Was soll das bitteschön sein? Eine so gut wie nie zur Selbstdarstellung neigende Person lacht per unscharfem Selfie frech in die Kamera, als Oberbekleidung ein schwarzes T-Shirt mit Fake-Hanf-Druck in Form von Tannenzweigen tragend? Muss das sein? Oder wurde der seriöse Blog klammheimlich von einem kanadischen Waldschrat gehackt? Wenn Ihr diese Fragen auch interessant findet, dann lest doch einfach weiter.
„Juraddiction“, steht auf dem T-Shirt, was soviel bedeuten soll wie „eine verstärkte Hinwendung zum französischen Département Jura verspürend“. Und genau das soll das Motto auf diesem Blog sein. Die ganze Woche lang, Tag für Tag. Nicht nur auf diesem Blog allerdings, sondern auch drüben auf dem anderen Blog mit der anderen Augenfarbe, Beautyjagd. Bei Beautyjagd könnt Ihr auch lesen, wie es dazu gekommen ist, dass es eine ganze Woche lang um nichts anderes gehen soll als um die kleinen Freuden der französischen Provinz.
Wir sind in Dole, exakt 23.312 Einwohner, gelegen auf halber Strecke zwischen Besançon und Dijon im, pardon, dünn besiedelten Niemandsland. Einige von Euch werden auf der Autobahn auf dem Weg in den Sommerurlaub schon einmal hier vorbeigerauscht sein, aber richtig Station gemacht hat bestimmt kaum jemand. So ging es uns auch, aber irgendwie hat es uns gereizt, die – ich wiederhole mich – kleinen Freuden der französischen Provinz einmal ganz konkret zu erkunden. Denn vielleicht gibt es hier ja doch mehr zu entdecken als ein Bett im Plastikhotel und eine Mahlzeit bei Flunch.
Und tatsächlich – allerdings anders als gedacht, denn den ernsthaften Themen wie Essen & Trinken werde ich mich vermutlich später noch widmen. Kaum angekommen, bekomme ich nämlich von der Verkäuferin im örtlichen Buchgeschäft einen Zettel in die Hand gedrückt. Ob wir am Wochenende auch noch hier wären? Da würde es ein kleines Fest in Dole geben, Blasmusik und Kleinkunst auf den Straßen der Stadt.
Na, warum nicht? „Cirques et Fanfares“ heißt das Festival, und obwohl am Himmel dunkle Wolken hängen, sollte das kein entscheidendes Hindernis sein beim Eintauchen in die lokale Kulturszene. „Lokale Kulturszene“ ist allerdings eine ziemliche Untertreibung, denn die Bands, Künstlerinnen und Künstler kommen nicht nur aus den verschiedensten Ecken der Welt, ihre Darbietungen sind auch nicht von schlechten Eltern.
Unsere Unterkunft direkt am Kanal entpuppt sich dabei als idealer Startpunkt. Vielmehr, für das erste Programm brauchen wir das Haus gar nicht zu verlassen, denn aus dem Fenster können wir beobachten, wie auf dem Platz jenseits des Wasserbeckens eine fahrbare Küche aufgebaut wird: Vorhang auf für “La Cuisinière” vom Straßentheater „Tout En Vrac“ aus Grenoble!
Die junge Dame wollte doch nur einen Schokokuchen bereiten, aber natürlich geht alles schief. Es raucht, brennt, spritzt, knallt, die Kinder im Publikum kreischen vor Vergnügen, alles bricht zusammen – bevor… Tja, das könnt Ihr Euch vielleicht sogar selbst anschauen, solltet Ihr im Sommer unterwegs in Frankreich sein, denn auf der Website von „La Cuisinière“ sind alle Termine für die nächsten Monate gelistet.
Jetzt aber raus aus der Wohnung und rein in die Stadt. Erst denke ich, hier gibt es ja ein weiteres circensisches Rauchspektakel à la Cuisinière, aber offenbar hat der Griller nur besonders feuchtes Feuerholz benutzt. Die Schwaden ziehen jedenfalls durch alle Gassen.
Oben am Marktplatz warten jetzt um 12 Uhr schon eine Menge Menschen. Die Stadt veranstaltet ein “pique-nique républicain” und stellt dafür für alle Besucher Tische, Bänke und hellroten Jurawein aus Plastikbechern zur Verfügung. Wer seinen Salat nicht mitgebracht hat, kann sich verschiedene Häppchen an den Ständen ringsum besorgen. Für Rennradler gibt’s auch Bananen.
Damit die Unterhaltung nicht zu kurz kommt, spielt vor der Kirche das “Saša Krstić Orkestar“. Saša hat im letzten Jahr den berühmten Wettbewerb um die goldene Trompete in Guče gewonnen, ist also einer der ganz Großen seines Fachs. Während die einen zu Balkanrhythmen tanzen, die anderen Nudelsalat essen und Rotwein trinken, kommen die dritten nach dem Pfingstgottesdienst gerade aus der Kirche. Kleine Paralleluniversen.
So ein Festival in der Provinz hat den großen Vorteil, dass man – wenn man denn möchte – ganz dicht an Musik und Musikern dran sein kann. Auf dem formschönen Küchenstuhl sitzt der Percussionist des “Half Orchestra” aus Moskau.
50.000 Besucher sollten kommen, hatte uns der Wirt der “Bar Jurassien” vorher angekündigt. Ganz so viele sind es vielleicht nicht, aber jede Band findet ihr begeistertes Publikum. Die Stile sind dabei durchaus unterschiedlich. Es gibt mindestens drei “klassische Balkan-Orchester” mit entsprechend virtuosen Blechbläsern, dann Bands, die ein bisschen funkigen Partysound mit hineinmixen – hier die “Always Drinking Marching Band” aus Barcelona – und auch solche mit komplexen Jazz-Arrangements.
Richtig nah dran ist man dann, wenn Hunde und Kinderwägen wieder zurück in die Dörfer der Umgebung gefahren sind. Ab 23 Uhr (!) touren die Bands nämlich noch durch die verschiedenen Bars der Stadt, und auch um ein Uhr nachts wird draußen noch musiziert – hier zum Beispiel das “Duna Orkestar“, das genialerweise direkt vor “unserem” Haus aufspielt. Irgendwie habe ich das Gefühl, wenn die Doloiser feiern, dann tun sie es richtig. Ohnehin ist das Schöne an diesem leicht alternativen Fest, dass nicht alle so furchtbar cool sein müssen oder in den neuesten Modetrend aus New York gewandet, um zusammen Spaß haben zu können. So darf es mit der Provinz ruhig weitergehen!
A propos ruhig: Beautyjagd wird sich heute Nachmittag in ihrem Post weniger um die Blechbläser kümmern als vielmehr darum, wie und warum man in der Provinz schöner wohnen kann. Und ruhiger sowieso – außer mit dem Duna Orkestar vor dem Fenster natürlich.
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