“Und der Preis für die Kartoffel des Jahres geht an… Emmalie! Applaus!” “Hm”, meint Ernest von Plaine darauf, “Kartoffel des Jahres? Hört sich als Preis doch ein bisschen bedenklich an…” Und in der Tat, das erinnert an die Zitrone des Jahres, an die Saure Gurke, an die Goldene Himbeere. Alles explizite Anti-Preise. Aber wie so vieles im Leben kann man das auch ganz anders sehen. Emmalie freut sich jedenfalls riesig über den Preis. Vermute ich zumindest. Immerhin ist sie selbst eine Kartoffel. Wer in meine ganz persönlichen Top Ten bei dieser Biofach gekommen ist und damit sozusagen die golden überpuderte Matze-Kartoffel gewonnen hat, davon lest Ihr hier.
Lugumingzhu, China
Lugumingzhu heißt übersetzt “die Perle des grünen Tals”, was nicht ganz unpassend ist, denn die Pilze, die mir Chefin Xingli Wang hier vorstellt, werden im grünen und bergigen Hinterland ungefähr auf der Mitte zwischen Shanghai und Hongkong gezogen. 18 verschiedene Sorten gibt es bei der Firma Biosan, wenn ich mich nicht verzählt habe, und jede hat ihre spezifischen Vorzüge und Wirkungen. Cordyceps fürs Fitwerden am Morgen, Maitake, wenn man zu heiß läuft und schließlich Reishi, um abends wieder herunterzukommen. Das ist dann auch das Lieblingsprodukt von Frau Wang. Oder eher, lacht sie, das, was sie offenbar am meisten nötig hat. Da die Chinesen ja dabei sind, die ganze Welt zu erobern, ist es doch wirklich schön, wenn sie bei dieser Gelegenheit auch ihre uralten Kenntnisse und Weisheiten mitbringen.
Jymy, Finnland
“Mänty” heißt Kiefer, und “Luomujäätelö” heißt Bio-Eiscreme – Finnisch ist doch eigentlich ganz einfach. Und irgendwie erscheint eine Kombination dieser beiden Elemente durchaus nachvollziehbar, wenn man an Finnland im Winter denkt. Während Finnland als Staat 2017 hundert Jahre alt geworden ist, gibt es die Firma Jymy erst seit vier Jahren. Dass sie aber in dieser kurzen Zeit bereits eine ganze Reihe von Preisen abgeräumt haben, verwundert kaum, wenn man ihre Eise probiert. Mänty mit Kiefernnadeln, Puolukka mit Preiselbeeren aus Lappland, Blaubeere, Rhabarber, Matcha, Süßholz – alles wahrhaft köstlich. Und die auf Hafermilch basierenden veganen Eissorten sind für mich die ersten ihrer Art, die nicht den winzigsten Fitzel an Ersatzgefühl in sich tragen. Beeindruckendes Handwerk.
Fish4Ever, England
Charles von Fish4Ever ist ein echter Pionier. Noch weit bevor das Thema nachhaltiger Fischfang in den Medien groß thematisiert wurde, war er schon auf der Suche nach Fischern, die genau das tun. Nach langen Forschungen und ein paar Umwegen ist er mittlerweile auf den Azoren fündig geworden. Die Thun-Fischer, mit denen er dort zusammenarbeitet, würden nicht nur das Richtige tun, sondern auch das entsprechende Bewusstsein dafür besitzen. Damit dürften jetzt alle glücklich sein, wir Kunden eingeschlossen. Fish4Ever hat nämlich drei neue Sorten fischigen Brotaufstrich auf den Markt gebracht, die ich sehr gern im Biomarkt-Regal finden würde. Die Sorte in der Mitte, Wakame-Thunfisch, hatte es mir dabei besonders angetan.
Karine & Jeff, Frankreich
Ob es mir etwas ausmachen würde, wenn ausschließlich Frauen auf dem Foto wären, fragt mich Karine. Jeff sei nämlich gerade unterwegs. Nun ja, natürlich ist das eine schreckliche Vorstellung, aber ich werde es mit Fassung tragen. “Karine & Jeff” als Marke kannte ich bereits aus französischen Bioläden, aber mir war gar nicht bewusst, dass tatsächlich Karine und Jeff als Personen dahinter stecken. Die beiden bringen zusammen mit ihrem Team Konserven ins Glas, was erst einmal ziemlich profan klingt. Aber Frankreich ist zusammen mit Japan Kulinarik-Weltmeister, falls das jemand vergessen haben sollte. Deshalb erscheint es nicht widersinnig, dass die Produkte genauso gut schmecken wie sie klingen (und wie sie aussehen; das Design ist äußerst gelungen). Es gibt beispielsweise Suppen wie “Kathmandu” (mit Süßkartoffel und Madras-Curry) und “Kilimandjaro” (mit Butternut-Kürbis und Banane), die an die großen Reisen der beiden erinnern, aber auch Fertiggerichte wie den provençalischen Schmortopf mit Fenchel, Hokkaidokürbis und Feigen. Ist das wirklich Convenience Food? Aber natürlich! Aber niemals!
Javara, Indonesien
Die Biofach ist ein Ort, an dem man sich ganz problemlos tagelang auf eingefahrenen Pfaden bewegen kann. Man kann aber auch das genaue Gegenteil tun und Dinge finden, von denen man noch nie vorher gehört hatte. “Bunga Kecombrang” zum Beispiel aus Indonesien. Was könnte das wohl sein? Corazon von der Firma Javara freut sich wirklich, mir das zu erklären. “Bunga” heißt Blüte, und Kecombrang ist eine Pflanze mit einer entsprechend beeindruckenden Blüte, die auf Deutsch “Fackel-Ingwer” genannt wird. Aus diesen Blütenblättern bereitet man in Indonesien einen Tee zu, aber als Gewürz kann man sie auch verwenden. Der Tee schmeckt leicht nach Ingwer, aber auch fruchtig und erfrischend säuerlich. Selbst wenn Kecombrang hochgradig antioxidativ wirkt, wird es nicht primär als irgendetwas Medizinisches betrachtet. “Die Leute mögen es, weil es gut schmeckt”, meint Corazon. So einfach ist das manchmal.
Amazon Andes, Peru
Peru ist schon ein faszinierendes Land. Der fischreiche Pazifik bietet die Grundlage für eine Küstenküche, die in mancher Hinsicht an Japan erinnert. Das Hochland besitzt den Erfahrungsschatz einer alten Hochkultur, und der tropische Regenwald im Osten birgt noch viele Geheimnisse, die erst Schritt für Schritt enträtselt werden. International einen Namen gemacht hat sich Peru in letzter Zeit vor allem durch sein “Superfood”, wobei es sich um nichts anderes handelt als um traditionelle Nahrungs- und Heilpflanzen. Die Firma Amazon Andes hat eine ganze Reihe dieser Pflanzen im Angebot, die sie ihrer Herkunft gemäß in zwei Kategorien einteilt, nämlich “Anden” und “Amazonas”. Aus der Andenwurzel Maca machen sie drei unterschiedliche Müslivarianten, einmal salzig mit Inkanüssen und zweimal süß mit Kakao oder Mango. Aus der Aguaje, der Frucht der Buriti-Palme, wird ein im doppelten Sinn amazonisches Pulver hergestellt. Und wer nun wirklich überhaupt kein Interesse an Wundern hat, kann immerhin noch von den energiespendenden Eigenschaften dieser Pflanzen profitieren. So wie es die Menschen in Peru seit Tausenden von Jahren tun.
Hikari Miso, Japan
Eine große Neigung, wie unschwer bei der längerfristigen Lektüre dieses Blogs festzustellen, besitze ich in jedem Fall für traditionelle Produkte aus Japan. Viele dieser Produkte haben ähnlich wie Bier oder Wein eine gewisse Metamorphose hinter sich namens Fermentation. Auch irgendwie ein Wunder der Natur und gleichzeitig kulturell perfektioniert. So wie bei Miso, also gedämpften Sojabohnen, die mit Hilfe von Koji-Pilzen vergoren werden. Miso ist eine wichtigsten Zutaten in der japanischen Küche, aber als Paste immer auch ein bisschen unhandlich. Die Firma Hikari Miso stellt insgesamt neun verschiedene, höchst traditionelle Misopasten in Bioqualität her – aber eben auch ein echtes To-Go-Produkt. Geschäftsführer Akira Hayashi hält sie in seinen Händen, die “M1nute Miso“. Für die einfachste Variante kann man einen Teelöffel dieser M1nute Miso in dreiviertel Liter heißes Wasser geben. Man kann aber auch verschiedene Gemüse hinzufügen, um das Ganze ein bisschen aufzupeppen. Oder aber die M1nute Miso für Marinaden verwenden oder gar als raffinierte Bratsauce.
Weingut Forster, Nahe
Erfreut war ich, als ich auf dem Ausstellerplan gesehen hatte, dass das Weingut Forster bei der Biofach dabei sein würde. Schließlich hatten wir gleich zwei Weinen dieses Weinguts beim Blindtest des Best of Bio-Wettbewerbs einen Preis verliehen. Und das gegen wirklich namhafte Konkurrenz, wohingegen ich offen gesprochen vom Weingut Forster an der Nahe vorher noch nie etwas gehört hatte. Das hat sich jetzt zum Glück geändert. Während die beiden “Erdenweine” vom Kies und vom Schiefer geradezu idealtypische deutsche Rieslinge darstellen (9 € ab Hof), geht der Riesling vom Johannisberg noch einen Schritt weiter: Teilvergoren im Barrique, ein Jahr auf der Hefe gelegen und jetzt dementsprechend als 2015er später in den Verkauf gekommen, ist das ein cremig-eleganter Vertreter seiner Art, der wirklich noch zu großer Form auflaufen dürfte.
Quinta da Caldeirinha, Portugal
Almofala heißt der Ort in Nordportugal, an dem Rui Roda von der Quinta da Caldeirinha die Trauben für seine elf verschiedenen Weine erntet. Ganz tief im Binnenland ist das, direkt an der Grenze zu Spanien. Von seinen Weinen gibt es allerdings nur sehr geringe Mengen. Und auch qualitativ ist das eher etwas, was man bei einem guten Weinhändler findet und weniger in einem Supermarktregal. Neben den rebsortenreinen Weinen hatten es mir besonders zwei Exemplare angetan: Das ist zum einen der Rotwein Vinha Velha aus Rufete, Mourisco und einem bisschen Alicante Bouschet, bei dem man vom ersten Schluck an die ungeheure Tiefe schmeckt, die sich unter der eleganten Oberfläche auftut. Zum anderen ist das der Weißwein Tarika, benannt nach dem Hund der Familie. Auf dem Etikett ist Tarika auch abgebildet, und zwar in Form einer schicken Zeichnung von Ruis Sohn Gabriel. Allerdings muss man das ein bisschen erraten, denn Tarika sei gerade ins leere Fass gehüpft und nur der Schwanz schaue oben heraus. Was diesen Wein aus den Rebsorten Síria, Fernão Pires und Malvasia Fina für mich so interessant macht, das ist seine Eignung als Speisenbegleiter. Ich denke an Szechuan-Küche, was mir als Assoziation nicht wirklich häufig einfällt, und spontan nehme ich mir vor, demnächst einmal einen großen Quertest zu machen, welcher Weintyp am besten zu welcher asiatischen Küche passt.
Weingut Lehner, Burgenland
Bestimmt eine halbe Stunde lang habe ich mich mit Sigrid und Erwin Lehner aus Gols im Burgenland unterhalten. Schaut Euch die beiden auf dem Foto oben an, dann wisst Ihr, dass Ihr das auch getan hättet. Keine Frage also, dass ich allein darüber einen ellenlangen Artikel schreiben könnte. Keine Frage allerdings auch, dass ich das an dieser Stelle besser nicht mache, denn wir sind hier ja bereits bei der Nr. 10 meiner zehn interessantesten Biofach-Entdeckungen angekommen. Deshalb nur ganz kurz: Die Lehners bauen auf 10 ha primär die traditionellen burgenländischen Rebsorten an, was in ihrer roten “Assemblage” gipfelt, einer Cuvée mit wirklich schöner Frucht. Interessant ebenso ihr Pétillant Naturel, dieses Jahr zum ersten Mal dabei.
Und richtig spannend ist dann der Gemischte Satz, pardon, G’mischda Soodz Zwericka, und zwar naturtrüb und als Fassprobe. Das ist kein Monument, wie es die Welt noch nicht gesehen hat, aber ein echter Charakterwein, und er hat auch eine Geschichte: Die Lehners hatten diesen alten Weinberg von alten Leuten eigentlich nur gepachtet, weil er direkt neben ihrem eigenen liegt und jenen sozusagen als “Glyphosatpuffer” vor weniger umweltschonend arbeitenden Nachbarn schützen sollte. Dann aber stellten sie fest, dass in diesem alten Weinberg nicht etwa nur die angekündigten Welschriesling und Neuburger zusammen gedeihen, sondern eine Vielzahl anderer Rebsorten. Und so war ihr G’mischda Soods geboren. Für klar weniger als 10 € ist das bei diesem Hintergrund und diesem umsichtigen Vorgehen ein – Achtung: Unwort – wahres Schnäppchen.
Mit dieser erfreulichen Begegnung beende ich meinen Rundgang über die diesjährige Biofach. Dass sich bei dieser Weltleitmesse der Bioszene auch die ganz Großen tummeln und ihre Neuheiten vorstellen, und dass hier neben mir noch 49.999 Besucher aus 133 anderen Ländern unterwegs sind, das sind Dinge, die Ihr in den Presseberichten woanders nachlesen könnt. Aber ein Wein mit Kinderzeichnungs-Etikett, ein Tee aus Fackelingwer oder eine Kilimandscharo-Suppe mit Banane, die kommen da höchst selten vor. Deshalb gehe ich jedes Jahr wieder gern auf die Biofach, weil sie allen Unkenrufen zum Trotz immer noch nicht in Beliebigkeits-Convenience versunken ist. Und weil ich hinter den Schätzchen die echten Menschen treffe, an die ich mich gern erinnere, wenn ich das nächste Mal im Bioladen eines ihrer Produkte sehe.
Hallo Matze,
danke für den Beitrag, schöne Mischung von Themen und flott geschrieben! Du hast Dich (wohlweislich) auf Deine Top Ten beschränkt, aber ich darf hier ergänzen und verlinken?
Herr Ellenberg und seine “Emmalie” haben es verdient: https://www.kartoffelvielfalt.de/
Und wer noch mehr über solche Leute wie Ellenberg wissen möchte: ein Beitrag des SWR, “Verbotenes Gemüse” https://www.swr.de/betrifft/betrifft-verbotenes-gemuese/-/id=98466/did=20900176/nid=98466/sdpgid=1523093/zgq59r/index.html
Grüße
Jörg
Aber gern! Ich überlege, ob ich meinen Eltern die Blaue Anneliese von Karsten Ellenberg angedeihen lasse, da sie späte und festkochende Sorten schätzen. Ich weiß nur nicht, ob sie schon bereit sind für Violett auf dem Teller 😉
Kauf Deinen Eltern noch die Emmalie und die Angeliter dazu, dann können sie einen dreifarbigen Kartoffelsalat machen. Als vierte Farbe Radieschensprossen, als fünfte (schwarz) süß-sauer eingelegte Herbsttrompeten. Hab ich schon so gemacht und kan sehr gut an!
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