Dieser Sommer ist eine Zumutung. Jedenfalls für all diejenigen, die eine Stadtwohnung unter dem Dach haben oder aber häufig im Freien arbeiten müssen. Aber auch wenn man unterwegs ist bei 35 Grad im nur selten vorhandenen Schatten, ist das kein echtes Vergnügen. Erst recht nicht am Oberrhein. Wir waren in Basel und im Elsass bei diesen Bedingungen und haben versucht, das Beste daraus zu machen. Partiell gelungen, würde ich sagen.
Die Rheinschwimmer von Basel
Bei unserer Gastgeberin in Basel angekommen, blicke ich ungläubig durch das Küchenfenster auf den Rhein. Was sind denn das für Dipfel da im Wasser des rhenum fluvium, der internationalen Wasserstraße?
Tatsächlich, es handelt sich um Schwimmer, und zwar um nicht gerade wenige. Der Kapitän eines holländischen Frachtschiffes hupt die ganze Zeit wie verrückt, als er die Schwimmer passiert. So etwas hat er vermutlich noch nie gesehen. Aber auch ich staune ehrlich gesagt, was in dieser so sicherheitsbedachten Schweiz doch möglich ist. Typisches Utensil des erfahrenen Rheinschwimmers ist übrigens der Wickelfisch. Weil es sich ja ungleich schwieriger zurück schwimmen ließe, packen alle ihre Klamotten und Schuhe einfach in die wasserfeste Rolltasche, binden sie sich um und lassen sich flussabwärts treiben. Großartig. Das müssen wir natürlich auch tun: Wickelfisch gekauft, Sandalen und T-Shirt eingepackt und ab in den Fluss!
Schweizer Weine
Man möge mir verzeihen, dass ich wenig Neigung verspüre, bei dieser Hitze die großen kulturellen Reichtümer dieser alten Stadt am Rhein zu besichtigen. Aber eines konnte ich mir nicht entgehen lassen: Wein kaufen. Schweizer Weine sind außerhalb der Schweiz so gut wie nicht zu bekommen. Einerseits trinken die Schweizer ihren Wein gern selbst, andererseits handelt es sich um ein bekannt hochpreisiges Land. Und schließlich sind die meisten wirklich interessanten Weingüter extrem klein, oft nicht größer als 2-3 Hektar.
Auf dem Foto oben sind drei Fläschchen zu sehen, über deren Erwerb ich mich wirklich sehr freue. Das linke habe ich bei Paul Ullrich erstanden, die beiden anderen bei Musik & Wein. Links steht also ein Completer vom Weingut Obrecht aus Graubünden, ein ziemlich exklusiver Wein aus dieser legendären gleichnamigen Rebsorte. Daneben befinden sich zwei Pinot Noirs, die beide sehr umsichtig hergestellt wurden. Der mittlere ist von Michael Broger aus dem Kanton Thurgau südlich vom Bodensee, sein Flaggschiff von alten Reben, das noch ein wenig Zeit im Keller benötigen dürfte.
Der rechte Wein kommt vom Maison Carrée aus dem Kanton Neuchâtel, welcher eher für einfache Chasselas bekannt ist. Auf reinem Kalkstein gewachsen und Demeter-zertifiziert soll das ein frisches, leicht herbes, aber qualitativ hervorragendes Exemplar sein (18,5 Punkte in der Vinum). Für 22 € ist das ein echtes Schnäppchen verglichen mit den Hochpreisern aus dem Burgund. Ich kann deshalb komplett nachvollziehen, was der freundliche Weinhändler sagt: “Keiner der Schweizer Pinots ist wirklich billig – dafür ist einfach das ganze Leben viel zu teuer hier. Aber sie gehören sicher zu den unbekanntesten und oft sogar zu den preisgünstigen Spitzenweinen der Welt.”
Elsass industriell
Von Basel aus geht es ins Elsass, und zwar zunächst in den südlichen Bereich. Natürlich muss ich mir unbedingt den berühmtesten Weinberg der Gegend anschauen, den Rangen de Thann. Das kleine Kirchlein auf dem Foto ist übrigens die Chapelle St-Urbain, Namensgeberin für die großen Weine von Zind-Humbrecht. Was mir hingegen nicht ganz bewusst war: Die Quertäler in die Vogesen sind bis in die jüngste Vergangenheit hinein hochindustrialisiert gewesen. Textilfabriken, Chemie, woanders gar Schwerindustrie, dazu Baustellen und Lkw-Verkehr… Wer das “romantische Elsass” sucht, wird sich auf Bildausschnitte beschränken müssen.
Dafür gibt es in diesen stärker arbeiterschichtig geprägten Siedlungen Orte mit einer authentischen Atmosphäre, wie man sie in herausgeputzten Touristenstädtchen à la Ribeauvillé vermutlich schwer finden würde. Die “Taverne du Vigneron” am Marktplatz von Guebwiller ist solch ein Ort. Zur Mittagszeit ist der große Speisesaal bis auf den letzten Platz besetzt, und das an einem Donnerstag! Es gibt nur ein einziges Menü, das alle zu essen haben und das aus riesigen Portionen für alle Gänge besteht. Für 11,50 € gibt es hier als Vorspeise eine Fleischpastete mit einem üppigen Salat, als Hauptgericht “Magret de canard, sauce poivrée & purée pommes de terre” und schließlich als Nachspeise verschiedene ebenfalls leicht überdimensionierte Klassiker oder aber eine Käseplatte. Ein komplett ungeschminktes Vergnügen. Was 100 schwitzende Menschen hingegen mit der Raumtemperatur machen können, ist auch beachtlich.
Schlemmen in Schlettstadt
Kein großer Spaß bei diesen Bedingungen ist ein Stadtbummel. Sélestat, auf Deutsch Schlettstadt, ist eigentlich ein Ort, an dem man sehr gut Spezialitäten aus dem Elsass und aus dem Rest Frankreichs einkaufen kann. So wie in Strasbourg und auch in Haguenau, wie ich bereits berichtet hatte. Solltet Ihr in Schlettstadt sehr wenig Zeit haben, so dass Ihr nur ein einziges Geschäft aufsuchen könnt, nehmt dieses hier: Die “Petite Ferme Riedwasen” ist ein ausgezeichneter Käseladen, der aber darüber hinaus eine große und ausgesuchte Auswahl sonstiger Köstlichkeiten bereithält. Ich habe hier verblüffenderweise einen Wein vom Weingut “Les Crêtes” aus dem italienischen Aostatal gefunden und gekauft.
Wenn Ihr Euch weder vegan noch vegetarisch ernährt, habe ich einen ganz heißen Restauranttipp in Sélestat: “Au Bon Pichet“. Inhaber und Koch Franck Barthel hat in der Dreisterne-Legende “Auberge de l’Ill” gearbeitet, sein Vater Roland, immer noch im Restaurant präsent, ist ein ehemaliger Metzger. Was das für die Gerichte bedeutet, kann man sich denken. Natürlich musste ich Fleisch bestellen, und zwar Onglet vom Rind. Ich esse ehrlich gesagt gern Fleisch, weil ich den Geschmack ebenso mag wie die Textur. Die Rahmenbedingungen, unter denen unser Supermarkt-Industriefleisch hergestellt wird, finde ich jedoch widerwärtig (weshalb ich es auch nicht kaufe). Umso mehr schätze ich deshalb solche Restaurants wie das von Franck Barthel. Für 26 € kommt dann ein wirklich perfektes Stück an den Tisch, zusammen mit Beilagen – und einem Markknochen. Hätte ich mehr Hunger gehabt, wäre das Menü für nur wenige Euro mehr auch eine hervorragende Alternative gewesen.
Abends sind wir in St-Hippolyte noch in den Weinbergen unterwegs. Dabei kommt es zufällig zu einer Mondfinsternis, die ich ebenso zufällig fotografiere. Nicht ganz so spektakulär wie seinerzeit die Sonnenfinsternis, die ich in der Mittagspause meines Praktikums bei einem Tourismusverband beobachten konnte. Aber dafür kann man ganz ungefährdet direkt hinschauen.
In den Vogesen
Wenn man von Ste-Marie-aux-Mines auf die Route des Crêtes fährt, die Gipfelstraße der Vogesen, kommt man am Stand von Richard Mathieu vorbei. Richard ist Bauer in Lapoutroie und verkauft hier seine selbstgemachten Waren. Rohmilchkäse und Räucherwurst, Tannenhonig und Brombeermarmelade. Aber auch selbst gebackene Pasteten und Kuchen. Zu einem traditionellen Repas Marcaire gehört in den Vogesen stets eine Fleischpastete im Blätterteig (hier die saftig-würzige Version mit “Pressack” und Zwiebeln) und ein Kuchen der Saison als Nachspeise (in diesem Fall Blaubeer). Der Kuchen ist überhaupt nicht süß, die Speisen köstlich. Wir haben es uns auf der Picknickdecke unter leise rauschenden Fichten gemütlich gemacht – bei 24 Grad.
Die Vogesen, die zum Teil zum Elsass, zum Teil zu Lothringen gehören (und mittlerweile zur Riesen-Region “Grand Est”) sind touristisch ein wenig ins Hintertreffen geraten. Als Kind kann ich mich noch gut daran erinnern, dass wir jeden Sommer die alten Urgroßtanten abgeholt haben, um sie zur Sommerfrische in den kühlen Harz zu fahren. Dort haben sie sechs Wochen lang nichts anderes gemacht als die gute Luft einzuatmen, ein bisschen spazieren zu gehen und anständig zu essen. Damals hielt ich das für eine ungemein langweilige Angelegenheit. Mittlerweile kann ich “the Return of the Sommerfrische” ehrlich gesagt einiges abgewinnen.
Die gute Luft und der Wald sind nämlich immer noch da, die Kühle ebenso und wegen der Unangesagtheit auch reichlich günstige Unterkünfte. In den lothringischen Vogesen gibt es zudem drei Seen, die dicht hintereinander liegen. Zuerst kommt der kleine Lac de Retournemer vom Foto, eher ein waldiger Teich, dann der Lac de Longemer mit Camping und Strandbad und schließlich der Lac de Gérardmer mit dem gleichnamigen Ort. Trotz Chalets und Casino ist Gérardmer ein sehr gestrig wirkendes Städtchen, gar nicht hübsch und gar nicht modisch. Aber herrlich kühl…
Wein im Elsass
Wieder unten im Elsass, das sich mittlerweile als wolkenüberzogener Schwitzkasten präsentiert, muss ich noch unbedingt zur Domaine Marcel Deiss fahren. Jean-Michel Deiss macht mit seinem biodynamischen Ansatz wahrscheinlich die größten und schwierigsten Weine der ganzen Region. In seinen großen Lagen gibt es grundsätzlich nur gemischte Sätze aus mehreren Rebsorten. Alles wird in der Regel hochreif geerntet, so dass nie Weine komplett ohne Restsüße dabei herauskommen (selbst wenn sie mit “sec” gekennzeichnet sind). Um sich optimal zu harmonisieren, brauchen diese Giganten oft mehr als zwei Jahrzehnte Reifung im Keller. Das ist auf andere Weise als die Sommerfrische (aber genauso stark) völlig aus der Zeit gefallen. Vermutlich würde ich niemals kistenweise Deiss-Weine mit nach Hause nehmen, nicht nur des Preises wegen. Aber vielleicht möchte ich jeden davon einmal perfekt gereift probieren. Zehn davon habe ich jetzt im Keller. Und ich kann warten…
In St-Hippolyte, das für seinen Rotwein berühmt ist, frage ich den Winzer Benoît Iltis, wie er die Situation in diesem Jahr einschätzt. “Oh”, meint er in ausgezeichnetem Deutsch, “wir werden die früheste Ernte haben, die es jemals gab. Ab dem 22. August geht es bereits los. Aber die Trockenheit macht uns sehr zu schaffen, viel mehr als die Hitze. An einigen Rebstöcken kann man bereits Risse sehen, die hiesigen Rebsorten sind nicht für Bedingungen wie an der Südrhône gedacht. Und weil das Wasser fehlt, werden wir zwar früh hohe Zuckerwerte haben, aber keine phenolische Reife. Wenn nicht in den nächsten zwei Wochen gut Regen fällt, um diese Blockage in den Trauben zu lösen, wird die Ernte zwar früh beginnen, aber auch lang dauern.” Rotweine mit rosinierter Frucht und harten Tanninen, für die das Jahr 2003 berüchtigt war, möchten die Winzer auf jeden Fall vermeiden. Lieber bis nach dem nächsten Regen warten. Wenn er denn kommt…
Zum Abschluss gehen wir noch einmal in St-Hippolyte spazieren, aber nicht etwa durch den Ort, sondern um ihn herum. An den ehemaligen Remparts, also den Wallanlagen an der Stadtmauer, befinden sich seit vielen Jahren die Gärten der anliegenden Häuser. Und es handelt sich um ganz wunderbare, altmodische Bauerngärten, in denen Obst und Gemüse gezogen wird. Weil wir es hier im Elsass nicht nur im Sommer 2018 mit einem etwas milderen Klima zu tun haben, gibt es viele Feigenbäume, Pfirsichbäume und Freilandtomaten. Sogar einen Baum mit Kakipflaumen habe ich gesehen, aber die werden ja erst im Spätherbst reif.
Wieder zurück in Nürnberg, der sechzehnte Tag mit über 30 Grad in Folge, die baumlose Innenstadt-Straße schickt nur glühende Wellen zum Fenster hinein. Beim nächsten Mal, wenn sich ein solcher Sommer ankündigt, sollte ich rechtzeitig den Bezug einer Datscha auf dem Land in Erwägung ziehen. Oder gleich in die Höhe der Mittelgebirge gehen. The Return of the Sommerfrische, ich sagte es ja schon…
Ein schöner Bericht in Worten und Bildern. Gerne reise ich so mit Dir ins Weinland.
Cher Matze, den Blog lese ich immer wieder und habe von den Berichten und Tipps schon sehr profitiert. Es gibt viele gemeinsame Interessen und auch geographische Berührungspunkte – Frankreich, Jura, Lüttich (bin demnächst wieder in der unfassbaren Cave des Oblats!), Wein, Essen, Reisen, Bio, gute Lebensmittel. Ich bin immer auf der Pirsch nach entsprechenden Quellen.
In diesem Beitrag fiel mir der Pinot noir Hauterive auf. Den gleichen Jahrgang 2015 habe ich letztes Jahr beim sehr freundlichen Winzer gekauft, der nebenbei ausgezeichnet deutsch spricht. Ältere Jahrgänge waren wie üblich ausverkauft, der 2015er noch nicht etikettiert. Es war Erntezeit und viel zu tun. Trotzdem hat das Winzerpaar für mich eine handvoll Flaschen mit Etiketten versehen. Auch der malerische Ort lohnt unbedingt einen Besuch.
Zufällig hatte ich in dieser Woche eine erste Flasche aufgemacht. Ich bin etwas ratlos und möchte davor warnen, diesen Wein jetzt zu öffnen. Ich traue ihm ein großes Potential zu, aber jetzt ist er seltsam unausgewogen. Jugendliche Frucht hat er wohl nie gehabt, aber die Alterreife hat sich noch längst nicht eingestellt. So wirkt er etwas rauh und ungehobelt, und man weiß nicht recht, wo die Sache hingeht.
Ganz anders übrigens die Cuvée Charlotte 2015 von der nahegelegenen Domaine de Chambleau, die preislich in der gleichen Liga spielt. Dieser Wein hat burgundisches Format, sehr gekonnter Holzeinsatz – und er ist schon mit ungeheurem Vergnügen trinkbar. Auch dieses Weingut wird von einem charmanten und humorvollen Winzer geführt. Eine Verkostung mit weitem Blick über den Neuenburger See auf die schneebedeckten Berner Alpen sollte man sich nicht entgehen lassen.
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