Auf dem Titelfoto dieses ersten Natürlichen Dienstags im Jahr 2020 halte ich ein Weinetikett gegen einen dunklen Hintergrund. Das funktioniert nie, diesmal also auch nicht. Aber ihr könnt möglicherweise erkennen, dass dieser Hintergrund nicht unbedingt nach meinem kleinen Fotostudio aussieht. In der Tat handelt es sich um den Palazzo della Mercanzia in Bologna. Soll heißen: Herzliche Grüße aus Italien! In der Emilia-Romagna, dieser kulinarisch so reizvollen Gegend, habe ich einen Weißwein gefunden, der sich wahrhaftig gewaschen hat. Deshalb stelle ich ihn heute vor.
La Tosa Sorriso di Cielo – Weißwein aus der Emilia
Natürlich hätte Stefano Pizzamiglio kein Winzer werden sollen, sondern Arzt oder – noch viel besser – Medizinprofessor. Schließlich wurde er in Mailand in eine gebildete Familie hineingeboren, die allenfalls etwas mit Weinkonsum zu tun hatte, keineswegs aber mit Produktion. Auf der Website von La Tosa ist sein Werdegang so nett beschrieben, dass ich diese Passage einfach mal übersetzen möchte: Nachdem er mit der Welt der Poesie (“der Himmel”) seine größte Passion aufgegeben hatte, danach auch noch seine medizinische Ausbildung (“die Erde”), wandelte er sein Interesse für Wein (“der Drachen”, durch dessen Leine Himmel und Erde verbunden werden) in einen Beruf um. Er studierte an der Landwirtschaftsschule von Piacenza und erwarb Weinberge. Wenig später folgte ihm sein Bruder Ferruccio nach, der sich in der Großstadt noch nie so recht wohlgefühlt hatte. Heute führen die beiden mit ihren Ehefrauen zu viert das Weingut La Tosa, romantisch in den ersten Hügeln südlich von Piacenza gelegen.
Als die beiden Anfang der 1980er Jahre mit dem Weinbau begannen, war die Gegend alles andere als angesagt. Angesagt war allerdings, der italienischen Provinzialität durch das Anbauen internationaler Rebsorten zu entfliehen. Deshalb setzten die Pizzamiglios konsequent auf Cabernet-Sauvignon und Sauvignon Blanc, bevor sie Schritt für Schritt realisierten, dass die einheimischen Rebsorten auch jede Menge Potenzial besitzen. Stefano lernte nicht nur in der Franciacorta, sondern auch in Frankreich, unter anderem an der Loire und im Elsass. Schließlich wurde das ganze Weingut auf Bio-Anbau umgestellt, und genau dieser Wein bekommt alljährlich die “Vini Slow”-Auszeichnung vom Slow Wine Guide.
Wie schmeckt der Wein?
Der Sorriso di Cielo von La Tosa ist ein reinsortiger Malvasia di Candia Aromatica. Diese uralte Rebsorte stammt dem Namen nach aus Candia, der italienischen Bezeichnung für die kretische Hauptstadt Iraklion. Die Venezier brachten die Rebsorte in ihre Heimat, wobei man sie nicht mit den 16 anderen Malvasia-Sorten verwechseln sollte, denn diese Familie ist wahrhaftig divers aufgestellt. Die Reben stehen hauptsächlich im Weinberg Ronco, der aus eisen- und manganhaltigem rotem Lehm besteht. Im heißen Jahrgang 2018 wurden die Trauben in der ersten Septemberwoche geerntet und nicht entrappt abgepresst. Nach der Gärung blieb der Most fünf Monate lang im Stahltank (soweit ich weiß), bevor er an den letzten Februartagen abgefüllt wurde. Die Brüder schreiben, der Wein könne sofort genossen werden, würde aber auch 15 Jahre lang reifen können – und das stimmt.
Ehrlich gesagt war ich nicht gefasst darauf, was mich nach dem Öffnen der Flasche erwarten würde. Hellgelber Saft fließt ins Glas, aber gleich darauf beginnt es im ganzen Raum zu duften. Bergamotte, Orangenschale, Zitrus, Pfirsich, leicht Verveine, unglaublich intensiv, aber überhaupt nicht unangenehm und weit weniger “aufdringlich” in seinen Noten als Muskateller oder gar Gewürztraminer. Am Gaumen spüre ich zunächst eine mindestens mittlere Säure, die den Wein schön frisch hält. Dann kommen wieder dieselben Aromen wie in der Nase. Kandierte Orangenschale, viel Bergamotte und weißer Pfirsich, ganz stark fruchtbetont, hinten aber trocken. Zu der ganzen Frucht gibt es noch ein leichtes Tannin, das die Materie ein bisschen im Zaum hält. Ein wunderbarer Wein ist das, expressiv und trotzdem natürlich. „Muss man mögen“, schreibe ich bei expliziteren Weinen immer gern, aber irgendwie bin ich mir gar nicht so sicher, ob das nicht einfach alle aufgeschlossenen Weinliebhaber/innen mögen würden.
Wo habe ich ihn gekauft?
Gekauft habe ich den Wein, nun ja, in Bologna, und zwar für 14,90 € beim Eataly Ambasciatori mitten im Marktviertel. In Deutschland und Österreich kann man den Serriso di Cielo Malvasia (wie andere Weine von La Tosa auch) bei Online-Portalen wie Uvinum oder Drinks&Co. erwerben. Ich selbst habe das noch nie ausprobiert, mir aber sagen lassen, dass es recht problemlos funktionieren soll. Der Wein passt übrigens ausgezeichnet zu Mandelgebäck, aber auch zu weißem Fisch, dem er die zitrusfruchtige Komponente gleich mitgibt.
Außer der Tatsache, dass es sich um einen ausgezeichneten Bio-Weißwein aus der Emilia handelt, gab es natürlich noch einen anderen Grund, weshalb ich genau diesen Wein unbedingt haben musste. Ein kleiner Schwenk. Letztes Jahr um diese Zeit war ich auf der spektakulären Atlantikinsel Madeira. Dort bin ich mit einer Mini-Seilbahn zu einem Stück Land herabgeschwebt, das vorn vom wilden Meer und hinten von einer 300 Meter hohen Felswand umgeben ist. Die Fajã dos Padres ist der älteste Weinort der Insel, und die Jesuiten produzierten hier über Jahrhunderte den berühmtesten Madeira. Im 20. Jahrhundert geriet dann alles ein wenig in Vergessenheit. Erst vor ein paar Jahrzehnten fand man einen einzigen übrig gebliebenen Rebstock am Rand der Felsen. Heute besteht hier ein kleines Weinfeld, das aus diesem einen Rebstock gezogen wurde. Weshalb ich das alles erzähle? Weil die Reben dieser legendären Lage aus Malvasia di Candia bestehen, also genau jener Rebsorte, die mir heute in Bologna aus dem Glas lacht. Faszinierende Weinwelt…
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