Letzte Nacht hat es bei uns wieder geschüttet. Ohnehin waren die vergangenen Tage von Sonnenhitze, Schwüle und kräftigen Schauern geprägt. Im Weinberg beginnen Pilzkrankheiten ihr Unwesen zu treiben, und das Gras steht so hoch wie gefühlt noch nie. All das hat mich wieder daran erinnert, dass die Zeit von Anfang Juni bis Anfang Juli in Ostasien als Regenzeit bezeichnet wird. Deshalb möchte ich euch in einem ungewöhnlicheren Dienstagsbeitrag ein paar Fotos und Geschichtchen zeigen, wie man dort mit diesen Bedingungen umgeht.
Regenzeit in Ostasien
Das Interessante ist, dass die Regenzeit in Japan überhaupt nicht die Zeit mit dem meisten Regen ist. Der Monat mit den höchsten Niederschlagswerten ist nämlich in den allermeisten Regionen der September. Aber im September sind vor allem die Taifune dafür verantwortlich, was eine gänzlich andere Atmosphäre bedeutet. Die Juni-Regenzeit hingegen heißt tsuyu oder baiu (梅雨), was je nach Aussprache und Konnotation sowohl Pflaumen-Regen als auch Schimmel-Regen bedeuten kann. Natürlich regnet es weder Pflaumen noch Schimmel, aber die Früchte der Ume reifen zu dieser Zeit des Regens. Und vor der Epoche der Wäschetrockner konnte es bei der hohen Luftfeuchtigkeit schwierig sein, die Wäsche zu trocknen. Schimmelgefahr im Innenhof wie im deutschen Weinberg.
Andererseits ist diese Jahreszeit unglaublich wichtig in der Region. Die Reispflanzen werden mit dem Beginn der Regenzeit gesetzt und müssen ihren ganzen Zyklus absolvieren, bevor der Reis noch vor den Taifunen wieder geerntet wird. Traditionell war das die arbeitsreichste Zeit für die Landbevölkerung.
Es schüttet auch nicht ununterbrochen während der Regenzeit. Das konnte ich zum Beispiel feststellen, als ich vor ein paar Jahren Ende Juni in Tokio und in Seoul war. Aber anders als zur echten Hitzezeit im August hat jetzt niemand frei, und alle müssen in formeller Kleidung durch den Dampf zur Bahn gehen und weiter zur Arbeit fahren.
Für den überaus seltenen Fall, dass ihr nach Ostasien kommen solltet, um Schmetterlinge zu fotografieren, ist die grüne Periode auch nicht so recht günstig. Die meisten Arten der Gattung Papilio befinden sich nämlich zu dieser Zeit in der Raupenphase. Erst Mitte Juli geht das tropisch anmutende Flattern wieder richtig los.
Hydrangea – das Symbol der Regenzeit
Es gibt aber natürlich auch erfreuliche Seiten der Regenzeit. Die symbolisch wichtigste hat mit dem zu tun, was der Mann auf dem oberen Bild gerade fotografiert: die Hydrangea.
Hydrangeae oder Hortensien sind den meisten von uns aus der Gartenwelt wohlbekannt. In meiner Kindheit war ich von ihrem Anblick allerdings gar nicht begeistert. Erst grün, dann scheckig und lappig, dazu noch ohne Duft. Aber da die Hortensien nun mal aus Ostasien stammen, sind sie dort auch wesentlich prächtiger bei uns. Die dunklere Tönung in Blau oder Lila bekommen die Pflanzen übrigens erst, wenn der Boden sauer genug ist. Dann nehmen sie Aluminiumsalze auf, die für die Verfärbung verantwortlich sind.
Ajisai werden die blühenden Hortensien genannt, und in Kamakura (bequem in einer Stunde mit dem Vorortzug von Tokio zu erreichen) gibt es sogar einen wunderbaren Rundweg zur Blütenschau. Besonders der Meigetsu-in ist dabei von den verschiedensten Hydrangea-Arten durchzogen.
Japan-üblich gilt die Liebe der Besucher*innen nicht nur den größten, mächtigsten, plakativsten Exemplaren. Vielmehr geht es auch sehr viel um Details, um Arrangements. Bevor ich selbst zu dieser Zeit dort war, hatte ich übrigens keinerlei Ahnung vom Hortensienkult. Die Kirschblüte kennt ja jeder, aber ehrlich gesagt fand ich die verschiedensten Formen und Farben der Hortensien in allen Ecken der Stadt auch sehr reizvoll.
Essen und Trinken während der Regenzeit
Ein minikleiner Ausflug in klimatische Bedingungen, nur damit ihr euch das besser vorstellen könnt. Die durchschnittliche tägliche Höchsttemperatur in Tokio liegt im Juni gut 4°C höher als in Nürnberg. Noch ein größerer Unterschied existiert nachts, wo es in Tokio im Durchschnitt 7°C wärmer ist als in Nürnberg. Es kühlt sich also nicht richtig ab. Dazu gibt es zweieinhalbmal soviel Regen, aber 1,75mal weniger Sonnenschein. Summa summarum hört sich alles ziemlich schrecklich an, aber tatsächlich regnet es im Durchschnitt nur jeden zweiten Tag. Es bleibt also genügend Zeit, sich zwischendurch mit den kulinarischen Reaktionen auf die Regenzeit-Bedingungen zu beschäftigen. Oben auf dem Foto seht ihr den sehr traditionellen Laden Oiwake Dango Honpo, der auf japanische Süßigkeiten, besonders eben Dango, spezialisiert ist. Zur heißen Jahreszeit bietet er allerdings auch Eis an, das man im Hinterzimmer-Café genießen kann.
Shaved ice oder Kakigori gibt es in Japan schon seit über 1.000 Jahren. War damals noch das reine, fein geschabte Eis die Sensation, gibt es mittlerweile natürlich alle möglichen Geschmäcker. Ich habe mich für Erdbeer entschieden.
Ostasien ist ja nicht nur eine Region, in der Traditionsfreaks auf ihre Kosten kommen, sondern vielmehr ein sprudelnder Quell an Innovationen. Und zwar jeglicher Art. Wie in diesem Fall das Camouflage-Eis als taste of the season.
Ganz traditionell gibt es im Teesalon auch andere kühlende Getränke. Hier zum Beispiel ein Gebräu aus fermentierten Piniennadeln, begleitet von Puffreisgebäck, eine Spezialität aus Korea.
Die Brauereien, von denen es mittlerweile einige hundert in Japan gibt, stellen sich ebenfalls auf den Sommer ein. Hier die lokale Sankt Gallen Brewery mit ihrem Ananas- und Süßorangen-Ale. Beide besitzen die entsprechenden Fruchtnoten und sind alles andere als süß, vielmehr erfrischend.
Auch gottähnliche Wesen stellen ihre Ernährungsgewohnheiten zur Regenzeit um. Der Daibutsu in Kamakura bekommt immer Früchte der Jahreszeit angeboten, in diesem Fall Wassermelone.
Und dann noch…
Nach der Regenzeit folgt in Ostasien die echte Hitzeperiode. Das ist so, als würden bei uns auf den normalen Hochsommer noch anderthalb Monate Manaus gepackt. Zwar sind die allermeisten Innenräume klimatisiert, aber genau diese Abluft der Klimaanlagen verstärkt die Wärme in der Stadt natürlich noch. Neben Kältepacks und traditionellen Fächern helfen neuerdings auch Mini-Ventilatoren gegen die Hitze. Gern auch im verspielten Design, wir sind schließlich in Asien.
Und damit bin ich am Ende meines kleinen Spaziergangs durch die ostasiatische Regenzeit. Ich persönlich hoffe, dass sich auch bei uns möglichst bald eine weniger drückende Periode einstellt. An sich mag ich den Sommer nämlich schon…
Toll zu lesen! sehr interessant!!
Dankeschön! Ja, manchmal beschleicht mich in jüngster Zeit das Gefühl, dass allein aus mentalen Gründen so ein Japanbesuch vielleicht doch besser angelegtes Geld für mich war als eine Couchgarnitur 😉
Pingback: Zur Mimosenblüte an die Côte d'Azur - Chez MatzeChez Matze