Heute geht es um einen festlichen Wein. Genau genommen war das unser Wein zum Osterfest, das ja gerade erst zu Ende gegangen ist. Wir reisen dabei nach Frankreich, in das Tal der Loire, an den legendären Hügel von Savennières. Und wir reisen auch ein bisschen zurück in der Zeit. In eine Zeit, in der ich aus dem Fenster auf Arbeiter-Backsteinhäuschen geblickt habe. Und in eine Zeit, als es die Domaine du Closel für schick befand, ihr Spitzenprodukt mit einer Silbermedaille von der Weinprämierung auszustatten. Kommt also mit und probiert einen fast 20 Jahre alten trockenen Weißwein.
Clos du Papillon 2002 der Domaine du Closel
Die Domaine du Closel (Website) ist ein wahrhaft historisches Weingut, untergebracht im Château des Vaults, seit Generationen in Familienbesitz. Die jetzige Chefin, Evelyne de Pontbriand, unterrichtete zunächst französische Literatur, bevor sie im Jahr 2001 das Weingut mit seinen 15 ha von ihrer Mutter übernahm. Erst biologisch und seit 2015 auch zertifiziert biodynamisch (Biodyvin) betrieben, besitzt die Domaine du Closel mit die besten Weinberge in Savennières. Und wer die besten Weinberge in Savennières besitzt, würden wir als Ritter der Tafelrunde wissen, besitzt die besten Weinberge des ganzen Loiretals.
Savennières ist ein kleiner Ort mit gerade einmal 1.336 Einwohnern (ich bin heute genau), etwa 15 km südwestlich von Angers direkt an der Loire gelegen. Die gleichnamige Herkunftsappellation (hier könnt ihr rechts unten auf der Seite eine wunderbare pdf-Karte herunterladen) stellt allerdings etwas ganz Besonderes dar. Wenig tiefgründig, wachsen die meist sehr alten Chenin Blanc-Stöcke auf einer Schiefer-Unterlage mit Quarzit-Einsprengseln. Oben seht ihr den Blick aus dem Les Coteaux genannten Bereich auf die Domaine du Closel. Hier ist es richtig steil, eine Seltenheit an der Loire. Der Clos du Papillon ist dabei die klassische Spitzenlage weiter oben am Hang. Geerntet wird in zwei Durchgängen: zuerst die “normalen” und etwa zehn Tage später dann die botrytisierten Trauben. Dadurch ist der Wein immer relativ alkoholstark, reif, tief und wahrhaftig komplex. Der durchschnittliche Hektarertrag liegt übrigens bei 20 hl, vergoren wird spontan in gebrauchten 420 Liter-Fässern, demi-muids.
Wie schmeckt der Wein?
In der Dezember-Januar-Ausgabe der RVF gab es eine große Vertikalverkostung von Closels Clos du Papillon mit 98 Punkten für die 2010er Ausgabe. Der 2002 war leider nicht dabei, aber das holen wir ja hier nach. Goldfarben fließt der Wein ins Glas. Nichts anderes hatte ich mir erhofft. In der Nase ist bereits die hohe Reife zu spüren. Getrocknete Aprikosen, Backapfel, Bienenwachs und eine leicht steinpilzige Note von der Botrytis. Im Mund bin ich erst einmal erleichtert, dass die 14,5 vol% praktisch gar nicht in Erscheinung treten. Die Säure ist wunderbar präsent, aber natürlich nicht in einer schneidenden, sondern in einer strukturierenden Form. Viel würzige Pikanz gibt es, Quittennoten, Goldempfindung, überhaupt nicht fett. Dazu kommt so ein typischer Chenin-Ton zwischen grüner Pflaume, Angelika und geröstetem Reis.
Ich würde gern eine Speise dazu empfehlen, und natürlich haben wir auch etwas dazu gegessen (gebratenes Perlhuhn mit Sahnesauce). Aber so richtig komplex auffächernd und begeisternd zeigt sich der Clos du Papillon tatsächlich solo als Meditationswein. Ja, das ist ein total altmodischer Stil. Aber eben nicht versehentlich qua Schnarchnaserei, sondern bewusst bewahrt dank einer bibliophilen Intellektuellen im Loire-Schloss. Ein großartiger Wein. Das ist A für Anspruch, verständlich intoniert.
Wo habe ich ihn gekauft?
Der Kauf dieser Flasche liegt bereits eine Weile zurück. Es war das Jahr 2005. Aus dem Zimmer meiner Katzenwohnung unter dem Dach blickte ich auf kleine Backsteinhäuser. Beim Bellfried (der laute Hund des Besitzers verlieh ihm diesen Namen) wurde gerade angegrillt. Wäre ich links mit der Kamera noch weitergegangen, hätte ich die Eingangspforte des Cave des Oblats mit erfassen können. Liège, Lüttich, letzte Bastion der Francophonie, berühmte Uni, einstmals noch wesentlich berühmtere Schwerindustrie. Dort im Cave des Oblats habe ich den Clos du Papillon 2002 der Domaine du Closel als einen meiner bis dato wertvollsten Weine erstanden, für 16,60 €.
Solche Preise gibt es heute natürlich nicht mehr, das wäre wegen des Aufwands der Erzeugung und der Qualität des Weins auch völlig unangemessen. Ihr solltet also eher in Richtung End-Dreißiger denken. Prinzipiell führt Joachim Christ die Weine des Weinguts in Deutschland, der Clos du Papillon steht im Moment allerdings nicht auf der Liste. Wer sich ziemlich sicher ist, dass dieser Wein gleich in mehrfacher Form in den Keller muss, kann sich direkt ab Weingut auch eine Sechser-Kiste für genau 227,40 € schicken lassen.
Lieber Matze,
vielen Dank für das lütticher Lokalkolorit – ich bin gerade letzte Woche über die Fahrradtrasse “Ravel38” von Aachen nach Liège gefahren, da begegnen einem diese typischen Backstein-Häuserzeilen umso häufiger, je näher man der Stadt kommt. Glanz und Elend in unmittelbarer Nachbarschaft, Schäbiges neben großzügiger Traumarchitektur, perfekt restaurierte historische Gebäude neben Ruinen, lost places und Heruntergekommenem, das macht die Region so faszinierend!
Jedenfalls: Der Beitrag hat mich erinnert, dass in meinem Keller noch ein 2014er Savennières von der Domaine du Closel lagert, zufällig auch aus der Cave des Oblats, auf den ich jetzt besonders gespannt bin.
Hier habe ich auch einen Savennières von Boudignon gekauft, der dann mit seinen atypischen 12,5° Alkohol in die Vergleichsverkostung kommt.
In der Vergangenheit hat mich bei zahlreichen Chenins der hohe Alkohol gestört (Coulée de Serrant mit 15,5°) und ich war schon fest entschlossen, mich von dieser Rebsorte endgültig abzuwenden.
Jetzt kriegt sie noch eine letzte Chance. Große Vergleichsverkostung. Vielleicht können mich Boudignon und andere “Neophyten” mit schlankerem Stil noch umstimmen. Die neueste RVF mit dem Anjou-Dossier macht doch wieder neugierig…
Ja, großartig! Mir ist mal die Halterung der Fahrradlampe schlichtweg abgebrochen von dem Geschüttele runter vom Uni-Campus… Ich finde die Region nach wie vor faszinierend, selbst wenn ich mittlerweile höchstens zweimal im Jahr dort bin (gut, im Moment gar nicht…)
Aber à propos Closel: Ich wollte Mme de Pontbriand natürlich auch gern fragen, wie sie als AOC-Vorsitzende die Positionierung und die Zukunft von Savennières sieht. Denn sie sind ja in der Tat sehr generös und lassen den “alten”, alkoholreichen, komplexen, botrytisierten Stil genauso zu wie Thibaud Boudignons rasiermesserscharfe Frühernte. Woanders hätte Boudignon sich vielleicht in die Vin de France-Kategorie flüchten müssen. Finde ich sehr interessant. Sozusagen die Identität einer Appellation stärken, indem auch stilistisch abweichende Qualitätswinzer mitmachen dürfen. Und nicht die einheitliche Stilistik in den Vordergrund stellen. Kann man aber natürlich auch anders handhaben.
Und ja, das Anjou-Dossier in der RVF macht einen doch wieder so richtig heiß auf Chenin, oder 😉 ?
Unsere lange geplante Chenin-Verkostung hat inzwischen stattgefunden, unter Einhaltung der geltenden Regeln, versteht sich.
Ein sehr schöner, frischer „Insolite“ von Thierry Germain als Einstieg, dann mit mehr Charakter und Profil „Jalousie“ von der Domaine du Closel. Immer noch auf der schlanken, mineralischen Seite.
Die Sensation des Abends dann der in Lüttich gekaufte Boudignon: „Les Fougerais“ von 2016. Da tun sich ganz andere Welten auf! Leichtigkeit, Transparenz und ungeheure Präzision gepaart mit einer tiefen Komplexizität – man ist hingerissen. Frühernte sicherlich, aber überhaupt keine Unreifenoten, wie macht der Bursche das? Dieser Wein löst das Verlangen aus, seinen vielen Facetten auf die Spur zu kommen. Grandios, das geht also auch mit Chenin! Spätestens da ist klar: Eine Abkehr von dieser Rebsorte wäre ein großer Fehler!
Nicht unerwähnt sei der „Kultwein“ zum Abschluss, der unvermeidliche Coulée de Serrant (2005). Bräunliches Goldgelb, heftige Oxidation, brennender Alkohol und extreme Alterungsnoten in der Nase und am Gaumen, fast ungenießbar, selbst für Vorgewarnte und erfahrene Altweinspezialisten. Nur die Paarung mit einem perfekt gereiften Valencay-Ziegenkäse macht ihn einigermaßen erträglich, aber noch nicht zum Vergnügen.
Entsprechend viel blieb von der Flasche übrig. Die Überraschung: Nach drei Wochen – zwischenzeitlich wurde die Flasche im Kühlschrank glatt vergessen – zeigt sich dieser Wein zugänglicher. Immer noch irgendwo zwischen stark gealtertem Sherry und Vin Jaune aus dem Jura. Er ist jetzt aber doch als eine Art Meditationswein denkbar, dessen besonderer Originalität man in kleinen Schlucken näherkommen möchte. Das Bedürfnis nach Paarung mit Ziegenkäse taucht wieder auf!
Noch eine weitere Woche bleibt der Wein stabil, dieses Wunder wird häufig von Joly-Weinen berichtet. Als der letzte Tropfen getrunken ist, denkt man: Schade, wohin wäre die Reise noch gegangen?
Fazit: Vive le chenin!!!
Großartig! Ich bin ja sehr gespannt, ob es mir doch mal “gelingt”, einen dieser oxidierten Jolys aus meinem Keller zu holen. Drei sind noch drin, die bisherigen waren wunderbar sauber (Jahrgänge zwischen 2007 und 2010). Lustigerweise habe ich die von dir beschriebenen Versionen nämlich immer bei anderen Leuten getrunken 😉
Was Thibaud Boudignon anbelangt, hatte ich zwei seiner Weine schon in der Hand, als ich in Paris bei Lavinia war (gibt es ja jetzt nicht mehr an der Madelaine, wie wir sicher beide gelesen haben…). Weil mein Gepäck aber extrem begrenzt war und ich nur eine Flasche nehmen konnte, habe ich mich dann für die “Vieilles Vignes des Blanderies” von Mark Angeli entschieden. Noch nicht geöffnet, aber bislang immer eine sichere Bank. Die Boudignon-Interpretationen (also ganze Flasche statt Probeschluck 😉 ) würden mich natürlich auch sehr interessieren! Wie auch immer, Chenin ist und bleibt großartig, und es kommen irgendwie immer neue Talente nach.