Wie wird man, so habe ich mich gefragt, einer Veranstaltung gerecht, bei der es 15 ganz besondere Weine zu verkosten gab? Weine, die man nicht auf großen Messen findet, in der Regel weder im Shop von Online-Händlern noch beim Spezialgeschäft in der Innenstadt. Weine, die von uralten Weinstöcken stammen und von gemischt angepflanzten Rebsorten, deren Namen den meisten Weintrinkern in Deutschland völlig unbekannt sind. Gehegt und gepflegt, vom Aussterben bewahrt. Es ist eine fast noch stärker kulturelle denn genussorientierte Aufgabe, der sich die engagierten Winzerinnen und Winzer verschrieben haben, die hier in Würzburg zusammengekommen waren. Wie also dem gerecht werden? Meine Top 3 beschreiben? Nein, das würde nicht passen. Hier folgen also alle 15 Weine, meinem selbstdisziplinarischen Vorhaben zum Trotz, künftig auf ermüdende Maxi-Artikel zu verzichten…
Wein und Würzburg
Wein und Würzburg – das gehört zweifellos zusammen. Also musste ich vor der Veranstaltung noch schnell in den Stein gehen, Würzburgs bekannteste Lage. Wenn ich so darüber nachdenke, ist es wahrscheinlich die bekannteste Lage weltweit, die sich innerhalb der Grenzen einer Großstadt befindet. Okay, bis auf Bordeaux mit Château Haut-Brion. Was es mit dem “terroir f” auf dem Schild auf sich hat, könnt ihr übrigens hier nachlesen.
Ein paar Worte noch zur Veranstaltung, über die ich hier berichten werde: Es ist schon das fünfte Mal, dass das Slow Food-Convivium Mainfranken-Hohenlohe zu einer großen Probe “Alter Sätze” geladen hatte. Zugelassen waren allerdings nicht nur die wurzelechten Mischsätze, über die ich hier schon einmal länger berichtet hatte, sondern auch Weine aus historischen Rebsorten. Jene hatte ich von ein paar Jahren in Bonn unter die Lupe genommen. Moderiert wurde die Veranstaltung vom “praktischen Mastermind” (wenn ich das so sagen darf) Josef Engelhart von der LWG Veitshöchheim, dessen Verdienste um diese Alten Sätze in Franken man gar nicht hoch genug schätzen kann. Last but not least war auch noch Andreas Jung als Vortragender zugegen, der mit seiner unglaublichen Sammelarbeit viele der historischen Rebsorten erst zum neuen Leben erweckt hat.
Eine Sache ist jedoch noch wichtig zu wissen im Zusammenhang mit historischen Rebsorten und Alten Sätzen: Es gibt kein Handbuch, in dem man nachlesen kann, wie mit diesen alten Rebsorten umzugehen ist. Vieles ist trial & error, jeder Jahrgang wird oft extrem anders als der vorhergehende. Bei den Mischsätzen ist das sogar Teil des Prinzips, indem sich die Rebsorten je nach Witterung ergänzen. In jedem Fall sind wir bei diesen Weinen oft noch in einer Stufe des Experimentierens und des Sammelns von Erfahrungen, die man anderswo schon längst nicht mehr kennt. Auch deshalb finde ich sie so spannend.
Bürks & SlowFood – Ickelheimer Schlossberg
Der Ickelheimer Schlossberg (die Links gehen zur Seite weinlagen.info, wo ihr euch die Situation aus dem Luftbild anschauen könnt) liegt bereits in Mittelfranken, nicht allzu weit von Bad Windsheim entfernt. Den Weinberg haben die Slowfoodies dank 60 Rebstockpaten wieder mühsam aufgebaut. 2017 wurden noch 700 l Most geerntet, 2018 wegen der Trockenheit nur 200 l. Bewirtschaftet wird seit diesem Jahrgang ökologisch, in drei Jahren gibt es dann das Bio-Zertifikat. Ausgebaut wird der Wein bei Ulrich Bürks.
Das Etikett ist schon neu, der Wein in der Flasche aber in Wirklichkeit der 2017er. 10,1 vol% bei ca. 5,6 g Säure und weniger als einem Gramm Restzucker pro Liter. Eine karge Angelegenheit bereits auf dem Papier. In der Nase zurückhaltend birnig, im Mund dann mit deutlich präsenter Säure, Rauchigkeit, grüner Walnuss und spürbar wenig Alkohol. Sehr ungeschminkt und pur. Die Brüder Giachino, Biodynamiker aus Savoyen, machen übrigens bewusst einen ihrer Weine so. Auch voll durchgegoren hat der “Primitif” nur 9 vol%, ist ungeschwefelt, sehr erfrischend – und sehr erfolgreich bei jungen Weintrinkern. Das nur nebenbei. Hier beim Alten Satz wird der Nachfolgejahrgang allerdings völlig anders, was man schon an der wesentlich dunkleren Farbe sehen kann. 2018 waren die roten Trauben widerständiger. Das Gegenteil der Standardisierung, ich sagte es ja schon.
Peter Götz – Zeller Schlossberg
Zell am Ebersberg mit seinem Schlossberg ist vielleicht das Epizentrum der Alten Sätze. Neben Peter Götz keltert auch Nico Scholtens Weine aus verschiedenen Schlossberg-Parzellen (folgt weiter unten noch). Dieser Wein ist eine Fassprobe von 2018 aus einer ursprünglich 1850 angepflanzten Parzelle mit vereinzeltem Neuaufbau. Der Stockabstand ist eng und der Fruchtansatz so tief, dass man zur Ernte knien muss. Von den 1.000 m² holt Peter Götz je nach Jahrgang 400-600 Liter. Der Wein ist spontanvergoren, nicht geschönt und liegt noch auf der Vollhefe. Eventuell kommt er zum weiteren Ausbau noch ins Holzfass, und wiederum eventuell wird er auch unfiltriert abgefüllt.
Grüne Noten in der Nase, zunächst etwas Stachelbeere, aber das vergeht wieder. Hefig ist der Wein natürlich noch, und man spürt, dass hier viel Silvaner in einem warmen Jahrgang am Werk war. Der Wein ist sehr würzig mit spürbarem Glycerin, die grüne Note wird zu Kerbel, die Würze immer offener mit zunehmendem Lufteinfluss. Logischerweise weit weg noch von seinem Höhepunkt, aber jetzt schon sehr nachhaltig.
Hümmler & Landkreis – Frantiquo Hammelburg
Ob in Hammelburg an der Fränkischen Saale tatsächlich zum ersten Mal im Frankenland Wein gekeltert wurde, das wird man sicherlich nie herausfinden. Aber sie haben die älteste Urkunde, die den dortigen Weinanbau belegt. Aus dem Jahr 777 stammt sie, und nur ganz unwesentlich jünger ist der Weinberg, aus dem der abgebildete Wein geholt wurde. Halt, das stimmt ja gar nicht. Der Weinberg ist nämlich ein bisschen das Baby von Josef Engelhart und damit logischerweise keine 200 Jahre alt. Im Jahr 2015 wurde er im alten Mischsatz angelegt, ein richtig gutes Terroir auf Muschelkalk, umgeben von Obstbäumen, nicht gedüngt und biologisch bewirtschaftet von Marcel Hümmler. Unterstützt übrigens vom Landkreis Bad Kissingen, das sollte auch lobend erwähnt werden.
Es handelt sich bei dem Wein wiederum um eine 2018er Fassprobe. Nun ist es ja so, dass sich Weine in ihrem frühesten Stadium manchmal sehr unterschiedlich gebärden. Der eine gärt zügig durch und zeigt sich schon sehr offen, der andere ist ein Spätzünder und verrät im Fass noch überhaupt nichts, und wieder einer hat Ups und Downs, durch die er hindurchfinden muss. Das ist bei Weinen aus dem Mischsatz, bei denen ja jedes Jahr je nach Witterung unterschiedliche Rebsorten die Oberhand besitzen, gleich dreimal so.
Ich schicke das vorweg, weil wir Weine in der Probe dabeihatten, die sich sichtlich in unterschiedlichen “Gefälligkeitsstadien” befanden. Wenn sich das Fassprodukt derzeit schwierig zeigt, muss es nicht bedeuten, dass der abgefüllte Wein in drei Jahren nicht vielleicht hell strahlt wie ein Stern. So auch bei diesem Wein, der lediglich Säure sowie eine gewisse Restsüße zeigt, leicht flüchtige Noten, aber kaum Frucht. Insofern: abwarten.
Otmar Zang – Rimbacher Landsknecht
Wenn es denn irgendeinen Alten Satz gibt, der es geschafft hat, einen größeren Bekanntheitsgrad zu erreichen (mit einem entsprechenden Renommee), dann ist es dieser Wein, den uns Johannes Zang mitgebracht hat. Der Alte Satz im Rimbacher Landsknecht liegt auf einer leicht schrägen Wiese oberhalb eines Karpfenteichs, ringsherum Getreidefelder. Mit dem ursprünglichen Pflanzjahr 1835 haben wir hier (solange nichts Gegenteiliges bekannt ist) den ältesten Weinberg Deutschlands vor uns. Es gibt zwar ein paar einzelne Rebstöcke, die noch älter sind, aber aus denen wird kein Wein auf die Flasche gezogen. 60% Elbling stehen im Weinberg, und die Reife beim Elbling bestimmt dann auch den Erntezeitpunkt.
Auch dies ist eine 2018er Fassprobe, aber mit 13 vol% bei 6 g Säure und 0,6 g Restzucker stehen wir hier schon im reiferen Bereich. Zum ersten Mal wurde der Wein komplett spontanvergoren, und er soll noch 4-6 Wochen auf der Hefe bleiben bis zur Füllung. Geschmacklich muss man sich den Wein wie einen etwas kargeren Silvaner vorstellen, der dafür aber hinten mehr Feuer hat. Es gibt weißen Pfirsich, Birne und Nussigkeit, durch die Säure eine gewisse Pikanz, aber alles sehr sauber, sehr ausgewogen, sehr trocken, schlichtweg ein guter Speisenbegleiter, vor allem von Gemüsegerichten. Und insgesamt in seiner Entwicklung schon wesentlich weiter als andere Fassproben.
Thürauf Glocke – Vitus
Rothenburg ob der Tauber ist für alles Mögliche bekannt, für große Feste, viele Touristen, eine großartige Altstadt und auch eine wirklich romantische Umgebung mit verwunschenen Seitentälern. Glaubt mir, ich kenne mich da relativ gut aus. Wofür Rothenburg allerdings nicht (mehr) so bekannt ist, das ist der dortige Wein. Erst relativ gegen Ende des 20. Jahrhunderts wurde der Südhang zur Tauber hin rekultiviert und mit einer großen Zahl an Rebsorten bepflanzt. Albert Thürauf kombiniert sie (und Trauben aus Tauberzell, einige Kilometer tauberabwärts) zu verschiedenen Cuvées, und der rote Vitus besteht aus Süßschwarz, Blauem Affenthaler und Hartblau.
Dies ist der beste Wein nach meinem subjektiven Geschmack, den ich bislang von diesem Weingut probiert habe. Nun ist das von der Aussage her nicht ganz dasselbe, als würde ich sagen, “mein bislang bester Wein von der Côte de Nuits”, aber ihr versteht sicher, was ich meine. Dieser 2017er mit 11 vol% ist definitiv herb, also richtig herb, aber in einem animierenden Sinn. Es gibt Himbeere, es gibt grüne Kräuter, Minze, erstaunlich viel Gerbstoff, einen schlanken Körper – aber alles sauber und trocken. Anhänger weichholziger Gaumenschmeichler, dieser Wein wird euch nicht gefallen. Hier kräutert, beißt und frischt es aus dem Glas.
Vortrag Andreas Jung
Andreas Jung ist Wissenschaftler, Spurensucher, Tüftler, Rebenretter. Das Spannende dabei ist nicht nur, dass er single-handedly eine dreistellige Anzahl ausgestorben geglaubter Rebsorten wiedergefunden hat, und das an solchen Orten wie Zappendorf im Salzatal, die seit der Reblauskrise keinen Wein mehr gekeltert haben. Das Spannende ist auch sein Ansatz. Er geht nämlich von geschichtlichen Zusammenhängen aus, von Stammesnamen, von Wortendungen, etymologischen Bedeutungen, Trink- und Bestattungsriten. Hat er entsprechende Indizien für Ähnlichkeiten gefunden, vergleicht er die Blattformen der Rebsorten miteinander. Wählt man diesen Ansatz der sprachlichen und kulturellen Dynamik, mit deren Hilfe sich die Rebsorten auch in erstaunliche Richtungen verbreitet haben, kommt man auf Zusammenhänge, die schlichtweg neu sind.
Die historische Rebsorte Blauer Scheuchner könnte beispielsweise als Chatus aus der Ardècheregion gekommen sein (wo es sie heute noch gibt), was wiederum auf die Kadusier vom Kaspischen Meer und noch früher auf das anatolische Ḫattuša hinweist. Letzteres erlebte 1300 v. Chr. seine Blütezeit, also schon ein ganzes Weilchen her. Nun kann man durchaus der Meinung sein, dass das Herleiten von Rebsorten durch den Vergleich von Stammesnamen doch ein bisschen spekulativ sei. Und auch Blattformen ähneln sich bei vielleicht 10.000 existierenden Rebsorten ab und zu einmal. Aber andererseits sind unter Kriminalisten Indizienbeweise durchaus nicht unbekannt. Und solange nicht ein großes Weltforschungsinstitut ausreichend Geld zur Verfügung stellt, um die DNA-Profile dieser 10.000 Sorten miteinander zu vergleichen, wird es kaum bessere Methoden geben als die Schritt-für-Schritt-Spurensuche.
Michael Gutzler – Fränkischer Burgunder
Weder aus Würzburg noch überhaupt aus Franken stammt der nächste Wein. Es handelt sich um eine dank der Recherchen von Andreas Jung und der Rebschule von Ulrich Martin wiederbelebte rote Rebsorte. Michael Gutzler baut den Wein für Ulrich Martin aus, und hier ist die 2018er Fassprobe davon. Fränkischer Burgunder. Ursprünglich könnte die Rebsorte aus dem Osten Frankreichs stammen, also aus einer Gegend vom Rand des Zentralmassivs bis nach Savoyen. 104° Oechsle brachten die Trauben auf die Mostwaage, eine stattliche Reife. Der Wein selbst hat dann mit 8,9 g Säure und einem pH-Wert von 2,9 ebenso krass haltbare Werte zu bieten. Den haut so schnell nichts um.
Da es sich um eine Fassprobe handelt, ist der Wein natürlich noch trüb und steht dichtfarben in der Mitte zwischen Rubin und Purpur im Glas. Das war übrigens auch der Wein, den ich auf Facebook als meinen Favoriten der Probe gepostet hatte. Warum? Weil er auf mich so wirkt wie Weine vor der Reblaus: Sauerkirsche, Brombeere und leicht grünes Unterholz in der Nase. Dann im Mund heftige Gerbstoffe, kräftige Säure, viel Extrakt, enorm intensiv, nur eben überhaupt nicht schwer oder breit, sondern dicht und zäh. Brombeerzweig, Schlehe, eine bissige Note wie ein Blaufränkisch. Spontan – ohne dass ich vorher von seiner Herkunft gewusst hätte – denke ich an Mondeuse, die große Traube Savoyens, übrigens möglicherweise identisch mit… Refosco = Teran aus Friaul-Slowenien-Istrien.
Wenn morgen eine gute Fee vorbeikäme und ich einen Weinwunsch frei hätte, wäre das dieser hier: Bitte, lieber Winzer, stecke den Wein nicht noch länger ins Holz, bearbeite ihn nicht, filtriere ihn nicht und schwefele ihn möglicherweise auch nicht. Der steht so sicher und ehrerbietend und für die Ewigkeit gemacht, den will ich genau so und nicht anders in der Flasche in meinem Keller sehen. Und zur Diamantenen Hochzeit aufmachen.
Thürauf Glocke – Muskat-Rotling
Weiter geht es mit einem Wein, der deutlich weniger Anspruch mitbringt und einen wieder etwas auf den Boden holt. Der Wein stammt von Albert Thürauf, wiederum aus dem Taubertal. Als Rotling ist er eine Mischung aus roten und weißen Rebsorten, die zusammen gekeltert wurden. Das Rote bringt der Muskat-Trollinger hinein, aber die anderen Muskatsorten dürften dominieren, denn sonst käme nicht ein derartig helles Rosé dabei heraus.
9,5 vol% besitzt der Wein, und feinherb ist er. Herr Thürauf weist darauf hin, dass dies der Renner bei ihm sei, den die Gäste viertelesweis schluckten. Kein Wunder, denke ich mir, denn einerseits riecht man viel in der Nase – typisch Muskat natürlich. Traubensaft, Parfümiertheit, Blütenblätter, Rosiges. Im Mund ist der Wein dann mit einer starken Säure gesegnet, die ihn trotz der Restsüße frisch bleiben lässt. Schnell trinkt er sich in der Tat, was auch an seiner leicht herben Note liegt und daran, dass ihm Würze und Abgang völlig fehlen. Ein echtes Sommergetränk.
Jonas Kiefer – Grünfränkisch
Der Grünfränkisch stammt aus den Rebmuttergärten der Weinschule Martin und wurde von Jonas Kiefer in Worms gekeltert und ausgebaut. Es wird vermutet, dass Grünfränkisch sogar die Rebsorte im “echten” Wormser Liebfrauenmorgen war, ein hochgerühmter Wein zu Zeiten, die lang vergangen sind. Jonas Kiefer hat ihn wiederum ausgebaut und auf die Flasche gebracht. Oder so halb, denn es ist ja eine Fassprobe. Noch ein Grad Oechsle mehr als beim Fränkischen Burgunder gibt es hier, 105 insgesamt. 8 g Restzucker sind weiterhin dabei, dazu ein pH-Wert von 3,5, also deutlich flächiger angelegt als der Rote aus demselben Haus.
Es ist erstaunlich, wie stark sich der Wein im Glas entwickelt. Erst sind grüne Töne zu spüren, leicht Stachelbeere, dann Ananas und schließlich mehr und mehr Banane, tropische Reichhaltigkeit. Wer aus früheren, schlankeren Jahren den Grünfränkisch von Heiner Sauer kennt, wird hier überrascht sein und von einem untypisch mächtigen Exemplar sprechen. Aber es ist schwer zu beurteilen. Zum einen war 2018 wirklich ausnehmend heiß und trocken – aber natürlich hätte man die Trauben auch ein bisschen weniger reif ernten können. Zum anderen wissen wir ja noch gar nicht so genau, was die Sorte Grünfränkisch alles kann und tut. Es bleibt also spannend.
LWG Veitshöchheim – Adelfränkisch
Die Anlage der Veitshöchheimer befindet sich im Würzburger Pfaffenberg, also ein wenig nordwestlich der Stadt. Hier ist Josef Engelhart nun wirklich in Person mit seinen Schülerinnen und Schülern am Werk. 2004 hatte er die Sorte in Theilheim gefunden, veredelt und im Pfaffenberg ausgebracht. Das Besondere am Adelfränkisch sind seine dicken Blätter, die ohne Probleme auch die größte Trockenheit überstehen. Die Sorte wird jedes Jahr spät reif, erreicht jedes Jahr um die 100° Oechsle bei 10 g Säure, fault nicht und ist offenbar gut gerüstet für klimatisch herausfordernde Bedingungen.
“Moment emol” , werdet ihr jetzt sagen, “den ham mer ja gar net probiert, den 2011er!” Stimmt genau, probiert haben wir in Würzburg den 2016er. Ich hatte aber vergessen, ein Foto zu machen und habe stattdessen eines vom 2011er aus meinem eigenen Keller gemacht. Die Flasche hatte ich aufgehoben, um einmal testen zu können, wie sich die Sorte reifemäßig wohl entwickeln mag. Demnächst ist es Zeit, sie auch zu öffnen. Der 2016er beeindruckt in der Nase mit erstaunlicher Rotfruchtigkeit. Ich schnuppere eindeutig Erdbeereis am Stiel. Im Mund ist der Wein deutlich zurückhaltender, ohne prägnante Fruchtnote. Ein angenehmer Wein derzeit. Warten wir ab, was da noch kommt.
Steinmetz – Rotling Himmelstadt
Der Wein stammt aus Himmelstadt aus einer Parzelle hinter zwei Steinbrüchen, was auch der Grund dafür sein könnte, dass die Rebstöcke überhaupt noch existieren. Das Ehepaar Steinmetz hat sich des Kleinods angenommen, wobei der Alte Satz wahrscheinlich “nur” 70 Jahre auf dem Buckel hat, also überhaupt kein Alter für einen Rebstock. Jedenfalls dann, wenn man Produktivität nicht als vorderstes Ziel hat. 30 Liter Wein kamen in den ersten Jahren dabei heraus, wobei sich jener jedes Jahr deutlich anders zeigen soll. 2018 als Jahrgang roter, trockenrobusterer Rebsorten wird wesentlich dunkler sein.
Ergo haben wir hier einen bereits abgefüllten 2017er vor uns, farblich zwischen Rosé und Orange changierend. In der Nase spüre ich bittere Orangenzeste, viele Kräuter und weniger Frucht. Am Gaumen ist der Wein erstaunlicherweise recht viskos, wenig aromatisch und wiederum leicht animierend bitter. Im Prinzip schmeckt der Wein blind deutlich mehr nach Weißwein. Durch die dezente Aromatik, die Kräuter und die richtig trockene Art tippe ich hier auf einen guten Speisenbegleiter. Sozusagen das stilistische Gegenteil vom Thürauf-Rotling.
Rebitzer Castell – Granit
Manche Dinge entwickeln sich erst, wenn man ihnen Zeit und Raum gibt. Dieser Sinnspruch ist für sich eine komplette Sprechblase, aber hier trifft er zu – mit dem entsprechenden Inhalt gefüllt. Die Besitzerin dieses Weinbergs musste erst 90 Jahre alt werden, um die Verantwortung zumindest ein wenig abzugeben. Und Karl-Heinz Rebitzer, der langjährige Betriebsleiter des nicht unbedeutenden Weinguts Castell, musste erst in den Ruhestand gehen, um sich dem Wein jetzt intensiver widmen zu können. Jahrelang war alles davon in einen Gutswein geflossen. Und das Granitfass beherbergte noch 2016 eine Cuvée aus vier verschiedenen Lagen. 2017 aber wurde das Fass frei, und hinein kam der Alte Satz – zum ersten Mal getrennt ausgebaut.
18-20 Rebsorten stehen im Weinberg, ganz genau weiß man das noch nicht. Elbling ist auf jeden Fall dabei, Silvaner, Traminer und Riesling. Der 2017er wurde praktisch komplett durchgegoren, also auf 1,8 g Restsüße gebracht bei 6,5 g Säure und 13 vol% Alkohol. In der Nase ist zunächst nicht allzu viel los: etwas Nuss, etwas Brennessel. Im Mund spüre ich die Viskosität vom Alkohol und eine sehr karge, steinige, wahrhaft mineralische Note. Die Säure ist präsent, von viel Primärfrucht keine Rede. In seinem jetzigen Stadium auch eindeutig ein Speisenbegleiter, aber auch hier ist längst nicht aller Tage Abend.
Forellenhof Baumann – Signatur Oberschwarzach
Manfred Baumann vom Forellenhof betreut den Museumsweinberg in Oberschwarzach, der ursprünglich vom Ende des 19. Jahrhunderst stammt und ihm im Jahr 2002 zur Pacht angeboten wurde. Auch hier steht alles drin, was den Satz so hermachte, Heunisch, Elbling, Muskateller, Riesling und einiges mehr. Erst wollte er die Reben roden, weil die Lage durchaus vielversprechend war, aber seine Frau schimpfte ob solcher Ansinnen und auch Josef Engelhart machte ihm klar, welche Besonderheit er hier stehen hat. Also ließ sich Manfred Baumann überzeugen und macht heute einen Wein aus dem Museumsweinberg, der interessanterweise ganz anders geworden ist als beispielsweise der Casteller.
10,5 vol% hat der Wein aus dem Jahrgang 2017 und 7,2 g Restzucker. Letzterer kommt daher, dass der spontan vergorene Most einfach nicht weitergären wollte. Bei gleichzeitigen 6,9 g Säure ist das Ergebnis ein Wein, den man am Rhein so schön “harmonisch trocken” nennt. Und das steht ihm nicht schlecht. Birne und Traube in der Nase, ein bisschen Muskat vielleicht aus dem Weinberg. Im Mund setzen sich diese Noten nahtlos fort, sehr angenehm, leicht und locker zu trinken. Einer für den Frühling, der ja sehr bald kommt.
Keller – Ramsthal
Vom Weingut als “Urramsthaler” bezeichnet, stammt dieses Exemplar von einem alten Weinberg zweier Damen aus Ramsthal, ein wenig südlich der Fränkischen Saale. 1853 sei das ursprüngliche Pflanzjahr gewesen, erzählt Winzer Adolf Keller, woanders ist von 1910 die Rede. Direkt daneben befindet sich übrigens der terroir f-Weinberg, eine ziemlich steile Angelegenheit. Als Herr Keller in früheren Jahren den Wein für die Damen lediglich ausgebaut hat, waren oft nicht mehr als 60° Oechsle aus den Trauben zu holen. Mittlerweile sind sie immerhin bei 84° angekommen, und fünf neue Rebsorten haben Einzug in den Alten Satz gefunden.
Dies ist ganz klar eine Fassprobe, weil der Wein eben nicht klar ist, sondern zwar hell aber trüb. In der Nase stark gelbe Apfelschale, Hefe, ein bisschen Korianderkerne. Nicht unbedingt das, was man unter einem “fertigen Wein” versteht. Auch im Mund setzt sich die spröde Apfelart fort, stark phenolisch, Gerbstoffgefühl. Lassen wir den Jungspund also besser noch ein wenig ruhen. Bei einem Weinberg von 1853 muss auch ein Wein daraus nicht gleich am ersten Tag getrunken werden.
[Peter Vogel – Alter Satz 1901]
Der Rottendorfer Kehlberg liegt praktisch vor den Toren der Stadt Würzburg, nur in einer Richtung, wo man kaum noch Wein vermutet, weit vom Main entfernt. Peter Vogel holt aus seiner Parzelle einen der (nicht nur meiner Meinung nach) interessantesten Alten Sätze. Ich erwähne das aber nur nebenbei, denn der Wein stand zwar auf der Liste, aber Peter Vogel musste aus gesundheitlichen Gründen passen, und ohne Winzererläuterung wollten wir den Wein nicht trinken.
Ebenso – wo wir gerade bei fehlenden Weinen sind – hatte ich den Wein von Hartmut Scheuring vermisst. “Der trockene Franke”, wie er im Netz bekannt ist, war zwar selbst vor Ort, erzählte mir aber, dass sein Wein schon längst ausgetrunken sei. Alles verkauft praktisch am ersten Tag. Und das ist ehrlich gesagt doch ein Grund zur Freude. Eine andere Parzelle hätte er aber vor kurzem übernommen, die vornehmlich rot bestockt sei. Während die weißen Trauben daraus in seine “gewöhnliche” Cuvée kommen, hat er den Roten getrennt ausgebaut. Aber noch nicht abgefüllt. Ich bin gespannt.
Emmerich – Seinsheimer Hohenbühl
Seinsheim liegt am Rand des südlichen Steigerwalds, und von der Lage Hohenbühl stammt dieser Wein. Das Weingut Emmerich hat sich überlegt, dass aus diesen besonderen Trauben auch ein besonderer Wein werden muss. Also nichts mit Reinzucht-Kaltvergärung und Stahltank. Stattdessen wurde der Wein spontan vergoren, und zwar bereits im Holzfass, nicht temperaturgesteuert. Auch der Ausbau fand im Holz statt.
Während meine Nachbarn in Anbetracht des 14. Weins und der fortgeschrittenen Stunde ein bisschen erschöpft sind, freut es mich, hier mal etwas ganz anderes erschnuppern zu können. Holz, logisch, Vanillenoten, süße Gewürze, ganz dominant. Das mag nicht jeder, wobei ich mich da einschließen möchte, aber einerseits muss man Machart und Qualität trennen, und andererseits haben wir ja noch den Mund. Da kommt dann auch mehr zum Tragen als in der Nase. Neben dem Holz gibt es ausreichend Platz für reife Birne, Ananas und viel pikante Würze (gut, das ist wieder ein bisschen Holzeinfluss). Vor allem aber lässt die lebendige Säure Frische mit aufkommen. Wenn Frucht, Säure und Holz mal zu einer gemeinsamen Harmonie gefunden haben, dürfte dies ein schöner “burgundischer” Wein sein.
Nico Scholtens – Zeller Schlossberg
Einer fehlt noch, und der stand auch nicht auf unserer Liste in Würzburg. Nico Scholtens ist es. Beziehungsweise Sohn Noël Scholtens, denn der stellt uns zum guten Schluss die neueste Errungenschaft des Hauses vor, entstanden aus ihrer mittlerweile dritten Alten-Satz-Parzelle im Zeller Schlossberg. Epizentrum, ich sagte es ja schon. Die Weinberge sind wunderbar begrünt. Es wachsen Osterluzei (großflächig; vielleicht wandert im Frühjahr gar der Osterluzeifalter ein…), wilde Traubenhyazinthe, Salbei, Hauswurz – und natürlich auch ein paar Trauben. [‘ drai] bedeutet lautsprachlich “dry”, also trocken, und so geht es auch in den Scholtens-Weinen zu: 0,2 g Restzucker hat dieser hier bei 11 vol%. Angegoren wird immer spontan, aber dann nachgeimpft, damit es auch garantiert drai wird.
In der Nase spüre ich einen Hauch Lösungsmittel, dazu hellen Honig, Nuss, keine Frucht. Im Mund kommt noch etwas Ananas dazu, eine gewisse Viskosität, sehr weißer Pfirsichsaft bei leicht bitterer Phenolik. Und natürlich eine präsente Säure. Schwierig war der Jahrgang, erzählt Noël, und letztlich hätten sie nur einen virtuellen Hektarertrag von 14 hl aus der Parzelle geholt. Schwierig bleibt auch der Wein, den ich wirklich mögen möchte, aber er braucht viel Luft und Zeit und will im Moment nicht so recht. Weglegen und abwarten, hier wird Geduld belohnt. Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir das in der heutigen Zeit erst wieder lernen müssen…
Viel Spaß hat mir übrigens der zweite Blick aufs Etikett gemacht. “Alter Fränksicher Satz” steht da, natürlich ein Versehen, aber eins, mit dem man künftig vielleicht hausieren gehen kann: “Fränk?” “Sicher!”
Zum Schluss
In der Tat ist es so, dass diese Alten Sätze eine wirklich souveräne Fränksicherheit an den Tag legen. Eine unaufdringliche Lässigkeit, die sie schon durch die Jahrhunderte geführt hat. Dass mein Favorit des Abends ausgerechnet in Rheinhessen gekeltert wurde, schmerzt natürlich ein ganz klein wenig. Aber immerhin heißt die Rebsorte ja Fränkischer Burgunder und kann deshalb in künftigen Jahren auch hierzulande viel Freude bereiten.
Damit schließe ich diesen ungemein langen Artikel. Er ist aber auch nicht nur als Durchlesetext gedacht, sondern für mich auch so etwas wie ein Nachschlagebuch, wenn es wieder einmal um Alte Sätze und Historische Rebsorten gehen wird. Und das passiert ganz sicher. Denn wer sich einmal für den Erhalt alter Reben begeistern ließ, mitsamt den Geschichten aus der Vergangenheit, die sie erzählen, mitsamt den Geschichten von füllhornhafter Vielfalt, von bunter Natur, von Nicht-Einheitlichkeit, auch von einer gewissen Unangepasstheit – der wird so schnell nicht mehr davon loskommen. Und das ist ehrlich gesagt auch gut so.
… einfach unglaublich!
Ich sitze zu früher Stunde, es ist 1:50 Uhr, hier an meinem Schreibtisch ganz unvoreingenommen (eine Bekannte, die ich kürzlich kennenlernen durfte, gab mir den wertvollen Kontakt) und verfolge auf´s Äußerste gespannt Wort für Wort, Zeile um Zeile und jeder weiteren Verkostungsprobe, den lebendigen Beschreibungen dieser über allen Maßen besonderen Weinverkostung.
Als ursprünglich gelernter Weinküfer, mittlerweile in der Gastronomie malochend, ungemein interessant und spannend!
Weiter so, ich will MEHR davon!!!
VG
Matthias S.
Danke für die Blumen! Es ist auch wirklich großartig, was die Altsatz-Winzer da machen. Falls das nicht schon passiert ist, wäre doch für solche Aktivitäten mindestens so etwas wie eine Kulturmedaille fällig. Ich glaube übrigens, dass man Wein von 150 Jahre alten Reben durchaus in der Gastro den Kunden vermitteln kann. Vielleicht gar solchen, die sonst den Pinot Grigio genommen hätten 😉
Hallo Matthias S.,
bitte erlauben Sie Matthias Neske doch, mir Ihre Mail-Adresse mitzuteilen, dann erfülle ich Ihren Wunsch und schicke Ihnen die umfangreichste Liste zu Weinen aus historischen Rebsorten, die in Deutschland existiert.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Riedl
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