André Ostertag ist einer der ganz Großen im Elsass und darüber hinaus. Und das nicht etwa deshalb, weil er so ein Lautsprecher in eigener Sache wäre, ganz im Gegenteil. Aber seit er das Weingut in Epfig im Jahr 1980 mit gerade einmal 21 Jahren von seinem Vater übernommen hat, ist er ganz unbeirrt seinen eigenen Weg gegangen. Umstellung auf biodynamischen Weinbau 1998, reine Handarbeit in Weinberg und Keller, langsame Gärung, sanfte Pressung, alles unfiltriert – und jetzt auch noch naturel. Dabei steht das nirgends, das Etikett sieht aus wie immer, die Website ist auskunftslos wie immer. Was steckt also dahinter?
Pinot Noir Les Jardins 2018 von der Domaine Ostertag
15,5 ha Reben bewirtschaftet die Familie Ostertag, die sich auf nicht weniger als 88 Parzellen verteilen. Darunter gibt es einige Grands Crus, aber auch eine Serie von Weinen, die als vins de fruit bezeichnet werden. Nominell könnte das die Einstiegskategorie sein, aber was bedeutet hier schon Einstieg? Die Weinberge werden ebenso gepflegt, die Trauben ebenso schonend behandelt. Nur die Ausbauzeit ist ein wenig kürzer, damit (das deutet die Bezeichnung ja an) die Frucht ein wenig stärker im Vordergrund steht.
Pinot Noir aus dem Elsass gilt bei Weinkennern oft ein bisschen als Exot, und in etlichen Weinguides liest man noch von einem “hellfarbigen Zechwein”. Zu dieser Einschätzung tragen die AOP-Bestimmungen nicht unerheblich bei, denn Pinot Noir ist im Elsass nicht Grand Cru-fähig. Die beeindruckenden Exemplare der Domaine Albert Mann müssen deshalb beispielsweise ihre noble Herkunft als Grand P und Grand H verbergen, wobei das die Anfangsbuchstaben der jeweiligen Grand Cru-Lagen sind. Auch André Ostertag nannte seinen “kleinen” Roten lange Pinot Noir d’E, E für Epfig. Seit ein paar Jahren heißt er nun Les Jardins. Das Etikett hat übrigens Andrés Frau Christine Colin gestaltet, eine bekannte Künstlerin.
Die family affair geht allerdings noch weiter. Seit 2018 ist Andrés und Christines Sohn Arthur für das Weingut verantwortlich. Und so, wie es André damals selbst erfahren hat, wird es auch diesmal gehandhabt: Arthur kann unbeirrt machen, was er für richtig hält. In diesem Fall ist das die Entscheidung, den Wein im Keller ein bisschen anders zu behandeln. Logisch, Spontangärung, sanfte Pressung, keine Filtration, das bleibt alles bestehen. Neu ist hingegen der deutlich erhöhte Anteil nicht-entrappter Trauben und das Weglassen des Schwefels. Weil das aber ein persönlicher Schritt ist, so wie alle Schritte davor ebenso persönlicher Natur waren, wird darüber kein Tamtam gemacht oder es gar als Marketingelement benutzt. Mutig, passt aber zu den Ostertags.
Wie schmeckt der Wein?
Der Pinot Noir Les Jardins der Domaine Ostertag ist richtig dunkelfarbig. Das erkennt man auf dem Foto oben nicht, weil ich das Glas vor eine Lampe gehalten habe. Dafür sieht man dort aber, dass sich kleine Bläschen am Glasboden tummeln.
Frisch geöffnet zeigt sich auch ein gehöriger Stinker, und ich muss ein wenig schmunzeln. Die meisten Weinexperten, zumal die eher konservativen, würden sich mit Grausen abwenden. Ich persönlich finde es zumindest interessant. Radikale vin naturel-Freaks würden hingegen jubeln und sagen, dass ein Wein genau so riechen soll. Ein Grundsatzstreit muss deshalb aber nicht ausbrechen, denn nach einer halben Stunde ist der Stinker komplett verschwunden. Jetzt werden die anderen Noten deutlicher, und die sind keineswegs Pinot-duftig, sondern dunkel. Unterholz, Wacholder, Schlehe fast, nur ein leichter Anklang von Schwarzkirsche.
Am Gaumen spürt man zunächst die Perlen auf der Zunge. Auch das vergeht natürlich, wenn man wartet oder die Flasche schüttelt. Muss aber beides nicht sein. Richtig überrascht bin ich jedenfalls über das wirklich kräftige Gerbstoffgerüst, das Arthur Ostertag seinem Roten mit auf den Weg gegeben hat. Zusammen mit den unterholzig-beerigen Noten und der Perligkeit wirkt mir der Wein eher wie ein etwas rauer und kerniger Geselle von der Ardèche. Was also tun?
Wo habe ich ihn gekauft?
Die Frage, was ich mit dem Wein tun soll, bringt mich zurück an den Ort, an dem ich die Flasche gekauft habe. Ich hatte ja schon in meinem Artikel über das Bib Gourmand-Restaurant Au Bon Pichet davon berichtet, dass es in Sélestat, einer Kleinstadt von knapp 20.000 Einwohnern, gleich vier richtig interessante Weinhandlungen gibt. Und La Bonne Bouteille ist eine davon, mit jeweils einer Filiale in Ribeauvillé und eben Sélestat.
Der freundliche Weinhändler, bei dem ich den Pinot Noir Les Jardins von Ostertag für 18,50 € kaufte, erzählte mir erst einmal etwas von den stilistischen Unterschieden zwischen 2017 und 2018. (Weshalb ich dann natürlich gleich beide Jahrgänge mitnahm.) Er riet mir auch, den 2018er längere Zeit zu lüften, damit jener seine Wildheit ablegt. Und das ist auch vollkommen richtig, denn der Pinot wurde dadurch am nächsten Tag glatter, schwarzkirschiger, der Stinker ist hinfort. Die Tannine allerdings bleiben, und eine echte Harmonie stellt sich meiner ganz persönlichen Meinung nach nicht wirklich ein. Wer diesen Wein als eleganten Pinot trinken möchte, muss ihn noch ein Weilchen lagern. Davon bin ich überzeugt.
Wer allerdings Spaß an einem sehr lebendigen und durchaus wilden Trunk hat, der sollte ihn tatsächlich frisch geöffnet genießen. Der Charakter ist dann zwar ein ganz anderer. Aber für mich machte das interessanterweise gerade den Reiz an der Sache aus.
Was mir dieser Wein in jedem Fall wieder einmal vor Augen geführt hat, ist die Tatsache, dass weinmäßig im Elsass spannende Dinge passieren. Ich habe zwar in den letzten Monaten durchaus Leute getroffen, die das anders sehen. Aber mich beschleicht das Gefühl, dass diese Leute schon lange nicht mehr dort waren – oder jedenfalls nicht mit dem Wunsch, Neues zu erfahren…