Ja, natürlich, es gibt die bulgarische Rose. Und ebenfalls ja, vom Verstand her wissen viele, dass Bulgarien wunderbare Landschaften mit Bergen und Meer besitzt, eine uralte Weinkultur und mit Plovdiv jetzt auch aktuell die europäische Kulturhauptstadt. Aber wenn man Menschen bei uns fragt oder sich die Überschriften deutscher Medien durchliest, wird dort viel öfter von Armut, Abwanderung, Alt-Kommunismus, undurchsichtiger Politik und auf der Habenseite höchstens von Billigreisen ans Schwarze Meer die Rede sein. Das ist einerseits tragisch. Andererseits gilt es aber, dieses leicht verkorkste Image auch als Bulgarien-Freund nicht zu verdrängen, sondern damit zu arbeiten. Denn es bringt ja erfahrungsgemäß wenig, wenn man die Menschen dazu animiert, “ja ja” zu sagen, wenn sie weiterhin in Wirklichkeit “nein nein” denken und tun. Diese Gedanken durchfuhren mich, bevor ich bei der ProWein den Stand des bulgarischen Weinguts Zagreus besuchte.
Am Stand wurde ich dann sofort auf Deutsch begrüßt. Elisabeth Kostadinov-Huber hat ihren späteren Mann Dimitar nämlich beim Studium in Linz kennengelernt. Die beiden beschlossen, genau in die andere Richtung zu gehen als alle anderen, nämlich (zurück) nach Bulgarien, um dort ein ganz neues Weingut sprichwörtlich aus dem Boden zu stampfen. Und zwar nur eine halbe Stunde von Plovdiv entfernt. Seitdem hat sich wirklich unglaublich viel getan.
Die ersten Weinstöcke wurden im Jahr 1999 gesetzt – neben Mavrud auch die üblichen roten Rebsorten aus Frankreich, die allerdings in Bulgarien schon seit über 100 Jahren zu Hause sind. Mittlerweile stehen nicht weniger als 120 ha unter Reben, seit 2013 auch komplett biologisch zertifiziert. Weil Elisabeth nicht ausschließlich Winzerin ist, sondern auch als Coach arbeitet, kann man auf dem Weingut Seminare machen, in denen sich Hedonistisches und Spirituelles verbinden. Zudem wird auf 4 ha Einkorn angebaut, und kaltgepresstes Traubenkernöl machen sie auch noch. Hoppla, fragt man sich doch da unwillkürlich – ist sowas eigentlich mit unserem tristen Bulgarien-Bild vereinbar? Privatleute, die mit viel Power und ordentlichen Investitionen etwas Neues aufbauen?
Wer ist Zagreus?
Zagreus ist der thrakische Gott des Weins, denn die Thraker waren es, die den Weinbau in dieser Gegend vor über 2.000 Jahren groß gemacht haben. Ich hatte mich beim Probieren der Weine auf die einheimische Rebsorte Mavrud konzentriert, zumal sie ohnehin 50% der Anbaufläche bei Zagreus ausmacht. Wie alt die Rebsorte exakt ist, weiß man nicht. Im Prinzip wird sie in der Gegend von Plovdiv “schon immer” angebaut, vermutlich seit der Antike. Man darf die Traube übrigens nicht mit der Mavrodaphne oder anderen Mavro-Rebsorten verwechseln. Mavro heißt auf Griechisch nun einmal einfach “schwarz”. Obwohl Mavrud ganz eindeutig eine Rebsorte hoher Qualität ist, gehört sie mit etwa 2% der gesamten Rebfläche in Bulgarien quantitativ noch nicht einmal zu den Top Ten. Vielleicht ändert sich das ja künftig.
Die Weine
Ich probiere von Zagreus einen Blanc de Noirs aus 100% Mavrud, ein interessanter und ausgesprochen aromatischer Wein (5,30 € bei Bossev, dem Importeur für Deutschland). Bereits der kleine Mavrud Tiara 2017 (5,30 €) zeigt dann schon, in welche Richtung die Reise geht. Vier bis sechs Monate in zweitbelegten Fässern aus bulgarischer Eiche ausgebaut, haben wir hier ein südlich-reifes Exemplar vor uns. Noch interessanter wird es mit der Mavrud Reserve 2016 (7,40 €). Ein Jahr Eichenholzausbau, 13,5 vol%, in der Nase erst ein bisschen pflaumig-überreif, am Gaumen dann aber mit viel Kraft und Ausgewogenheit. Es gibt Säure, es gibt Frucht, es gibt Tannin. Die Frucht pendelt zwischen roter Pflaume und (für mich tatsächlich eher) Kirsche. Erst dachte ich als Vergleich an einen Primitivo aus Süditalien, aber dafür ist der Mavrud letztlich zu frisch. Ein guter Valpolicella (eher in die Ripasso-Richtung) passt aromatisch schon eher, aber der Mavrud hat mehr Gerbstoffe.
Noch eine Stufe darüber befindet sich der Vinica (gesprochen: Vinitza) 2016 (14,90 €). Die reifen und gesunden Trauben – dem kontinentalen Klima sei Dank – wurden Anfang September geerntet und anschließend zwei Monate lang luftgetrocknet. Wie bei einem Amarone also. Herausgekommen ist logischerweise ein reichhaltiger Wein mit 14,5 vol%, der aber nie verbrannt oder anderweitig over the top wirkt. Die Parallelen zum Amarone sind augenfällig, und es erscheint mir durchaus möglich, dass der Vinica als Pirat in einer Blindprobe richtig abräumt. Noch traditioneller wirkt dann der Mavrud Noble 2012 (14,90 €), 90 g RZ bei immerhin noch 14 vol%. Ein Elixir mit ganz viel von allem. Entsprechend wird er auch in der kleinen Flasche angeboten, denn hier meditiere ich über antike Verse anstatt die großen Schlucke gegen den Durst zu nehmen.
Welche Zukunft hat eigentlich der Weinbau in Bulgarien?
Das ist eine sehr gute Frage. Aber ich befürchte, dass sie zu komplex ist, um an dieser Stelle umfassend diskutiert zu werden. Fakt 1 ist sicherlich, dass Bulgarien bezüglich der natürlichen Gegebenheiten und der uralten Traditionen eigentlich ein Spitzen-Weinland sein müsste. Fakt 2 sind die geringeren Produktionskosten im Vergleich mit den prestigeträchtigen europäischen Weinländern. Obwohl es sich um zwei positive Punkte handelt, scheint die Kombination aus beiden tatsächlich ein bisschen Teil des Dilemmas zu sein.
Geht man bei der Verkaufsstrategie nämlich über den günstigen Preis und füllt die unteren Reihen der Supermarktregale, nützt das vielleicht zunächst einmal dem Absatz. In den 1990er Jahren hatte es das Weingut Domaine Boyar beispielsweise mit dem Slogan “Does it matter where it comes from?” versucht. Aber hilft so etwas dabei, die Region mit einem besseren Image auszustatten? Denn nur mit einem guten Image werde ich die hochwertigeren Weine überhaupt los. Und – das ist vielleicht noch wichtiger – ist eine solche Argumentation, die den sense of place geradezu negiert, geeignet, den Menschen dort ein besseres Selbstwertgefühl zu vermitteln? Doppelnein, würde ich sagen.
Insofern macht Zagreus vermutlich genau das Richtige: Sie verschweigen nicht, woher sie kommen, sondern sie haben sogar mit dem Mavrud eine autochthone Rebsorte für ihre besten Weine im Programm. Und allein mit ihrem Namen beziehen sie sich auf antike Zeiten, auf vergangene Hochkulturen, die genau dort präsent waren. Damit machen sie es zumindest den Bulgarinnen und Bulgaren selbst leichter, einen einheimischen Wein mit einem gewissen Stolz kaufen und auch präsentieren zu können.
Ob das bereits ausreicht, um andere Menschen bei der Erwähnung des Namens Plovdiv so träumen zu lassen wie bei, sagen wir mal, Aix-en-Provence? Nein, natürlich nicht. “Schönes Bulgarien” als Wortkombination, das müssen wir vielleicht noch lernen. Aber ein Anfang ist gemacht, dem andere folgen können. Und bekanntlich – diese Plattitüde möchte ich zum Schluss nicht verschweigen – wurde Rom ja auch nicht an einem Tag erbaut.
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