Das nenne ich doch mal eine eckige Überschrift! Aber sie trifft exakt zu, denn genau damit durfte ich mich in den vergangenen Tagen beschäftigen. Paris ist für mich gemeinsam mit Tokio die kulinarisch interessanteste Stadt der Welt. Entsprechend vollgepackt ist regelmäßig mein Zeitplan, wenn ich – wie im vergangenen Winter – in der französischen Hauptstadt ankomme. Diesmal war allerdings alles anders. Wegen des Streiks war das Fortbewegen ungeheuer mühsam. Denn das ist ja eigentlich das Gute an solchen Metropolen wie Paris oder Tokio, dass man mit öffentlichen Verkehrsmitteln in relativ kurzer Zeit kreuz und quer durch die Stadt fahren kann. Diesmal war ich also vornehmlich zu Fuß unterwegs, insbesondere abends, was den Radius erheblich eingeschränkt hat. Aber wie manchmal bei solchen Gelegenheiten, entdeckt man dadurch überraschende Orte, an denen man ansonsten vielleicht vorbeigegangen wäre…
In der Chinatown von Paris
Ich war wieder einmal im 13. Arrondissement untergekommen, also ganz im Süden von Paris, rive gauche sozusagen. Hier gibt es die berühmte Chinatown, die aus Hochhäusern, Supermärkten und Restaurants besteht – um es mal sehr grob zu sagen. Die meisten der hier lebenden Menschen (ich hatte im Rahmen eines Projekts dazu mal ein Experteninterview geführt) haben ihre familiären Wurzeln in den südostchinesischen Provinzen Guangdong und Fujian. Allerdings gehörten sie in der Regel zu den mehr als 20 Millionen “Auslandschinesen”, die bereits vor ihrer Auswanderung in den von der Kolonialmacht Frankreich unabhängig gewordenen Ländern Indochinas lebten – also Vietnam, Laos und Kambodscha. Ihre Nachkommen in Paris sind natürlich französische Staatsangehörige, zu denen sich noch eine bunte Mischung anderer ost- und südostasiatischer Nationalitäten gesellt.
Les Spécialités du Sichuan
Es gibt unzählige Restaurants in dieser Gegend, die auch von “Franko-Franzosen” gern aufgesucht werden. Zumal am Sonntag, wenn viele andere Restaurants in Paris geschlossen haben. Oftmals ist die Speisekarte sehr lang und das Etablissement schon ein bisschen in die Jahre gekommen. Es gibt vietnamesische Pho-Suppe oder Pad Thai oder lackierte Ente oder Sushi – ganz panasiatisch gedacht auch mal gern in ein und demselben Restaurant. Manchmal auch Dinge, die nur auf Chinesisch geschrieben sind und die ich in Deutschland noch nie gegessen habe. Mir gefällt die Gegend sehr gut, sonst wäre ich nicht so oft hier. Diesen Laden hatte ich jedoch nie zuvor gesehen, Les Spécialités du Sichuan.
Gut, Sichuan mit seiner Mala-Küche ist natürlich nicht ungewöhnlich in Paris. Normalerweise bekommt man dabei allerdings gebratene Speisen oder aber Hot Pot, und dasselbe hatte ich hier erwartet. Stattdessen gibt es in dem zeitgeistig luftig eingerichteten Restaurant ausschließlich gekochte Spieße, die nach Wahl in zwei unterschiedlichen Brühen gereicht werden, nämlich poivre (fruchtig-mala) oder piment (würzig-feurig). Was sich erst einmal ziemlich beschränkt anhört, bekommt dann Sinn, wenn man die verschiedenen Wahlmöglichkeiten betrachtet. Da gibt es an carnivoren Dingen beispielsweise Fisch mit Zitronengras oder Hähnchenherz. Noch deutlich interessanter sind jedoch die vegetarischen Spieße: Blättertofu und die Pilze mit ihren verschiedenen Formen und Texturen fand ich besonders spektakulär. Die Köchin mit dem “Lesbian Love”-T-Shirt erklärte dann auch, dass man mittags gleich 20 verschiedene solcher Mini-Spieße nimmt. So wie hier dürfte es durchaus aktuell in Chengdu aussehen: Nicht mehr rot-gold-plüschig-verwinkelt, sondern stylish-reduziert wie in einem Café in L.A.
La Catrina
Die mexikanische Küche ist glaube ich eine der interessantesten Küchen überhaupt, die es noch nicht zu totalem Weltruhm gebracht hat. Jetzt werdet ihr vielleicht einwenden, dass sie so unbekannt nun auch wieder nicht sei. Das stimmt natürlich, aber vergleicht doch einfach mal die Anzahl italienischer und chinesischer Restaurants in einer x-beliebigen Stadt mit ihren mexikanischen Counterparts. Wie man mit relativ wenig Aufwand und viel Geschmack eine kleine kulinarische Botschaft einrichten kann, zeigt das junge Pärchen, welches das La Catrina betreibt. Ein Mini-Restaurant an der Metrostation Nationale, eine einsehbare Küche, ein bisschen Kitsch im Modern Mexico-Stil. Die Tische sind beispielsweise mit einer abwaschbaren Folie in attraktivem Blumenmuster überzogen, an den Wänden Tattoo-Geschichten, Wrestling, Geistermasken, Gold und Glitter.
Und auch hier ist es wieder die ganz und gar authentische Karte, die den Unterschied macht. Es gibt als Vorspeise beispielsweise Kaktussalat, die Guacamole wird erst nach Bestellung von Hand zubereitet, und die Hauptgerichte sind Tacos, Burritos und Tamales. Dazu gibt es eine gute Handvoll mexikanische Biere, die deutlich über Corona und Sol hinausgehen. Knapp die Hälfte der Speisen sind vegetarisch. Diesmal fand ich aber vielleicht die Fleischvarianten interessanter. Zum Beispiel Cochinita Pibil mit in Zitrussauce mariniertem Schweinefleisch und Annattocreme. Oder Barbacoa mit gedämpftem Rindfleisch und Guajillo-Chilies. Ebenso wie beim Sichuan-Restaurant ist das sichtlich kein luxuriöses Etablissement, aber auch keine teure Sache. Mit Getränken ist man hier abends mit etwa 20 € pro Person dabei, beim Sichuan kostet es eher einen Fünfer weniger.
Impérial Choisy
Ich hatte ja schon über die Chinatown mit ihren vielen Indochina-Restaurants gesprochen. Wenn ihr nur eines davon aufsuchen wollt, würde ich möglicherweise dieses hier empfehlen. Das Impérial Choisy bietet zwar ebenfalls eine Speisekarte mit vielleicht 150 Positionen an, aber hier wird wirklich alles frisch gekocht und oftmals besser als in den allermeisten anderen Läden. Wenn ihr zu zweit seid, bestellt ihr am besten drei (oder bei sehr großem Hunger auch vier) Gerichte, die ihr zur selben Zeit kommen lasst und dann einfach teilt. Je mehr Personen ihr seid, desto abwechslungsreicher wird das Ganze natürlich.
Sehr einverstanden war ich beispielsweise mit “Crabe en mue au sel et au poivre”, wie es auf der Speisekarte heißt. “Salz und Pfeffer” ist, das war mir schon bei anderen Restaurants aufgefallen, eine etwas seltsame Verbrämung dafür, dass es sich um etwas in würziger Panade Ausgebackenes handelt. Und crabes en mue sind Taschenkrebse kurz nach ihrer Häutung, die deshalb mitsamt dem (weichen) Panzer zubereitet werden können. Leicht crunchy, aromatisch und einfach gut.
Sweet
Die Olympiades oder “Centre Commercial Oslo”, wie es offiziell groteskerweise immer noch heißt, sind ein in die Jahre gekommenes asiatischen Einkaufszentrum. Vor einiger Zeit (ich komme seit knapp 20 Jahren hierher) dachte ich schon, dass dem unattraktiven Flachbau das letzte Stündlein geschlagen hätte. Aber irgendwie schaffen sie es doch immer wieder, neben Klimbim-Läden, Friseuren und K-Pop-Fanshops etwas Interessantes aufzumachen. Selbst wenn es erst einmal nicht danach aussieht. Das Sweet ist, man kann es dem Namen nach erraten, eines der in Ostasien besonders bei jungen Frauen so beliebten Dessert-Cafés. Nur gibt es hier keine Buttercremetorten, sondern etwas ganz anderes.
Ich kann nur empfehlen, einen solchen Ort einmal aufzusuchen, denn das hier ist keine Folklore, sondern eine ganz echte Weltreise. Im Sweet gibt es Eis, Bubble Tea und Milk Shake, dazu noch ein paar andere alkoholfreie tropische Textur-Cocktails. Besonders spannend fand ich aber die ein bisschen nach Herkunftsländern geordneten Süßspeisen. Aus Korea kommt Shaved Ice, auf südostasiatische Weise mit Durianeis oder schwarzem Reis oder Mango aufgepeppt. Dann gibt es traditionelle chinesische Speisen wie schwarzer Sesam mit roten Bohnen. Und dann gibt es die Sektion Taiwan, aus der das Schälchen auf dem Foto stammt. Getrocknete Gerste, grüne Bohnen, Tapioca-Perlen und Feengras-Gelee, alles wahlweise in leicht süßem Sirup oder Kokosmilch angeboten. Das Feengras wird im Prinzip im Sommer zu einem kühlenden Getränk verarbeitet. Jetzt haben wir zwar Dezember, aber wer kulinarisch dazulernen will, darf da nicht so jahreszeitlich borniert herangehen.
Le Coche – Paris Bistrot
Schließlich wäre alles, was mit Frankreich und Essen zu tun hat, unvollständig, würde ich nicht die klassischen Bistrots erwähnen. Gerade wenn man zu Fuß unterwegs ist, fällt einem auf, wie viele es davon eigentlich noch gibt. Und wie gut besucht sie sind. Auch wenn momentan gerade die Neo-Bistrots schwer angesagt sind, wie ihr sie im Guide Lebey finden könnt, halte ich doch große Stücke auf die weniger trendigen Orte. Hier gibt es von morgens bis abends Kaffee, Croque Monsieur oder auch ein Weinchen. Mittags und abends (oder manchmal gar durchgehend) wird gekocht, magenfüllend ohne Chichi. Genau so ein Ort ist das Le Coche an der ziemlich belebten Kreuzung der Rue de Tolbiac, wo sich sternförmig gleich sechs Straßen treffen. Auch ohne Streik ist hier “Kosmos” immer garantiert.
Und so genehmige ich mir zum Abschied noch ein ganz klassisches Gericht, nämlich steak haché, Hacksteak. Wie das bei Fleischgerichten im Bistrot üblich ist, kann man zwischen verschiedenen Durchgarstufen wählen. Ich nehme saignant, und dazu gibt es Pommes Frites, ein Spiegelei, einen gemischten Salat und einen herzhaften Roten von der Loire. Wunderbar. Manchmal merkt man übrigens, dass Paris gar nicht so weit vom Rheinland entfernt liegt – oder auch umgekehrt. Das gewöhnliche Hacksteak auf der Speisekarte besteht nämlich nicht aus Rind-, sondern aus Pferdefleisch.
Mein tatsächlicher Abschied von Paris gestaltete sich übrigens problemloser als befürchtet. Natürlich fiel mein ursprünglich gebuchter Zug aus, aber ich konnte einen Tag später zu einer anderen Zeit noch eine Platzkarte ergattern und die Stadt damit verhältnismäßig bequem verlassen. Wer allerdings jetzt immer noch dort hockt und Weihnachten bei der Familie in der Provinz oder gar einem anderen Land verbringen möchte, dem kann ich nur viel Glück wünschen…
Eine super Zusammenstellung. Einige meiner letzten guten Lokale sind verschwunden. Aber Deine Empfehlungen zeigen mir, nach Paris sollte ich wieder einmal fahren. Vielleicht im Frühjahr 2020
Auf jeden Fall! Neu und sehr gut und angesagt soll das Maison Plisson sein (https://www.lamaisonplisson.com/fr_FR/carte). Habe ich diesmal leider nicht geschafft, aber zumindest Zweithanderfahrung 😉
Pingback: Natürlicher Dienstag #38 - Domaine Roulot - Chez MatzeChez Matze