Ja, dies ist gewissermaßen Folge # 87 des Natürlichen Dienstags. Nicht nur deshalb, weil heute tatsächlich Dienstag ist, sondern auch, weil die meisten der probierten Weine in dieses Format passen. Wie ihr auf dem Titelfoto schon sehen könnt, geht es diesmal nämlich gleich um mehrere Weine, in passende Fläschchen gefüllt und – so sind die Zeiten nunmal – an zehn Freunde zum gemeinsamen digitalen Zoom-Verkosten geschickt. Nein, nicht ich war dafür verantwortlich, sondern der liebe Christoph Raffelt von Originalverkorkt und seiner eigenen Agentur. Die Fragen lauten diesmal also: Hat das mit dem Transport funktioniert? Macht Verkosten per Zoom Spaß? Und natürlich: Wie haben sie geschmeckt, die Weine von Labet, Envínate & Co.?
Und es hat Zoom gemacht…
Ich verkneife mir ungern platte Witze. Bei dieser Zwischenüberschrift hätte ich das eigentlich nicht gesondert erwähnen müssen. Jedenfalls nicht für Boomer, die ein gutes Gedächtnis besitzen, was musikalische Peinigungen der 80er Jahre betrifft. Wie auch immer. Jedenfalls ist die Zeit seit damals stark fortgeschritten, und um aus der Not eine Tugend zu machen, gibt es mittlerweile professionelle, aber auch private Weinproben per Zoom. Hier handelte es sich um letztere, weshalb ich auch keine Bedenken haben muss, meine ganz persönlichen, subjektiven Eindrücke zu den verkosteten Weinen mitzuteilen.
Wie durch ein Wunder bei Eis und Schnee hatten wir per Postdienstleister alle unsere zehn kleinen Fläschchen mit Bügelverschluss bekommen, persönlich abgefüllt und verschickt von Christoph. Für das Essen waren wir natürlich alle selbst zuständig. Irgendwie hatte ich mal wieder Lust auf Südtiroler Schüttelbrot, also gab es das zusammen mit Hartkäse und Debrecziner Würstchen bei mir. Allerdings hatte ich schon befürchtet, dass ich beim Abbeißen und Kauen auf Zoom sofort als Redender definiert werden würde, weil das Schüttelbrot ja so wahnsinnig kräckt. Ist dann aber doch nicht passiert. Serviert wurden die Weine als Solisten und als Pärchen. Erst ein Rosé, dann zweimal rote und zweimal weiße Pärchen, zum Schluss noch ein Süßer.
Ach so, was ich fast vergessen hätte: Wir haben alles erst einmal blind probiert und ein bisschen geraten, um was es sich handeln könnte. Wir, das kann man sich bei den Freakweinen schon vorstellen, sind allesamt echte Weinnerds. Manchmal war es trotzdem erstaunlich schwierig, die richtige Richtung zu tippen…
Solist 1: Andreas Tscheppe, Weinbergschnecke, Steiermark
Im Fläschchen links auf dem Foto steckt ein, tja, eher ehemaliger Prickler nach der méthode ancestrale, nämlich die Weinbergschnecke 2017 von Andreas Tscheppe. So sehr viel bar hatte der aber auch im Originalzustand nicht. Lachsiges Orangerosa im Glas, ziemlich trüb. In der Nase dann leicht flüchtig, apfelmostig, heidewitzka natural. Was mich im Mund am meisten überrascht, das ist die starke Süße. Ich tippe auf mindestens 20 g, vielleicht sogar noch mehr. Dazu kommen Noten von sehr fruchtigen Erdbeergummibärchen.
Einigen in der Runde ist der Wein zu schwer, aber ich glaube, das macht die Süße, denn mit 10,5 vol% ist das ja eher die feinherbe Liga. Ich konstatiere, dass ich mich wiederum echt schwer tue mit den (vergleichsweise teuren) Naturals aus steirischer Produktion. Ich weiß um die Reputation, ich schätze den Ansatz total, ganz starker Ausschlag auf der Sympathieskala. Dennoch: Tscheppe, Werlitsch, Strohmeier, so richtig richtig mitgerissen hat mich noch kein Wein von denen. Vielleicht sollte ich mal hinfahren, das schafft ja oft einen anderen Bezug…
Pärchen 1: zweimal rotes Galicien
Die beiden Weine sehen extrem dunkel aus, aber zumindest beim rechten täuscht das ein wenig. Links haben wir den 2015er Goliardo von Forjas del Salnés. Rias Baixas, 100% Loureiro Tinto, ein extrem seltenes autochthones Geschöpf. Rechts steht der 2014er Lousas Parcela Seoane von Envínate. Ribera Sacra, hauptsächlich Mencía, Rest gemischt. Beide kosten um die 30 €. Den Goliardo Loureiro gibt es bei Wein am Limit und den Envínate bei Pinard de Picard. Ich verlinke das hier deshalb, weil mir die beiden Weine wirklich gefallen haben. In ihrer Unterschiedlichkeit, ihrer Abgelegenheit, ihrer Eigenständigkeit. Das sind Freakweine, wie sie mir entgegenkommen, Weine, die man Schluck für Schluck entdecken kann.
Der Loureiro hat alles, was unter dem Stichwort “Idealtyp herber Rotwein” läuft: hohe Säure, ordentlich Tannin, Sauerkirsche, Schlehe, trockener Tabak, Eukalyptus, und bei alldem nicht zu mager. Das ist eine Mischung aus Blaufränkisch und Nordrhône-Syrah oder auch gewissermaßen Priorat in Kalt. Beim Envínate sieht das total anders aus. In der Nase kommt da eine enorm pflaumig-orientalische Note, weshalb ich eher einen südlich-schweren Wein an der Grenze zur Überreife erwarte. Im Mund ist das aber überhaupt nicht der Fall. Gut, die süßpflaumige Art bleibt, dazu kommen Liebstöckel und andere Küchenkräuter, aber irgendwie geht das in eine ätherische Richtung, nicht stark, aber lang. Das Holz ist bei beiden Weinen übrigens sehr dezent. Wer Spaß an Horizonterweiterungen hat, voilà, hier sind zwei tolle Kandidaten.
Pärchen 2: zweimal rotes Mâcon
Ich hatte anfangs schon geschrieben, dass es uns manchmal schwer gefallen ist, Herkunft und Rebsorte blind richtig einzuschätzen. Zum Teil liegt das auch daran, dass bei vielen Weinen aus dem Natural-Bereich auf Primärfrucht nun wirklich überhaupt kein Wert gelegt wird. Wir haben aber in unseren Weinschulen gelernt, genau diese Primärfrucht zu erkennen. Zusätzlich gibt es die Tendenz, selbst in heißen Gegenden wie dem Roussillon früh zu lesen, um schlanke Weine zu produzieren. Gauby hatte damit angefangen. Das ist selbstverständlich gegen das Gesetz, nach dem jeder Winzer nur das tun darf, was alle anderen dort schon immer gemacht haben. Ich hingegen mag diesen Ansatz der Diversität durchaus, selbst wenn mich die Weine blind manchmal in die Irre leiten.
Diese lange Vorrede musste sein, denn hier haben wir zwei Rotweine aus dem Mâconnais vor uns. Und wir hatten alle nicht die leiseste Ahnung, wo wir sie einordnen sollten. Beim 2015er Clos des Vignes du Maynes Cuvée 910, ein Mâcon-Cruzille von Julien Guillot, ist das noch verständlich, denn es handelt sich um einen neu angelegten gemischten Satz mit alten Klonen von Pinot, Gamay und Chardonnay, soweit ich weiß ungeschwefelt abgefüllt. Am Probenabend fand ich ihn nicht so überzeugend, aber einen Tag später gefällt er mir viel besser. Das ist ein samtiger Süßkirschsaft, der enorm schmeichelnd die Kehle hinuntergleitet, sehr balsamisch, sehr natürlich, leicht und sauber.
Der De l’Aube à l’Aube 2017, ein Mâcon-Uchizy der Domaine Les Fauvettes von Maryse Chatelin besteht zwar aus Pinot Noir, aber es sind über 100 Jahre alte, tja, Klone oder Kultivare. Auch hier gebrauchte Fässer und alles ohne Schwefelung. Der Nase nach ist das ein südlicher Pinot, Typ Sierra Nevada-Experiment. Dann kommen aber eine kräftige Säure und ein ebenso kräftiges Tannin. Außen herum machen die Aromen viel Betrieb, aber innen ist das ein erstaunlich leichter, strenger Wein. Beide Mâcons kosten knapp 40 €, sind also allein preislich singuläre Exemplare für die Gegend. Ansonsten aber auch.
Pärchen 3: zweimal schwere Weiße des Südens
Hier nur eine kurze Vorrede: Diese beiden Weine schmecken so wie das Klima der Gegend. Und das ist heiß im Roussillon. Links haben wir den L’Insouciant 2009 der Domaine Sarda-Malet, eine Cuvée aus Grenache Gris und Blanc, 15 vol%. Rechts steht der CaudaLouis 2009 vom Mas Mudigliza, 14,5 vol% und eine Cuvée aus Macabeu und Grenache Gris. Der Sarda-Malet ist dunkelgoldfarben und wirkt bereits in der Nase stark oxidativ. “Kurz vor hinüber”, meint ein Mitverkoster. Es gibt bittere Kräuter und Alkohol, kaum Säure, viel Viskosität. Nur Stein, Holz, Feuer, keine Frucht. Wenn man nicht findet, dass der Wein hinüber ist, sondern ihn als regionsspezifische Vorstufe eines Rancio begreift, dann geht das sehr gut zu grünen Oliven und gerösteten Mandeln. Als gewöhnlicher Tischwein wäre er mir zu anstrengend.
Der Mas Mudigliza ist farblich viel heller gehalten und besitzt eine vanillig-laktische Nase. Auch hier gibt es wenig Säure, enorm viel Würze und Stoff, aber irgendwie gleitet der Wein deutlich besser, ruppt nicht so oxidativ am Gaumen. Frucht braucht man aber ebenfalls nicht zu erwarten, stattdessen viel Textur. Das sind beides Weine, die für mich deutlich näher an einem Manzanilla sind als an einem Weißwein aus Deutschland. Ich finde, da braucht man die richtige Stimmung und die richtige Begleitung. Essensmäßig, aber wahrscheinlich auch persönlich = analog und ohne Zoom.
Pärchen 4: zweimal weißes Jura
Keine Beschwerden wegen mangelnder Säure gab es bei diesen beiden Weinen. Südliche Weintrinker müssten vielmehr Magengrummeln wegen übertriebener Bissigkeit befürchten. Aber bei uns handelt es sich nun einmal weinmäßig eher um Nordlichter. Sind wir bei den Mâcons ratetechnisch noch ziemlich geschwommen, wussten hier alle sofort, das ist Jura – vor allem wegen des zweiten Weins.
Aber erst einmal zum linken Wein, dem 2013er Côtes du Jura Les Sarres von der Domaine Jean Rijckaert. Ich hatte seinerzeit, als Jean Rijckaert die Weine noch selbst gemacht hat, einige seiner Weine gekauft und getrunken. Aber der Stil ist auch nach der Übernahme durch Florent Rouve derselbe geblieben. Tatsächlich handelt es sich geschmacklich um einen Chardonnay aus dem Mâconnais, nur mit fester Jura-Säure. Der typische Rijckaert-Stil ist sehr laktisch, und ein Zoom-Mitverkoster meinte, der Weine würde schmecken wie eine Piña Colada im alten Stil, als man noch Sahne statt Kokosnusscreme nahm. Diese laktische Note stört mich auch ein bisschen, aber am nächsten Tag finde ich den Wein weiterhin sehr schmeichelnd-harmonisch und echt schön, die Säure ist besser eingebunden. Nur zu warm sollte man ihn nicht trinken.
Rechts hingegen gibt es keine Zweifel. Bei mir zumindest entschlüpft dem Glas ein enormer Reduktionsstinker, rauchig, gärig, mineralisch, Zündplättchen, Apfelmost. So kennen wir Freaks das Jura mittlerweile. Aber es lässt sich nicht leugnen, dass man in der Gegend auch ganz andere Weine machen könnte, im Rijckaert-Stil beispielsweise. Hier handelt es sich um den 2013er Côtes du Jura Lias der Domaine Labet, ebenfalls 100% Chardonnay, ungeschwefelt, pH 2,97. Krasse apfelige Säure, enorm viel Energie, deutlich rauchig und einfach das Gegenteil eines weichen Weins. Manchmal bin ich total begeistert davon, manchmal finde ich es zu anstrengend, aber der Wein hält auf jeden Fall die Spannung, bis die Flasche leer ist. Forever young.
Solist 2: Martin Müllen, Kröver Letterlay Spätlese halbtrocken
Der letzte Wein ist ein konsequenter Abschluss der ganzen Probe. Und zwar insofern, als er eben nicht der Erwartungshaltung entspricht und jetzt noch stärker, fulminanter, feuerwerkender daherkommt als alle anderen zuvor. Rechts auf dem Foto befindet sich nämlich ein 2004er Riesling von Martin Müllen. Es handelt sich dabei um die halbtrockene Spätlese aus der Kröver Letterlay. Lay kommt übrigens aus dem Altniederdeutschen und bedeutet Felsabbruch oder Felsplatte, gern schieferig.
In der Nase kann man schon den Riesling erkennen, auch ein ganz bisschen Reifefirn, aber nicht allzu viel. Die Aromen sind sehr fein, weißer Pfirsich, helltraubig, fast kann man ein bisschen Muskat erschnuppern. Am Gaumen ist das, anders lässt es sich nicht sagen, ein wirklich leckerer Wein. Gebremste Süße, ebenso gebremste Säure, glaubt man zumindest zunächst. Das ist fruchtig, traubig-hell und sehr geschmeidig. Bei der Verkostungsrunde entsponn sich ein bisschen die Diskussion darüber, ob das jetzt zu harmlos wäre. Einige waren der Meinung, dass Martin Müllen zwar sehr schöne Weine machen würde, klassisch, sehr langlebig. Aber es würde ihnen dann doch ein Touch Genialität fehlen oder zumindest Würze und Tiefe, um ganz oben bei den Klassikern zu stehen. Ja, so könnte es durchaus sein. Es ist aber definitiv ein Wein, der auch Leuten außerhalb einer Zoom-Freakprobe gefallen dürfte.
Zum Schluss das Fazit
Zunächst mal das weintechnische Fazit. Das war wirklich wunderbar ausgesucht und genau richtig für uns Weinnerds! Weine, die wir kannten, von denen wir gelesen hatten oder die es sich ganz einfach lohnt, als neugieriger Weinmensch mal zu probieren. Mir haben wie erwähnt die Galicier vielleicht am besten gefallen, Aber Burgund Natural, Jura, … irgendwie alles interessant.
Super zufrieden war ich mit den kleinen Bügelflaschen. Es macht zwar richtig viel Arbeit, das alles abzufüllen (wie Christoph sicher bestätigen kann), aber die Weine sind dafür in echt gutem Zustand angekommen. Es wurde ja auch nur kurz eingegossen und dann sofort verschlossen, also nur ein bisschen belüftet. DHL Express hat die Päckchen dann schnell und pünktlich transportiert.
Bleibt noch der allerletzte Punkt, die Kommunikation über Zoom. Manchmal zuckelt es etwas, man braucht eine gewisse Sprechdisziplin, aber im Prinzip geht auch das. Technisch. Eins ist es nämlich nicht: ein echtes Gespräch. Wenn ich etwas sage, sage ich das immer zu allen, und gleichzeitig spricht niemand anderes. Das ist für einen Vortrag okay, aber als privates Treffen nur halbgar, weil es ja die kurzen Zweier- oder Vierrerrunden nicht gibt, die Bälle, die man sich zuwirft, das Lebendige, das Vergnügliche, halt alles das, was menschliche Kommunikation so ausmacht. Andererseits würde es ohne Zoom, Teams, Jitsi und was es noch alles gibt wesentlich schlimmer aussehen. Dann würden wir nämlich in unseren Höhlen hocken und gar nicht miteinander verkosten können. Also lautet mein Fazit so wie ein feiner Soul-Klassiker: Be Thankful For What You Got.
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