Dieser Wein, meine lieben Freundinnen und Freunde des traubigen Ferments, steckt voller Rätsel. Er besitzt ein langes Etikett, das sich um die ganze Flasche schlingt (den zweiten Teil seht ihr weiter unten), einen langen Namen, der es nur bei Alt-Grungern wie mir sofort klick machen lässt. Und er ist auch in allem anderen derartig ungewöhnlich, dass man gar nicht glauben mag, woher er stammt. Staffelter Hof, Kröv an der Mosel, im Jahr 862 zum ersten Mal erwähnt, Geschichte im Übermaß. Und dann das hier, der schlürfende Wolf, die Craft Beer-Ästhetik. Aber es wird noch schlimmer. Also je nach Standpunkt natürlich…
Kiss Kiss Maddie’s Lips – Staffelter Hof-Wolf
Eine Legende zwang den Wolf, als Wappentier für das Kloster Stavelot herzuhalten, zu dem damals der Staveloter/Staffelter Hof gehörte. Mittlerweile auf den Namen Magnus, tja, getauft, spielt jener Wolf auch heute noch auf den Etiketten des Staffelter Hofs eine große Rolle. Eigentlich war dies ja ein ganz ganz klassisches Moselweingut mit Kabinett-Rieslingen. Die gibt es zwar immer noch. Aber nachdem Jan Matthias Klein das Weingut vor 15 Jahren von seinen Eltern übernommen hatte, hat sich so einiges geändert. Fünf Jahre lang brachte er weiterhin grundsolide Rieslinge auf den Markt, bis sich graduell Dinge änderten. Zunächst einmal stellte Jan die gesamten 10 ha auf biologischen, gar biodynamischen Anbau um. Und dann wurden auch die Eingriffe im Keller immer weniger. Die mittlerweile ganz schön stattliche Naturwein-Linie ist ungeschönt, ungefiltert, ungeschwefelt und gern mal ein bisschen perlend.
Perlend ist nämlich auch der Kiss Kiss…, der seinen Namen, wenn ich nicht ganz daneben liege, von Nirvanas Molly’s Lips hat. Wer den Song nicht kennt, ich kann ihn gegen einen kleinen Obolus gern vortragen. Bei dem Wein handelt es sich um einen astreinen PetNat, also einen Typus, der noch minimal gärend in die Flasche gesteckt wurde, auf dass sich der verbliebene Zucker dank der Hefen in Alkohol und CO2 umwandele. Méthode Ancestrale, wie der gemeine Moselaner das zu nennen pflegt. Was den Sprudler für die Mittelmosel dann endgültig ungewöhnlich macht, das ist seine Rebsorte. 100% Regent, die dunkelsaftige Neuzüchtung. Deshalb auch Purple Rain-Edition, denn der Vorgängerjahrgang war noch aus Frühburgunder und brachte nicht ganz so viel Farbe ins Glas.
Wie schmeckt der Wein?
Ich habe mir gedacht, dass ich den Wein erst einmal in ein Glas gebe, das mindestens ebenso exzentrisch daherkommt. Ihr seht also den Purple Rain-Schaum im Rotweinglas Ultima Thule von Tapio Wirkkala. Für eine organoleptische Prüfung weniger geeignet, ansonsten aber sehr. In der Nase ist der Farbe entsprechend etwas Brombeere zu spüren, aber es kommt noch ein anderer Ton dazu, der eher wie Graphit wirkt, dazu ein bisschen Erdigkeit. Null flüchtig übrigens. Im Mund geht die Sache genauso sauber und ziemlich straight weiter. Gerbstoffe sind vorhanden, unterstützen aber nur leicht. Ich schmecke dunkle Beeren, wieder primär Brombeere, aber nicht die süß-überladene Version, sondern die eher herbe, allerdings ohne jede grüne Unreifenote. Ein bisschen fühle ich mich an Portugals Norden erinnert, ein bisschen auch an sehr trockenen Lambrusco oder eher Bonarda aus dem Oltrepò Pavese. Super zu Herzhaftem!
Natürlich, Regent hat Farbe, aber wenig Würze und Tiefe (ähnlich wie der Dornfelder ein paar Folgen vorher). Es handelt sich also nicht um den allerkomplexesten Wein. Dafür garantiert er einen guten Zug, viel Spaß und ein kleines bisschen Irrwitz. Das ist sozusagen eine Art Gegenentwurf zum noblen Tropfen mit hanseatischem Einstecktuch. That having said, bin ich mir durchaus bewusst, was jahrhundertealte Weinkultur, Weinwissen und Weinschätzen bewirkt haben. Es gibt zahllose Bücher, Messen, gar Studiengänge zu diesem schnöden Getränk. Das ist einmalig, und dahin wären wir ohne heiligen Ernst gegenüber dem Kulturgut Wein vermutlich nicht gekommen. Trotzdem: Wenn wir diesen Zirkel der Eingeweihten nicht noch weiter verengen wollen, tut es uns gut, ein bisschen mehr Augenzwinkern in die Sache mit hineinzubringen. Zumal dann, wenn das Produkt handwerklich so gut ist wie in diesem Fall.
Wo habe ich ihn gekauft?
Gekauft habe ich die Purple Rain-Edition des Kiss Kiss Maddie’s Lips vom Staffelter Hof (ich wollte das einfach noch mal ganz ausschreiben) direkt in Staffelt, nein, in Kröv. Ab Hof kostet er 18 €. Ich hatte die Crew vom Staffelter Hof bei der Millésime Bio getroffen, wo ich nicht weniger als zehn Weine aus der Naturwein-Linie probiert habe. Darüber hinaus auch die vorläufige Ausgabe eines PetNat-Pinots von Jan-Philipp Bleeke (das ist der Mann mit der gefährlichen Wolfsmütze), über dessen erste Wein-Solawi ich an anderer Stelle gern noch berichten möchte. Links auf dem Bild ist übrigens Kellermeisterin Yamile Abad, mit der Baskenmütze Multimedienmann Fabien Lainé und rechts Jan Matthias Klein a.k.a. the Boss.
Lustigerweise habe ich vorletzten Winter nicht etwa die wilden Wolfsweine vom Staffelter Hof, sondern die raffinierten Rieslinge an einem ungewöhnlichen Ort gesehen, nämlich dem Kaufhaus Keio in Tokio. Worldwide fame, so soll es sein.
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