Am heutigen Natürlichen Dienstag erinnere ich mich gleich an drei Dinge, die irgendwie miteinander zu tun haben. Erstens an meine wunderbaren Griechenland-Reisen mit dem Zelt in lang vergangenen Zeiten (Fotos weiter unten). Zweitens an die Seltenheit griechischer Weine im Weinkosmos. Und drittens an die Kategorie “guter Alltagswein”, Hauswein, Speisenbegleiter, Lockdown-Lächler. Genau das ist dieser Wein nämlich, ein Roter aus Griechenland, den ich im Supermarkt gekauft habe. Die Winzer heißen Savvoglou und Tsivolas, der Wein stammt von der Ägäisinsel Limnos, und die Rebsorte heißt genau wie die Insel, nämlich Limnio. Letzteres dürfte damit zu tun haben, dass es sie früher nur dort gegeben hat. Und früher, das meinen jedenfalls viele Autoren, bedeutet nichts Geringeres als die Antike. Griechenland halt.
Letztens telefonierte ich mit einem sehr geschätzten Weinhändler. “Weißt du”, sagte er, “es gibt Leute, die doch tatsächlich glauben, Freakweine und spitzfindige Social Media-Diskussionen hätten irgendeine Relevanz für den normalen Weinmarkt. Das ist Unfug. 90% der Weintrinker wollen einen Hauswein haben, der schmeckt.” Und eigentlich, ergänze ich sinnierend, müssten wir Weinfreaks doch genau dort unser Aufgabengebiet sehen. “Da sind Menschen in Not, wahrscheinlich” [Rocko Schamoni, Discoteer]. Also gibt es diesmal einen astreinen Alltagswein aus dem Supermarkt. Aber keinen Merlot aus Überschussproduktion, sondern einen Biowein aus der großen Einsamkeit.
Bio-Limnos 2017 von Giannis Savvoglou und Pantelis Tsivolas
Limnos ist eine zwar buchtenreiche, aber relativ flache Insel in der östlichen Ägäis. Die Hauptstadt Myrina besitzt etwa 5.000 Einwohner. Wäre Limnos ein Landkreis in Deutschland, wäre er derjenige mit der geringsten Bevölkerungsdichte. Diese relativ isolierte Einsamkeit darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um eine Insel mit langer Geschichte handelt. Erste menschliche Spuren vor 15.000 Jahren, wichtig im Ägäishandel, Weinbau schon immer. Die Rebsorte Limnio, früher von großer Bedeutung, ist auf der Insel selbst sukzessive vom Muskat verdrängt worden. Dafür gibt es auf dem Festland einige neue Anpflanzungen und Cuvées mit französischen Rebsorten.
Auch Giannis Savvoglou hat über 20 Jahre lang auf Limnos mit Muskat gearbeitet. Zusammen mit seinem partner in wine Pantelis Tsivolas, der für die Marketingseite zuständig ist, besitzt er eine blitzeblanke Kellerei im Westen der Insel. Trauben von 20 ha verarbeiten die beiden. Das Land gehört dabei zum großen Teil nicht ihnen. In Griechenland ist es nämlich üblich (ich glaube, das darf man so verallgemeinern), dass Flaschenabfüller oftmals von einer Vielzahl an Klein- und Kleinstwinzern beliefert werden. Das fördert die Diversität, macht es nebenbei bemerkt aber manchmal ziemlich schwierig, einen Wein biologisch zertifizieren zu lassen. Die Trauben biologisch anzubauen, erscheint dagegen wesentlich weniger kompliziert. Das Klima ist sonnig, heiß, windig und im Sommerhalbjahr sehr trocken, ergo krankheitsvermeidend. Zudem kann Limnio mit Trockenheit gut umgehen.
Wie schmeckt der Wein?
Auf dem schwarzen Etikett (die Lieblingsfarbe aller Weinfotografen) steht nur “BIO” in unserer Schrift, ΛΗΜΝΟΣ hingegen in griechischen Großbuchstaben. 13 vol% hat der Wein und laut technischen Angaben gut 5 g Säure und 1 g Restsüße pro Liter. Vergoren wurde er im Stahltank, ausgebaut für ein halbes Jahr in Eichenfässern. So weit, so gewöhnlich.
Ein mittleres Rubinrot fließt ins Glas. Ich erschnuppere viel Kirschiges, duftig, weinig, fast nach Art eines Pinot Noir, dann aber auch etwas Würziges in Richtung Lorbeer. Gluck gluck. Hm, da sind mehr Gerbstoffe drin als erwartet, auch wenn die kirschige Frucht weiterhin im Vordergrund steht. Säuremäßig schön ausgewogen, mittlerer Körper. Wenn man ein bisschen schmatzt, spürt man auch eine leicht rumtopfige Geschmacksnote, die von der mediterranen Sonne stammt. Das ist ein Wein, der Essen begleiten möchte. Und da erweist er sich als äußerst vielseitig. Im griechischen Kontext bleibend, passen natürlich solche Klassiker wie Moussaka oder auch Gyros. Couscous, mit oder ohne Merguez, Brote, Snacks, Pasta sogar mit Tomaten, alles geht. Nur Gemüse, das keine Rotfruchtigkeit als Ergänzung mag, funktioniert weniger.
Wo habe ich ihn gekauft?
Gekauft habe ich den Bio-Limnos von Savvoglou & Tsivolas in einem Supermarkt im Elsass. Ich habe ihn aber auch im Online-Shop von Inofilos entdeckt, wo er derzeit für 6,99 € angeboten wird. Wenn ich jetzt behaupten würde, dass es sich um einen großen Wein für echte Weinfreaks handelt, würde ich wahrscheinlich bald meine eigene Kennerschaft aberkannt bekommen. Nein, dies ist ein unkomplizierter Alltagsroter aus solider Bio-Produktion, der in die Kategorie “C” für Classique gehört. Aber er stammt halt aus einer ganz besonderen Traube und einer ganz besonderen Gegend. Damit (falls ihr Gewissenstrinker seid) tut ihr gleichzeitig etwas für die Biodiversität und die lokale Ökonomie an der Peripherie Europas. Und (falls ihr romantischer angelegt seid) so ein Getränk transportiert irgendwie schon den Hauch von Taverne, vom Sitzen unter einer weinberankten Pergola mit dem Blick aufs Meer.
Womit wir zum Schluss bei meinen persönlichen Griechenland-Erfahrungen angelangt wären. Jene beginnen mit Interrail, mit der Fährüberfahrt an Deck zwischen Brindisi und Patras. Danach folgten noch zwei Rundreisen mit Aldi-Zelt und Isomatte, einem Urlaub auf Kreta und einem eigentlich geschäftlichen Kurztrip nach Athen. Wein hat dabei zwar immer eine Rolle gespielt, aber interessanterweise nie die Suche nach der absoluten Spitze. Logisch, zu Anfang hätte ich mir das nicht leisten können. Aber auch später hatte ich in Griechenland immer so ein Gefühl von “was braucht man mehr zum Glücklichsein…” Irgendwie auch ganz schön, oder?