Rosé-Weine haben mit zwei Vorurteilen zu kämpfen: erstens ihrem Erfolg, zweitens ihrem Ruf. Es ist richtig, dass Rosé und Schaumwein die beiden Kategorien sind, die in den letzten Jahren weltweit den stärksten Zuwachs bei Herstellung und Absatz hingelegt haben. Es ist aber genauso richtig, dass gute Restaurants in ihren Weinkarten zwar Seite um Seite Rot- und Weißweine auflisten, dem Rosé aber meist nur ein verschämtes Eckchen zugestehen. Ist halt ein Spaßwein, ein Sommergetränk, für Ahnungslose, Brangelina-Fans, knapp oberhalb von Alkopop. Was hier und heute in Bonn allerdings auf den Tisch kam, ist dazu geeignet, sämtliche, in Großbuchstaben SÄMTLICHE Vorurteile über harmlose Rosé-Weine über den Haufen zu werfen. “Rosé-Extremismus” hat Co-Gastgeber Christoph die Sache treffend betitelt. Also stürzen wir uns in den Strudel und verschieben unsere Grenzen.
19 Rosés standen auf dem Programm, durch das wir uns entsprechend unter großen Mühen kämpften. Damit ihr beim Lesen nicht dieselbe Qual erleiden müsst, stelle ich zunächst lediglich meine fünf Favoriten vor. Wer daraufhin zu Recht meint, dass das ja wohl nicht alles gewesen sein könne (zumal es sich um eine persönlich gefärbte Auswahl handelt), findet weiter unten dann auch noch die Notizen zu den anderen Weinen. Getestet wurde immer paarweise und blind, nach jeder Runde wurde aufgedeckt.
Eines kann ich schon einmal vorwegschicken: Natürlich lag es auch an dem umfassenden Marktüberblick von Christoph, dass die Rosés eine Bandbreite aufwiesen, wie sie größer kaum vorstellbar wäre. [Okay, doch, er hätte zusätzlich ein paar uninspirierende Tropfen präsentieren können…] Mir ist bei dieser Probe jedenfalls klar geworden, wie viel Individualität und Charakter man als Winzer in die Weinfarbe Pink geben kann.
Da sich am großen Tisch in Siggis Domizil eine nicht unerhebliche Kompetenz in Wein- und Küchenfragen zusammengefunden hatte, wurde auch deutlich, dass dem Rosé als Speisenbegleiter eigentlich keine Grenzen gesetzt sind. Von mediterranen Speisen über Kimchi bis Käsebrot – es gibt immer einen Rosé, der dazu passt.
Meine fünf Favoriten
1. Terroir Al Límit, Roc d’Aubaga 2017, Spanien, 12,5 vol%
Dominik Hubers Monster aus den Bergen. Nicht als regulärer Wein auf der Website gelistet, sondern nur in einigen Jahrgängen zu haben. 100% Grenache mit einem minimalen Stinker in der Nase und einer gewissen Rauchigkeit. Am Gaumen ist dies ein Wein, der nicht fruchtig schmeichelt, sondern karger ist, straffer, mit einem gewissen Tanningrip ausgestattet. Ein exzellenter Speisenbegleiter ist das ohne jede Frage, zudem noch ein Wein für Liebhaber des Individuellen. Das bin ich ganz zweifellos.
2. López de Heredia, Viña Tondonia Gran Reserva 2008, Spanien, 12,5 vol%
Da wir ja erst einmal blind testen, kann ich auch nichts dafür, dass mir ausgerechnet dieser rare Kultwein so gut gefallen hat. Eine deutlich präsente Säure gibt es, Erdbeerfrucht, mit zunehmender Öffnung mehr Minze. Frische und Gehalt kommen hier auf einmalig ausgewogene Weise zusammen. Christoph meint, soweit er weiß, stellt López de Heredia auf 1.000 Flaschen Rotweine nur eine Flasche Rosé her. Schade, dies ist ein wunderbarer Wein. 60% Grenache, 30% Tempranillo und 10% Viura = Macabeu.
3. Domaine de Bablut, Cabernet d’Anjou 1967, Frankreich, o.A.
Am Schluss des Abends (ich habe hier ja mit der Reihenfolge der Darreichung gebrochen) folgt noch dieses Schätzchen: Eher orangefarben als rosa, aber ganz transparent. Viel Honig und ein bisschen Laktik in der Nase, im Mund Hagebutte, geräucherter Pimentón, ein wahrhaft in Würde gereifter Wein. Ich tippe auf 40 Jahre und liege da schon weit über den sonstigen Einschätzungen, aber der Wein ist tatsächlich noch älter. 52 Jahre alt, um genau zu sein. Eine Cuvée aus Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc, einstmals der Appellation entsprechend mit etwas Fruchtsüße abgefüllt. Von der ist jetzt überhaupt nichts mehr zu spüren, aber ich möchte behaupten, dass sie mit dafür verantwortlich war, weshalb sich dieses Schätzchen so wunderbar gehalten hat. Ein großer Moment.
4. I Vigneri, Vinudilice 2013, Italien, 12,5 vol%
Eine tiefere Orangefarbe steht im Glas. In der Nase spüre ich malzige und sehr komplexe Noten, über die man wahrscheinlich auch mehrere Minuten reflektieren kann. Am Gaumen finde ich, dass ein gewisser Naturel-Charakter durchkommt, eine schwefelarm erscheinende, wildere Art. Jemand anderen erinnert der Wein an Erdbeerbowle. Ich finde ihn gleichzeitig frei und individuell, aber auf der trinkigen Seite bleibend. 20 Rebsorten, 150-200 Jahre alte Reben von 1.300 Metern Höhe am Ätna. Allein wegen dieser Rahmenbedingungen muss es diesen Wein einfach geben, so viele Geschichten in einer Flasche.
5. Domaine Le Roc des Anges, Les Vignes Métissées 2017, Frankreich, 12,5 vol%
Dieser Wein wurde zusammen mit dem Vinudilice im selben Flight gereicht. Der Grund dafür ist die Tatsache, dass es sich jeweils um Gemischte Sätze handelt, um uralte field blends. Hier sind es immerhin noch 16 Rebsorten, die im französischen Roussillon gemeinsam geerntet und verarbeitet werden. Das Interessante an den beiden Weinen ist aber auch, dass die Winzer sie komplett unterschiedlich interpretieren. Salvo Foti lässt dem wilden Spiel ein bisschen seinen Lauf, während die Galets hier eigentlich einen Weißwein im Stil eines edlen Burgunders kreieren. Extrem hell in der Farbe, deutlicher Holzeinfluss, viel Säure, viel Reifepotenzial. Im ersten Moment unterschätze ich den Wein deshalb ein wenig, aber dies ist definitiv ein Produkt, das noch einige Jahre benötigt.
Das Rosé-Paar zum Essen
Wie gut sich Roséweine tatsächlich als Speisenbegleiter machen, musste natürlich in der Praxis getestet werden. Köln- und Food-Profi Torsten hatte dabei hervorragende Rohware aus Ehrenfeld mitgebracht, und zwar von der Metzgerei Atila Tosun. Die Köfte hat Torsten erst vor Ort gerollt und dann zusammen mit den Merguez draußen auf dem Holzkohlegrill in den richtigen Zustand versetzt. Einen Couscous-Salat gab es ebenso wie einen Salat aus Wassermelone und Feta.
Domaine de l’Horizon, Rosé 2012 (Magnum), Frankreich, 13,5 vol%
Zwei Weine werden zum Essen gereicht. Der Domaine de l’Horizon kommt dabei sehr frisch daher. Das ist die “Schule Gauby” mit der Domaine Gauby selbst, mit Matassa, mit Horizon und noch ein paar anderen, die in und um das Dörfchen Calce herum Frische in mediterranen Weinen neu definiert haben. Sowohl diese Säurepikanz als auch die Aromen passen hervorragend zu den Köfte und vor allem zum Wassermelonen-Salat, und zwar als komplementäres Element.
Clos Cibonne, Tibouren 2012 (Magnum), Frankreich, 13 vol%
Der Clos Cibonne aus der Provence, der fast ausschließlich aus der so gut wie nie solistisch eingesetzten Rebsorte Tibouren besteht, ist zwar farblich ganz ähnlich wie der Horizon, entpuppt sich dann aber als deutlich flächiger mit weniger Spitzen. Diese Weinsouveränität harmoniert ideal mit den leicht scharfen Merguez. Das nicht nur der Schärfe-Fläche-Kombination wegen, sondern auch in aromatischer Hinsicht, weil die Würstchen aus dem Hause Tosun eine feine Zimtnote besitzen. Zwei Klassiker im Glas, zwei Klassiker auf dem Teller.
Alles, was noch fehlt
There’s more to Rosé than this. Wie unterschiedlich man Rosé interpretieren kann, ahnt man schon beim flüchtigen Blick auf das Weinpärchen auf dem obigen Foto. Hier also alle restlichen Weine, die es nicht in meine Top 5 geschafft haben (aber möglicherweise dafür in die Top 5 der anderen anwesenden Freaks).
Alta Alella, Capsigrany Cava 2015, Spanien, 12 vol%
Mit Cava tue ich mich immer ein bisschen schwer, weil ich die sehr staubig wirkende Art des Macabeu ein bisschen schwierig finde. Hier gibt es aber 100% Xarel.lo, und die Welt ist sehr in Ordnung. Oxidativ, Grip, Bratapfel, Hefeteig, Orangenzeste, Korianderkörner, moderate Säure und kein zugesetzter Schwefel.
Champagne Marguet, Ambonnay Grand Cru Brut Nature 2011, Frankreich, 12,5 vol%
Die meisten fanden das folgende Champagner-Pärchen ein bisschen zu dezent, aber mir hat zumindest dieser hier ziemlich gut gefallen. Straff, ordentlich Säure, Autolyse-Note, keine Dosage auch, zwei Drittel Chardonnay, ein Drittel Pinot Noir.
Champagne Françoise Martinot, Bistrotage Extra Brut 2011, Frankreich, 12 vol%
Erdbeerig, fruchtiger insgesamt, saftiger, und das liegt nicht nur am mit 3,7 g leicht höheren Restzucker. Rosmarin und leichtes Tanningefühl.
Immich-Batterieberg, ROB 2018, Deutschland, 13 vol%
Ein “kleiner” Wein an sich für ca. 10 €, Spätburgunder aus Zukauf, aber vom Dhroner Hofberg, also einer echten Spitzenlage. Typische Erdbeer-Himbeer-Noten, sehr weinig und mit relativ wenig Säure in diesem extrem heißen Jahr.
Alphonse Mellot, Sancerre La Moussière, Frankreich, 13 vol%
Derselbe Jahrgang, dieselbe Rebsorte, dieselben Herausforderungen, aber anders gelöst: Gelblicher in der Farbe, Mandarine und Grapefruit in der Nase, im Mund für mich eine leicht grüne Unreife-Note und Cassis. Extrem frühe Lese dürfte der Grund dafür sein.
Arnot-Roberts, Touriga Nacional 2018, USA, 11,5 vol%
Frisch, erdbeerig, leicht, sehr jung – und für mich ehrlich gesagt der harmloseste Wein im Test. Touriga Nacional ist eine tolle Rebsorte, und diese Leichtigkeit und Frische sind in Kalifornien auch selten, aber es gab weitaus Interessanteres heute.
Brand, Wildrosé 2017, Deutschland, 10,5 vol%
Rotrosa und trüb in der Farbe, typische Naturwein-Nase. Am Gaumen dann mit allem, was die einen genauso lieben wie es die anderen hassen: wild, trüb, Säure, leichte Flüchtigkeit, sehr anders als ein Krawatten-Wein, eindeutig der Typ Glou-Glou. Paula und Bini vom Kochu Karu lieben den Wein, der würde super zur Korea-Küche passen. Es ist aber weniger etwas für den deutschen Supermarkt, das dürfte klar sein.
Scheuermann, Anima Rosé 2017, Deutschland, 12,5 vol%
Reintöniger als der Brand, Süßkirsche, nicht so wild, ein bisschen tiefergelegt unterwegs. 100% Merlot, und viele finden den Wein ziemlich gut. Für mich weniger spannend, aber wahrscheinlich braucht er einfach viel Luft.
Sylvain Pataille, Marsannay Fleur de Pinot 2012, Frankreich, 13 vol%
Kräuterige Nase, Fenchel, dezent Lauch gar, sicher Holzeinfluss. Am Gaumen alles da, also Säure, Frucht, Tiefe, Pikanz, Erdbeerfrucht. Etwas leichter und floraler als der Viña Tondonia, mit dem er in einem Flight stand. Schöner Wein, uralte Weinberge, mir persönlich aber ein bisschen zu pflanzlich, um mit dem Tondonia mitzuhalten.
Château Simone, Palette Rosé 2017, Frankreich, 14,5 vol%
Rosafarben, weichholzige Nase, insgesamt weich, weit, tief gehalten, ein kleiner Touch Bitterkeit auch. Ich finde ihn derzeit ein bisschen zu schwer (was sich nach dem Aufdecken ja beim Alkoholgehalt bestätigt), aber das ist ein Wein, dem die RVF-Journalisten immer 20 Jahre Reifezeit zugestehen.
Christian Tschida, Himmel auf Erden Rosé 2017, Österreich, 12 vol%
Das krasseste Ding am heutigen Abend, tief verwurzelt in der Naturel-Szene. Erdbeersaftfarben, trüb, Sauerkirsche in Nase und Mund. Ein extrem sauer-saftig-wilder Typus, an dem sich die Geister scheiden. Torsten fragt in die Runde, wem der Wein Spaß macht, und wir Zustimmer sind immerhin zu Viert. Das ist ein einfacher Sauerschluck für mich, aufreißen, gekühlt trinken. Weinigkeit ist natürlich etwas anderes.
Pheasant’s Tears, Poliphonia 2017, Georgien, 12,5 vol%
Hier folgt dafür ein Wein, bei dem die meisten anderen schwerer begeistert waren als ich. Gut, ja, mir gefällt der Wein auch nicht schlecht. Rauchig, komplex, sehr individuell, und natürlich sind wir dann alle beeindruckt von den 416 Rebsorten, die angeblich in diesen Wein geflossen sind. Allerdings erinnert er mich stark an einen Mischsatz-Wein aus dem Friaul, an dessen Namen ich mich leider nicht mehr erinnern kann. Der hatte auch große Mengen an Rebsorten in sich vereint, und ebenso waren es die Aromasorten – Muskateller und Traminer nebst Artverwandten – die besonders stark hervorstachen. Dieser Georgier ist mir deshalb ein bisschen zu parfümiert und auch zu süßlich gehalten. Trotzdem, eine Rarität, keine Frage.
Ausklang und Fazit
Zum Abschluss gab es noch etwas Feines ganz anderer Provenienz, was dem Umstand zu verdanken war, dass Gernot Kollmann vom Weingut Immich-Batterieberg unter uns weilte. Mitgebracht hatte er zweimal den namensgebenden Riesling aus dem Batterieberg, GG-Art, Steilstlage, komplette Handarbeit, einer der Idealisten, die Thorsten Melsheimer mir beim Interview genannt hatte.
Beide Weine wirken noch extrem jung mit einem wahnsinnigen Reife- und Entwicklungspotenzial. Der 2013er hat ein leichtes Zuckerschwänzchen mitgebracht von analytisch nur 7 g, aber die Rosés davor waren zum Teil ja auch knochentrocken. Der Wein hat Grip, Aromen von Tarte au Citron, Mineralität, und ist im Moment tatsächlich ziemlich lecker. Noch schöner fand ich sogar den 2011er mit viel Extrakt und wenig Fruchtsüße von nur 2 g RZ. Ich weiß, dass es sich immer etwas daneben anhört, wenn man bei einem Winzer, der die Weine ja jetzt verkaufen muss, von einem Höhepunkt in 20 Jahren spricht. Und fraglos kann man die Weine jetzt schon mit Genuss trinken. Ich persönlich werde meinen Batterieberg aber trotzdem erst zu gegebener Zeit aus dem Keller holen…
Was bleibt da bitteschön noch übrig als Fazit? Ein fantastischer Abend war es mit netten Leuten, interessanten Gesprächen und Varianten von Rosé galore. Riesige Dänke ergehen folgerichtig an diejenigen, die diese Zusammenkunft möglich gemacht haben. Rosé kann großartig, vielseitig, horizonterweiternd, gesprächsanregend und gleichzeitig schmackhaft sein. Wer das nicht glaubt, darf sich ruhig ein oder zwei oder auch drei der von uns getesteten Schätzchen kaufen. Und zwar nicht nur für den Sommer…
Hallo Matthias,
auch mir war es eine große Freude, dass ich dabei sein durfte und konnte.
Christoph und Siggi sind natürlich ein dream-team, weil Siggi so ein freundlicher und entspannter Gastgeber ist und Christoph ein Wissen um Wein und eine Beschaffungsbreite bietet, die ihresgleichen sucht. Was hat er schon für schräge aber immer tolle Bouteillen geöffnet! Diesmal kam er auch noch mit diesem super Melonensalat mit Feta und Minze um die Ecke.
Immer ein Gewinn in der Küche ist sowieso Torsten Goffin mit seiner Lust am Brutscheln und Braten und Kombinieren.
Grenzen verschieben – Deine Überschrift trifft es 100%ig. Was am Abend flüssig wie fest von Marguet bis Merguez, von Tibouren bis Tabouleh und von Marsannay bis Melone auf den Tisch kam, zeigte mir auch, warum es gut ist, dass die Bundesrepublik ein Einwanderungsland ist. Wein ist ein politisches Getränk!
Die Probe ist schon jetzt eines meiner Weinhighlights des Jahres.
Und es war toll und sehr interessant, Paula, Bini und Gernot kennenzulernen und mit Ihnen zu diskutieren.
Herzliche Grüße
Thomas
Lieber Thomas, du hast alles gesagt 🙂 Ich glaube, den Wassermelonensalat probiere ich jetzt auch mal. Schließlich ist der Sommer noch nicht vorbei (schwitz…)
Vielen Dank ihr beiden!
Wassermelone, Feta, Minze, Sesamsamen und in diesem Fall leicht geröstetes Sesamöl, That’s it.
Das hört sich machbar an 😉 !
Ich gerade hab’s gerade getan 😉
Die Familie war angenehm überrascht.
Schönes Wochenende allerseits!
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