Ich stehe im Schatten und höre den zirpenden Grillen zu. Hinter mir die Saale, vor mir ein Weinberg, wie ihn sich ein Tourismusverband ausgedacht haben könnte. Fünf schmale Terrassen übereinander, dazwischen Steinmauern, alles wunderbar gepflegt. Und in der Mitte ein Weinberghäuschen, in dem der Beschilderung nach öfter Weinproben abgehalten werden. Kaatschener Dachsberg heißt diese Lage, in der sich Dachs und Hase gute Nacht sagen könnten. Wieso eigentlich, frage ich mich unwillkürlich, waren selbst ausgewiesene Weinfreaks kaum jemals an diesem Ort? Und gibt es eigentlich noch mehr Weinberge wie diesen an Saale und Unstrut?
Saale und Unstrut
Als ich zu meiner Tour entlang der Flüsse aufbreche, verbinde ich damit ehrlich gesagt keine großen strategischen Überlegungen. Eigentlich hatte ich nur geplant, mir auf dem Weg zu meinen Eltern ein oder zwei nette Weinberge anzuschauen. Aber mit demselben eigentlich, wie ich letztes Jahr lediglich ein Weingut an der Nahe besuchen wollte und dann der große Artikel über die Weinberge der Nahe herausgekommen ist, passiert es diesmal wieder: Ich klappere sie fast alle ab, die bekannten und weniger bekannten Rebflächen in Deutschlands Mitte.
Ich bin unterwegs im “Grünen Herz Deutschlands” und im “Land der Frühaufsteher”. Mit diesen beiden Marketingkampagnen wollten die Bundesländer Thüringen und Sachsen-Anhalt einstmals punkten. Mit mäßigem Erfolg, würde ich sagen, jedenfalls bezüglich der Frühaufsteher. Dabei gibt es außer allerlei Verweisen auf Goethe und Schiller auch für Weinkulturinteressierte eine Menge zu sehen. Uralte Gunstlagen in einer Kontinentalklima-Umgebung, die sowohl trockene Sommer als auch kalte Winter im Angebot hat. Ein Weinberg, der seit dem Jahr 1080 ununterbrochen bewirtschaftet wird. Steinmauern, Querterrassen, unbehelligt von der Flurbereinigung. Nein, natürlich ist hier nicht alles museal. Aber es gibt einfach etliche sehr kleinteilige Weinberge, die den Betriebswirtschaftler verzweifeln lassen, den Weinromantiker aber begeistern.
All diese Weinlagen kann man sich übrigens auch wunderbar auf Weinlagen.info anschauen: einfach den Lagennamen eingeben, und schon wird entsprechend hineingezoomt. Und wo findet man die Lagennamen? Hier. Der Weinbauverband hat eine Karte herausgegeben, auf der man sich zumindest einen groben Überblick über die Lage der Weinberge verschaffen kann.
Kaatschener Dachsberg
Mein erster Weinberg heute ist gleich einer der spektakulärsten. Ihr habt ihn zur Gänze schon auf dem Titelfoto gesehen. Es handelt sich um den Kaatschener Dachsberg an der Saale, den einzigen thüringischen Weinberg in meiner Sammlung. Die Lage umfasst dabei noch allerlei andere Felder, aber der “echte” Dachsberg befindet sich etwa 500 Meter südöstlich des Minidorfes Kaatschen. Brütend heiß ist es, als ich mich dem terrassierten Kleinod nähere. Ob das wirklich eine gute Idee war, ausgerechnet am wärmsten Tag des Jahres hier unterwegs zu sein?
Ich bin überrascht, in welch gutem Zustand sich die Anlage befindet. Auf einer gepflegten Treppe steige ich bis zum Weinberghäuschen. Der Zugang zu den einzelnen Terrassen ist teilweise mit dicken Tauen abgesperrt, denn hier wird keine Weinbergshow betrieben, sondern ernsthafter Weinbau. Ganz oben führt ein Wanderweg am Dachsberg entlang. Wäre es nicht so heiß und müsste ich nicht heute noch viel weiter, hätte ich Lust, dem Weg ein Weilchen zu folgen.
Vor dem Weinbergshäuschen befindet sich ein Schild, und auf diesem erfährt man, dass es in der Tat der Winzerhof Gussek ist, dem die Reben gehören. Das ist doch mal eine schmucke Repräsentanz. Aus genau dieser Lage habe ich einen Wein im Keller, und zwar den Riesling des Jahrgangs 2011. Ob ich ihm noch zwei Jahre bis zu seinem Zehnjährigen geben soll?
Kloster Pforta
Hinter der Stofftier-Metropole Bad Kösen – ich habe inzwischen das Bundesland gewechselt – befinden sich die ausgedehnten Ländereien des Landesweinguts Kloster Pforta. Vorn an der Bundesstraße erstreckt sich die Lage Pfortenser Köppelberg, die fast bis an das eigentliche Kloster heranreicht. Ich steige aus und laufe durch die Reben. Es gibt hier ein Projekt, das den “Erosionsschutz durch Blütenreichtum” mit wissenschaftlichem Monitoring und EU-Geldern erforschen soll. Hoffentlich, denke ich mir, werden die Erkenntnisse nach Projektende auch dann umgesetzt, wenn die Gelder wieder weg sind.
Als ich oben auf der Kuppe des Köppelbergs stehe, kann ich den Hang am anderen Saaleufer sehen. Hier befindet sich das Landesweingut zu Füßen der Lage Saalhäuser. Und wer immer noch nicht weiß, wo er sich befindet, kann in weißen Hollywood-Buchstaben lesen “Saale-Unstrut-Wein”.
Naumburger Steinmeister
Der nächste spektakuläre Weinberg liegt nur ein paar Meter flussabwärts: der Naumburger Steinmeister. Am besten erkennt man aus der Ebene oder aber sogar von Naumburg selbst, was diesen Weinberg so besonders macht. Es sind die vielen kleinen Parzellen auf den vielen kleinen Terrassen, die teilweise sehr kreativ bepflanzt sind. Links etwas außerhalb des Fotos und direkt am Fuß der Weinberge befindet sich mit dem Weingut Hey der bekannteste Erzeuger unmittelbar in den Reben.
Hatte ich eigentlich schon von der geologischen Situation gesprochen? Die ist nämlich fast fränkisch zu nennen, denn die Trias tritt auch an Saale und Unstrut zutage. Im Untergrund des Dachsbergs befinden sich Keuper und Muschelkalk, der Saalhäuser ist reiner Muschelkalk, und beim Steinmeister beginnt im östlichen Teil bereits der Buntsandstein.
Gosecker Dechantenberg
Der nächste Weinberg sagte mir davor schlichtweg gar nichts. Gosecker Dechantenberg? Nie gehört. Jemals einen Wein gesehen, der den Namen auf dem Etikett trug? Fehlanzeige. Dabei ist dies einer der schönsten Weinberge überhaupt. Und einer der ältesten, wenn nicht gar der älteste höchstselbst. Seit dem Jahr 1080, so trägt es ein Schild am Weinberg vor, sei diese Terrassenlage durchgehend bewirtschaftet worden. Allerdings muss man sich den Zugang schon erobern, denn der Ort Eulau, den die Straße zuvor durchquert, weist ein Kopfsteinpflaster auf, das ich qualitativ eher im Wald von Arenberg verortet hätte.
Dafür ist es im Weinberg selbst traumhaft ruhig. Ich steige die Buntsandsteintreppe empor. Kein Mensch ist weit und breit, nur die Bienen summen. Ein paar Meter weiter in die Ebene hinein kann ich die Saale erkennen, die hier vor der Oelbitzschleuse genauso ruhig wirkt wie die gesamte Stimmung. Am Hangfuß hat das Kloster Pforta an Einzelstöcken neue Reben gesetzt. Es geht also weiter am Dechantenberg, in die neunhundertvierzigste Ernte hinein.
Im Tal der Unstrut
Ich wechsele die Täler und fahre “rückwärts” und gen Norden die Unstrut entlang. Fast kommt sie mir hier größer vor als die Saale, aber das täuscht. Beim Zusammenfluss der beiden bringt die Saale nämlich etwa 55% des Wassers mit, die Unstrut hingegen 45%. Dieses Verhältnis liegt aber auch daran, dass die Saale im niederschlagsreichen Fichtelgebirge entspringt mit Nebenflüssen aus dem Thüringer Wald. Freyburg heißt die Metropole hier, und deren Weinberge schaue ich mir genauer an.
Freyburger Edelacker
Der Freyburger Edelacker ist vermutlich die bekannteste Lage des gesamten Anbaugebiets, und das völlig zu Recht. Gemauerte Abschnitte wechseln sich mit bewachsenen Terrassen und Muschelkalkwänden ab, alles unglaublich kleinteilig mit vielen typischen Weinberghäuschen mittendrin. Allerdings ist “Edelacker” eine latent inflationäre Bezeichnung geworden, denn alle Weine, die auf dem Stadtgebiet von Freyburg erzeugt wurden, dürfen diese Bezeichnung tragen. Nicht dass es sich dabei unbedingt um Ungunstlagen handeln würde, aber trotzdem sind die Charakteristika natürlich unterschiedlich.
Das Weingut Pawis ist der Platzhirsch in den Freyburger Lagen. Es befindet sich in Zscheiplitz, auch dies selbstverständlich längst eingemeindet. Von hier oben hat man den besten Blick auf das Tal und die edlen Äcker. Links auf dem Foto seht ihr den Schweigenberg, ein langer Hang mit den vielen Häuschen. In der Mitte direkt hinter der Stadt steigt der Schlifterweinberg auf, in dem man Rebpatenschaften erwerben kann. Rechts außerhalb des Bildes liegt der Herzogliche Weinberg, der eher als kulturhistorisches Ensemble gepflegt wird. Und schließlich folgt noch der Ehrenberg, auch Ehrauberge genannt. Von dort und aus dem Schweigenberg holt Bernard Pawis seine besten Weine.
Dorndorfer Rappental
Nördlich von Freyburg zieren immer wieder Weinfelder und steile Abschnitte den östlichen Rand des Unstruttals. Hier liegen der Weischützer Nüssenberg und das Dorndorfer Rappental. Vor allem das Rappental wirkt ziemlich lang und zerfasert mit Weinbergen unterschiedlichster Qualität. Die besten Parzellen befinden sich unterhalb einer ehemaligen Fliegerschule, von der aus – friedlich gesonnen – nur noch Segelflieger und Kleinflugzeuge abheben.
Ich fahre weiter nach Burgscheidungen. Natürlich hatte ich – wie das bei spontanen Fahrten nun einmal so ist – vorher nicht Bescheid gesagt und treffe dementsprechend nicht den jungen Winzer auf dem oberen Bild an. Allerdings hatte ich Konrad Buddrus bereits beim Weinsalon Natürel in Köln gesehen. Bei Konni & Evi läuft einiges anders als in anderen Weingütern der Region. Die Produktion ist winzig, und alles erfolgt in Handarbeit, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Schon Biowein ist an Saale und Unstrut praktisch nicht anzutreffen, mit ihren komplett unbehandeltem Naturwein betreten Konni und Evi aber wahrhaftiges Neuland. Oder doch nicht. Denn letztlich handelt es sich ja um eine Form der Rückbesinnung. Und mein Großvater hat tatsächlich, wie mir meine Mutter bestätigt hat, auf dieselbe Art Wein bereitet.
Karsdorfer Hohe Gräte
Ein paar Kilometer weiter nach Norden bin ich dann endgültig in der Steppe angekommen. Im Karsdorfer Tagebau wird Kalkstein abgebaut und dann im benachbarten Zementwerk weiterverarbeitet. Das passiert hier schon seit Jahrzehnten und lohnt sich deshalb, weil die Steine so dick und die Erdauflage so dünn ist. 25 Meter stark sind die Muschelkalk- und Gipskeuper-Schichten, in deren Lücken die Reben ihre Wurzeln vordringen lassen. Dafür bleibt es an der Oberfläche noch trockener als anderswo. Im Jahr 1992 wurde die Lage noch einmal erweitert, aber Weine mit der Bezeichnung “Hohe Gräte” kommen nur aus dem zentralen Teil, der der Familie Lützkendorf gehört.
Vor etlichen Jahren hatte ich schon einmal über diesen Wein geschrieben und dieses Jahr bei der VDP-Präsentation in Berlin Uwe Lützkendorfs Silvaner gegen Rudi Mays fränkisches Schmuckstück antreten lassen. Die Lützkendorf’schen Interpretationen sind dichte, reife, gelbe Weine mit einem ordentlichen Schuss Individualität. Mich erinnern sie in der Tat stärker an die Wachau oder Ungarn, aber bei einem durchschnittlichen Niederschlag von weniger als 500 mm im Jahr sind wir hier auch eher in einer kühleren Version der Puszta als irgendwo an der Mosel.
Vitzenburger Schlossberg
Zum Abschluss besuche ich noch einen Weinberg, den es eigentlich erst seit kurzem wieder gibt. In früheren Zeiten war diese Lage an einem Prallhang oberhalb der Unstrut für Spitzenweine bekannt. Dann verbuschte und verwieste alles, das Schloss mit seinen barocken Anlagen verfiel zunehmend. Erst seit 2016 gibt es einen Förderverein, der die Anlagen wieder in Schuss bringen möchte. Und es gibt die Winzerei Lüttmer. Klaus und Christiane Lüttmer sind ja eigentlich in Berlin beheimatet, aber uneigentlich auch hier draußen bei ihren kleinen Parzellen, die sie in mühevoller Arbeit rekultiviert haben. Seit dem Jahr 2013 stehen wieder Reben im Schlossberg. Riesling und Spätburgunder sind es, wenngleich bislang nur im oberen Hangteil. Ich dachte, ich könnte den Weinberg unten vom Fluss sehen, aber das war nicht so. Also bin ich ganz herum bis nach Nebra gefahren und sehe von dort aus der Ferne Reben und Pavillon thronen.
Den Frühburgunder der Lüttmers aus dem Weischützer Nüssenberg, auch eine historische Lage übrigens, hatte ich erst vor ein paar Tagen bei einer Probe im Pinot-Weinhandel in Nürnberg getrunken. Die Vitzenburger Weine kenne ich nicht, aber der Frühburgunder war in einem mutig kräftigen Stil gehalten. Viel Alkohol und viel Tannin für einen deutschen Rotwein, ein Gegenentwurf zur Tendenz der zarten Schlankweine. Da würde ich als Begleitung eher Ćevapčići als Nordic Cuisine empfehlen.
Epilog
Und damit bin ich durch an Saale und Unstrut, und zwar wortwörtlich. Stundenlang bei 35°C durch die Weinberge zu steigen, das ist selbst mir als südlicherem Typen ein bisschen zu viel. Außerdem bin ich schlichtweg voll von Eindrücken. Verwunschene Terrassenweinberge, die nur über holperige Wege zu erreichen sind, das historische Freyburg mit seinem Ausflugstourismus (von Naumburg habe ich ja noch gar nicht gesprochen…), Türme, Schlösschen, Reminiszenzen an große Zeiten überall. Ja, diese Region lohnt einen Besuch absolut.
Wofür Saale und Unstrut weintechnisch stehen, bin ich mir allerdings nicht ganz so sicher. Was macht den besonderen Charakter aus, welche Rebsorte repräsentiert diese an alten Spitzenlagen nicht gerade arme Gegend am besten? Wenn ihr mich ganz persönlich fragt, würde ich hier am ehesten eine Chance für bestimmte historische Rebsorten sehen. Es ist trocken im Sommer und kalt im Winter, sprich stark kontinental. Warum sollte man es da nicht einmal mit robusten Varietäten probieren, die ursprünglich aus dem pannonischen Raum stammen und mit solchen Bedingungen gut umgehen können? Vielleicht finden sich ja sogar in den Archiven von Kloster Pforta Verweise auf derartige Sorten, die man argumentativ heranziehen kann.
Bis dahin wird aber vermutlich noch ein Weilchen vergehen. Jedenfalls hoffe ich, dass ihr auf dieser Weinreise entlang von Saale und Unstrut einen Einblick in eine Region bekommen habt, die ihr sooo gut noch gar nicht kanntet. Und nächstes Mal schaffe ich es dann auch bis zum Süßen See…
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