Wein aus Japan: unterwegs mit Ayana Misawa

TitelWir stehen vor einem Baum mit schuppiger Rinde. Über unseren Köpfen sind die Äste des Baumes als eine Art Hyper-Pergola an einem Drahtrahmen befestigt, so dass der Baum ähnlich wie eine Tanzlinde im mittelalterlichen Europa eine Fläche von vielleicht 50 Quadratmetern überspannt. Wir, das sind Ayana und ich. Ayana Misawa, Tochter des ehrenwerten Misawa-san, seines Zeichens Besitzer der Grace Winery und damit eines der traditionsreichsten Weingüter in Japan. Und der Baum ist keine Linde, sondern – ein Traubenbaum. Ein Rebstock von einem Meter Stammumfang. Nie habe ich so etwas bislang gesehen.

Rebstamm„Tanazukuri“, sagt Ayana. „So nennt man diese Erziehungsmethode. Sie hat eine große Tradition hier in Yamanashi. Weil wir hier so hohe Sommerniederschläge haben, ist es immer am wichtigsten gewesen, dass die Trauben möglichst weit von der Bodenfeuchte entfernt sind.“ Aber ist ein solches System wirklich für den Weinbau gedacht? „Wie man’s nimmt. Die Koshu-Traube wird hier zwar schon seit 1.000 Jahren angebaut, aber die meiste Zeit davon nur als Tafeltraube, und zwar nach diesem System. Die meisten Winzer arbeiten immer noch damit, wir aber nicht mehr.“ Warum nicht? „Weil die Erträge zu hoch sind, bis zu 150 Hektoliter pro Hektar. Und die Trauben sind zwar saftig, aber relativ fad. Keine Würze, das kommt ja alles aus einem einzigen Stamm. Hier in unserem Toriibira-Weinberg machen wir die Kordon-Erziehung. Oben in den Bergen haben wir uns seit einiger Zeit für VSP entschieden.“ VSP? „Vertical Shoot Positioning. Gibt es vor allem in Neuseeland, aber auch in Europa. Wir fahren nachher noch hin zu unserem Weinberg in Akeno, wenn du Zeit hast. Das sind etwa 40 Kilometer von hier.“

Toriibira RebenUnd so fahre ich auf diesem unwirklichen Ausflug mit einer japanischen Winzertochter in einem Hybridauto durch die fruchtbare Landschaft am Fuß des Mount Fuji. Wie bin da nur hingekommen?

FujiblickTja, manchmal gibt es einfach Verkettungen von Ereignissen. Letzten Oktober war ich zum ersten Mal in Japan, und das eigentlich nur, weil ich kurz zuvor mitbekommen hatte, dass Flug und Unterkunft längst nicht mehr so unerschwinglich sind wie in der Vergangenheit. 600 Euro für den Flug, 1.000 Euro für einen Monat Monteurszimmer. Bei dieser Gelegenheit hatte ich die Antenna-Shops der japanischen Präfekturen in Tokio besucht. Beim Antenna-Shop von Yamanashi war mir die große Auswahl an Weinen aufgefallen, die offensichtlich dort produziert werden. Und als ich dann vor wenigen Wochen bei der ProWein die Winzer Takahiko Nozawa (Kurambon) und Shigekazu Misawa getroffen hatte, da stand mein Entschluss fest: Wenn ich das nächste Mal in Japan bin, muss ich mir das unbedingt direkt vor Ort anschauen.

PfirsichbäumeWährend der Fahrt erzählt mir Ayana zunächst einmal ein wenig über ihr Weingut: 15 Hektar groß ist es, aber sie verarbeiten auch noch Trauben von Zulieferern, so dass insgesamt ungefähr 200.000 Flaschen Wein pro Jahr zusammenkommen. Die Hauptkellerei befindet sich im Tal in Katsunuma, sozusagen im Zentrum des Weinanbaus von Yamanashi. Jetzt sind wir aber unterwegs nach Akeno, ihrem neuen Schätzchen, 700 m hoch gelegen und mit direktem Blick auf den Fuji.

Blick vom BahnsteigWie sind sie überhaupt auf die Idee gekommen, hier oben einen Weinberg zu errichten? „Wegen der guten natürlichen Voraussetzungen. Als Winzer in Japan hat man immer mit zwei Herausforderungen zu kämpfen, der Sonne und dem Wasser. Also zu wenig Sonne im Sommer – im Winter gibt es mehr als genug davon – und zu viel Regen vor der Ernte. Yamanashi hat schon die höchste Sonnenscheindauer von ganz Japan, und Akeno wiederum die höchste Sonnenscheindauer von Yamanashi. Gegen das viele Oberflächenwasser haben wir hier die Rebstöcke erhöht angepflanzt, zwischen den Reihen sind kleine Gräben. Das hat mir ein Professor in Südafrika geraten.“ In Südafrika? Ayana scheint ja schon einiges von der Weinwelt gesehen zu haben.

„Ja, ich war ganz schön viel unterwegs. Winzerin werden wollte ich schon als Kind. Mein Vater ist ein großer Weißweinwinzer, er kennt die Koshu-Traube und ihre Eigenarten ganz genau. Koshu ist quasi unsere Nationaltraube, so ähnlich wie bei euch der Riesling. Irgendwann hat mein Vater dann gemeint, ich sollte noch etwas anderes lernen, Rotweine bereiten, und zwar da, wo wirklich große Rotweine gemacht werden. Ich bin dann nach Bordeaux zur Uni gegangen.“ Das war bestimmt nicht leicht. „Nein, das war gar nicht leicht. Ich habe mich oft ziemlich einsam gefühlt. Zuerst konnte ich ja kein Wort Französisch und habe erst einmal ein halbes Jahr einen Sprachkurs gemacht. Oft habe ich nicht verstanden, was die Leute wollten, und das lag nicht nur an der Sprache. Ganz andere Gewohnheiten, ganz andere Umgangsformen, eine fremde Welt für mich. Aber zum Schluss ging es, und ich habe natürlich sehr viel gelernt. Danach habe ich noch insgesamt sechs Weinernten auf der Südhalbkugel mitgemacht. Und jetzt schaue ich, was sich davon auf unsere Situation übertragen lässt.“

Die Sonne schon mal nicht. „Nein, leider. Bei den Weißweinen müssen wir meist chaptalisieren, wir wären sonst voll durchgegoren bei etwa 10 vol%. Bei den Roten sieht das anders aus, und in guten Jahrgängen wie 2012 auch bei den Weißen. Aber man kann sich nie darauf verlassen, das Klima ist ziemlich unberechenbar. Letzten Sommer hatten wir zum Beispiel sechs Taifune, normalerweise kommt höchstens einer.“

AkenoWir gehen ein wenig in den Reben umher. Koshu gibt es hier und rote Sorten, Merlot, Cabernet Franc, Cabernet Sauvignon. Alles ist zart grün außer den noch nicht ausgeschlagenen Reben, die Sonne scheint, kein Wind, Vögel singen, gelbe Schmetterlinge tanzen an der Böschung. „Ich bin gern hier oben, lieber als unten in Katsunuma. Hier ist es viel ruhiger, keine Touristen, kein Verkehr, einfach schön.“ Aber die Trauben werden doch nicht nach der Ernte 40 Kilometer bis nach Katsunuma transportiert? „Nein, wir haben eine kleine Kellerei hier oben. Da können wir alles machen, sogar die Flaschenabfüllung. Die Koshu-Trauben würden den Transport nicht gut überstehen, die oxidieren sehr schnell.“

Und was für ein Gemüse ist das neben eurem Weinberg? „Das ist Daikon, Rettich. Hier oben ist eine altberühmte Lage für Spitzenrettich. Wir sind hier auf vulkanischem Boden, die Rettichwurzeln gehen sehr tief in die Erde, eine gute Mineralität.“ Und was für Rettich gut ist, kann für Weinstöcke nicht schlecht sein, oder? „Sozusagen. Die Rettichbauern kennen die Geologie bestens, sie haben die größte Erfahrung, und davon profitieren wir als Winzer.”

Auf der anderen Seite des Feldes geht es zur Kelterei und zur Probierstube. Richtig schick haben sie es hier oben. Von dem Probierraum im Blockhausstil geht der Blick aus dem Fenster direkt auf den Fuji. Ayana holt in der Zwischenzeit die Flaschen zum Probieren. Es gibt vier weiße Koshus und drei rote Fassproben.

Wenn du einen idealen Wein machen könntest, also deinen Traumwein, wie würde der aussehen? „Hm, also nicht expressiv auf jeden Fall, nicht zu stark, nicht zu vordergründig. Ich mag diese schlanken Weine, straff, ganz klar, präzise, elegant, gute Säure. Mein absolutes Vorbild ist Egon Müller. Getroffen habe ich ihn leider noch nie, aber vielleicht klappt das ja noch mal. Solche Weine möchte ich machen. Also nicht fruchtsüß und nicht Riesling, aber vom Stil her, von der Philosophie. Eher leise Weine.“

Und die kommen jetzt:

GraceGrace Koshu 2013, 12 vol%, aus Katsunuma, die Trauben stammen von Vertragstraubenlieferanten: In der Nase noch sehr hefig, am Gaumen dann mit einer pikanten Birnenaromatik, insgesamt aber noch mit einem jung-bleichen Eindruck. Muss noch ein paar Monate liegen.

Koshu Toriibira Vineyard 2012, 12,5 vol%, vom Weinberg nahe der Bahnstation, Ausbau in kleinen Holzfässern (228 und 500 Liter) für drei Monate, der einzige Weiße, der Holz gesehen hat: In der Nase Holz und Terpentin, am Gaumen eine feine Säure, wirkt potenziell deutlich runder als der Wein davor, kann auch das Holz – was ich nicht gedacht hätte – gut Toriibiraverdauen, braucht aber ebenfalls noch ein bisschen, um sich zu harmonisieren.

Koshu Kayagatake 2012, 11,5 vol%, nach einem Berg benannt, an dem die Reben stehen, die Trauben sind von Kontraktlieferanten, der Wein wird u.a. nach England exportiert: Die Nase erscheint völlig anders, reduktiv stinkelig, fordernd, irgendwie interessanter. Das mag am Terroir liegen, am vulkanischen Boden, denn der Ausbau ist, so Ayana, eigentlich genauso gewesen. Von der Frucht her geht es hier eher in Richtung Apfel, eines gelben Apfels.

Misawa AkenoCuvée Misawa Akeno Koshu 2012, 11 vol%, der Spitzenwein, 4.104 Yen, sprich knapp 30 €. Auch hier verlangt die reduktive Stinkelnase eine gewisse Öffnung. Später kommt die Stachelbeere als Frucht durch. Gearbeitet wurde hier aber nicht mit Aromahefen, sondern mit neutraler Champagner-Hefe. Ayana meint, der Wein sei ganz simpel vinifiziert worden, keine großen Kniffe oder Tricks. Am Gaumen bin ich wirklich überrascht. Bei uns ist es häufig so, dass die Spitze des Sortiments der expressivste Wein ist. Die reifsten Trauben, der höchste Alkohol, das meiste Holz, der meiste Extrakt. Hier sieht die Philosophie anders aus: Der Wein ist niedriger im Alkohol und auch sonst quasi in Richtung eines Idealtyps geschrumpft. Alles extrem dezent, öliger zwar von der Textur her, aber sehr reduziert, obwohl ein leichtes Feuer im Hintergrund schon spürbar ist. Mich würde wirklich interessieren, wie sich dieser Wein mit den Jahren entwickelt, denn ich glaube, das kann er. Im Moment fühle ich mich stärker an Sake in Weinform erinnert: ein sanfter, aber nachhaltiger Begleiter von Speisen.

Und da sind wir bei einem Thema, das bei der Beschäftigung mit Wein immer eine Rolle spielt (und spielen sollte): Was kann ich am besten zu diesen Weißweinen essen? Natürlich bietet sich hier in erster Linie die japanische Küche an, Sushi, Sashimi, Reisgerichte, puristische Geschmäcker. Was mich allerdings gewundert hat, ist die Aussage auch sehr bekannter Kritiker wie Jancis Robinson, dass sich Koshu mit scharfen Speisen nicht verträgt. Falls sie damit fruchtig-scharfe Sachen wie südindische oder thailändische Curries meint, würde ich ihr zustimmen. Aber meine eigenen Experimente mit Kimchi (also sauer-scharf eingelegtem Kohl) oder Piment d’Espelette, die beide hervorragend funktionierten, haben mich an der generellen Aussage „Koshu = nichts Scharfes“ ein wenig zweifeln lassen. Probiert es aber ruhig selbst aus, solltet Ihr in die glückliche Lage kommen, einen (besseren) japanischen Koshu erwerben zu können.

WeineNun zu den Roten, alles Fassproben der 2012er Weine. Alle drei liegen bereits seit 17 Monaten im neuen französischen Holz, im Juli oder August soll dann abgefüllt werden. Die Trauben stammen alle vom Akeno Vineyard und wurden spät geerntet, der Cabernet Sauvignon teilweise erst im November. Dadurch sind die Beeren aber auch wirklich reif geworden. Zunächst kamen sie für drei bis vier Wochen auf die Maische, wo die Gärung spontan stattfand. Voll durchgegoren haben wir hier jeweils 13 vol%, alles doch sehr angenehme Werte.

ProbierstubeDer Merlot zeigt zunächst den relativ gesehen höchsten Holzanteil, wirkt in der Nase als einziger fast ein bisschen grünlich. Am Gaumen ist es der fruchtigste der drei Roten, voll auf die saftige Beere. Der Cabernet Franc ist bereits in der Nase zurückhaltender, unterholziger. Am Gaumen kommt eine etwas gemäßigtere, aber auch dunklere Frucht zum Vorschein. Schließlich weist der Cabernet Sauvignon die überraschenderweise zurückhaltendste Nase auf. Auch hier Unterholz, aber nichts Vordrängendes. Am Gaumen geht es bei diesem Wein in Richtung einer schwarzen Johannisbeere, gepaart mit dunkler Brombeere, insgesamt sehr schön. Ohnehin bin ich über die Qualität der künftigen Rotweine überrascht. Alle drei sind reif, besitzen eine feine Frucht und keinerlei (störende?) Ecken und Kanten. Genau das könnte man ihnen auch vorwerfen, wenn man auf einen wildwürzigen, individuellen Charakter mehr Wert legt.

„Aber so möchte ich die Weine haben. Ich habe das Gefühl, dass das Typische am japanischen Rotwein eher seine Zartheit ist als mächtiges Tannin, expressive Frucht oder viel Holz.“ Welcher Wein gefällt dir persönlich jetzt am besten? „Ich glaube, der Cabernet Franc. Die Trauben mochte ich schon als Kind am liebsten, ich habe sehr gern Weintrauben gegessen. Den Merlot mochten die meisten anderen lieber, das sind die saftigsten Beeren. Der Cabernet Sauvignon hat am meisten Gerbstoffe, der war mir irgendwie zu bitter. Aber der Cabernet Franc steht dazwischen, da sind die Beeren am samtigsten.“

WinzerhausAls wir wieder zurück zum Bahnhof fahren, erzählt Ayana noch von der Natur oben in den Bergen, wo es viele wilde Affen gibt, die ziemlich schlau seien. Und Bären, einer der Mitarbeiter hätte sogar schon mal einen gesehen, sie zum Glück noch nicht. Oben auf dem Bahnsteig sehe ich dann noch die Sonne untergehen, und wie die anderen japanischen Ausflugstouristen stehe ich da, blinzele und knipse.

SonnenuntergangAyana fährt währenddessen wieder zurück in ihr Dorf. Vielen Dank an sie aus der Ferne für diesen tollen Tag. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis der japanische Wein über die üblichen Freak-Kreise hinaus größere Beachtung in der Welt erfährt. Zu gut sind die Absatzmöglichkeiten im Großraum Tokio, als dass es viele Flaschen in die Regale außerhalb des Inselstaats schaffen würden. Aber da man in Japan seit jeher eine Philosophie verfolgt, die als der Weg zur Meisterschaft bezeichnet werden kann, bin ich sehr gespannt, was sich im japanischen Weinbau in der nächsten Zeit noch tun wird. Ich werde das auf jeden Fall im Auge behalten – Japan hat mich irgendwie gepackt.

Wie ist es mit Euch, habt Ihr schon einmal einen Wein aus Japan getrunken? Und falls nicht, was war der „exotischste Wein“, den Ihr jemals probiert habt?

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8 Antworten zu Wein aus Japan: unterwegs mit Ayana Misawa

  1. Christoph sagt:

    Großartig, Matthias! Total spannender Bericht.

    • Matze sagt:

      Kannst Du nicht mal vorschlagen, dass Ihr einen japanischen Wein mit ins Portfolio aufnehmt? Den Du natürlich vor Ort erst einmal aussuchen musst – mit mir als ortskundigem Assistenten, versteht sich 😉 Ohne Quatsch: Ayana hat erzählt, dass die Schweden (sie exportieren dorthin) immer viel mehr ordern würden, als sie bekommen können. Und was in Schweden gut läuft, warum sollte das in Hamburg nicht laufen?

  2. Christoph sagt:

    Zumal wir ja auch nach Schweden verkaufen. Mit The Wine Company 😉 Gute Idee, ich bringe das mal mit ein…

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