Großes Gewächs vom kleinen Fluss: Uwe Lützkendorfs Unstrut-Weißburgunder

Zurück von meiner großen Asienreise, und noch kommt mir alles ein wenig fremd vor. Reintegrationsprobleme, das alte Lied. Kalt ist es draußen, nichts los im Stadtzentrum, kein einziger Straßenstand, an dem ich bequem und für ein paar Pimperlinge eine schmackhafte Mahlzeit kaufen kann. Und meine Definition von “schmackhaft” hat sich zwischenzeitlich auch leicht verschoben. Getränke ohne Frucht und Süße kommen mir wahlweise blass oder sauer vor. Eine ordentliche Hürde hatte also mein erster Wein nach der Rückkehr zu überwinden – und er hat sie genommen. Aber ich hatte ihn mir auch bewusst ausgesucht.

Ich weiß nicht, ob es einen Wettbewerb beim VDP um den Preis des unbekanntesten Mitgliedweinguts gibt. Und selbst wenn dem so wäre, Uwe Lützkendorf würde ihn nicht gewinnen. Aber in der Nähe des Podiums sein. Dieser Unbekanntheitsgrad rührt nicht etwa daher, dass seine Weine so charakterarm und farblos wären, sondern liegt in der geographischen Situation begründet. Meine werten Damen und Herren Mitleser, wer von Euch war schon einmal im Tal der Unstrut unterwegs? Wer würde sich überhaupt zutrauen, ohne Navi dort hinzufinden? Und wer weiß, welches die meist angebaute Rebsorte im Weinbaugebiet Saale-Unstrut ist?

Richtig, Müller-Thurgau. Den gibt es bei Uwe Lützkendorf zwar auch, aber nur unter ferner liefen. Hauptrebsorte ist hier der Silvaner, gefolgt mit deutlichem Abstand von Riesling und Weißburgunder. Solch “edle” Reben müssen hier im Nordosten einiges aushalten können, denn – das könnte man aus dem Erdkundeunterricht noch wissen (zugegeben, nicht von jenem, den ich genießen durfte) – Osten, das bedeutet kontinentales Klima. Also recht trocken das ganze Jahr über, aber gelegentlich unangenehm kalt im Winter. Deshalb lohnt sich Qualitätsweinbau auch nur in mikroklimatisch begünstigten Inseln, und das Weingut Lützkendorf hat gleich in mehreren davon seine Reben stehen.

Die Karsdorfer Hohe Gräte, denn aus dieser Lage stammt mein heutiger Wein, erhebt sich auf etwa 15 ha hinter dem Ort Karsdorf, relativ weit vom Fluss entfernt. Die geologische Situation ähnelt derjenigen in Franken mit der Triasabfolge von Buntsandstein, Muschelkalk und Keuper, und es sicher kein Zufall, dass sich der Silvaner hier besonders wohlfühlt. In einem Teil der Lage tritt der Gipskeuper sogar offen zutage, eine steinige Gegend also. Uwe Lützkendorf besitzt fast 6 ha in der Hohen Gräte und damit die gesamte ursprüngliche Lage vor ihrer Erweiterung im Jahr 1992. Was man dabei nicht vergessen sollte zu erwähnen: Obwohl die Weine von Saale und Unstrut in der großen Welt weitgehend unbekannt zu sein scheinen, vor Ort (und das umfasst dank des Ausflugstourismus sogar Berlin) erfreuen sie sich großer Beliebtheit, erzielen recht hohe Preise und sind oft schnell ausverkauft.

Mein Großes Gewächs hatte ich mir deshalb ausgesucht, weil ich mir dachte, dass Kraft, Frucht und ein starker Charakter hier zusammenkommen. Für den Jahrgang 2008, aus dem dieser Wein stammt, habe ich ohnehin einiges übrig. Ein Ratschlag gleich mal zu Anfang: Nicht eisgekühlt aus dem Kühlschrank holen, rein ins Glas und runterstürzen. Dies ist nämlich kein asiatischer Softdrink.

Nach einiger Zeit des Lüftens und auch Erwärmens öffnet sich der Aromenreichtum nämlich immer mehr. Und so hatte ich das größte Vergnügen an diesen Wein auch nicht am ersten Tag mit dem ersten (kalten) Glas, sondern am dritten Tag, wohltemperiert. Den Wein hatte ich zwischenzeitlich wieder verkorkt in den Kühlschrank gestellt.

Ich erkenne ein recht reifes Weißgelb im Glas, keine Bläschen, still ruht der See. Der Ölsee, denn beim Schwenken bilden sich eindrucksvolle Glycerinspuren an der Innenseite des Glases. 13,5 vol% übrigens, also schon im üppigen Bereich. In der Nase erschnuppere ich tropische Früchte, sehr reife, gelbe Ananas zum Beispiel, ein wenig gelbes Weingummi, schwach Mango, ein wenig Butternoten, alles kräftig, aber alles irgendwie sanft abgepudert. An der Zungenspitze kommt zunächst ein konsequent erscheinender Süßeanklang. Bis jetzt geht das in eine Richtung, die an fettes Baden, Kalifornien oder Südafrika erinnert. Meinetwegen auch an die ausgepolsterte Version der Weine aus der Steiermark.

Dann dreht sich die Sache jedoch. Plötzlich zieht eine ungeheure Würze in den Gaumen ein, die Säure, die komischerweise zunächst gar nicht so präsent gewesen war, kommt ebenso zum Vorschein. Nana-Minze, eine feuersteinige Bitternote noch gegen Ende und vor allem viel Wein, intensiv, fordernd, nicht mehr breit oder flach wirkend, sondern zum Kauen und Nachdenken animierend. Keine Frage, dies ist ein Großes Gewächs, das mit zunehmender Dauer seiner Bezeichnung absolut gerecht wird. Ich glaube sogar, der absolute Genusshöhepunkt liegt noch zwei bis drei Jahre entfernt.

Was allerdings schwierig wird, bei einem zunächst vollfett-süßen, dann mineralisch-säuerlichen und dann würzig-kräuterigen Wein, das ist die passende Speise. Eins ist klar: Kräftig muss sie sein. Keine Forelle, kein Spargel, kein knackiges Gemüse. Fleisch, und selbst wenn es sahniges Kalbsgulasch sein sollte, erscheint mir auch wenig glücklich. Spontan kommt mir Käsefondue in den Sinn, aber dann bin ich viel zu faul zum Kochen – und mache zufällig alles richtig.

Ich öffne nämlich eine indische Snackpackung, den “Bombay Mix” von Haldiram’s. Jener besteht aus gebackenen Kichererbsen, Stäbchen aus Kicherebsenmehl, grünen Erbsen und Erdnüssen, alles in einer Mischung verschiedener indischer Gewürze. Leider habe ich die Packung inzwischen weggeworfen, aber Kurkuma, Kreuzkümmel und Chillies waren in jedem Fall darunter (und keine E-Stoffe). Diese Snacks bekommt Ihr nicht nur in Indien, sondern auch in manchen Kiosken, schaut einfach mal nach. Jedenfalls die optimale Ergänzung für meinen Geschmack: die Süße, die Stein- und Fruchtwürze des Weins, die Knusprigkeit und Schärfe der Bombay-Mixtur, sehr harmonisch auf hohem Intensitätsniveau.

Der Wein bekommt “nur” 5 Eleganzpunkte von mir, weil er nicht wirklich vielseitig und geschmeidig wirkt, aber immerhin 7 Charakterpunkte. Dafür dass dieser Wein aus konventionellem Weinbau stammt, geimpft mit Reinzuchthefe und vielleicht auch önologisch gut betreut, ist das wirklich beachtlich. 16 MP zücke ich allemal. Die 18,90 €, die ich bei Scholzen dafür gezahlt habe, sind jedenfalls gut angelegtes Geld. Mein Fazit: Kein Wein für jeden Tag, kein Wein zum Sofortöffnen, kein Wein für jedes Essen, kein Wein für Kabinetttrinker, kein Wein für Durstige – aber eine Bereicherung für die deutsche Weinwelt.

Jetzt bin ich natürlich neugierig geworden: Welche Winzer und Weine kennt Ihr aus dem Saale-Unstrut-Gebiet? Welche sind besonders zu empfehlen? Und – nicht ganz unwesentlich – wie kann ich diese Weine einmal probieren, ohne gleich mehrere hundert Kilometer fahren zu müssen?

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13 Antworten zu Großes Gewächs vom kleinen Fluss: Uwe Lützkendorfs Unstrut-Weißburgunder

  1. Das geht ja wieder richtig interessant los. Aber ichkenne bis jetzt keinen Winzer und nicht einen Wein aus dem Gebiet. Händler hier auch nicht.

    • chezmatze sagt:

      Ich hatte schon mal einen Wein von Matthias Kirmann getrunken, auch einen Weißburgunder, glaube ich. Und den fand ich ebenfalls wirklich interessant. Aber Bezugsquellen außerhalb des Weinguts selbst… nie gefunden.

  2. Alfredo sagt:

    Aaalso: wer nicht in die asiatische Ferne reisen muss (oder darf), kann sich die Zeit nehmen, die deutschen Landschaften genauer zu erkunden. Vor drei Jahren haben meine Frau und ich der Region um Naumburg einen Besuch abgestattet. Nicht nur, dass im Dom die wunderbaren Skulpturen – allen voran die berühmte Uta – eine magische Anziehungskraft haben, nein, auch in der benachbarten Wenzelskirche steht mit der großen Hildebrandt-Orgel, die Bachs Schwiegersohn Altnikol spielte, eines der schönsten Instrumente der Welt. Einen Nachmittag lang haben wir mit zunehmend leidenschaftlichen Gesprächen bei Uwe Lützkendorf und seinen Weinen verbracht. Man muss ihn einfach erlebt haben. Weissburgunder GG, Riesling und Traminer sind in unseren Keller gewandert und halten sich bei entsprechenden Gelegenheiten immer sehr gut. Sein Traminer ist zu einer Birne an Roquefort eine klasse Dessert-Kombination. Kloster Schulpforta sollte man gesehen haben, die Weine sind nicht so toll, dafür umso interessanter Pawis. Seinen Weissburgunder GG haben wir mit viel Freude in einem netten Restaurant um nicht weit entfernten und auch sehr schönen Merseburg getrunken. Also: fahrt mal hin.
    Beste Grüße
    Alfredo

    • chezmatze sagt:

      Da ich in Bamberg studiert habe, ist Naumburg natürlich rein gedanklich nicht weit gewesen. Trotzdem habe ich es nie bis dorthin geschafft, aber das soll nicht so bleiben. Lützkendorf (ich hatte – fällt mir jetzt wieder ein – auch seinen Silvaner mit Genuss probiert, während ein Riesling von Klaus Böhme weniger mein Fall war) und Pawis wären mir auch spontan eingefallen. Umso schöner, wenn der Winzer selbst auch so für seine Sache lebt. Hast Du die Weine von André Gussek dort probiert? Ein Freund von mir war sehr angetan von ihnen.

      Ich hoffe jetzt aber, dass Dein einleitender Hinweis auf meinen Asienaufenthalt (oder denjenigen anderer Leute) nicht in dem Sinne gemeint war, dass in die Ferne nur schweifen darf, wer vorher vor seiner eigenen Haustür gekehrt hat ;).

  3. Alfredo sagt:

    Nein, um Gottes willen, nein! Die neuen Länder habe ich auch erst entdeckt, als die Fernreisen gemacht waren. Das eine ist so schön (und wichtig) wie das andere. Gussek habe ich noch nicht verkostet, kann mir also kein Urteil bilden. Zum Traminer (bzw. der Kombination) noch eine Einschränkung: in meinen drei Jahre alten Notizen stand, dass der Salzanteil des Roquefort eine kleine sensorische Delle mit sich brachte, der wein dann aber sofort wieder aufblühte. Der Weissburgunder 2008 ging mal sehr gut mit Skrei und gedünstetem Lauch. Heute geht die Reise nach Rotterdam. Dort kann man 42,2 Kilometer lang durch die Stadt spazieren
    http://www.abnamromarathonrotterdam.com/event
    und darf sogar auf der Autospur über die Erasmusbrücke laufen. Nach so bedingter vorheriger Abstinenz gibt es am Sonntagabend dann wieder ein Glas Wein. Dürfen auch zwei sein :-).

    Beste Grüße
    Alfredo

    • chezmatze sagt:

      Ah, Rotterdam galt ja zu meiner aktiven Zeit (mein Spezialgebiet war allerdings eher eine 42,095 km kürzere Strecke ;)) als extrem schnelle Strecke. Dann viel Glück dabei!

  4. Alfredo sagt:

    Wind, Wind, Wind, was sag ich: Sturm. Lauf mal Marathon gegen 8 Beaufort. Aber wenn man in seiner Altersklasse bei einem großen Event Zweiter wird, gibt es keinen Grund zur Klage, sondern morgen als Belohnung eine Hohe Gräte, damit die Gräten wieder in Ordnung kommen. Womit auch belegt wäre, dass Genuss und sportliche Leistung nicht unabdingbar gegenseitig ausgeschlossen sein müssen. 🙂
    Beste Grüße
    Alfredo

  5. Charlie sagt:

    Die Hohe Gräte fehlt bei den Weinlagen tatsachlich. kennt jemand gutes online Karten Material?

  6. Charlie sagt:

    Habe die Hohe Gräte grob eingezeichnet: http://weinlagen-info.de/#lage_id=3216
    Bitte checke wer sich auskennt

  7. Alfredo sagt:

    Die Hohe Gräte gibt es sozusagen in zwei Ausführungen. Einerseits die Hanglage (alt), in welcher schon die Lützkendorf-Vorfahren begütert waren und die von Uwe (und Vater?) neu angelegte flache Lage auf dem Bergrücken in einem ehemaligen Steinbruch-Tagebau. Dort hat man Schotter für eine IC-Trasse abgebaut. Den Kalkuntergrund hat Uwe Lützkendorf mit einer dicken Humusschicht überzogen. Das ganze sieht eher wie in Südfrankreich aus.
    Beste Grüße
    Alfredo

    P.S. im Weinatlas ist nur eine sehr kleine Graphik

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