Nachdem die Vorpremiere für die VDP Großen Gewächse 2018 schon in Wiesbaden stattgefunden hatte, wurden nun am 1. und 2. September in Berlin die Normalsterblichen in die Lage versetzt, diesen außergewöhnlichen Jahrgang ausgiebig probieren zu können. Einerseits gehöre ich ja zu den Neugierigen. Das bedeutet, dass ich es schon spannend fände, die GGs vor allen anderen im Glas haben zu können. Andererseits ist der sehr technische Ansatz wie in Wiesbaden (515 Weine zu verkosten, weit und breit kein Winzer, bei dem man nachfragen könnte) eine sehr mühevolle Angelegenheit. Zudem hatte ich als Vorbereitung auf Berlin die Chance, in den Berichten von Christoph Raffelt, von Felix Bodmann (jeweils mehrere Teile; ich habe den mit dem Fazit verlinkt) und von Dirk Würtz schon viel Empfehlendes und Warnendes zu lesen.
Was damit klar war: Ich würde in Berlin weder 515 Große Gewächse probieren müssen noch wollen. Aber ich würde mir einen ziemlich guten Überblick über den Jahrgang 2018 verschaffen können inklusive einiger “kleinerer” Schätzchen. Das ist nämlich der Vorteil der Veranstaltung in Berlin: Am ersten Tag, der VDP Vinissage, darf auch das gemeine Volk die heiligen Hallen betreten. Das wiederum bringt viele Winzer dazu, ein paar andere Weine anzustellen als am zweiten (Fachbesucher-) Tag, nämlich solche, die “kleiner”, trinkreifer sind. Dafür gibt es dann am zweiten Tag eine große Breite an GGs.
Ich hatte mir vorgenommen, diese beiden unterschiedlichen Tage auch ganz unterschiedlich anzugehen. Am ersten Tag bin ich herumgelaufen, habe Dinge probiert, die mir interessant erschienen, und habe mit Winzern gesprochen, wie sie den Jahrgang und seine Weine einschätzen.
Am zweiten Tag habe ich virtuell Wiesbaden gespielt, habe mir zwei Gläser besorgt und damit jeweils den “Pärchentest” gemacht. Also zwei 2018er Große Gewächse, aus unterschiedlichen Regionen und von unterschiedlichen Winzern, die ich schon immer mal im direkten Quervergleich sehen wollte. Dabei ging es mir weniger darum herauszufinden, welcher denn jetzt die meisten Punkte verdient hätte. Ich wollte eher Stil und Ausdruck miteinander vergleichen, natürlich auch im Kontext meiner persönlichen Vorlieben.
Erster Tag beim VDP
Über den Jahrgang 2018 ist selbstverständlich schon alles von allen gesagt worden. Auch ich hatte ja bei der VDP Weinbörse in Mainz bereits vor einigen Monaten die Chance, die Guts-, Orts- und ein paar Lagenweine aus dem Jahrgang zu probieren. “Glanz und Elend des Jahrgangs 2018” zeigen sich aber am besten im Gespräch mit Winzern. Rudolf May aus Franken sagte mir beispielsweise, dass sie 2017 am 15. September mit der Ernte begonnen hätten, was bis dato der früheste Erntebeginn überhaupt gewesen sei. 2018 hingegen war der 15. September ihr letzter Lesetag. Alles also drei Wochen früher als seit Beginn der Zeitrechnung.
Nun könnte man einwenden, dass es heiße und trockene Jahrgänge schon vorher gegeben hat, 2003 zum Beispiel. Seinerzeit wurde aber offenbar später mit der Ernte begonnen. Tatsächlich scheinen viele Winzer aus den Erfahrungen von 2003 gelernt zu haben. Mittlerweile geht es eben nicht mehr nur darum, die größtmögliche Reife, sprich Zuckerkonzentration in die Beeren zu bekommen (= die “nördliche” Weinbauphilosophie), sondern die Weine zwar phenolisch reif, aber eben ausgewogen zu halten. Ich spreche hier wohlgemerkt von ambitionierten Winzern.
Ausgleichen vs. Ausleben
So etwas ist ein ziemlicher Balanceakt. Denn einerseits wollen die Kunden der hochwertigeren Weine, dass sich in den Großen Gewächsen Jahrgang und Terroir widerspiegeln. Wein ist halt kein klinisches Industrieprodukt, das ist ja gerade sein psychologisch wirksamer USP. Aber andererseits möchten dieselben Kunden ihren “Lieblingswein” dann auch gern wiedererkennen, was ein ganz bisschen konträr erscheint zum Gedanken der Naturabhängigkeit.
So ganz frei kann ich mich davon auch nicht machen. In einem Jahrgang wie 2018, der alle natürlichen Voraussetzungen dafür bot, extrem üppige Weine zu produzieren, freuen wir Weinschreiber uns besonders über solche Weine, die nicht mit 14,5 vol% aus dem Glas lappen. Das heißt, wir begeistern uns indirekt dafür, dass die Kultur (nämlich die vorausahnende Winzerkunst) der Natur Paroli geboten hat. Das ist selbstverständlich nichts Verwerfliches. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass die professionelle Weinwelt damit den Ansatz “Alles drängt zur Mitte” gegenüber dem Ausleben von Extremen favorisiert.
Ausgerechnet Terrassenmosel
Auch an der Mosel gab es keine Reifeprobleme. Im Gegenteil. Viele der steinigen Hänge besitzen zudem das Problem der geringen Wasserhaltekapazität. Dadurch haben es jüngere und deshalb nicht so tief wurzelnde Reben in solchen Jahrgängen wie 2018 besonders schwer. Das hat man etlichen Weinen angemerkt, diesen hier jedoch nicht. Ob es die alten Reben sind, die auch schon andere trockene Jahrgänge erlebt haben? Ob es die Winzererfahrung ist, wie man damit umzugehen hat? Alles wird vermutlich eine gewisse Rolle gespielt haben beim Endergebnis. Und das ist für mich überraschend. Tatsächlich nämlich gehören die beiden Röttgen GG aus einer der definitiv heißesten Lagen der ganzen Mosel zu den ausgewogensten Weinen des gesamten Anbaugebiets.
Das gilt sowohl für die Ausgabe des Weinguts Knebel als auch für jene des Weinguts Heymann-Löwenstein. Natürlich haben beide Weine einen gewissen Schmelz und beeindrucken nicht mit karger Steinigkeit, aber ich finde sie gerade in Anbetracht des herausfordernden Jahrgangs sehr gelungen. Dasselbe lässt sich (wir sind ja hier am ersten Tag) von den kleineren Weinen sagen. Schieferterrassen von HL und Von den Terrassen von Matthias Knebel sind ehrlich gesagt bereits kleine Große Gewächse. In ein paar Jahren blind in einen 2016er Flight hineingestellt, könnte es da beim Aufdecken große Augen geben.
Straffer Silvaner
Einen 2018er Wein, bei der vermutlich der frühe Vogel den Wurm gefangen hat, stellt Verkaufsleiterin Charlotte Scholz vom fränkischen Weingut Castell vor. Es handelt sich um den Lagen-Silvaner aus dem Casteller Kugelspiel, der jetzt erst auf den Markt kommt. Die “jungen Casteller” haben ja bereits einiges umgekrempelt auf dem altehrwürdigen Weingut. Eine dieser Maßnahmen ist der späte Marktstart, für das GG 2018 also erst im September nächsten Jahres. Und eine andere erahnt man, wenn man diesen Wein aus dem Kugelspiel probiert: ultratrocken, straff aber nicht mager, polarfrisch statt barock. Der Vorgängerjahrgang hatte bereits den Mundus Vini Nordic-Cup gewonnen (“Best of Show”), was mich überhaupt nicht wundert. Diesen Wein sehe ich definitiv auf demselben Weg. Die Franken-Geister werden sich daran scheiden, aber das macht die Sache ehrlich gesagt erst richtig spannend.
Eleganz vom Stein
Ebenfalls nicht in Richtung schwere Gelbfrucht geht es beim Weingut am Stein von Ludwig und Sandra Knoll. Das Weingut ist nicht nur Mitglied im VDP, sondern auch bei Naturland und arbeitet biodynamisch. Wer mich kennt, weiß, dass ich so einen bewussten und naturschonenden Ansatz sehr schätze. Was Sandra und Tochter Antonia hier präsentieren, ist ein Großes Gewächs aus dem Stettener Stein, und zwar ein Riesling. Nun gibt es ja durchaus Stimmen in der Weinwelt, die sagen, Riesling und Neuholz passten überhaupt nicht zusammen. Meine eigene glasklare Meinung dazu: Es kommt darauf an. Vermutlich wäre es tatsächlich keine gute Idee, stark getoastete amerikanische Eiche mit einem ausschließlich auf Primärfrucht ausgelegten Typ in Kontakt zu bringen. Aber so wie hier geht es sehr gut.
Die Trauben wurden früh geerntet, der Wein ist deshalb sehr pikant und säurestark. 8 g Säure, 0 g Restzucker. 80% der Partien wurden im Betonei ausgebaut, 20% in Barriques von Darnajou. Der Holztouch ist dann auch viel eher Zimt als Vanille, also keine Süße, sondern eine feine Würze. Auch der Silvaner GG aus dem Stettener Stein (etwas weniger spürbarer Holzeinfluss) ist eine sehr helle, leicht grippige und fein-elegante Angelegenheit. Das sind recht zarte Langläufer, die im Chor der Tenöre vielleicht erst einmal ein bisschen dezent erscheinen mögen. Und sie verlangen auch, dass man sich ein wenig mit ihnen beschäftigt. Aber mir gefällt diese Interpretation außerordentlich. Das ist mir schon bei der ProWein aufgefallen, dann bei der VDP-Weinbörse, dann bei der Jahrespräsentation in Würzburg, dann blind beim Internationalen Silvanerpreis und schließlich jetzt in Berlin. Einmal kann man sich ja durchaus täuschen – aber fünfmal dieselbe Einschätzung, das klingt eher nach Kontinuität…
Wildes Württemberg
Wer hochwertige “klassische” Weine nach “klassischem” Verständnis schätzt (und diese Anführungsstriche deuten schon darauf hin, dass man jede Menge Diskussionen darüber führen kann), der ist bei VDP-Veranstaltungen goldrichtig. Wer aber ein paar wildere Weine abseits dieses geschmacklichen Weges sucht, der musste sich in Berlin schon ein bisschen Mühe geben. Nur zwei Weingüter hatten meiner Zählung nach diese “anderen” Geschmackstypen dabei. Zum einen Lotte Pfeffer-Müller vom Weingut Brüder Dr. Becker, die ich bei der ProWein 2016 zum ersten Mal getroffen hatte. Und zum anderen der Herr auf dem Bild oben, von dem man nur das Namensschild sieht.
Als ich Rainer Schnaitmann fragte, ob ich den Silvaner probieren könne, meinte er erst “Echt? Den?”, und ich fragte mich unwillkürlich, was denn an einem Ortswein aus Schnait (denn nichts anderes stand auf der Liste) so Besonderes sein könnte. Dann ging er aber zum Kühlschrank und holte eine unetikettierte Fassprobe heraus. Der Wein sei ansonsten schon abgefüllt und schmecke genauso. Goldgelb floss der Saft ins Glas. Als ich dann an einem der Tische stand, um meine Notizen zu machen, kamen gleich ein paar andere Besucher herbei und fragten mich, was ich da hätte und wollten es auch probieren. Es handelt sich bei diesem “gewöhnlichen Silvaner” nämlich um ein maischevergorenes Exemplar. Leicht malzig in der Nase, am Gaumen sehr trocken mit viel Grip, ein ideal glasweise zu genießender Wein zur Gemüseküche. Und da Rainer Schnaitmann einfach allgemein gute Weine macht, ist dieser Orange Wine ebenso gelungen.
Bitte nie mehr unterschätzen
Die Schwaben behaupten ja schon seit längerem, dass sie alles könnten außer Hochdeutsch. Wenn ich an die Anfangsphase meines Weininteresses denke, hätte ich seinerzeit allerdings auch bei der Weinqualität Zweifel anmelden können. Allerlei halbsüßes und sumpfiges Zeug geischterte da herum, und man wunderte sich nicht, weshalb württembergische Weine so eine geringe Exportquote (sprich: über die Bundeslandgrenze hinweg) aufwiesen. Aber das ist mittlerweile vorbei. Und zwar komplett. Ich meine damit nicht die relativ geringe Exportquote, denn die ist immer noch nicht berühmt, sondern ich meine die Weinqualität. An vielen Ecken und Enden gibt es Aufschwung im VDP-Regionalverband, eine junge Generation, ein ganz anderes Anspruchsdenken.
Stellvertretend dafür steht beispielsweise das Weingut Karl Haidle, dessen Weine hier Bärbel Frank präsentierte. Sie tat dies allerdings nur am zweiten Tag, weshalb ich diesen Abschnitt eigentlich erst im zweiten Teil bringen dürfte. In Wirklichkeit hatte ich nämlich zunächst das Große Gewächs Berge vom Lemberger getestet, und nachdem ich jenes ziemlich beeindruckend fand, bin ich auch wegen der anderen Weine zum Stand zurückgekehrt. Und es hat sich sehr gelohnt. Das Riesling GG Pulvermächer hat Noten von grüner Banane bei großer Frische und Seidigkeit. Das Spätburgunder GG Burghalde ist rauchig und charakterstark mit spürbarem Tannin. Das sind wirklich individuelle Weine, und ich empfehle hiermit allen Weinfreund/innen, diese charakterstarken Gestalten einmal zu probieren.
Was die Lemberger anbelangt, folgen jene tatsächlich erst im zweiten Teil meines Veranstaltungsberichts. Und damit schlendere ich trotz 30 Grad durch Berliner Häuserschluchten wieder zurück zu meinem Hotel und melde mich morgen wieder.
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