr strenges Nordistentum gewünscht hätte. Zweifellos ein guter Wein, aber in meinem Hochkarätertest hier nur Platz 5.
Wein 5 – Wittmann/Rheinhessen – Chardonnay Réserve
Philipp Wittmann ist einer der Winzer, die man in Wein-Deutschland ehrlich gesagt nicht mehr vorstellen muss. Morstein und Brunnenhäuschen sind Riesling-GGs, die viele von euch vermutlich schon probiert oder gar im Keller stehen haben. Aus einer der weiteren Spitzenlagen, dem Westhofener Kirchspiel, stammt dieser Wein. Tonmergel, viel Kalk, viel Morgensonne. Neben der Tatsache, dass Philipp seine Weinberge biodynamisch bearbeitet, wird die Reserve spontan vergoren und größtenteils in burgundischen Barriques ausgebaut. Das Jahr 2020 hat dabei zu knackigen Werten geführt: bei 1,7 g Restzucker haben wir 8,1 g Säure pro Liter. Und weniger als 13 vol%, genau wie bei Fürst, Huber und Piuze. Für mich persönlich sind das gute Aussichten. 36,50 € ab Hof übrigens.
Das ist vielleicht der hellste Wein im Test, und zwar sowohl von der Farbe als auch von der Nase her. Letztere nämlich besitzt einen fast gleißenden, süßtraubigen Ton, der sich eklatant von allen anderen hier unterscheidet. Im Mund bleibt der Wittmann hell und leicht wirkend, sehr feinfruchtig, durchaus deutsch und erinnert mich am ehesten an ein Riesling-GG in ganz trocken. Man merkt im Vergleich, dass dies hier ein individueller Ansatz ist, vielleicht etwas stärker an der Traube als Frucht orientiert als bei den anderen. Ich ahne schon vor dem Aufdecken, was es ist, denn dieser Gutsstil zieht sich für mich durch alle Wittmann’schen Weißen. Sehr schöner, wenig ausbaugeprägter Wein, mein Platz 4.
Wein 6 – Tissot/Jura – Chardonnay Patchwork
Sollte ich noch einen »klassischen« Burgunder aus der Côte de Beaune nehmen? Oder doch ein bisschen mehr Abenteuer? Wenn ich Stéphane Tissot und Jura sage, dann wisst ihr, wie ich mich entschieden habe. Für mich ist Stéphane ein bewundernswerter Winzer mit wahnsinnig viel Enthusiasmus und Konsequenz. Zusammen mit seiner Frau Bénédicte hat er das Weingut seiner Eltern deutlich vergrößert und komplett auf biodynamischen Anbau ungekrempelt. Gleichzeitig sind die Erträge irre gering, und im Keller wird nur zart begleitet. Im Grunde sind das Naturweine reinsten Wassers, und so riechen und schmecken sie auch. Selbst nach Erreichen des Popstarstatus Ende der 00er Jahre hat Stéphane keinen Millimeter an Konzessionen gemacht. Der Patchwork stammt aus verschiedenen Lagen, gut die Hälfte Tonmergel, der Rest Kalk, wurde spontan vergoren und in zu 10% neuen Barriques ausgebaut. Ungeschönt, unfiltriert, maximal 30 mg SO2 – und 26 € bei K&U.
Der dunkelste Wein im Test, zunächst etwas Flüchtigkeit in der Nase, leicht gärig-rauchige Noten, als Naturel erkennbar. Im Mund gibt es eine sehr kräftige Säurenote, eine gewisse Grünbissigkeit, die so typisch ist (oder geworden ist) für das Jura. Das ist quasi der Kontrapunkt zum feinfruchtig-leichten Wittmann-Wein. Die Wildheit lässt am zweiten Tag deutlich nach, der Wein braucht Luft, bleibt aber apfelkräftig mit ein bisschen Karamell, sehr tief und lang anhaltend. In punkto freiem Ausdruck ist das hier die Nummer 1, aber wenn ich mein Ideal der Finesse und Eleganz mit einfließen lasse, landet der Tissot dann doch auf Platz 3. Was leider ziemlich nervt, ist die spröde splitternde Wachskappe. Piuze hatte auch Wachs, aber das war weicher und ließ sich problemlos entfernen.
Mein Fazit
Mein Chardonnay-Fazit lässt sich in drei Punkten festhalten:
- Die Weine waren qualitativ alle sehr gut. Platz 6 von 6 mag zwar nicht danach klingen, aber das Niveau war insgesamt so erfreulich, dass ich – je nach persönlichen Präferenzen – sämtliche Weine wirklich empfehlen kann. Im Grunde hätten alle noch ein wenig Lagerzeit verdient gehabt, aber auch hochklassige Chardonnays sind keine Baroli. Man kann sie also mit ein wenig Belüftung durchaus jetzt schon gut trinken. Dass der Wein mit dem meisten Neuholz am wenigsten gepunktet hat und in seinem Herkunftsland als ausgesprochen burgundisch gilt, zeigt, wie sich Stile und Einschätzungen verändern.
- Meine subjektiven Vorlieben finden sich in der Rangfolge wieder. Ich mag Weine mit Charakter, die hart an der Grenze zum Dreckigen entlangschrappen. Deshalb ist der Tissot (für mich berechtigt) so weit oben. Ich mag aber auch das Subtile, Elegante, Finessenreiche, das man erst mit dem zweiten oder dritten Schluck beginnt zu erfassen. Das ist der Grund für Sebastian Fürsts Astheim auf Platz 1.
- Mit deutschen Weinen in diesem Blindtest auf den Plätzen 1, 2 und 4 ist für mich persönlich klar, dass »wir« im Segment zwischen 25 und 40 € hervorragend aufgestellt sind. Gut, Tissots Parzellenweine Mailloche, Bruyères und Graviers wären preismäßig auch noch drin gewesen und wären natürlich hochkarätiger als der Patchwork. Ebenso hätte ich von Patrick Piuze einen Premier Cru nehmen können. Da bleiben ja immer Fragen offen, Zweifel möglich, andere Vorlieben respektiert. Aber das ändert nichts an der richtig starken Performance der drei deutschen Chardonnays.
Chardonnay – die internationale Chance? Ja, ich denke schon. Jedenfalls dann, wenn »unsere« Weine sich selbst treu bleiben und die unterschiedlichen Terroirs abbilden. Bleibt der Holzeinsatz wie hier im Test lediglich unterstützend, könnte man sogar langsam ein wenig in Richtung Export denken. Die Qualität ist in jedem Fall da.
Hallo Matthias,
Ein wirklich schönes line-up . Die Weine dieser Weingüter kenne ich durchaus ein wenig und hätte wohl exakt deine Platzierungen auch vorgenommen. Fürst ist in punkto Finesse und Eleganz, auf die ich immer viel Wert lege, sowohl bei Pinot als auch bei Chardonnay in Deutschland fast unerreicht. Chardonnay ist, wie auch der Silvaner, eine Sorte, mit der man die unterschiedlichsten Stile präsentieren kann. Das schreit ja geradezu nach einem etwas umfangreicheren Tasting zu diesem Thema in Würzburg 🙂
Haha, irgendwie schon 😉 . Wobei ich jetzt in Hamburg beim Cool Climate-Chardo-Fünf-Jahre-danach dabei war, auch sehr gutes, prinzipiell neuweltlastiges Line-up (30 Weine). Für mich und auch insgesamt vorn war da Knewitz vor Rémi Jobard und Bellhill aus Neuseeland. Auch sehr spannend.
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