Wenn ich erzähle, dass ich in Japan Weingüter besuche, kommt nicht selten die Reaktion: “Wie, ich wusste gar nicht, dass in Japan überhaupt Wein erzeugt wird!” Aber ja doch, und das mittlerweile gar nicht so wenig. Trauben werden sogar schon seit über tausend Jahren angebaut. Die Weinerzeugung förderte allerdings erst Kaiser Meiji im 19. Jahrhundert, der auch ansonsten die Öffnung Japans auf vielerlei Weise betrieb. Ganz so lange ist meine Gesprächspartnerin Machiko Ochi noch nicht dabei. Aber immerhin lebt und arbeitet sie auf der Coco Farm, seit ihr Vater vor 60 Jahren mit dem Traubenanbau begann. Ein Ortstermin der besonders interessanten Art.
Der große Ausflug
Von der Existenz der Coco Farm und Winery, die etwa zwei Stunden nördlich von Tokio am Rand der Berge liegt, habe ich zunächst in Tokios Weinläden erfahren. Genauer gesagt: Ich habe dort ihre ganz erstaunlichen Produkte gefunden, vom Schaumwein nach der Méthode Champenoise über Orange Wine bis hin zu ungewöhnlichen Rebsorten. Dann las ich auch noch in einem sehr interessanten Artikel auf einem Weinblog, dass das Unternehmen ein Kombinationsprojekt ist aus einer Schule für geistig behinderte Menschen und eben dem Weingut. Vater Noboru Kawata war nämlich Lehrer in einer solchen Schule und bemerkte, dass seine Schüler zwar Schwierigkeiten im Klassenzimmer hatten, sich aber unglaublich für die Arbeit in der Natur begeistern konnten. Das müsste sich doch irgendwie kombinieren lassen, dachte er sich.
Ich frage deshalb Machiko Ochi, die als studierte Sozialpädagogin gleichzeitig “Chief Administrator” der Schule und “Vineyard Manager” des Weinguts ist, wie sich das Ganze entwickelt hat. Wir sitzen auf der Terrasse des Weinguts und blicken bei herrlichem Wetter direkt in den Weinberg, der durchaus steiler ist, als er von hier unten aussieht.
“Nun”, sagt Machiko, “mein Vater hat zwar Trauben angebaut, aber zunächst als reines Tafelobst. Das Problem war, dass die Saison sehr kurz ist und er genau in dieser Zeit alles in perfektem Zustand verkaufen musste. So wie alle anderen Traubenbauern auch. An Wein als Ergänzung hat er deshalb lange schon gedacht, aber erst 1984 die ersten Rebstöcke dafür gepflanzt.”
Mit Bruce auf der Suche nach guten Rebsorten
Ich hatte Machiko vorher in einer Email geschrieben, dass ich mich besonders für die natürlichen Rahmenbedingungen interessiere. In Japan sind die Voraussetzungen für den Weinbau klimatisch gesehen denkbar ungünstig. Auf einen wunderbar sonnigen Winter und ein angenehmes Frühjahr folgt nämlich ein Sommer mit tropischer Hitze und immenser Feuchtigkeit, dazu noch Taifune. Erst im Oktober, also eigentlich nach der Ernte, wird das Wetter wieder schöner. Ich wollte deshalb wissen, wie sie mit diesen Verhältnissen umgehen.
„Die ersten Rebsorten, die wir hier pflanzten, waren Niagara, Delaware und andere Vitis labrusca-Sorten“, erzählt Machiko. “Da mein Vater nicht genau wusste, wie man Wein bereitet, luden wir Bruce Gutlove aus Kalifornien ein, uns dabei zu helfen. Mittlerweile hat Bruce ein eigenes kleines Weingut auf der Nordinsel Hokkaido gegründet, aber wir arbeiten immer noch sehr viel mit ihm zusammen.“ Als Bruce in Ashikaga angekommen sei, wäre er erst einmal ein wenig, nun ja, überrascht gewesen. “Niagara? Delaware? Und daraus wollt ihr Wein machen?“, lacht Machiko. “Er hat uns also erst einmal empfohlen, Rebsorten zu nehmen, aus denen man auch guten Wein bereiten kann.“
Zunächst wurden deshalb Cabernet Sauvignon und Merlot gepflanzt. Aber die Rebsorten reiften in dem feuchten, sonnenarmen Klima nicht richtig aus. Was also tun? „Wir mussten experimentieren“, meint Machiko, “wie eigentlich immer noch bis heute. Im Moment haben wir etwa 20 Weine in unserem Standardprogramm, aber wir probieren ständig etwas Neues aus.“ Ich hatte gehört, dass sie hier auch die Rebsorte Norton anbauen, die aus dem ebenso heißen und sommerfeuchten Missouri stammt. „Ja, darauf ist Bruce im Gespräch mit Freunden in den USA gekommen. Das ist übrigens eine lange Geschichte, bis wir endlich tatsächlich an die Rebstöcke gekommen sind. Aber zu Norton gibt es hier auf dem Weingut unterschiedliche Ansichten, nicht wahr, Kazuto?“
Mittlerweile hat sich Kazuto Kuwabara (auch oben auf dem Titelfoto) zu uns gesellt, der für die praktischen Arbeiten im Weinberg verantwortlich ist. „Ja, hehe, also mein Liebling wird Norton nicht mehr“, grinst er. Zum einen habe er zwar schon viele Nortons probiert (sie waren seinerzeit in den USA auf Inspirationsreise), aber richtig gefallen habe ihm eigentlich keiner. „Und dann wächst die Rebe bei uns wie verrückt“, erzählt er, “mehr Grün als Trauben. Das macht natürlich jede Menge Arbeit. Aber robust ist sie immerhin, das muss ich zugeben.“
Machiko ergänzt: „Das größte Problem nicht nur bei uns, sondern bei Winzern in ganz Japan sind übrigens nicht die üblichen Pilzkrankheiten, sondern ‘Ripe Rot‘.“ Davon hatte ich ehrlich gesagt noch nie gehört. „Nein,“ meint Machiko, “ich glaube, das gibt es in Europa auch gar nicht. Es handelt sich auch um eine Pilzkrankheit, die reifende Trauben befällt, allerdings nur bei wirklich heißem und feuchtem Wetter. Also genau bei dem, was wir hier haben. Und Spritzen hilft dagegen auch nicht. Zum Glück arbeiten so viele Leute in unserem Weinberg, da können wir manuell oft die befallenen Trauben herausschneiden.“
Ich möchte wissen, welche Rebsorten momentan in ihrem Weinberg stehen. Man sieht ja bereits von weitem an der unterschiedlichen Laubfärbung, dass es auch unterschiedliche Sorten sein müssen. „Unten haben wir Petit Manseng, eine gute Wahl und ein Tipp von Richard Smart aus Australien, den Bruce in Neuseeland kennengelernt hatte. Richard Smart ist Spezialist für Weinbau in feuchten Gegenden. Dann kommt Norton und oben am Hang noch Riesling Lion und Muscat Bailey A. Das sind beides Hybridreben aus japanischer Züchtung und gut an das Klima angepasst. Wir haben aber noch ein anderes Feld eine Viertelstunde entfernt mit weiteren Sorten und arbeiten auch mit Vertragsanbauern in der Präfektur Yamagata zusammen.“
Spaziergang im Weinberg
Als ich später den Hang erklimme, wird mir erst richtig bewusst, dass es sich um ein ziemlich spektakuläres Reberziehungssystem handelt. Dabei werden Ruten extrem lang zwischen zwei Rebzeilen gezogen. „Ja“, meint Machiko, “das ist das Cordon-System auf unsere Weise. Wir hatten es erst mit dem Vertical Shoot Positioning versucht, also der Spaliererziehung an Drähten, so wie es auch in Deutschland üblich ist. Aber irgendwie sind die Trauben da nicht richtig gereift. Also haben wir Cordon genommen, das unserem althergebrachten Tanazukuri-Pergola-System nicht unähnlich ist. Richard Smart hat uns da beraten. Die Trauben bleiben dadurch weiter vom Boden mit seiner Staunässe entfernt und hängen trotzdem luftig.“
Die geologische Situation ist übrigens auch nicht uninteressant. Ich hatte ja auf der Vulkan- und Erdbebeninsel Japan mit vulkanischen Böden gerechnet, aber irgendwie sieht der Fels hier mehr nach Moselschiefer aus. „Fast“, sagt Machiko, “das ist Chert, ein ziemlich illustres Gestein aus der Tiefsee, Kieselschiefer. Manchmal finden wir sogar Fossilien. Grauwacke gibt es auch. Der Boden darüber ist oben am Berg nur sehr dünn, die Reben wurzeln also direkt im Gestein. Weiter unten gibt es Lehm.“
Oben vom Weinberg kann man weit in die Landschaft blicken. Auf der einen Seite sieht man die Stadt Ashikaga und die sich anschließende Ebene, die sich bis nach Tokio erstreckt und sehr dicht besiedelt ist.
Auf der anderen Seite gibt es dagegen das komplette Kontrastprogramm: einsame Wälder und Berge, so weit das Auge reicht. Das ist beides typisch Japan. Gerade wenn man in den brodelnden Städten unterwegs ist, macht man sich gar nicht so richtig bewusst, dass der größte Teil des Landes aus diesen einsamen Bergen besteht.
Ich stehe noch ein bisschen an diesem herrlichen Ort und genieße die Novembersonne. Dass es in Japan diesen tropischen Sommer gibt, der quasi auf den “gewöhnlichen” Jahresgang oben draufgepropft wird, daran erinnern auch die Weinbergspinnen, die irgendwie ein bisschen anders aussehen als bei uns. Nephila clavata, so heißt die Sorte, ist zwar groß und grellfarbig, aber vollkommen harmlos.
Das Tasting
Wieder unten im Weingut, geht es ans Probieren. Weil 20 Weine ein bisschen viel wären und ich einige auch schon kenne, konzentriere ich mich auf sieben. Und das sind meine Favoriten:
Yama no Petit Manseng F.O.S (fermented on skins) 2016
Das ist genau der Wein, den ich bereits in Tokio gekauft hatte und jetzt nach Deutschland mitnehmen möchte. Es handelt sich laut Machiko um “ein Experiment. Wir lernen jedes Jahr dazu. Die Trauben wurden auf der Maische belassen und anschließend in der Amphore ausgebaut. Ein Orange Wine also. Den Petit Manseng zeichnet aus, dass er auch beim Reifen noch seine Säure behält. Mir persönlich etwas zu sehr, aber ich bin ja auch mehr Sake gewohnt“, lacht Machiko. “Wir vergären übrigens alle Weine spontan, filtriert wird nur bei einigen, und Schwefel setzen wir sehr sparsam ein.”
In der Nase spüre ich noch leichte Gärnoten und einen etwas bitteren Quittenton. Am Gaumen ist der Wein dann tatsächlich richtig kräftig in der Säure, aber das kann einen Riesling-Freund natürlich nicht erschüttern. Viel weniger oxidativ und gerbig, als man von der Farbe her denken könnte, ist das ein sehr frischer und gut gelungener Wein. Der vermutet niedrige pH-Wert wird zusätzlich dafür sorgen, dass hier nichts verdirbt. Einen Orange Wine aus der heimischen Rebsorte Koshu machen sie übrigens schon seit 14 Jahrgängen, ebenfalls empfehlenswert.
Novocco Shokoshi Méthode Ancestrale 2018
Einen Wein müsste ich unbedingt probieren, meint Machiko, das sei ihr neuestes Experiment. Nicht unbedingt von der Machart her, denn einen PetNat nach der méthode ancestrale hatten sie vorher auch schon gemacht. Aber dieser ist aus der Rebsorte Shokoshi, die zur Vitis amurensis-Familie gehört. Also sozusagen ostasiatische Waldreben, die wirklich widerstandsfähig sind, und mit denen sie eine kleine Parzelle bepflanzt haben. Von dieser Sorte hatte ich ehrlich gesagt noch nie etwas gehört.
Natürlich spürt man in der Nase, dass dies ein gerade abgefüllter 2018er Wein ist, der wegen des Beaujolais Nouveau-Crazes in Japan jetzt schnell auf den Markt soll. Es duftet nach Himbeeren, nach Traubenzucker, nach gerade abgeschlossener Gärung. Im Mund ist der PetNat nicht nur prickelnd, sondern auch sehr frisch und traubig, dazu Aromen von Süßkirsche. Der Alkohol ist dabei kaum spürbar, und wäre es nicht despektierlich, könnte man von einem idealen Alkopop für Erwachsene sprechen.
Yama no Tannat 2015
Zum Schluss holt der freundliche Kellermitarbeiter noch einen ganz tieffarbenen Wein hervor, der aus der Nachbarparzelle vom Shokoshi stammt. Tannat, die French Paradox-Rebe aus dem Südwesten Frankreichs. Ja, tatsächlich, wenn Petit Manseng hier so gut gedeiht, warum dann nicht auch diese rote Rebsorte aus derselben Gegend?
Sehr dunkel im Glas, in der Nase ebenso dunkelbeerige Noten, Unterholz. Am Gaumen ist der Wein saftig und – das kann man nicht von vielen japanischen Rotweinen behaupten – von schön präsenten Tanninen geprägt. Ein bisschen flüchtige Säure ist zwar auch dabei, bleibt aber im angenehmen Rahmen. Leicht kräuterig wirkt der Wein, also tatsächlich eher an einen Madiran als an einen Tannat aus Uruguay erinnernd. Machiko erzählt, dass sie sogar einen Blanc de Noirs aus Tannat gemacht haben – natürlich ein Experiment.
Was bleibt?
Eigentlich hatte ich ja gehofft, dass ich noch ein paar Trauben direkt am Rebstock sehen würde, aber der Sommer sei dieses Jahr so heiß gewesen, dass sie drei Wochen früher als üblich geerntet hätten.
Eine Frage habe ich dann aber doch noch: Unter den Mitarbeitern, die ich im Weingut gesehen habe, war mir noch ein nicht-japanisches Gesicht aufgefallen. „Das ist Romain aus Paris. Er arbeitet schon seit sieben oder acht Jahren bei uns, außerdem noch Estrela aus Spanien. Ich habe die beiden einmal gefragt, warum sie sich das antun, unter diesen schwierigen Bedingungen ausgerechnet hier im Weinbau zu arbeiten, wo sie doch aus so schönen Weinbauländern kommen. Sie meinten nur, es wäre so interessant hier…“, lacht Machiko.
Ja, interessant ist es sehr, aber vielleicht auch noch etwas anderes. Ich habe hier in einem für mich ziemlich exotischen Ambiente unglaublich freundliche Menschen getroffen, die von der Leidenschaft beseelt sind, an diesem Ort Wein entstehen zu lassen und dabei immer neugierig bleiben. Ich sage Machiko, dass es vermutlich kein anderes Land der Welt geben würde, in dem man trotz dieser ungünstigen Klimabedingungen derartige Weine machen würde. Ob das auch etwas mit der Leidenschaft der Japaner für handwerkliche Arbeit zu tun hätte? „Das kann sein“, meint sie, “aber vielleicht kommt noch etwas dazu. Das ist nämlich nicht nur Leidenschaft, das ist manchmal auch richtige Sturheit…“
Und so verabschiede ich mich von den so sympathischen, aufgeschlossenen und manchmal auch sturen Menschen der Coco Farm & Winery an diesem wunderbaren Tag. Nach der Grace Winery in Yamanashi vor ein paar Jahren (und dem zugehörigen Artikel) war dies jetzt mein zweiter Besuch auf einem Weingut in Japan. Und wieder hat es sich sehr gelohnt.
Machiko meint, ich solle doch unbedingt nächstes Jahr wiederkommen. Das werde ich sehr gern tun. Aber dann werde ich einen Altwein aus Deutschland mitbringen. Wir hatten nebenbei nämlich auch darüber gesprochen, dass Machiko zwar einmal zu Besuch im Rheingau war, aber noch nie einen länger gereiften Riesling getrunken hätte. Und das dürfte sich doch machen lassen…
Wunderbarer Bericht über Weinbau in Japan. War mir neu ! Interessiere mich für
Weinbau in Gebieten wo er nicht vermutet wird. Weinbau auf Bornholm – Wein trinkbar kaufen nein. Weinbau in den Niederlanden ca. 150 Winzer. Weinbau in Dänemark – von der EG als Weinbaugebiet anerkannt sowie Weinbau in Mecklenburg-Vorpommern u. Schleswig-Holstein. Auf Sylt stehen rd. 1500 Rebstöcke – Wein ist o.k.
Weinbau in England sehr interessant. Erster Riesling wurde in Norwegen geerntet.
Klimaveränderungen werden noch in den nächsten Jahren große Überraschungen für den Weinbau bringen. Gruß Klaus Ashauer
Ja, ich finde das auch sehr spannend, wie Weinbau und Weinkonsum gerade an der Peripherie wachsen, also nicht nur klimatisch gesehen, sondern vor allem kulturell. Denn Erwärmung hin oder her, du musst da schon wirklich Trauben anbauen wollen 😉. Und kulturell sehe ich gerade in Asien, dass Wein durchaus ein Teil der kulturellen Globalisierung ist. Weil er eine bestimmte Kultur und Philosophie verkörpert, die besonders für urbane Menschen als attraktiv gilt. Sehr interessant auf jeden Fall. (Craft Beer übrigens auch – und das lässt sich wegen Zukauf ja selbst am Nordpol herstellen 😉)
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